Verwaltungsgericht Stade
Urt. v. 16.01.2004, Az.: 6 A 1519/03

Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter wegen politischer Verfolgung in Afghanistan; Anforderungen an die Glaubhaftmachung; Beurteilung der asylrelevanten und abschiebungsrelevanten Lage von Frauen unter der afghanischen Übergangsregierung; Anspruch auf Abschiebungsschutz; Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung

Bibliographie

Gericht
VG Stade
Datum
16.01.2004
Aktenzeichen
6 A 1519/03
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2004, 11161
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGSTADE:2004:0116.6A1519.03.0A

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Es ist Musliminnen in Afghanistan zumutbar, sich dort weiterhin als allgemein gültig betrachteten Regeln - insbesondere Bekleidungsregeln für Frauen, aber auch etwaige Beschränkungen für Gesang und Tanz - wieder anzupassen, und zwar unabhängig davon, ob sie während ihrer Zeit in Deutschland auch von westlichen Idealen beeinflusst worden sind. Maßgeblich ist nämlich nicht die subjektive Sicht der einzelnen Frau bzw. des einzelnen Mädchens. Vielmehr muss hier ein objektiver Maßstab angelegt werden, der sich daran orientiert, was im Heimatland der Betroffenen als das herrschende Wertesystem anzusehen ist.

  2. 2.

    Eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK setzt ein geplantes vorsätzliches, auf eine bestimmte Person gerichtetes Handeln voraus, und zwar grundsätzlich ein solches durch staatliche Organe. Ausnahmsweise können auch Misshandlungen durch Dritte eine unmenschliche Behandlung darstellen, sofern sie dem Staat zugerechnet werden können. Dem Staat können ferner solche staatsähnliche Organisationen gleichstehen, die den Staat verdrängt haben, selbst staatliche Funktionen ausüben und auf ihrem Gebiet die effektive Gebietsgewalt innehaben.

Tatbestand

1

Die Kläger sind afghanische Staatsangehörige tadschikischer Volkszugehörigkeit. Der Kläger zu1. ist nach eigenen Angaben 1952 ("01.01.1952") in Herat geboren, die Klägerin zu 2., seine Ehefrau, am 20. März 1962 in Mazar-e-Sharif. Die Klägerinnen zu 3. bis 7. sind die Töchter der Kläger zu 1. und 2.. Nach ihren Angaben sind die Klägerinnen zu 3. bis 5. im Mazar-e-Sharif geboren (24. Juni 1988, 7. August 1989 und 24. Oktober 1990) und die Klägerinnen zu 6. und 7. in Herat (10. August 1994 und 24. Dezember 1995).

2

Die Kläger meldeten sich am 25. Februar 2002 bei der Freien und Hansestadt Hamburg - Behörde für Inneres -, Einwohner-Zentralamt, und beantragten Aufenthaltsgenehmigungen.

3

Bei seiner Befragung am 26. Februar 2002 gab der Kläger zu 1. gegenüber der Ausländerbehörde an: Er sei mit seiner Familie vor ca. 7 Monaten aus Afghanistan ausgereist. Er sei ca. 10 Tage im Iran gewesen, den weiteren Reiseweg könne er nicht beschreiben. Er verfüge weder über einen Pass noch über andere Ausweispapiere. Er habe Afghanistan verlassen, weil er von den Taliban bedroht worden sei. Sein Leben sei in Gefahr gewesen. Er habe in Russland studiert und sei Elektroingenieur. Er habe in Afghanistan mit russischen Spezialisten zusammengearbeitet. Er sei für das Industrieministerium beschäftigt gewesen. Die Taliban seien gegen Akademiker, gegen die Kommunisten und gegen Personen, die in Russland studiert hatten, gewesen. Wenn die Taliban erfahren hätten, dass jemand in Russland studiert habe, sei die Person festgenommen und ggf. getötet worden. Daher sei sein Leben in Gefahr gewesen. Er habe mit den Taliban nicht unter einem Dach leben können. Sie hätten die Bildungseinrichtungen geschlossen und seien gegen die gebildeten Leute sowie gegen ihr Land gewesen. Er habe die Taliban nicht akzeptieren können, weil sie sich gegen die Entwicklung des Landes gestellt und gebildete Leute getötet hätten. Er habe Meinungsverschiedenheiten mit den Taliban gehabt. Sie hätten mit Drogen gehandelt und Elend in das Land gebracht. Er habe mit anderen Menschen über die Vernichtungshandlungen der Taliban gesprochen. Er habe andere Menschen zu Widerstandshandlungen gegen die Taliban aufgefordert. Davon hätten auch die Taliban erfahren. Er sei festgenommen und geschlagen worden, er habe einige Zähne verloren.

4

Die Klägerin zu 2. gab bei ihrer Befragung am 26. Februar 2002 an: Sie habe Afghanistan vor ca. 7 Monaten verlassen, weil ihr Leben in Gefahr gewesen sei. Es habe dort Bürgerkrieg, ethnischen Krieg, gegeben. Wenn sie sich noch länger dort aufgehalten hätte, hätten die Taliban sie getötet, weil sie Lehrerin und ihr Ehemann Mitglied der Kommunistischen Partei gewesen sei. Im Falle ihrer Rückkehr nach Afghanistan fürchte sie immer noch, dass sie getötet werde. Aus ihrer Familie seien bereits Angehörige getötet worden.

5

Mit Verfügungen vom 4. März 2002 wies die Freie und Hansestadt Hamburg - Behörde für Inneres -, Einwohner-Zentralamt, die Kläger zu 1. und 2. aus dem Bundesgebiet aus, forderte sie zur Ausreise bis zum 3. April 2002 auf und drohte ihnen für den Nichtbefolgungsfall die Abschiebung nach Afghanistan an. Mit weiterer Verfügung vom gleichen Tage wies die Freie und Hansestadt Hamburg - Behörde für Inneres -, Einwohner-Zentralamt, die Klägerinnen zu 3. bis 7. auf ihre Ausreisepflicht hin, setzte ihnen eine Frist bis zum 3. April 2002 und drohte ihnen für den Nichtbefolgungsfall die Abschiebung nach Afghanistan an. Daraufhin erklärten die Kläger zu 1. und 2. am 4. April 2002, sie könnten derzeit nicht nach Afghanistan zurückkehren und würden Asylanträge stellen.

6

Am 8. April 2002 meldeten sich die Kläger in Hamburg als Asylsuchende. Am 17. April 2002 stellten sie in Braunschweig Asylanträge. Zur Begründung verwiesen sie auf einen Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 12. April 2002. Darin wird ausgeführt: Der Kläger zu 1. habe in Kabul und in der ehemaligen Sowjetunion, nämlich in Taschkent/Usbekistan, Physik und Elektrotechnik studiert. Er sei dann zunächst in Nord-Afghanistan in der Leitung eines Erdölwerkes tätig gewesen. In den 80iger Jahren habe er bei den Städtischen Elektrizitätswerken in Kabul gearbeitet. Der Kläger zu 1. habe der kommunistischen Partei in Afghanistan angehört. 1991 - noch während der Regierungszeit Nadjibullahs - sei er Leiter der Elektrizitätsbehörde in Herat geworden. Nach dem Sturz Nadjibullahs im April 1992 und der anschließenden Machtübernahme durch die Mudjaheddin sei der Kläger zu 1. als Kommunist und Anhänger Nadjibullahs von seinem Posten abgesetzt worden. Da er aus seiner Ablehnung des islamistischen Regimes keine Hehl gemacht habe, habe er ab dieser Zeit keine Arbeit mehr gefunden. Die Familie habe in den Jahren danach unter den Mudjaheddin und ab Oktober 1995 unter den Taliban vom Handel mit Holz und anderen Waren und von Landwirtschaft gelebt. Im Jahre 1380 (2001) sei es dann zu einem Vorfall gekommen. Nachts seien Taliban ins Haus gekommen. Der Kläger zu 1. sei gefesselt und zur Wache mitgenommen worden. Man habe ihm vorgeworfen, Kommunist zu sein und Waffen zu besitzen. Hintergrund sei gewesen, dass der Kläger zu 1. bis zum Sturz der Nadjibullah-Regierung 1992 und der Machtübernahme der Mudjaheddin in der Elektrizitätsbehörde von Herat über einen internen bewaffneten Sicherheitsdienst zum Schutz vor Diebstahl und Sabotage verfügt habe. Es sei dabei zu mehreren Vorfällen gekommen. Der Kläger zu 1. habe gewusst, dass ihm dieses Vorgehen gegen Diebstähle etc. viele Feinde gemacht habe. Die Taliban hätten offenbar von der früheren Tätigkeit des Klägers zu 1. Kenntnis gehabt und von ihm nun konkret die Herausgabe von fünf Kalaschnikows, die beim Sicherheitsdienst eingesetzt worden seien, gefordert. Der Kläger zu 1. habe erklärt, dass die Waffen damals an die Leute von Nadjibullah zurückgegeben worden seien, er keine Waffen mehr besitze und auch nicht wisse, wo die Waffen abgeblieben seien. Die Taliban hätten ihm jedoch nicht geglaubt. Er sei bis zur Bewusstlosigkeit geschlagen und getreten worden. Er glaube, dass sie ihn nicht töteten, weil die Taliban Waffen gebraucht und gehofft hätten, er würde das Waffenversteck später preisgeben. Er sei erst wieder im Krankenhaus zum Bewusstsein gekommen. Er habe bemerkt, dass ihm die Zähne ausgeschlagen worden seien. Er sei dann zehn Tage unter Bewachung eines Taliban festgehalten worden. Anschließend sei es seiner Familie gegen Zahlung von 50 Millionen Afghani Bestechungsgeld gelungen, ihm die Flucht zu ermöglichen. Seine Familie sei nach seiner Festnahme in das Dorf Talobe westlich von Herat geflüchtet. Die Familie habe nicht gewagt, in ihr Haus in Herat zurückzukehren. In Talobe habe auch der 40-jährige Bruder Abduf des Klägers zu 1. gewohnt. Vor zehn Monaten (ca. Juni/Juli 2001) seien der Bruder und seine 12-jährige Tochter im Auto erschossen worden, als sie nach Herat gefahren seien. Nach diesem Ereignis habe die Familie beschlossen, aus Afghanistan zu flüchten, da der Kläger zu 1. davon ausgehen musste, dass die Leute, die den Bruder erschossen hätten, die Familie im Visier hätten und sie weiter verfolgen würden. Die Kläger fürchteten bei einer Rückkehr nach Afghanistan Verfolgung verbunden mit konkreten Gefahren für Leib und Leben. Ihre Furcht sei auch nicht unbegründet. Die erneute Machtergreifung der Mudjaheddin unter der Übergangsregierung von Karsai habe dazu geführt, dass die Machtkämpfe der einzelnen regionalen Bürgerkriegsparteien erneut ausgebrochen seien. Die Präsenz der UN-Friedenstruppen beschränke sich auf Kabul. Menschenrechtswidrige Maßnahmen gegen politische Gegner seien an der Tagesordnung. In Herat beispielsweise sei das Taliban-Regime zwar bereits am 12. November 2001 von der "United Front" unter dem usbekischen General Dostum gestürzt worden. Gleichwohl sei auch hier die Zentralgewalt der Übergangsregierung Karsai fraglich, da deren Autorität u.a. im südwestlichen Herat durch Ismael Khan und seine Anhänger offen in Zweifel gezogen werde.

7

Die Kläger zu 1. und 2. wurden am 19. April 2002 in Braunschweig vom Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge zu ihrem Reiseweg befragt. Wegen des Ergebnisses dieser Befragungen wird auf die Bundesamtsakten verwiesen.

8

Am 29. April 2002 wurden die Kläger zu 1. und 2. vom Bundesamt in Braunschweig zu ihren Asylgründen angehört. Wegen des Ergebnisses der Anhörungen wird auf die Niederschrift Bezug genommen.

9

Mit Bescheid vom 2. September 2003, zugegangen am 4. September 2003, lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge die Anträge der Kläger auf Anerkennung als Asylberechtigte ab und stellte fest, dass bei ihnen weder die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 des Ausländergesetzes - AuslG - noch Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG vorliegen. Zugleich forderte das Bundesamt die Kläger unter Abschiebungsandrohung zur Ausreise binnen Monatsfrist auf. Wegen der Begründung wird auf den Bescheid verwiesen.

10

Daraufhin haben die Kläger am 19. September 2003 die vorliegende Klage - 6 A 1519/03 - erhoben, die schriftsätzlich begründet worden ist.

11

Die Kläger beantragen,

den Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 2. September 2003 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Kläger als Asylberechtigte anzuerkennen und festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG, hilfsweise Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG, vorliegen.

12

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

13

Der Kläger zu 1. und die Klägerin zu 2. sind in der mündlichen Verhandlung informatorisch gehört worden. Wegen des Ergebnisses wird auf die Verhandlungsniederschrift Bezug genommen.

14

Die Kläger haben in der mündlichen Verhandlung Beweisanträge gestellt, die das Gericht mit gesondertem Beschluss abgelehnt hat. Wegen der Einzelheiten wird auf die Verhandlungsniederschrift verwiesen.

15

Wegen des Sach- und Streitstandes im Einzelnen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten 6 A 1519/03 und auf die beigezogenen Bundesamtsakten und Ausländerakten des Landkreises Cuxhaven verwiesen. Ferner haben dem Gericht die Gerichtsakten des gemeinsam verhandelten Verfahrens 6 A 1518/03 - nebst Beiakten - (betreffend das Asylverfahren eines (Groß-)Neffen des Klägers zu 1.) vorgelegen.

Entscheidungsgründe

16

Die Klage ist unbegründet.

17

1.

Die Kläger haben keinen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte gemäß Artikel 16 a Abs. 1 des Grundgesetzes - GG -.

18

a)

Eine Berufung der Kläger auf Art. 16 a Abs. 1 GG scheidet bereits gemäß Art. 16 a Abs. 2 GG i.V.m. § 26 a AsylVfG (Drittstaatenregelung) aus.

19

Die Kläger sind nach eigenen Angaben auf dem Landweg in das Bundesgebiet gelangt und damit aus einem sicheren Drittstaat eingereist. Der Nachweis, aus welchem sicheren Drittstaat sie eingereist sind, ist nicht erforderlich (vgl. BVerwG, Urteil vom 7. November 1995 - 9 C 73.95 - DVBl. 1996, 207; BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 - 2 BvR 1938 und 2315/93 - DVBl. 1996, 753). Eine der Ausnahmen des § 26 a Abs. 1 Satz 3 AsylVfG liegt nicht vor.

20

b)

Darüber hinaus haben die Kläger auch deshalb keinen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte nach Art. 16 a Abs. 1 GG, weil sie nicht politisch verfolgt sind.

21

Die Kläger haben Afghanistan unverfolgt verlassen. Sie waren, als sie Afghanistan - nach eigenen Angaben im Juli 2001 - in Richtung Iran verließen, politischer Verfolgung nicht ausgesetzt; eine solche hat ihnen auch nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit gedroht.

22

Für eine individuelle politische Verfolgung (Vor-)Verfolgung der Klägerinnen zu 2. bis 7. in Afghanistan vor ihrer Ausreise ist nichts ersichtlich.

23

Aber auch der Kläger zu 1. ist nach Überzeugung des Gerichts vor seiner Ausreise in Afghanistan einer individuellen politischen Verfolgung nicht ausgesetzt gewesen.

24

Das erkennende Gericht hat bereits Zweifel, ob der Kläger zu 1., wie dieser behauptet, Afghanistan tatsächlich erst Ende Juli 2001 mit seiner Familie verlassen hat oder ob die Kläger nicht schon zu einem früheren Zeitpunkt ausgereist sind. Die Schilderung des Klägers zu 1. und der Klägerin zu 2. in der Bundesamtsanhörung und auch in der mündlichen Verhandlung über angebliche Stammeskonflikte bzw. ethnische Auseinandersetzungen, bei denen ein Bruder des Klägers zu 1. und dessen Tochter getötet worden seien, ist vage und verschwommen geblieben. Doch auch wenn man zu seinen Gunsten davon ausgeht, dass der von ihm genannte Ausreisezeitpunkt zutreffend ist, und weiter annimmt, dass die Taliban im Juli 2001 in Afghanistan in ihrem Machtbereich, zu dem damals auch die Stadt Herat gehörte, quasi-staatliche Gewalt im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG (Beschluss vom 10. August 2000 - 2 BvR 260/98 und 2 BvR 1353/98 -) ausgeübt haben, hilft dies dem Kläger zu 1. nicht weiter. Denn er hat eine asylerhebliche Vorverfolgung nicht glaubhaft gemacht.

25

Das erkennende Gericht vermag dem Kläger zu 1. seine Schilderung, er sei am 1.4.1380 (22. Juni 2001) von den Taliban in seinem Haus in Herat festgenommen worden, nicht abzunehmen.

26

Die Taliban hatten die Macht in Herat bereits im September 1995 übernommen. Es ist nicht nachvollziehbar, weshalb sie sich erst nahezu sechs Jahre später für den Kläger zu 1. interessiert haben sollen. Noch weniger ist plausibel, weshalb sie den Kläger zu 1. erst im Juni 2001 den Vorwurf gemacht haben sollen, er habe aus seiner Zeit als Leiter der Elektrizitätswerke in Herat unter dem Nadjibullah-Regime noch Waffen, die er nach der Machtübernahme der Mudjaheddin - Ende April 1992 - nicht abgegeben habe.

27

Es ist auch nicht glaubhaft, dass die Taliban dem Kläger zu 1. im Sommer 2001 den Vorwurf gemacht haben sollen, Kommunist zu sein. Dem Kläger zu 1. ist, wie der Schilderung der Kläger zu 1. und 2. zu entnehmen ist, nach der Machtübernahme der Mudjaheddin Ende April 1992 nichts passiert. Er hat unter der Herrschaft von Ismael Khan (bis September 1995) keine Probleme gehabt. Vielmehr hat er sich unauffällig verhalten und sich der veränderten politischen Situation angepasst. Die Andeutungen über vermeintliche Drohungen gegen den Kläger zu 1. während der Herrschaft von Ismael Khan sind vage und verschwommen geblieben. Es bestand überhaupt kein Anlass, dem Kläger zu 1. eine frühere kommunistische Haltung zum Vorwurf zu machen. Denn er war nach der Machtübernahme der Mudjaheddin in Herat als Geschäftsmann tätig.

28

Diese Geschäftstätigkeit hat der Kläger zu 1. fortgesetzt, nachdem die Taliban im September 1995 die Macht in Herat übernommen haben. Auch in der Folgezeit ist ihm nichts geschehen, vielmehr hat er weiterhin seinen Geschäften nachgehen können. Die langjährige Geschäftstätigkeit des Klägers zu 1. belegt überdies eindrucksvoll, dass die frühere Mitgliedschaft in der DVPA nicht Ausdruck einer echten kommunistischen Gesinnung war.

29

Der Kläger zu 1. hat sich auch unter dem Taliban-Regime angepasst und unauffällig verhalten. Auf seine ursprüngliche Einlassung gegenüber der Ausländerbehörde in Hamburg am 26. Februar 2002, er habe andere Menschen zu Widerstandshandlungen gegen die Taliban aufgefordert, davon hätten auch die Taliban erfahren, deswegen sei er festgenommen und geschlagen worden, ist er weder in der Bundesamtsanhörung noch im Klageverfahren zurückgekommen.

30

Der Kläger zu 1. hat zudem widersprüchliche Angaben zu den Umständen seiner angeblichen Flucht aus dem Krankenhaus - 10 Tage nach der Festnahme - gemacht. Auch deshalb vermag ihm das Gericht die behauptete Festnahme nicht abzunehmen.

31

In der ursprünglichen Darstellung, welche der Kläger am 26. Februar 2002 in Hamburg gegenüber der Ausländerbehörde gegeben hat, war von einem Krankenhausaufenthalt (unter Bewachung) und einer Flucht noch nicht die Rede. Hiervon sprach der Kläger zu 1. erstmals in dem schriftsätzlichen Asylantrag seiner Prozessbevollmächtigten vom 12. April 2002. Dort ließ er vortragen, er sei in dem Krankenhaus 10 Tage lang unter Bewachung eines Taliban festgehalten worden, anschließend sei es seiner Familie gegen Zahlung von 50 Millionen Afghani Bestechungsgeld gelungen, ihm die Flucht zu ermöglichen.

32

Von einer Fluchthilfe der Familie war jedoch in der Bundesamtsanhörung nicht mehr die Rede. Die Klägerin zu 2. antwortete bei ihrer Bundesamtsanhörung auf die Frage, ob sie sich darum gekümmert hat, dass ihr Ehemann aus dem Krankenhaus entlassen wurde: "Das hat mein Mann mit dem, der beauftragt war, ihn zu bewachen, selber ausgemacht. Ich glaube, dem wurde ein Haus übertragen, das kann mein Mann besser selber erzählen." Der Kläger zu 1. machte hierzu jedoch in seiner Bundesamtsanhörung keine Angaben. Vielmehr sprach er zunächst von einer Entlassung aus dem Krankenhaus. Später behauptete er, er habe aus dem Krankenhaus die Flucht ergriffen. Einzelheiten schilderte er nicht.

33

In der mündlichen Verhandlung war von einer Fluchthilfe der Familie ebenfalls nicht die Rede. Vielmehr trug der Kläger zu 1. nunmehr vor: Er habe mit seinem Bewacher allmählich darüber gesprochen, ob dieser bereit sei, den Kläger zu 1. gegen eine Geldleistung freizulassen. Sein Bewacher sei mit diesem Vorschlag einverstanden gewesen. Der Kläger zu 1. habe ein Haus verkauft, das er in Herat besessen habe. Er habe dem Bewacher das Geld gegeben. So sei es gekommen, dass der Bewacher den Kläger zu 1. am Verlassen des Krankenhauses nicht mehr gehindert habe. Auch diese Schilderung des Klägers zu 1. überzeugt nicht. Auf Frage nach der Höhe des Bestechungsgeldes erklärte der Kläger zu 1. in der mündlichen Verhandlung, es seien 5 Millionen Afghani gewesen. Demgegenüber war in dem schriftsätzlichen Asylantrag noch davon die Rede gewesen, seine Familie habe 50 Millionen Afghani Bestechungsgeld gezahlt. Der Kläger zu 1. ist auch eine überzeugende Erklärung dafür schuldig geblieben, wie er aus dem Krankenhaus heraus den Hausverkauf hat arrangieren können. Auf Befragen behauptete er lapidar, der Bewacher habe sich selbst um den Verkauf des Hauses gekümmert, er habe sich in der Stadt frei bewegen können. Diese Einlassung überzeugt nicht. Es ist nicht nachvollziehbar, wie dem Bewacher ein Verkauf des Hauses des Klägers zu 1. ohne dessen Mitwirkung möglich gewesen sein soll.

34

Die Kläger, namentlich der Kläger zu 1., müssen auch im Falle ihrer Rückkehr nach Afghanistan nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine asylerhebliche politische Verfolgung befürchten. Asylerhebliche Nachfluchtgründe liegen nicht vor.

35

Politische Verfolgung durch die Taliban haben die Kläger zum gegenwärtigen Zeitpunkt schon deshalb nicht zu befürchten, weil die Taliban in Afghanistan staatliche bzw. quasi-staatliche Gewalt gegenwärtig nicht mehr ausüben.

36

Die politische Situation in Afghanistan hat sich seit dem 11. September 2001 grundsätzlich und drastisch verändert. Nach Ablehnung der US-Forderungen nach Auslieferung Osama Bin Ladens durch die Taliban, der für Rädelsführerschaft des internationalen Terrorismus und insbesondere für die Attentate in den USA am 11. September 2001 verantwortlich gemacht wird, haben die USA seit dem 07. Oktober 2001 gezielte Luftschläge gegen militärische und logistische Stützpunkte der Taliban und terroristischer Netzwerke vorgenommen. In der Folgezeit sind die Taliban im November/Dezember 2001 aus ihren Machtpositionen in Kabul und in den sonstigen von ihnen zuvor in Afghanistan kontrollierten Gebieten vertrieben worden. Das Taliban-Regime ist gestürzt (vgl. die Ad hoc-Berichte des Auswärtigen Amtes - a.A. - vom 18. Oktober 2001, 16. November 2001, 10. Januar 2002 und 04. Juni 2002 sowie die Auskunft des a.A. an das VG Schleswig vom 06. Dezember 2001). Zwar hat sich im Laufe des Jahres 2003 das Wiedereinsickern islamistischer Kräfte (u.a. Taliban, Al Qaida) aus dem pakistanischen Paschtunengürtel, die während der "heißen Phase" von Enduring Freedom aus Afghanistan im Jahr 2002 geflohen waren, verstärkt (vgl. die Ad hoc-Information des a.A. zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in Afghanistan - Landesweite Sicherheitslage - Stand: 05. Mai 2003 und den Bericht des a.A. über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Afghanistan (Stand: Juli 2003) vom 6. August 2003; Dr. Danesch, Gutachten vom 13. November 2003 und Stellungnahmen vom 7. November 2003, 18. November 2003 und 12. Dezember 2003 an das VG Wiesbaden; Fischer-Weltalmanach 2004, Sp. 75 f). Es gibt jedoch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Taliban in den Regionen Afghanistans, in denen sie aktiv sind, quasi-staatliche Gewalt ausüben. Vielmehr bekämpft die Antiterrorkoalition die islamistischen Kräfte vor allem im Osten, Südosten und Süden von Afghanistan mit über 7.000 Mann. Wegen der Reinfiltration von Taliban/Islamisten ist davon auszugehen, dass Kräfte der Antiterrorkoalition noch für längere Zeit in Afghanistan gebunden sein werden (vgl. den Lagebericht des a.A. vom 6. August 2003).

37

Auch wenn man zu Gunsten der Kläger davon ausgeht, dass die Übergangsregierung unter Hamid Karsai gegenwärtig in Afghanistan - jedenfalls im Raum Kabul - staatliche Gewalt ausübt, ist nicht erkennbar, dass den Klägern bei einer Rückkehr politische Verfolgung durch die Übergangsregierung droht.

38

Insbesondere haben die Kläger mit asyl- bzw. abschiebungsschutzerheblichen Repressalien durch die Übergangsregierung nicht wegen ihrer Volkszugehörigkeit zu rechnen. Die Tadschiken sind an namhafter Stelle in der Übergangsregierung vertreten (vgl. den Lagebericht des a.A. vom 6. August 2003).

39

Die Klägerin zu 2. hat allein wegen ihrer erstmals im Klageverfahren behaupteten früheren Mitgliedschaft in der kommunistischen Partei Afghanistans (DVPA) nichts zu befürchten. Nach ihren Angaben in der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin der DVPA und ihrer Frauenorganisation lediglich bis 1368 (1989) angehört, nämlich bis zum Ende ihrer Berufstätigkeit als Lehrerin. Ihre Mitgliedschaft liegt demzufolge heute schon 15 Jahre zurück.

40

Auch dem Kläger zu 1. drohen gegenwärtig und in absehbarer Zukunft allein wegen seiner früheren Mitgliedschaft in der DVPA - zuletzt Watan-Partei -

41

asyl- bzw. abschiebungsschutzerhebliche Repressalien durch die Übergangsregierung nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit.

42

Über eine Verfolgung ehemaliger Kommunisten seit Zusammentritt der Übergangsregierung ist nichts bekannt geworden (vgl. die Lageberichte des a.A. vom 4. Juni 2002, 2. Dezember 2002 und 6. August 2003).

43

Allerdings kann eine Gefährdung - auch an Leib und Leben - hochrangiger früherer Repräsentanten der DVPA (Parcham-wie Khalq-Flügel) bzw. herausragender Militärs und Polizeirepräsentanten sowie des Geheimdienstes Khad der kommunistischen Zeit durch Teile der Bevölkerung als mögliche Reaktion auf frühere Menschenrechtsverletzungen nicht ausgeschlossen werden (vgl. die Lageberichte des a.A. vom 2. Dezember 2002 und 6. August 2003; Dr. Danesch, Stellungnahmen vom 5. August 2002 an das VG Schleswig, vom 9. Oktober 2002 an das VG Wiesbaden, vom 18. Februar 2003 an das VG Gießen, vom 1. Oktober 2003, vom 13. November 2003 und vom 18. November 2003 an das VG Frankfurt (Oder); Dr. Glatzer, Stellungnahmen vom 26. August 2002 an das VG Hamburg und vom 3. Juli 2003 an das VG Braunschweig; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Stellungnahme vom 10. März 2003; UNHCR, Aktualisierte Darstellung der Lage in Afghanistan, September 2003; OVG Münster, Urteil vom 15. Mai 2003 - 20 A 3328/97.A -).

44

Eine besondere Gefährdungssituation ergibt sich hieraus für den Kläger zu 1. gegenwärtig und auch auf absehbare Zeit in Afghanistan nicht. Seine Tätigkeit als Elektroingenieur für das frühere kommunistische Regime, zuletzt als Leiter der Elektrizitätswerke in Herat, liegt inzwischen schon 12 Jahre zurück. Der Kläger zu 1. hat nach Beendigung dieser Tätigkeit - nach seiner Schilderung mit der Machtübernahme der Mudjaheddin Ende April 1992 - nach eigenen Angaben noch neun Jahre in Afghanistan gelebt, ohne dass ihm in dieser Zeit etwas in Anknüpfung an seine frühere Tätigkeit als Leiter der Elektrizitätswerke - und der damit verbundenen Leitung der zivilen Verteidigungsbereitschaft dieser Werke - geschehen wäre. Die von ihm behauptete Festnahme durch die Taliban im Juni 2001 ist - wie bereits erwähnt - nicht glaubhaft.

45

Die Klägerinnen zu 2. bis 7. sind in Afghanistan nicht wegen ihres weiblichen Geschlechts einer asylrelevanten politischen Verfolgung durch die afghanische Übergangsregierung ausgesetzt.

46

Von den Taliban gegen Frauen erlassene Verbote betreffend insbesondere die Freizügigkeit und Ausbildung sowie Arbeitsmöglichkeiten sind formal in Afghanistan nicht mehr in Kraft (vgl. den Lagebericht des a.A. vom 6. August 2003). Gleichwohl haben sich bisher nur begrenzte Verbesserungen ergeben. Dies liegt unter anderem an der weiterhin strengen Ausrichtung an Traditionen, fehlender Schulbildung sowie an den für viele unsicheren Zukunftsperspektiven (AA, wie vor.). In der Region Herat, der Heimatregion der Klägerinnen zu 2. bis 7., werden jedoch traditionell Mädchen und Frauen Ausbildungs- und Arbeitsmöglichkeiten nicht verwehrt, Frauen werden dort allerdings aber in ihrer sonstigen Bewegungs- und Handlungsfreiheit auf Grund des traditionellen Kodex stark eingeschränkt. In der Region Herat sind verschiedene Restriktionen aus der Taliban-Zeit tatsächlich weiterhin vorhanden (AA, wie vor).

47

Außerhalb der Städte hat sich die Situation für die weibliche Bevölkerung seit langen Jahren insgesamt nur wenig geändert (AA, wie vor). In den Städten ist die Veränderung demgegenüber spürbar. Afghanische Frauen waren unter den Taliban seit 1996 von jeglicher Bildung ausgeschlossen. Die Analphabetenrate der Frauen liegt Schätzungen zufolge in der Größenordnung von 90 % (AA, wie vor). Im Sommer 2002 konnten zahlreiche Schulen für Mädchen eröffnet werden. Davon mussten lediglich einige nach Anschlägen wieder vorübergehend schließen, fünf Mädchenschule wurden vollständig niedergebrannt (AA, wie vor).

48

Besonders für die wenigen hoch qualifizierten Afghaninnen hat sich der Zugang zu adäquaten Tätigkeiten bei der Regierung verbessert (AA, wie vor). Im Januar 2003 wurde die von UNICEF finanziell unterstützte "Afghan Women Judges Association" gegründet, deren Ziel es ist, eine aktive Beteiligung von Richterinnen und Anwältinnen in der Justiz zu sichern und gleichzeitig juristischen Beistand für afghanische Frauen bei der Durchsetzung ihrer Rechte bereitzustellen (AA, wie vor). In der neuen Verfassung, welche die Große Ratsversammlung - Loya Jirga - in Kabul Afghanistan Anfang Januar 2004 gegeben hat, werden Frauen und Männern die gleichen Rechte zugestanden (vgl. den Pressebericht in der Süddeutschen Zeitung - SZ - vom 6. Januar 2004).

49

2.

Die Kläger haben auch keinen Anspruch auf Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG.

50

Nach § 51 Abs. 1 AuslG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Die Voraussetzungen für die Feststellung eines derartigen Abschiebungshindernisses liegen in der Person der Kläger hinsichtlich Afghanistan nicht vor.

51

Den Klägern, namentlich dem Kläger zu 1. und der Klägerin zu 2., droht in Afghanistan eine abschiebungsschutzrelevante politische Verfolgung nicht wegen ihres Auslandsaufenthalts und der Asylantragstellung. Es ist nicht bekannt, dass eine Asylantragstellung per se zu Sanktionen seitens der afghanischen Regierung führt (vgl. den Lagebericht des a.A. vom 6. August 2003). Ebenso wenig haben die Kläger mit abschiebungsschutzrelevanten Maßnahmen der afghanischen Regierung wegen ihrer Teilnahme an einer Demonstration in Hamburg am 24. Oktober 2003, die sich gegen Abschiebungen nach Afghanistan zum gegenwärtigen Zeitpunkt richtete (vgl. den Schriftsatz vom 12. Januar 2004 nebst Anlagen), zu rechnen.

52

Abschiebungsschutzrelevante Repressalien durch die afghanische Regierung drohen der Klägerin zu 2. nicht wegen ihrer geltend gemachten Mitgliedschaft im "Rat der Afghanischen Frauen in Deutschland e.V." seit dem 14. April 2003.

53

Die vorgelegte Bescheinigung vom 11. Dezember 2003 ist inhaltsleer. Darin wird der Klägerin zu 2. unter Verwendung eines Vordrucks, in dem lediglich ihr Name handschriftlich eingetragen ist, bescheinigt, dass sie "ein aktives Mitglied ist und im Kampf gegen Fundamentalisten aktiv tätig ist." Irgendwelche Einzelheiten zu den angeblichen "Aktivitäten" werden nicht mitgeteilt. Sie ergeben sich auch nicht aus dem Schriftsatz vom 12. Januar 2004.

54

Abgesehen davon ist nicht erkennbar, dass ein Einsatz der Klägerin zu 2. in Deutschland für die Rechte der Frauen in Afghanistan bei einer Rückkehr in ihr Heimatland zu abschiebungsschutzerheblichen Repressalien durch die Übergangsregierung führt. Wie vorstehend ausgeführt worden ist, hat sich die Lage der Frauen in Afghanistan nach dem Sturz der Taliban - insbesondere in den Städten - verbessert. Die neue afghanische Verfassung gesteht Frauen und Männern die gleichen Rechte zu.

55

Ebenso wenig haben die Klägerinnen zu 2. bis 7. mit abschiebungsschutzrelevanten Repressalien durch die afghanische Übergangsregierung deshalb zu rechnen, weil sie an Veranstaltungen der "Afghanischen Frauengruppe" des Wohnschiffprojekts Altona e.V., Hamburg, teilgenommen haben (vgl. den Schriftsatz vom 16. Januar 2004 nebst Anlagen).

56

Den Klägern drohen in Afghanistan gegenwärtig und in absehbarer Zukunft abschiebungsschutzerhebliche Repressalien durch die afghanische Übergangsregierung auch nicht deshalb, weil sie bei mehreren Veranstaltungen (Schulfeste, "12. internationales Fest" in der Samtgemeinde I. - Treffen unterschiedlicher Kulturen -) musiziert, gesungen und getanzt haben (vgl. den Schriftsatz der Kläger vom 12. Januar 2004 nebst Anlagen). Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass der Kläger zu 1. in Afghanistan politische Verfolgung schon deshalb zu befürchten hätte, weil er es als Familienoberhaupt zugelassen bzw. selbst mitgetragen habe, dass seine Töchter in Deutschland öffentlich mit Gesang und Tanz aufgetreten sind. Schließlich ergibt sich eine abschiebungsschutzrelevante Gefährdung der Kläger nicht deshalb, weil der Kläger zu 1. zusammen mit seiner Familie nach der Bescheinigung des Pastors vom 29. Dezember 2003 regen Kontakt zur ev.-luth. Kirchengemeinde J. unterhält, regelmäßig mit seiner Familie die Gottesdienste und kirchlichen Veranstaltungen besucht und die Klägerinnen zu 3. bis 7. seit längerer Zeit Mitglieder in den Kinder- und Jugendchören der Kirchengemeinde sind.

57

Ohne Erfolg verweisen die Kläger für ihre gegenteilige Einschätzung auf den Pressebericht in der Frankfurter Rundschau - FR - vom 16. Januar 2004. Danach hat das afghanische Fernsehen auf Druck konservativer Richter Auftritte von Sängerinnen im Fernsehprogramm erneut untersagt, nachdem ein entsprechendes Verbot nur wenige Tage zuvor aufgehoben worden war. Der Oberste Gerichtshof habe gegen die Aufhebung des Verbotes protestiert, teilte Kabul TV am 15. Januar 2004 mit. Der stellvertretende Präsident des Gerichtshofes, Fasl Ahmad Manawi, habe dazu gesagt, das Verbot sei gerechtfertigt, weil nach der Verfassung alle Gesetze mit den islamischen Regeln konform sein müssten. Die Regeln des Islam ließen jedoch keine Sängerinnen zu. Das Ausstrahlungsverbot steht im Zusammenhang mit dem Richtungsstreit, der zwischen Konservativen und Reformern in der Regierung derzeit auch in den Medien ausgetragen wird (vgl. den Pressebericht in der FR vom 16. Januar 2004). Zuvor hatte das staatliche Fernsehen in Afghanistan erstmals seit dem Sturz der radikalislamischen Taliban-Regierung vor 2 Jahren wieder Aufnahmen einer Sängerin ohne Kopftuch ausgestrahlt. Kabul Television zeigte in der Nacht vom 12./13. Januar 2004 altes Filmmaterial von Auftritten der beliebten Sängerin Parasto, die mittlerweile im Westen lebt (vgl. den Pressebericht in der Neuen Zürcher Zeitung - NZZ - vom 14. Januar 2004). "Wir versuchen, unseren künstlerischen Auftrag ohne Rücksicht auf das Geschlecht zu erfüllen", sagte Informations- und Kulturminister Sayed Makdum Rabin dazu (NZZ, wie vor). Die Reaktion der afghanischen Bevölkerung auf die überraschende Ausstrahlung war gespalten (NZZ, wie vor). Das Ausstrahlungsverbot hatte bereits seit der Machtübernahme der Mudjaheddin - 1992 - gegolten (NZZ und FR, wie vor). Als die Taliban die Mudjaheddin im September 1996 aus Kabul vertrieben, führten sie das islamische Recht der Scharia ein und verboten das Fernsehen komplett (FR, wie vor). Demgegenüber gibt es derzeit in Afghanistan elf arbeitende Fernsehstationen und 21 Hörfunksender, die meist mit deutscher und internationaler Medienhilfe errichtet worden sind und auch Unterhaltungsprogramme senden (vgl. den Lagebericht des a.A. vom 6. August 2003).

58

Eine Gefährdungslage für die Klägerinnen zu 3. bis 7. und für den Kläger zu 1. als ihren Vater lässt sich aus dem neuerlichen Verbot des Auftritts von Sängerinnen (ohne Kopftuch) im afghanischen Fernsehen nicht entnehmen. Die Klägerinnen zu 3. bis 7. haben nicht in Afghanistan gesungen und getanzt, sondern während ihres Aufenthalts als Asylbewerber in Deutschland. Ihr Gesang und Tanz sollen nach eigener Darstellung in Deutschland der Verständigung der Kulturen und dem guten Miteinander zwischen deutschen und ausländischen Mitbürgern dienen. Eine Gefährdung für die Klägerinnen zu 3. bis 7. ergibt sich aus solchen Tanz- und Musikbeiträgen in Deutschland bei einer Rückkehr nach Afghanistan nicht.

59

Der Umstand, dass die Kläger als Muslime in Deutschland auch mit westlichen Lebensgewohnheiten in Berührung gekommen sind, führt im Falle einer Rückkehr bei zumutbarer Anpassung an die in Afghanistan weithin als allgemein gültig betrachteten Regeln nicht zu einer abschiebungsschutzrelevanten Gefährdung.

60

Nach der neuen Verfassung ist Afghanistan eine "Islamische Republik". Der Islam wird Staatsreligion. Gleichzeitig wird Anhängern anderer Religionen aber das Recht auf Ausübung ihres Glaubens zugestanden (vgl. Pressebericht in der SZ vom 6. Januar 2004). Es ist den Klägerinnen zu 2. - 7. als Musliminnen in Afghanistan zumutbar, sich dort weiterhin als allgemein gültig betrachteten Regeln - insbesondere Bekleidungsregeln für Frauen, aber auch etwaige Beschränkungen für Gesang und Tanz - wieder anzupassen, und zwar unabhängig davon, ob sie während ihrer Zeit in Deutschland auch von westlichen Idealen beeinflusst worden sind. Maßgeblich ist nämlich nicht die subjektive Sicht der einzelnen Frau bzw. des einzelnen Mädchens. Vielmehr muss hier ein objektiver Maßstab angelegt werden, der sich daran orientiert, was im Heimatland der Betroffenen als das herrschende Wertesystem anzusehen ist (OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 17. Mai 2002 - 6 A 10217/02.OVG -). Bei der asylrechtlichen Beurteilung einer fremden Rechtsordnung kann diese nicht am weltanschaulichen Neutralitäts- und Toleranzgebot des Grundgesetzes gemessen werden, denn es ist nicht Aufgabe des Asylrechts, die Grundrechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland in anderen Staaten durchzusetzen (BVerwG, Urteil vom 18. Februar 1996, BVerwGE 74, 31 <37>[BVerwG 18.02.1986 - 9 C 16/85]). Der Islam ist jedoch seit jeher die in Afghanistan vorherrschende Religion, deren Wertesystem insbesondere in den weit reichenden ländlichen Gebieten galt (OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 17. Mai 2002 - 6 A 10217/02.OVG -).

61

Für ein Abschiebungsverbot gemäß § 51 Abs. 1 AuslG gilt nichts anderes, weil dessen Voraussetzungen und diejenigen des Asylgrundrechts deckungsgleich sind, soweit sie die Verfolgungshandlung, das geschützte Rechtsgut und den politischen Charakter der Verfolgung betreffen (BVerwG, Urteil vom 18. Februar 1992, EZAR 231 Nr. 3). Auch ein Schutzbedürfnis nach § 51 Abs. 1 AuslG liegt nicht vor, wenn eine durch die Rückkehr ins Heimatland entstehende Gefahr durch eigenes zumutbares Verhalten abgewendet werden kann (BVerwG, Urteil vom 3. November 1992, BVerwGE 91, 150 <155>[BVerwG 03.11.1992 - 9 C 21/92], OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 17. Mai 2002).

62

3.

Bei den Klägern liegen Abschiebungshindernisse im Sinne des § 53 AuslG nicht vor.

63

Den Klägern droht nicht die konkrete Gefahr der Folter im Sinne des § 53 Abs. 1 AuslG. Da § 53 Abs. 1 AuslG nicht ein generelles Abschiebungsverbot statuiert, sondern dem Individualschutz dient (Begründung zu § 53 Abs. 1, BT-Drucksache 11/6321, S. 75), muss die Foltergefahr für den Ausländer konkret bestehen; deshalb reicht eine abstrakte oder generelle Gefahr nicht aus (vgl. Nds. OVG, Urteil vom 22. Februar 1996 - 12 L 7722/95 -; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 15. Juli 1993 - A 16 S 154/93 - VBl. BW 1993, 480, 482).

64

Auch die Voraussetzungen des § 53 Abs. 2 und 3 AuslG liegen bei den Klägern nicht vor.

65

Ein Abschiebungshindernis ergibt sich für die Kläger nicht aus § 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 3 EMRK. Danach darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für diesen Ausländer die konkrete Gefahr besteht, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteile vom 17. Oktober 1995 - 9 C 15.95 -, 18. April 1996 - 9 C 77.95 -, 4. Juni 1996 - 9 C 139.95 -, 15. April 1997 - 9 C 38.96 -) setzt eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK ein geplantes vorsätzliches, auf eine bestimmte Person gerichtetes Handeln voraus, und zwar grundsätzlich ein solches durch staatliche Organe. Ausnahmsweise können auch Misshandlungen durch Dritte eine unmenschliche Behandlung darstellen, sofern sie dem Staat zugerechnet werden können. Dem Staat können ferner solche staatsähnliche Organisationen gleichstehen, die den Staat verdrängt haben, selbst staatliche Funktionen ausüben und auf ihrem Gebiet die effektive Gebietsgewalt innehaben. Die Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 3 EMRK kommt nur in Betracht, wenn gerade dem schutzbegehrenden Ausländer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit individuell die konkrete Gefahr droht, Opfer einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung durch die Machthaber zu werden (BVerwG, Urteil vom 18. April 1996 - 9 C 77.95 -). Im vorliegenden Fall droht den Klägern eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung in diesem Sinne in Afghanistan nicht.

66

Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass die Kläger bei einem Aufenthalt im Raum Kabul eine unmenschliche Behandlung durch die afghanische Übergangsregierung unter Hamid Karsai ernsthaft zu befürchten haben.

67

Ebenso wenig besteht ein hinreichender Anhalt dafür, dass den Klägern bei einem Aufenthalt in ihrer Heimatregion - Herat - eine unmenschliche Behandlung droht. Stadt und Provinz Herat werden durch den Gouverneur Ismael Khan autoritär regiert (vgl. die Auskunft des a.A. vom 11. September 2003 an das VG Hamburg und den Lagebericht des a.A. vom 6. August 2003 sowie das Gutachten von Dr. Danesch vom 13. November 2003). Auch wenn man unterstellt, dass Ismael Khan in Herat quasi-staatliche Gewalt ausübt, ist eine konkrete Gefahr der Kläger, Opfer einer unmenschlichen Behandlung durch die dortigen Sicherheitskräfte zu werden, nicht erkennbar. Die Sicherheitssituation der Stadt Herat stellt sich insgesamt stabiler dar als in vielen anderen Teilen Afghanistans (vgl. die Auskunft des a.A. vom 11. September 2003). Allerdings kommt es häufig zu Übergriffen gegen Frauen und (vermeintlich) Oppositionelle durch Sicherheitskräfte. Human Rights Watch erhob in einem Bericht im Dezember 2002 erhebliche Vorwürfe gegen Polizei und Sicherheitskräfte in Herat, wonach diese für Folter, Misshandlungen und willkürliche Verhaftungen verantwortlich sein sollen (AA, wie vor). Es fehlt jedoch ein greifbarer Anhalt dafür, dass gerade den Klägern mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit individuell die konkrete Gefahr droht, Opfer eines derartigen Übergriffs in abschiebungsschutzrelevanter Schwere und Intensität zu werden.

68

Im Übrigen müssen sich die Kläger bei einer Rückkehr nach Afghanistan nicht in Herat aufhalten. Vielmehr steht ihnen auch ein Aufenthalt im Raum Kabul offen.

69

Ebenso wenig können die Voraussetzungen eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG festgestellt werden.

70

Nach dieser Vorschrift kann von einer Abschiebung in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für den Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG setzt

71

- anders als Art. 16 a Abs. 1 GG, § 51 Abs. 1, § 53 Abs. 1 und 4 AuslG - keine staatliche oder staatsähnliche Gewalt des Verfolgers voraus, sondern knüpft allein an eine erhebliche faktische Gefährdung an (BVerwG, Urteil vom 17. Oktober 1995 - 9 C 9.95 - NVwZ 1996, 199 [BVerwG 17.10.1995 - 9 C 9/95]). Eine solche droht den Klägern in Afghanistan - insbesondere im Raum Kabul - nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit.

72

Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG sind bei dem Kläger zu 1. nicht im Hinblick auf seinen Gesundheitszustand anzunehmen.

73

Zwar kann die Gefahr, dass sich die Krankheit eines ausreisepflichtigen Ausländers in dem Staat, in den er abgeschoben werden soll, verschlimmert, weil die Behandlungsmöglichkeiten dort unzureichend sind, ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG darstellen (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. November 1997 - BVerwG 9 C 58.96 -, BVerwGE 105, 383, 384 [BVerwG 25.11.1997 - 9 C 58/96]

74

ff.; Urteil vom 21. September 1999 - BVerwGE 9 C 8.99 -, Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 21 = NVwZ 2000, 206). Eine zielstaatsbezogene Gefahr für Leib und Leben besteht auch dann, wenn die notwendige Behandlung oder Medikation zwar allgemein zur Verfügung steht, dem betroffenen Ausländer individuell jedoch aus finanziellen oder sonstigen Gründen nicht zugänglich ist (BVerwG, Urteil vom 29. Oktober 2002 - BVerwG 1 C 1.02 -; vgl. auch Beschluss vom 29. April 2002 - BVerwG 1 B 59.02 -).

75

Die tatbestandlichen Voraussetzungen eines solchen zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernisses liegen bei dem Kläger zu 1. nicht vor.

76

Der Kläger zu 1. lässt in dem Schriftsatz vom 12. Januar 2004 vortragen, er sei psychisch erkrankt und werde medikamentös mit einem Psychopharmaka und einem Antidepressivum behandelt. Des Weiteren sei ihm ein Kalium-Magnesium-Präparat verordnet worden. Bisher habe sich der Kläger zu 1. nur in hausärztlicher Behandlung befunden. Er sei zwischenzeitlich "auf Grund des sich verschlimmernden Krankheitsbildes" an einen Facharzt überwiesen worden. Das angekündigte "ausführliche ärztliche Attest" hat der Kläger zu 1. nicht vorgelegt. Es gibt keine greifbaren Anhaltspunkte dafür, dass sich der Gesundheitszustand des Klägers zu 1. bei einer Rückkehr nach Afghanistan dort in lebensgefährdender Weise verschlimmern würde.

77

Den Klägern kann auch nicht in verfassungskonform erweiternder Auslegung des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG Abschiebungsschutz wegen Existenzgefährdung zugebilligt werden, weil sie jedenfalls im Raum Kabul, aber auch in Herat, überleben können. Die Versorgungslage hat sich in Kabul und zunehmend auch in den anderen großen Städten grundsätzlich verbessert. Wegen mangelnder Kaufkraft profitieren jedoch nicht alle Bevölkerungsschichten von der verbesserten Lage; die Waren werden zu hohen Preisen verkauft (vgl. den Lagebericht des a.A. vom 6. August 2003). Die VN versorgen noch Millionen von Afghanen mit Nahrungsmitteln und Hilfsgütern. Dabei können die Landwege für Lebensmitteltransporte in die großen Städte (Kabul, Herat, Mazar-i-Sharif) von VN-Transporten weitgehend wieder benutzt werden (AA, wie vor). Angesichts der fortdauernden internationalen Hilfe wird den Klägern, jedenfalls im Kabuler Raum, aber auch in Herat, ein Überleben möglich sein, zumal der Kläger zu 1. in Afghanistan über eine jahrzehntelange Erfahrung als Ingenieur und Geschäftsmann verfügt.

78

Bei den Gefahren, die aus den aktuellen Lebensumständen in Afghanistan im Raum Kabul möglicherweise resultieren, handelt es sich um allgemeine Gefahren im Sinne von § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG, die bei Entscheidungen der obersten Landesbehörde nach § 54 AuslG berücksichtigt werden. Diese so genannte Sperrwirkung des § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG (vgl. BVerwG, Urteile vom 17. Oktober 1995, a.a.O., vom 27. April 1998 - BVerwG 9 C 13.97 -, NVwZ 1998, 973 = AuAS 1998, 243, und vom 8. Dezember 1998 - BVerwG 9 C 4.98 -, BVerwGE 108, 77, 80 f. [BVerwG 08.12.1998 - 9 C 4/98] = InfAuslR 1999, 266) lässt eine positive Individualentscheidung außerhalb des § 54 AuslG nur zu, wenn diese durch Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG deshalb geboten ist, weil der Ausländer in seinem Heimatstaat anderenfalls einer extremen Gefahrenlage dergestalt ausgesetzt wäre, dass er im Falle seiner Abschiebung dorthin gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert sein würde (BVerwG, Urteil vom 8. Dezember 1998, a.a.O.). Eine solche extreme Gefahrenlage, die ausnahmsweise eine Individualentscheidung auch außerhalb des § 54 AuslG zuließe, besteht jedenfalls im Kabuler Raum nicht (vgl. OVG Hamburg, Urteil vom 11. April 2003 - 1 Bf 104/01 A -; OVG Münster, Urteile vom 20. März 2003 - 20 A 4270/97.A und 20 A 4329/97.A - und 15. Mai 2003 - 20 A 3328/97.A -). Dies hat das Bundesamt in dem angefochtenen Bescheid zutreffend festgestellt. Auf diese Ausführungen wird Bezug genommen.

79

Darüber hinaus ist die Sperrwirkung des § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG auch dann zu beachten, wenn ein zielstaatsbezogener Abschiebungsschutz bereits nach § 54 AuslG gewährt wird (BVerwG, Urteil vom 12. Juli 2001 - BVerwG 1 C 2.01 - DVBl. 2001, 1531). Eine solche Fallgestaltung liegt hier derzeit vor. Die Ständige Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder hat ihrer 173. Sitzung vom 21. November 2003 in Jena die bisherige Beschlusslage der IMK zu Afghanistan bekräftigt. Eine zwangsweise Rückführung nach Afghanistan kommt danach zunächst auch weiterhin grundsätzlich nicht in Betracht. Nach Nr. 3 des Beschlusses sollte ein Rückführungsbeginn möglichst noch im Frühjahr 2004 angestrebt werden. Unter Bezugnahme auf diesen Beschluss der IMK hat das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport mit Erlass vom 6. Januar 2004 - 45.11 - 12235/112-15-2 - gemäß § 54 Satz 2 AuslG die Aussetzung der Abschiebung afghanischer Staatsangehöriger nach Afghanistan bis zum Beschluss der IMK über den Beginn der Rückführungen, längstens jedoch für die Dauer von 6 Monaten, angeordnet. Von dieser Anordnung ausgenommen sind Straftäter und sonstige Personen, die - nach Maßgabe des Terrorismusbekämpfungsgesetzes - die innere Sicherheit gefährden. Zu diesem Personenkreis gehören die Kläger nicht. Demzufolge wird ihnen derzeit ein zielstaatsbezogener Abschiebungsschutz bereits nach § 54 AuslG gewährt.

80

4.

Die Ausreiseaufforderungen und Abschiebungsandrohungen verletzen die Kläger ebenfalls nicht in ihren Rechten. Sie finden ihre Rechtsgrundlage in §§ 34, 38 Abs. 1 AsylVfG, 50 AuslG.