Verwaltungsgericht Oldenburg
Beschl. v. 14.02.2006, Az.: 11 B 607/06
Abschiebungsverbot auf Grund exilpolitischer Aktivitäten eines Syrers; Prüfung der Wahrscheinlichkeit von Verfolgungshandlungen syrischer Stellen ; Gefahr der Verfolgung allein auf Grund der Zugehörigkeit zu einer Minderheit (Kurden) oder der Verbindung zu einer systemkritischen Oppositionspartei; Berücksichtigung eines in Syrien ausgestellten Haftbefehls oder Bewertung als Fälschung oder Gefälligkeitsbescheinigung
Bibliographie
- Gericht
- VG Oldenburg
- Datum
- 14.02.2006
- Aktenzeichen
- 11 B 607/06
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2006, 16048
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGOLDBG:2006:0214.11B607.06.0A
Rechtsgrundlagen
- § 71 Abs. 1 AsylVfG
- § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG
Verfahrensgegenstand
Abschiebungsverbote
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für die Gefahr von Verfolgungshandlungen syrischer Stellen erfordert neben der Zugehörigkeit zu einer Minderheitenvolksgruppe und der Verbindung zu einer systemkritischen (Exil-)Oppositionspartei oder entsprechenden Vereinigung im Einzelfall das Hinzutreten besonderer Umstände.
- 2.
Die Unruhen im März 2004 und die sich daran anschließenden Ereignisse erfordern keine Neubewertung der Rückkehrgefährdung wegen exilpolitischer Aktivitäten.
In der Verwaltungsrechtssache
hat das Verwaltungsgericht Oldenburg - 11. Kammer -
am 14. Februar 2006
durch
den Vorsitzenden als Einzelrichter
beschlossen:
Tenor:
Der Antrag des Antragstellers auf Änderung des Beschlusses vom 30. November 2005 -11 B 5249/05 - wird abgelehnt. Der Antragsteller trägt die außergerichtlichen Kosten des Änderungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
Das bei verständiger Würdigung (§§ 122, 88 VwGO) auf Änderung des aus dem Tenor ersichtlichen Beschlusses gerichtete Begehren des Antragstellers ist in entsprechender Anwendung des § 80 Abs. 7 VwGO zulässig, aber unbegründet.
Zwar besteht nunmehr ein Anordnungsgrund, d.h. eine Eilbedürftigkeit der Sache, weil der Antragsteller, welcher ungetaucht war, inzwischen festgenommen wurde und am 16. Februar 2006 in sein Heimatland abgeschoben werden soll. Es fehlt aber an einem Anordnungsanspruch, also an einem materiellen Recht des Antragstellers bis zur Entscheidung über seine Klage (11 A 5247/05) von einer Abschiebung verschont zu bleiben.
Der Antragsteller hat nämlich - wie das Bundesamt mit Bescheid vom 8. November 2005 im Ergebnis zu Recht entschieden hat - keinen Anspruch auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens.
1.
Es liegt keine Änderung der Sachlage vor, die eine für den Antragsteller günstige Entscheidung rechtfertigen könnte (§§ 71 Abs. 1 AsylVfG, 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG). Die insoweit vorgebrachten exilpolitischen Tätigkeiten des Antragstellers in der Bundesrepublik Deutschland führen nach der ständigen Rechtsprechung der Kammer (vgl. etwa Urteile vom 3. und 28. Februar 2005 - 11 A 2001/03 und 2286/03 - ) und des Nds. Oberverwaltungsgerichts (z.B. Urteile des Nds. OVG vom 27. März 2001 - 2 L 5117/97 - und 22. Oktober 2002 - 2 L 2583/00 - m.w.N.; Beschluss vom 2. Juli 2003 - 2 LA 172/02 -; Urteil vom 30. September 2004 - 2 L 986/99 -; Beschluss vom 6. Juni 2005 - 2 LA 197/05 -) nicht mit der erforderlichen beachtlichen, d.h. überwiegenden Wahrscheinlichkeit zu Verfolgungshandlungen syrischer Stellen. Bei umfassender Würdigung einschlägiger Erkenntnismittel ergibt sich nämlich, dass neben der Zugehörigkeit zu einer Minderheitenvolksgruppe und der Verbindung zu einer systemkritischen (Exil-)Oppositionspartei oder entsprechenden Vereinigung im Einzelfall besondere Umstände hinzutreten müssen. Solche liegen vor, wenn es sich um regimefeindliche Aktivitäten handelt, durch die sich das syrische Regime in seinem Bestand bedroht fühlt und diese sich deutlich von den Tätigkeiten zahlreicher anderer syrischer Staatsangehöriger in Deutschland unterscheiden.
Das Gericht sieht auch auf Grund des Vortrages des Antragstellers keinen Anlass, diese ständige Spruchpraxis der Kammer zu ändern. Nach Berichten von amnesty international vom 13. Mai 2005, 19. und 27. September 2005 sind zwar aus verschiedenen Ländern in ihr Heimatland zurückgekehrte Exil-Syrer verhaftet worden. Es handelt sich hierbei aber im Wesentlichen um Personen, die verdächtigt werden, der verbotenen Muslimbrüderschaft nahe zu stehen, die als einzige der Exilgruppen, vor allem in den Nachbarstaaten Jordanien und Ägypten, über eine nennenswerte Struktur verfügt (vgl. zu Letzterem auch: Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 14. Juli 2005, S. 19). Das Auswärtige Amt (a.a.O.) berichtet, dass im März 2005 ein Teil der Personen, denen durch Präsidialdekret erlaubt wurde, wieder nach Syrien zu kommen, festgenommen wurde. In einer Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 29. November 2005 an das Verwaltungsgericht Ansbach wird erwähnt, dass zumindest ein Fall bekannt sei, in dem eine aus Deutschland zurückgeführte Person, die hier an Demonstrationen teilgenommen habe, wegen der exilpolitischen Aktivitäten, verhaftet und angeklagt worden sei (vgl. auch Lagebericht a.a.O., S. 22). Insgesamt kommt das Auswärtige Amt (a.a.O., S. 19) aber zu der überzeugenden Einschätzung, dass exilpolitische Tätigkeit von den syrischen Stellen unterschiedlich bewertet werde. Es werde zwischen Führungspersönlichkeiten, Aktivisten, einfachen Sympathisanten und Mitläufern differenziert. Mit Repressionen sei erst dann zu rechnen, wenn die Aktivitäten in erheblichem Umfang öffentlichkeitswirksam bekannt geworden seien. Die Inhaftierungen auf Grund exilpolitischer Aktivitäten betreffen also in aller Regel besondere Gruppen von Rückkehrern und sind im übrigen Einzelfälle, die - auch unter Berücksichtigung der ggf. drohenden erheblichen Rechtsgutsverletzungen - die Annahme einer generellen Gefährdung auch bei nicht-exponierten Exiltätigkeiten gerade in Deutschland nicht rechtfertigen können. In der erwähnten Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 29. November 2005 ist auch ausgeführt, dass bei exilpolitischem Engagement eine Vernehmung "nicht auszuschließen" sei, also zwar die Möglichkeit, offenbar aber keine größere Wahrscheinlichkeit solcher Maßnahmen besteht. Die Einschätzung des Gerichts wird dadurch bestätigt, dass nach der überzeugenden Darstellung des Deutschen Orient-Instituts (Auskunft an das Verwaltungsgericht Karlsruhe vom 1. November 2005) den syrischen Stellen bekannt ist, dass die nach Europa kommenden Kurden aus Syrien, von denen inzwischen mehrere Hunderttausend hier leben, in erster Linie über das Asylverfahren versuchen, ein Aufenthaltsrecht zu erlangen. Um ein solches Begehren zu begründen, ist - wie auch dem Gericht aus einer Reihe anderer Verfahren bekannt ist - u.a. die Teilnahme an Veranstaltungen der Exilopposition üblich und erwartungsgemäß (vgl. auch Auswärtiges Amt, Lagebericht a.a.O., S. 22). Standardmäßige Aktivitäten begründen daher trotz der anzunehmenden Beobachtung der Exilopposition durch den syrischen Geheimdienst keine beachtliche Verfolgungsgefahr.
Es ist in der Rechtsprechung der Kammer und des Nds. Oberverwaltungsgerichts (vgl. Beschluss vom 5. Juni 2005, a.a.O.) auch geklärt, dass - anders als dies in der von dem Antragsteller in Bezug genommenen Stellungnahme von Hajo/Savelsberg vom 23. August 2005 für das VG Schleswig ausgeführt ist - die Unruhen im März 2004 und die sich daran anschließenden Ereignisse keine Neubewertung der Rückkehrgefährdung wegen exilpolitischer Aktivitäten erfordern.
Der Antragsteller ist in Deutschland eindeutig nicht in hervorgehobener Weise politisch aktiv gewesen. Er hat nach seinen Angaben in der Zeit von Oktober 2001 bis Oktober 2005 an sieben Demonstrationen der kurdischen Exilopposition teilgenommen. Ferner hat er zweimal in Westerstede Flugblätter zu Gunsten der kurdischen Sache verteilt.
Dass er seit Mitte Juli 2005 als Protokollführer Vorstandsmitglied der "Vereinigung der zu staatenlos erklärten Kurden in Deutschland" ist, vermag eine andere Beurteilung nicht zu rechtfertigen. Denn es handelt sich hier ersichtlich um eine kleinere allenfalls regional tätige Organisation. Bei der Mitgliederversammlung im Juli 2005 waren lediglich 15 Personen anwesend. Die Vorstandsmitglieder leben im Landkreis Ammerland. Die Versammlung wurde offenbar in der früheren Wohnung des Antragstellers in Bad Zwischenahn durchgeführt.
2.
Der vom Antragsteller vorgelegte Haftbefehl vom 20. Oktober 2001, welcher nach seiner Vermutung auf die exilpolitischen Aktivitäten zurückzuführen sein soll, ist kein neues Beweismittel im Sinne der §§ 71 Abs. 1 AsylVfG, 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG. Ihm ist kein verfahrenserheblicher Beweiswert beizumessen. Nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes (a.a.O., S. 25 f.) sind in Syrien Rechtsgüter wie die Sicherheit des Urkundenverkehrs unbekannt. Dokumente dienen dort nicht dazu, einen bestimmten Sachverhalt objektiv zu belegen, sondern ein bestimmtes Vorhaben zu stützen. Viele schlecht bezahlte Beamte sind bei entsprechenden Beziehungen gegen Bezahlung von Geldern bereit, Gefälligkeitsbescheinigungen auszustellen. Hinzu kommt, dass der Antragsteller lediglich die Kopie eines Dokuments vorgelegt hat, auf der das vollständige Aktenzeichen nicht erkennbar ist. Nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnissen hätte der Haftbefehl, nach dem der Antragsteller wegen eines Verbrechens gegen die Sicherheit des Landes gesucht wird, auch von der hierfür zuständigen Militärgerichtsbarkeit erlassen werden müssen und nicht von einem Gericht für allgemeine Angelegenheiten (vgl. Auskünfte des Deutschen Orient-Instituts vom 16. Januar 2006 und 31. Oktober 2005 an das VG Regensburg, an das Bundesamt vom 1. Juli 2003 und vom 3. August 2001 an das VG Freiburg; Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 1. Juli 2002 an das Bundesamt). Außerdem hätte der Antragsteller im Hinblick auf exilpolitische Aktivitäten nicht auf Grund eines Verbrechens gegen die Sicherheit des Staates nach § 109 des syrischen StGB, sondern wegen Verunglimpfung des syrischen Staates im Ausland auf Grundlage des § 287 des syrischen StGB gesucht werden müssen (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht a.a.O., S. 22, Auskunft vom 29. November a.a.O.). Ferner ist auch für das Gericht unverständlich, dass dem Antragsteller der seinem Vater bereits seit langem vorliegende Haftbefehl erst im August 2005 übermittelt worden sein soll. Es gibt nämlich stark frequentierte Verbindungen zwischen Syrien und Europa, so dass es Wege gibt etwas nach Deutschland zu transferieren, ohne dass der Geheimdienst hiervon erfährt (vgl. Deutsches Orient-Institut, Auskunft vom 1. November 2005 a.a.O.). Es ist außerdem darauf hinzuweisen, dass der Antragsteller bereits in seinem ersten Asylverfahren behauptet hat, er sei kurz vor seiner Ausreise Ende Juli 2000 mit Haftbefehl gesucht worden. Es ist daher nicht abschließend verständlich, weshalb nunmehr ein weiterer Haftbefehl nötig erschien, um seiner im Falle einer Rückkehr habhaft zu werden. Auffällig ist zudem auch, dass der Antragsteller seinen Asylfolgeantrag erst Anfang November 2005 und damit kurz vor der ursprünglich am 10. November 2005 vorgesehenen Abschiebung stellte, obwohl das Dokument bereits am 10. August 2005 übersetzt worden ist.
Gegen dessen Aussagekraft spricht zudem das Ergebnis des ersten Asylverfahrens, in dem unanfechtbar festgestellt worden ist, dass die Behauptung des Antragstellers, er sei wegen der Anfertigung regimekritischer Gedichte ab Februar 1999 für mehrere Monate inhaftiert und im Juli 2000 mit Haftbefehl gesucht worden, nicht glaubhaft ist (vgl. Bescheid des Bundesamtes vom 27. April 2001, Urteil des Einzelrichters der Kammer vom 17. Juli 2002 - 11 A 1603/01 -; Nds. Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 13. März 2003 - 2 LA 166/02 -). An dieser Einschätzung ist auch nach erneuter Überprüfung unter Berücksichtigung der diesbezüglichen Einwände des Antragstellers festzuhalten. Maßgeblich ist, dass sein Vorbringen in wesentlicher Hinsicht widersprüchlich, ungereimt und unsubstanziiert gewesen ist.
So hat der Antragsteller in seiner Anhörung beim Bundesamt am 23. August 2000 (Anhörungsprotokoll, S. 12 f.) behauptet, dass er das Gedicht, welches zu seiner Festnahme im Februar 1999 geführt haben soll, unter einem Decknamen geschrieben habe. Dagegen erklärte er in der mündlichen Verhandlung am 17. Juli 2002 (Protokoll, S. 5), dass er es mit seinem bürgerlichen Namen versehen habe, so dass ihn Angehörige des Sicherheitsdienstes festgenommen hätten. Letztere Darstellung erscheint auch unrealistisch, weil der Antragsteller sich damit unnötig einer erheblichen Gefahr ausgesetzt hätte. Es wirkt zudem wenig lebensnah, dass der Antragsteller - wie er es in der mündlichen Verhandlung (a.a.O.) geschildert hat - erst um Mitternacht zu einem Freund, der andere Freunde eingeladen habe, gegangen sein soll.
Auffällig ist auch, dass der Antragsteller beim Bundesamt angegeben hat, er sei vom 25. Februar bis 25. Oktober 1999 (vgl. Anhörungsprotokoll; S. 9 und 13) inhaftiert gewesen, während er in der mündlichen Verhandlung (a.a.O.) erklärte, sechs Monate im Gefängnis festgehalten worden zu sein.
Bezüglich seiner Verhaftung und Inhaftierung vermochte der Antragsteller beim Bundesamt trotz Aufforderung wenig Einzelheiten zu berichten (vgl. Anhörungsprotokoll, S. 14 f.). Unverständlich ist auch, das der Antragsteller beim Bundesamt (vgl. Anhörungsprotokoll, S. 9 und 14) angab, er habe sich nach seiner Freilassung einmal wöchentlich bei den Sicherheitskräften melden müssen, während er in der mündlichen Verhandlung (a.a.O.) vorgetragen hat, er habe alle zwei bis drei Wochen vorsprechen sollen.
Nicht nachvollziehbar ist zudem, dass der Antragsteller beim Bundesamt (vgl. Anhörungsprotokoll, S. 17) das Gedicht vom 10. Juli 2000, welches bei einem Freund gefunden worden und zum Erlass eines Haftbefehls gegen den Antragsteller geführt haben soll, nicht aufzuschreiben vermochte. Er erklärte zudem plötzlich, er schreibe eigentlich auch mehr kleine Geschichten. Lebensfremd ist zudem, dass er - sogar trotz vorheriger Inhaftierung - dieses Gedicht mit seinem Namen gekennzeichnet haben soll (vgl. Anhörungsprotokoll, S. 16).
Schließlich ist angesichts seiner angeblich regimekritischen Einstellung erstaunlich, dass der Antragsteller bis Ende 1998 seinen Wehrdienst als Personalsachbearbeiter in einer Spezialeinheit für die innere Sicherheit abgeleistet haben soll. In dieser Zeit soll er einen sechs- bis siebenmonatigen Verwaltungslehrgang und ein Fernstudium absolviert haben (vgl. Protokoll der mündlichen Verhandlung, S. 4). Noch zum 1. Januar 2000 - also nach der angeblichen mehrmonatigen Inhaftierung - hat er sich nach seinen Angaben beim Bundesamt (vgl. Anhörungsprotokoll, S. 9) um eine Stelle im öffentlichen Dienst beworben.
Aus diesen Gründen ist auch nicht glaubhaft, dass sein Bruder mehrfach, zuletzt im März 2004, an Stelle des Antragstellers festgenommen worden sein soll.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83 b AsylVfG. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).