Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 23.07.2003, Az.: 11 A 5004/01
Aufhebung einer Radwegebenutzungspflicht; Wirksamkeit von Verkehrszeichen; Rechtmäßigkeit von in Fahrtrichtung linksseitig angelegten Radwegen
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 23.07.2003
- Aktenzeichen
- 11 A 5004/01
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 33181
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGHANNO:2003:0723.11A5004.01.0A
Verfahrensgang
Rechtsgrundlagen
- § 2 Abs. 4 StVO
- § 45 Abs. 1 S. 1 StVO
Fundstellen
- NZV 2005, 223-224 (Volltext mit red. LS)
- NZV 2004, VIII Heft 7 (amtl. Leitsatz)
Verfahrensgegenstand
Radwegbenutzungspflicht
In der Verwaltungsrechtssache
hat das Verwaltungsgericht Hannover - 11. Kammer -
auf die mündliche Verhandlung vom 23. Juli 2003
durch
den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgericht Dr. Simon,
die Richterin am Verwaltungsgericht Dr. Schlei,
den Richter am Verwaltungsgericht Peters sowie
die ehrenamtlichen Richter D.
für Recht erkannt:
Tenor:
Der Bescheid der Beklagten vom 01.07.2001 und der Widerspruchsbescheid des Landkreises Diepholz vom 07.10.2001 werden aufgehoben.
Die Beklagte wird verpflichtet, den Antrag des Klägers auf Aufhebung der Radwegebenutzungspflicht in der E. zwischen F. und G. neu zu bescheiden.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in der selben Höhe leistet.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen eine im Gebiet der Beklagten, einer Nachbargemeinde, angeordnete Radwegebenutzungspflicht im Bereich der H.. Diese Radwegebenutzungspflicht betrifft einen auf der Nordost-Seite der E. zwischen deren Einmündung in die F., einer Teilstrecke der Bundesstraße 6, und der G. vor längerer Zeit angelegten 1,60 m breiten kombinierten Rad- und Gehweg, welcher durch Zeichen 240 in § 41 StVO gekennzeichnet ist. Die E. ist mit gesonderten Linksabbiegespuren zweispurig eingerichtet und erschließt ein Gewerbegebiet; ihr Einmündungsbereich in die vier- und mehrspurige F. ist ampelgesichert.
Mit Widerspruchsschreiben vom 29.04.2001 wandte sich der Kläger an die Beklagte mit dem Ziel der Aufhebung der die Radwegebenutzungspflicht begründenden Verkehrszeichen. Da er gelegentlich durch die E. fahre, sei er von ihr betroffen. Die Radwegebenutzungspflicht widerspreche den neueren Verwaltungsvorschriften zur StVO, wonach die Benutzung linker Radwege mit besonderen Gefahren verbunden und deshalb aus Verkehrssicherheitsgründen grundsätzlich verboten sei. Die Verwaltungsvorschrift setze für einen gemeinsamen Geh- und Radweg außerdem eine Mindestbreite von 2,50 m voraus. Am südlichen Ende des Radweges zur G. bestehe ein Gefahrenpunkt, weil die Radfahrer die Kreuzung diagonal überqueren müssten. Für die aus der G. kommenden Radfahrer sei die Sicht auf von rechts eventuell entgegenkommende Radfahrer durch eine mannshohe Hecke sehr eingeschränkt.
Unter dem 01.07.2001 teilte die Beklagte dem Kläger mit, sie sehe sich aus Gründen der Verkehrssicherheit gezwungen, die Anordnung der Radwegebenutzungspflicht in dem angesprochenen Bereich aufrecht zu erhalten. Auf Grund der Menge und Art des Verkehrs im Bereich der Kreuzung F./I. und E. müsse die Verkehrssicherheit besonders gewichtet werden. Hier seien im Rahmen einer Verkehrsuntersuchung im Februar 1998 in der Stunde bis zu 315 Kraftfahrzeuge gezählt worden, die über die B 6 in die E. hineinführen, und 284 Fahrzeuge in der Gegenrichtung. Hiervon sei ein wesentlicher Teil Schwerlastverkehr, der den gesamten Straßenbereich in Anspruch nehme. Bei Abwägung des privaten Interesses des Klägers, den rechten Fahrbahnrand mit dem Fahrrad befahren zu können, und demöffentlichen Interesse an der Verkehrssicherheit in diesem sehr verkehrsbelasteten Bereich seien die öffentlichen Belange der Verkehrssicherheit höher zu bewerten. Das Begehren des Klägers werde daher dem Landkreis Diepholz zur weiteren Bescheidung vorgelegt.
Der Landkreis Diepholz sah das Schreiben des Klägers vom 29.04.2001 als zulässigen Widerspruch gegen die straßenverkehrsbehördliche Entscheidung der Beklagten an und wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 17.10.2001 als unbegründet zurück. Er führte aus, die Beklagte habe von dem ihr eingeräumten Ermessen fehlerfrei Gebrauch gemacht, indem sie im Interesse der Verkehrssicherheit und der Leichtigkeit des Verkehrs eine Trennung des Radfahrweges vom motorisierten Verkehr vorgenommen und eine Radwegebenutzungspflicht vorgeschrieben habe. Ihr Ermessen sei durch die geringe Breite des gemeinsamen Rad- und Fußweges nicht eingeengt gewesen, weil besondere Umstände vorlägen, die eine Abweichung rechtfertigten.
Gegen den am 18.10.2001 zugestellten Bescheid hat der Kläger am Montag, dem 19.11.2001, Klage erhoben und zu deren Begründung vorgetragen: Die Widerspruchsentscheidung leide schon deshalb an einem Mangel, weil die Widerspruchsbehörde fälschlich davon ausgehe, dass das Begehren des Klägers auf ein straßenverkehrsbehördliches Einschreiten, nicht aber auf die reine Aufhebung einer ihn belastenden Verfügung gerichtet sei; sie habe die Rechtmäßigkeit der Anordnung einer Benutzungspflicht für den Radweg nicht unterstellen dürfen. Die von ihr herangezogenen Gründe der Verkehrssicherheit rechtfertigten es darüber hinaus nicht, die Regelung aufrecht zu erhalten. § 45 Abs. 9 StVO verlange seit der Änderung durch Verordnung vom 11.12.2000, dass Verkehrszeichen nur dort anzuordnen seien, wo dies auf Grund der besonderen Umstände zwingend geboten sei. Die Menge und Art des Verkehrs im Bereich der Kreuzung F. zwinge zu einer Radwegebenutzungspflicht nicht. Auf die Spitzenzeiten am Samstag Vormittag komme es nicht an. Nach wissenschaftlichen Untersuchungen sei bei einer Kraftfahrzeugmenge von weniger als 10.000 Kraftfahrzeugen pro Tag ein Mischverkehr mit Radfahrern durchaus vertretbar. Der Verkehr in der E. liege weit unter dieser Grenze. Darüber hinaus stelle die allgemeine Verwaltungsvorschrift zu § 2 Abs. 4 Satz 2 StVO bauliche Mindestanforderungen an einen gemeinsamen Rad- und Gehweg, welche nicht erfüllt seien. Von diesen Mindestanforderungen an die Breite des Radweges könne zwar an kurzen Engstellen abgewichen werden, der Radweg habe aber eine Länge von 130 m und sei nicht als kurzer Engpass zu bewerten. Wegen seiner geringen Breite stelle der gemeinsame Rad- und Gehweg auch seinerseits eine Gefahrenquelle dar, weil er im Falle des Begegnungsverkehrs keinen ausreichenden Sicherheitsabstand zur Straße und zu anderen Verkehrsteilnehmern biete. Ein weiterer Gefahrenpunkt sei die Überquerung der G., weil der von dort kommende Verkehr den Radweg nicht einsehen könne. Die Beklagte habe daher zur Verbesserung der Verkehrssicherheit andere Maßnahmen prüfen und gegebenenfalls durchsetzen müssen. Möglichkeiten, zum Beispiel auch rechtsseitig einen Radweg anzulegen, gebe es genug. Letztlich seien nicht einmal die Voraussetzungen dafür erfüllt, einen linksseitigen Radweg für die Gegenrichtung zur freiwilligen Benutzung freizugeben.
Der Kläger beantragt,
die Anordnung der linksseitigen Radwegebenutzungspflicht in der E. zwischen F. und G., soweit sie gegen den Kläger wirkt, und den Bescheid des Landkreises Diepholz vom 07.10.2001 aufzuheben,
hilfsweise,
die Beklagte zu verpflichten, die Anordnung der linksseitigen Radwegebenutzungspflicht in der E. zwischen F. und G. aufzuheben, soweit sie gegen den Kläger wirkt,
hilfsweise,
die Beklagte zu verpflichten, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die streitige Radwegebenutzungspflicht sei im Jahre 1990 auf Grund der Gefahrenlage auf der E. zu Recht angeordnet worden. Für die Benutzungspflicht seien nicht nur die geringe Breite der Straße, sondern auch die überörtlichen Verkehrsbelange an der Einmündung zur B 6 und die hohe Verkehrsbelastung maßgeblich. Um die hohen Verkehrsmengen von ca. 37.000 Kraftfahrzeugen täglich auf der B 6 am Kreuzungsbereich verkehrsgerecht abzuwickeln und einen Rückstau auf die Autobahnanschlussstelle der Hansa-Linie zu vermeiden, sei es erforderlich gewesen, die Signalanlage an dieser Kreuzung so einzurichten, dass es nur auf zwei Ästen eine Überquerungsmöglichkeit für Fußgänger und Radfahrer gebe. An dieseÜberquerungsmöglichkeit knüpfe der Radweg an. Eine außergewöhnliche Gefahrenlage bestehe für Radfahrer auch auf der E.. Sie sei mit einem hohen Anteil Schwerlastverkehr belastet und nehme täglich ca. 6.000 Kraftfahrzeuge auf. Die Anordnung der linksseitigen Benutzungspflicht stehe auch nicht im Widerspruch zu den Verwaltungsvorschriften zu § 2 Abs. 4 Satz 2 und 3 StVO. Von der dort vorgesehenen Mindestbreite könne nach sorgfältiger Prüfung abgewichen werden, wenn es auf Grund der besonderen örtlichen und verkehrlichen Verhältnisse erforderlich und verhältnismäßig sei, die Belange der Verkehrssicherheit gewahrt blieben und es an einem kurzen Abschnitt erfolge. Diese Anforderungen seien erfüllt. Auszugehen sei dabei, dass die Herstellung eines rechten separaten Radweges nicht möglich sei, da die dafür erforderlichen Flächen nicht zur Verfügung stünden. Gegenüber dem erheblichen Schwerverkehr, der die gesamte Straßenfläche in Anspruch nehme, sei der Radverkehr als selten einzustufen. Begegnungsverkehre seien auf dem Radweg unwahrscheinlich. Zwar sei es möglich, den Radverkehr an der Einmündung in die F. über die 3 Fahrspuren auf die südwestliche Seite der E. zu führen und die dortigen Signalgruppen entsprechend nachzurüsten. Eine Veränderung der Signaltechnik habe jedoch umfangreiche bauliche Voraussetzungen am Kreuzungsbereich zur Voraussetzung. Eine aktuelle Verkehrsschau am 06.03.2003 und eine Verkehrszählung am 18.03.2003 hätten die Befunde bestätigt und gezeigt, dass der kombinierte Rad- und Gehweg auf einer Breite von ca. 1,60 m befestigt sei und die lichte Breite lediglich durch Anpflanzungen und Zaunanlagen in Teilabschnitten eingeschränkt sei. Begegnungen mit Fußgängern seien ohne Konflikte möglich. Während der Zählung sei ein Begegnungsverkehr von Radfahrern nicht festgestellt worden.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs der Beklagten, der in seinen wesentlichen Teilen Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist mit dem Hilfsantrag zulässig und begründet.
Allerdings geht die Kammer davon aus, dass die Klage nicht schon als Anfechtungsklage zulässig ist, weil die angegriffene Verkehrsregelung seit mehreren Jahren besteht und zur Zeit des "Widerspruchs" des Klägers vom 29.04.2001 nach Ablauf der Widerspruchsfrist bereits unanfechtbar geworden ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der die Kammer folgt, werden Verkehrszeichen mit der Aufstellung wirksam, unabhängig von der subjektiven Kenntnisnahme des davon betroffenen Verkehrsteilnehmers (BVerwGE 102, 316, 319); die Aufstellung löst daher eine Widerspruchsfrist aus, welche gemäß §§ 70 Abs. 2, 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO nach einem Jahr endet (zweifelnd OVG Hamburg v. 16081999 - 3 Bs 164/99 - Nord ÖR 1999 S. 445). Auch wenn man mit der Gegenmeinung (vgl. BVerwGE 59, 221, Jagusch/Hentschel 35. Aufl. 1999, § 41 StVO Rn. 247) auf das erstmalige Betroffensein abstellen sollte, wäre die Widerspruchsfrist abgelaufen, da der Kläger selbst geltend macht, die E. gelegentlich zu befahren, und ersichtlich nur an der Umsetzung der seit Ende 1998 geltenden Verwaltungsvorschriften zur Radwegenovelle interessiert ist. Dass er erst im April 2001 von der streitigen Radwegebenutzungspflicht erfahren habe, ist nicht geltend gemacht worden. Das ist indessen unschädlich, weil sein Begehren auf "Aufhebung" der Anordnung der Beklagten bezüglich der linksseitigen Radwegebenutzungspflicht in der E. die Beseitigung dieser Verkehrsregelung insgesamt umfasst und auch als Verpflichtungsantrag zu begreifen ist. So hat es die Beklagte jedenfalls verstanden und den Kläger unter dem 01.07.2001 ablehnend mit den Worten beschieden, sie sehe sich aus Gründen der Verkehrssicherheit gezwungen, die Anordnung der Radwegebenutzungspflicht aufrecht zu erhalten. Hiergegen hat der Kläger zwar nicht erneut Widerspruch erhoben; eines solchen Widerspruchs bedurfte es auch nicht mehr, nachdem der Landkreis Diepholz dem Kläger unter dem 18.09.2001 mitgeteilt hatte, er sehe bereits die Eingabe vom 29.04.2001 als zulässigen Rechtsbehelf an. Die "Aufhebung" einer rechtsbeständigen Verkehrsregelung ist regelmäßig allerdings keine gebundene Entscheidung, sondern sie steht im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde, und zwar unabhängig von der Frage, ob die Regelungen der §§ 48, 49 VwVfG Anwendung finden (vgl. hierzu OVG Lüneburg, Urt. vom 04.11.1993 - 12 L 39/90 - Nds. MBl. 1994 S. 1052 und BVerwGE 97, 323 ff). Die Rechte des Klägers sind daher auf die Bescheidung seines Begehrens beschränkt; ein subjektiv-öffentliches Recht auf eine bestimmte Verkehrsregelung besteht ohnehin nicht (vgl. BVerwGE 92, 32 ff und BVerwGE 37, 112,114).
Der auf Neubescheidung gerichtete Hilfsantrag hat Erfolg, weil die angefochtenen Entscheidungen rechtswidrig sind und den Kläger in seinen Rechten verletzen (§ 113 Abs. 1 VwGO).
Die im Widerspruchsbescheid des Landkreises Diepholz vom 07.10.2001 und dem Schreiben der Beklagten vom 01.07.2001 begründete Radwegebenutzungspflicht ist mit den zur Durchführung der 24. Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 07.08.1997 (BGBl. I S. 2028) nicht vereinbar. Die allgemeine Verwaltungsvorschrift für Straßenverkehrsordnung in der Fassung vom 22.10.1998 (BAnz Nr. 246 b vom 21.12.1998) bindet das Ermessen der Beklagten bei der Entscheidung über verkehrsbeschränkende Maßnahmen im Sinne des § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO. Diese Verwaltungsvorschriften enthalten ins Einzelne gehende Bestimmungen über den Radwegebau nach Aufhebung der generellen Radwegebenutzungspflicht in § 2 Abs. 4 StVO, die nach ihrem Wortlaut und der Begründung nicht nur auf zukünftig anzulegende Radwege, sondern bereits auf alle vorhandenen Wege in getrennter Verkehrsführung anzuwenden sind (so auch Verwaltungsgericht Hamburg, Urt. v. 28.01.2002 - 5 VG 4258/00 - VkBl. 2002, S. 518, 519). Zwar entbindet die Verwaltungsvorschrift die Beklagte nicht von ihrer Verpflichtung zu einer eigenverantwortlichen Ermessensentscheidung; ein Abweichen von den Vorgaben der Verwaltungsvorschrift ist allerdings nur dann zulässig, wenn der Sachverhalt atypisch ist. Dem trägt auch die allgemeine Verwaltungsvorschrift selbst Rechnung, indem sie unter dem Gesichtspunkt der Verkehrssicherheit in besonders begründeten Einzelfällen Ausnahmen zulässt (vgl. etwa unter der Ziffer 22 für die Mindestbreite eines Radweges).
Wie der Kläger zutreffend geltend macht, erfüllt der streitige Geh- und Radweg auf der Nordost-Seite der E. die Anforderungen der allgemeinen Verwaltungsvorschrift zu § 2 StVO - Straßenbenutzung durch Fahrzeuge - bezüglich Abs. 4 Satz 3 II. (Ziffern 35 ff.) unzweifelhaft nicht. Danach ist die Benutzung von in Fahrtrichtung links angelegten Radwegen mit besonderen Gefahren verbunden und deshalb aus Gründen der Verkehrssicherheit grundsätzlich nicht erlaubt. Links angelegte Radwege können allerdings, wenn eine sorgfältige Prüfung nichts Entgegenstehendes ergeben hat, durch die Straßenverkehrsbehörden im Einzelfall mit Zeichen zur Benutzung durch die Radfahrer auch in Gegenrichtung freigegeben werden, wenn sie geeignet sind, die Zahl der Fahrbahnüberquerungen zu senken. Das soll innerorts aber nur in besonderen Ausnahmefällen gelten und wenn besondere bauliche Voraussetzungen erfüllt sind. Nach Ziffer 37 muss a) der Radweg baulich angelegt sein, b) für den Radweg in Fahrtrichtung rechts eine Radwegebenutzungspflicht bestehen, c) die lichte Breite des Radweges einschließlich der seitlichen Sicherheitsräume mindestens 2 m betragen und d) die Führung an den Kreuzungen, Einmündungen und verkehrsreichen Grundstückszufahrten eindeutig und besonders gesichert sein. Von diesen Voraussetzungen ist die Mindestbreite eindeutig nicht erreicht, so dass offen bleiben kann, ob die Führung an den Kreuzungen, insbesondere bezüglich der G., eindeutig und besonders gesichert ist und ob überhaupt schon für den Radweg in Richtung F. eine Radwegebenutzungspflicht angenommen werden kann. Letztlich ist auch insoweit die Mindestbreite von 2 m für einen gemeinsamen Fuß- und Radweg nach Ziffer 20 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift nicht erfüllt, wobei anzumerken ist, dass sich diese Mindestbreite regelmäßig erhöhen muss, wenn gemeinsamer Fußgänger- und Radverkehr in beide Richtungen stattfinden soll. Die vorgegebenen Maße für die lichte Breite beziehen sich nämlich auf ein einspuriges Fahrrad (Ziffer 23).
Die Beteiligten streiten daher zu Recht allein über die Frage, ob auf Grund der örtlichen Verhältnisse ausnahmsweise (und nach sorgfältiger Prüfung) im Sinne der Ziffer 22 von den Mindestmaßen abgewichen werden kann, weil die Verkehrssicherheit auf andere Weise nicht gewährleistet wäre. Diese Frage ist nachÜberzeugung des Gerichtes zu verneinen. Wie sich u.a. aus der Begründung zur Änderung der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift StVO ergibt (vgl. VkBl. 1997, S. 685, 703 unter II 3) sind die Mindestanforderungen an die Breite von Radwegen bewusst gestellt worden, um die Straßenverkehrsbehörden anzuhalten, die Voraussetzungen für eine Kennzeichnung der Radwegebenutzungspflicht zu schaffen. Dieses Anliegen würde in sein Gegenteil verkehrt, wenn eine Straßenverkehrsbehörde unter Berufung auf die Verkehrssicherheit an früheren Benutzungspflichten festhält, ohne den baulichen Zustand des jeweiligen Radweges zu berücksichtigen. Reichen die vorhandenen Verkehrsflächen nicht aus, um Radwege baulich einzurichten oder zu verbreitern, wird zugelassen, im jeweils rechten Randbereich der Fahrbahn in geeigneten Fällen - insbesondere innerorts - für den Radverkehr Schutzstreifen abzumarkieren. Bezüglich anderer Radwege führt die Verwaltungsvorschrift unter Ziffer 33 aus, dass die Kennzeichnung einer Radwegebenutzungspflicht ausnahmsweise und befristet vorgenommen werden kann, wenn der Radweg die baulichen Voraussetzungen noch nicht erfüllt, die Radwegebenutzungspflicht aber unerlässlich erscheint; scheidet die normgerechte Herstellung des anderen Radweges auf absehbare Zeit aus und ist die unerlässliche Kennzeichnung der Radwegebenutzungspflicht nicht möglich, so soll dessen Auflassung bei der Straßenbehörde angeregt werden (Ziffer 34 der Verwaltungsvorschrift). Mit diesen Regelungen wird deutlich, dass den baulichen Anforderungen an einen Radweg und die sich hieran anknüpfende Radwegebenutzungspflicht erhebliche Bedeutung beigemessen wird und es der Straßenverkehrsbehörde grundsätzlich verwehrt sein soll, auf das Fehlen baulicher Alternativen hinzuweisen. Allein die Erhöhung der Verkehrssicherheit durch Trennung der Verkehrsarten ist damit kein geeigneter Gesichtspunkt, um eine Radwegebenutzungspflicht auf unzureichend ausgebauten Wegen zu rechtfertigen.
Andere zwingende Umstände zur Begründung der streitigen Radwegebenutzungspflicht lassen sich nach Auffassung der Kammer nicht feststellen. Die von der Beklagten festgestellte Verkehrsdichte auf der E. reicht nicht aus. Der von der F. in Richtung G. von der Beklagten festgestellte Verkehr beschränkte sich zum Zeitpunkt der Verkehrserhebung auf täglich 2.665 Fahrzeuge, von denen sich 2.069 Fahrzeuge mit einer Geschwindigkeit von weniger als 40 km/h bewegen. Ein geschätzter Lkw-Anteil von 10 bis 20 % führt keine besondere Gefahrensituation herauf, die die Anlage eines gesonderten Radweges oder gar eine Radwegebenutzungspflicht zwingend erforderlich machen. Eine solche Verkehrsdichte lässt eine Überquerung - vor allem bei der Anlage entsprechender Hilfen - für Fußgänger und Radfahrer ohne weiteres zu. Dies gilt auch für den Kreuzungsbereich zur F.. Zwar ist es einfacher und grundsätzlich auch naheliegend, den nördlich anfallenden Radfahrverkehr auf der gleichen Seite der E. bis zur G. zu leiten. Ein zwingender Grund hierfür besteht jedoch nicht. Für Radfahrer kann auch im Kreuzungsbereich eine Überquerungshilfe eingerichtet werden, die es ihnen ermöglicht, bei entsprechender Schaltung der Verkehrsampeln gefahrlos von der Nord- auf die Südseite der E. zu gelangen. Dass hier mit Rechtsabbiegerverkehr aus der F. zu rechnen ist, weil bislang auf Grund der vorhandenen Ampelschaltungen ein solches Rechtsabbiegen jederzeit möglich ist, begründet keine Gefahren, die das Überqueren der E. an anderer Stelle - etwa im Bereich der Robert-Bosch-Straße - wesentlichüberstiegen. Wegen der spitzen Kehre haben die abbiegenden Fahrzeuge nur eine außerordentlich geringe Geschwindigkeit und könnten darüber hinaus durch ein Warnzeichen vor eventuellem Radfahrverkehr gewarnt werden. Radfahrer wären dort wesentlich besser zu erkennen, als etwa an der Einmündung der G. in die E., wo die Sicht durch vorhandene Hecken erheblich eingeschränkt ist.
Allerdings lässt der gegenwärtige Ausbau- und Regelungszustand des Einmündungsbereichs der E. in die F. (B 6) ein sicheres Überqueren außerhalb der bisherigen Radwege kaum zu. Hierauf kommt es jedoch nicht entscheidend an. Die Beklagte verkennt zum einen, dass in die Radwegenovelle neben Sicherheits- auch Zumutbarkeitserwägungen eingeflossen sind und die Aufhebung der Radwegebenutzungspflicht nichts an der Möglichkeit ändert, den bisherigen Radweg weiterhin zu befahren, wenn sich dies aus Sicherheitsgründen anbietet. Wo die vorhandenen Verkehrsflächen nicht ausreichen, können in geeigneten Fällen Schutzstreifen eingerichtet werden, die auch dem Kraftfahrzeugverkehr offen stehen (§ 42 Abs. 6 Nr. 1 Buchst. g StVO). Zum anderen zielt die Radwegnovelle ersichtlich auf bauliche Verbesserungen am vorhandenen Radwegenetz ab (vgl. VO zu § 2 Abs. 4 Satz 2 StVO Ziff. 1, 3). Da solche Verbesserungen zugleich der Erhöhung der Verkehrssicherheit dienen, kann sich die Beklagte nicht ohne weiteres auf das Fehlen entsprechender Haushaltsmittel berufen. So erscheint etwa die Verlegung von Induktionsschleifen im Kreuzungsbereich und die Ergänzung der Signalanlage an der F. noch als zumutbar, soweit nicht eine Verbreiterung des vorhandenen Radweges kostengünstiger ist. Das hat die Beklagte bislang nicht hinreichend erwogen.
Die Beklagte kann sich auch nicht auf Ziffer 22 der Verwaltungsvorschrift berufen, soweit dort von einem kurzen Abschnitt die Rede ist. Zu Recht geht der Kläger davon aus, dass unter einem kurzen Abschnitt - zum Beispiel einer kurzen Engstelle - kein 120 m langer Straßenabschnitt zu verstehen ist. Die relativ kurze Strecke istüberdies auch ein Gesichtspunkt, der gegen die Radwegebenutzungspflicht spricht, weil über die Robert-Bosch-Straße hinaus eine solche einmal nicht vorgesehen ist, zum anderen dieser Teilabschnitt von einem Radfahrer in sehr kurzer Zeit überwunden werden kann, ohne ein Verkehrshindernis darzustellen, welches eventuelle Verkehrsrisiken heraufbeschwören würde.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1,155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Die Entscheidung hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf§ 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Gründe, die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache oder Abweichens der Entscheidung von einer solchen des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg oder eines Bundesgerichts zuzulassen, bestehen nicht.
Streitwertbeschluss:
Der Wert des Streitgegenstandes beträgt 4.000,00 EUR.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 25,13 Abs. 1 Satz 2 GKG.
Peters
Dr. Schlei