Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 11.06.2014, Az.: L 13 BK 18/12

Anspruch auf Kinderzuschlag nach § 6a BKGG; Aufhebung der Bewilligung von Leistungen gegenüber einem Elternteil als Individualanspruch; Änderung der Verhältnisse durch Auszug des Kindes aus dem elterlichen Haushalt; Kinderzuschlag bei Bedürftigkeit nach § 6a BKKG; Elternteil als Anspruchsinhaber und Bescheidadressat

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
11.06.2014
Aktenzeichen
L 13 BK 18/12
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2014, 21800
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2014:0611.L13BK18.12.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Oldenburg - 05.07.2011 - AZ: S 35 BK 5/11

Fundstelle

  • NZS 2014, 800

Redaktioneller Leitsatz

1. Es gibt keinen "Familienanspruch" auf den Kinderzuschlag nach § 6a BKKG, sondern regelmäßig ist ein Elternteil als Anspruchsinhaber dieser kindbezogenen bedürftigkeitsabhängigen Familienleistung anzusehen.

2. Im Falle der Aufhebung und Erstattung, z.B. bei Auszug des Kindes aus dem Familienhaushalt, ist dieser Elternteil dann auch Adressat der entsprechenden abändernden Verwaltungsentscheidungen.

Tenor:

Die Berufung des Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Oldenburg vom 5. Juli 2011 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen. &8195;

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um eine Rückforderung von Kinderzuschlag.

Mit Bescheid vom 27. Januar 2010 bewilligte die Familienkasse I. der Klägerin für ihre Kinder Vedat - geboren 1992 - und Zaman - geboren 2003 - Kinderzuschlag nach § 6 a Bundeskindergeldgesetz (BKGG) für den Zeitraum von Januar bis Juli 2010 in Höhe von monatlich 265,00 EUR. Ferner lebte im Haushalt noch eine 1990 geborene Tochter, die sich in Berufsausbildung befand.

Nachdem die Beklagte Kenntnis erlangt hatte, dass der Sohn J. nicht mehr im Haushalt lebte, teilte die Klägerin auf ein Anhörungsschreiben der Beklagten - das keinerlei Bezug zum später erhobenen Vorwurf grob fahrlässigen Verhaltens, weder in Bezug auf von der Klägerin begangene Nachlässigkeiten, auf eine unterbliebene Mitteilung offensichtlich mitteilungspflichtiger Umstände oder dergleichen mehr, aufwies - mit, ihr Sohn sei zwar ausgezogen, verbringe jedoch nach wie vor die Ferien bei ihr. Außerdem werde der Kinderzuschlag entweder per Überweisung oder bar nahezu in voller Höhe an den Sohn weitergegeben. Daher stehe ihr der Kinderzuschlag weiterhin zu. Eine am 21. Oktober 2010 durchgeführte Berechnung der Beklagten, bezogen auf den Monat März 2010, ergab einen monatlichen Anspruch der Klägerin auf Kinderzuschlag in Höhe von 109,00 EUR. Die Beklagte berechnete die ihrer Ansicht nach gegebene monatliche Überzahlung, indem sie vom Zahlbetrag in Höhe von 265,00 EUR den Anspruch in Höhe von 109,00 EUR abzog und mithin auf eine monatliche Überzahlung in Höhe von 156,00 EUR, für die Monate März bis Juni 2010 insgesamt mithin 624,00 EUR, kam.

Mit Bescheid vom 21. Oktober 2010 hob die Beklagte die Bewilligung des Kinderzuschlags von März 2010 bis Juni 2010 in Höhe von 109,00 EUR monatlich gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch (SGB), Zehntes Buch (X) - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - teilweise und ab Juli 2010 in voller Höhe auf und forderte einen Betrag in Höhe von 624,00 EUR nach § 50 SGB X von der Klägerin zurück. Zur Begründung gab sie an, das 1992 geborene Kind J. lebe seit dem 22. Februar 2010 nicht mehr im Haus und gehöre daher nicht mehr zur Bedarfsgemeinschaft. Für dieses Kind bestehe kein Anspruch auf Kinderzuschlag, und es lägen keine besonderen Umstände vor, nach denen von einer Aufhebung für die Vergangenheit abgesehen werden könne. Kinderzuschlag sei daher i. H. von 624,00 EUR zu Unrecht gezahlt worden. Ein Vorwurf grob fahrlässigen Verhaltens wurde weiterhin nicht erhoben.

Die Klägerin legte Widerspruch ein und berief sich darauf, sie habe mündlich die Familienkasse in I. darüber in Kenntnis gesetzt, dass ihr Sohn den Haushalt Ende Februar 2010 verlassen wird. Ihr sei mitgeteilt worden, dass in Bezug auf das Kindergeld der Aufenthaltsort des Kindes nicht von Bedeutung sei. Zudem sei die Familie zwischenzeitlich auch auf Leistungen nach dem SGB II angewiesen gewesen, und auch im Rahmen dieser Antragstellung sei der Aufenthaltsort des Sohnes bekannt gegeben worden. Ferner habe der Sohn an seinem neuen Aufenthaltsort (in K., Kreis L., M.) keinerlei Leistungen bezogen. Die unterbliebene Leistungserbringung sei dort damit begründet worden, dass weiterhin das Jugendamt bzw. die Familienkasse in I. zuständig sei. Außerdem sei der Kinderzuschlag in Höhe von insgesamt 624,00 EUR auch für die Versorgung des Sohnes Vedat aufgewendet worden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 14. Dezember 2010 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück. Nach Darstellung der Rechtsgrundlagen führte sie aus, der "Anlage" könne die der Entscheidung zugrunde liegende Berechnung entnommen werden, diese sei Bestandteil des Widerspruchsbescheides. In den Verwaltungsakten befindet sich eine derartige Anlage nicht. In den Gründen des Widerspruchsbescheides (Seite 5 ff.) wird die Berechnung jedoch erläutert. Hiernach ergibt sich ein monatlicher Anspruch auf Kinderzuschlag für 109,00 EUR sowie der Hinweis darauf, erst mit der am 24. Juni 2010 eingegangenen Anmeldebestätigung des Kindes J. sei der Familienkasse bekannt geworden, dass das Kind nicht mehr im Haushalt der Klägerin wohne. Laut der vorgelegten Anmeldebestätigung sei das Kind J. am 22. Februar 2010 in die neue Wohnung eingezogen. Der Umstand, dass die Mitteilung erst im Juni 2010 erfolgt sei, sei als grob fahrlässig zu werten, da sich aus dem Bewilligungsbescheid ergeben habe, dass die Familienkasse entsprechend zu informieren gewesen wäre. Die Bewilligung des Kinderzuschlages sei daher gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X von März bis Juni 2010 in Höhe von monatlich 156,00 EUR aufzuheben. Die Erstattungspflicht in Höhe von 624,00 EUR ergebe sich aus § 50 SGB X.

Die Klägerin hat am 13. Januar 2011 Klage erhoben. Sie hat die bereits im Widerspruchsverfahren genannten Gründe wiederholt und vertieft und hat mitgeteilt, die räumliche Veränderung sei im Wesentlichen aus erzieherischen Gründen erfolgt, es hätten regelmäßige Besuche stattgefunden, und die wirtschaftliche Versorgung des Sohnes sei von der Klägerin sichergestellt worden. Die Beklagte ist der Klage mit der Erwägung entgegen getreten, der Sohn sei während des viermonatigen Aufenthalts in K. nicht Mitglied der Bedarfsgemeinschaft gewesen; unter Bedarfsgemeinschaft sei das örtlich verbundene Zusammenleben in einer gemeinsamen Familienwohnung zu verstehen, das Kind müsse dort seine persönliche Betreuung finden und sich nicht nur zeitweise, sondern auch durchgängig im Haushalt aufhalten.

Das Sozialgericht (SG) Oldenburg hat den Bescheid der Beklagten vom 21. Oktober 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Dezember 2010 mit Gerichtsbescheid vom 5. Juli 2011 mit der tragenden Begründung aufgehoben, die Rückforderung könne in Fällen des § 48 SGB X nicht nur von einem Elternteil als "Antragsteller" vorgenommen werden, sondern die Leistungen flössen "der Elterngemeinschaft als solcher" zu. Der Bescheid sei daher rechtswidrig, weil das geleistete "Kindergeld" insgesamt und ausschließlich von der Klägerin, nicht jedoch anteilig von dem zum Haushalt und zur Bedarfsgemeinschaft gehörenden Ehemann zurückgefordert worden sei, der gleichfalls rechtsgrundsätzlich Empfangsberechtigter und tatsächlich Begünstigter gewesen sei. Hierbei könne es dahingestellt bleiben, ob die Rückforderung im angefochtenen Bescheid vom 21. Oktober 2010 auch in der Berechnung hinreichend nachvollziehbar sei; jedenfalls enthalte diesbezüglich der Widerspruchsbescheid nachvollziehbare Darlegungen. Es sei grundsätzlich davon auszugehen, dass das gezahlte Kindergeld unberücksichtigt der Antragsberechtigung und Antragstellung an "die Eltern", d. h. die Person, die im Sinne des Art. 6 Grundgesetz tatsächlich Erziehungsberechtigte und Unterhaltsverpflichtete sind, geleistet werde. Die Verpflichtung auf die Benennung eines "Antragsberechtigten" habe lediglich verfahrenserleichternde Gründe.

Gegen den der Beklagten am 6. Juli 2011 zugestellten Gerichtsbescheid hat diese am 22. Juli 2011 Berufung eingelegt, die sie am 9. Dezember 2011 wieder zurückgenommen hat, nachdem der Senatsvorsitzende auf das Nichterreichen des Schwellenwertes für die Zulässigkeit einer Berufung nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hingewiesen hatte; zugleich hatte er auf die mögliche Einlegung des zulässigen Rechtsmittels der Nichtzulassungsbeschwerde innerhalb eines Jahres aufgrund des Umstandes hingewiesen, dass die Rechtsbehelfsbelehrung des angefochtenen Gerichtsbescheides als zutreffendes Rechtsmittel die Berufung benannt hat. Die Beklagte hat am 26. Juni 2012 Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt, woraufhin der Senat mit Beschluss vom 11. Oktober 2012 die Berufung zugelassen hat.

Die Beklagte beantragt,

den Gerichtsbescheid des SG Oldenburg vom 5. Juli 2011 aufzuheben

und

die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten verwiesen, die dem Gericht vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

Die form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) eingelegte Berufung ist zulässig (§ 143 SGG), im Ergebnis aber nicht begründet. Der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 21. Oktober 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Dezember 2010 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.

Die Aufhebung sowie der Rückforderungsanspruch der Beklagten richten sich nach den Bestimmungen der §§ 50, 48 Abs. 1 Sozialgesetzbuch (SGB), Zehntes Buch (X) - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz -. Gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben und damit ein Anspruch neu festzustellen, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X soll der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, wenn der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist.

Dies dürfte vorliegend zwar der Fall sein; indes fehlt es an einer ausreichenden Anhörung der Klägerin, die auch nicht wirksam nachgeholt worden ist.

Die Verhältnisse zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides der Familienkasse I. vom 27. Januar 2010 haben sich insoweit geändert, als der Sohn J. seit dem 22. Februar 2010 nicht mehr im Haushalt lebte und daher nicht mehr zur Bedarfsgemeinschaft gehörte, wie der Beklagte im Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid ebenso zutreffend ausgeführt hat, wie er sich mit Recht auf den Umstand berufen hat, es lägen keine besonderen Umstände vor, nach denen von einer Aufhebung für die Vergangenheit abgesehen werden könne. Eine Mitteilungspflicht der Klägerin ergibt sich aus § 60 Abs. 1 Nr. 2 SGB, Erstes Buch (I); dieser Pflicht, alle für die Leistung erheblichen Änderungen in den Verhältnissen unverzüglich mitzuteilen, ist die Klägerin jedenfalls gemäß der Aktenlage nicht nachgekommen. Die von der Klägerin behauptete mündliche Mitteilung gegenüber der Familienkasse in I. bleibt im Unklaren, da ihre Umstände nicht im Einzelnen dargelegt worden sind und eine entsprechende Dokumentation nicht erfolgt ist. Dass der Sohn J. in K. keine Leistungen bezogen haben mag, ist für die unterbliebene Mitteilung ohne wesentliche Bedeutung, ebenso wie der Umstand, dass die Zahlung der Familienkasse in I. u. a. auch für die Versorgung des Sohnes J. aufgewendet worden sein mag. Auch das Vorbringen der Klägerin in Bezug auf die fortbestehende familiäre Verbundenheit hat keine andere rechtliche Würdigung des Sachverhalts zur Folge. Die in den Gründen des Widerspruchsbescheides vom 14. Dezember 2010 erläuterte Berechnung, aus der ein monatlicher Anspruch auf Kinderzuschlag für 109,00 EUR folgt, erachtet der Senat nach eigener Prüfung ebenfalls für zutreffend. Die Bewilligung des Kinderzuschlages wäre demzufolge gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X von März bis Juni 2010 in Höhe von monatlich 156,00 EUR aufzuheben gewesen, wobei die Erstattungspflicht des überzahlten Betrages in Höhe von 624,00 EUR aus § 50 SGB X folgen würde.

Es besteht aber ein Anhörungsmangel. Gemäß § 24 SGB X ist einem Beteiligten vor Erlass eines Verwaltungsaktes, der in seine Rechte eingreift, Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Die Aufhebung und Rückforderung bereits ausgezahlter, endgültig bewilligter Leistungen stellt einen klassischen Eingriff in die Rechte desjenigen dar, dem diese Leistungen gewährt wurden, so dass eine Anhörung erforderlich ist. Anzuhören ist zu allen Tatsachen, die nach Sicht der Behörde für die Entscheidung wesentlich sind. Dazu gehören nach den Gründen des Widerspruchsbescheides auch die eine grobe Fahrlässigkeit begründenden Umstände; insoweit ist eine Anhörung unterblieben.

Der Verfahrensfehler ist auch nicht gemäß § 41 Abs. 1 Nr.3 SGB X dadurch nachträglich geheilt worden, dass der Beklagte die Anhörung nachgeholt hätte. Eine Nachholung der Anhörung durch die Gelegenheit zur Äußerung im Widerspruchsverfahren ist nicht erfolgt, da die zugrunde gelegten Tatsachen und rechtlichen Wertungen erst im Widerspruchsbescheid gewürdigt wurden und nicht vorher in einer Weise unterbreitet worden sind, die zu einer umfassenden und sachgerechten Stellungnahme befähigt hätte. Dass der Beklagte im Widerspruchsbescheid eine Begründung anführt, auf die die Klägerin im Klageverfahren Bezug nehmen konnte, führt ebenfalls nicht zu einer Heilung. Für eine mögliche Heilung im Klageverfahren ist zur Heilung ein eigenständiges, nicht notwendig förmliches Verwaltungsverfahren notwendig (Urteil des BSG vom 7. Juli 2011 - B 4 AS 144/10 R, Rdn. 21, m.w.N.), das jedoch bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz nicht durchgeführt wurde.

Aus diesem Grunde ist die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des SG Oldenburg vom 5. Juli 2011 zurückzuweisen, ohne dass es auf eine Klärung der Frage, ob der Klägerin - die eine mündliche Information der Beklagten behauptet hat - grob nachlässiges Verhalten nachgewiesen werden kann, noch entscheidend ankäme.

Der Vollständigkeit halber weist der Senat noch auf Folgendes hin:

Der Senat folgt nicht der Rechtsauffassung des SG Oldenburg, die Rückforderung könne in Fällen des § 48 SGB X nicht nur von einem Elternteil als "Antragsteller" vorgenommen werden, sondern die Leistungen flössen "der Elterngemeinschaft als solcher" zu, und der Bescheid sei rechtswidrig, weil der geleistete Betrag nicht zugleich anteilig von dem zum Haushalt und zur Bedarfsgemeinschaft gehörenden Ehemann zurückgefordert worden sei. Dies deckt sich nicht mit der Konzeption des § 3 BKGG, wie sich aus dieser Vorschrift in nicht zu verkennender Eindeutigkeit ergibt. Hierzu bestimmt § 3 Abs. 1 BKGG, dass für jedes Kind nur einer Person Kindergeld, Kinderzuschlag und Leistungen für Bildung und Teilhabe gewährt werden. Nach § 3 Abs. 2 Satz 2 BKGG bestimmen bei Führung eines gemeinsamen Haushalts die Eltern untereinander den Berechtigten. Ein gemeinsamer Leistungsbezug der Eltern ist folglich im BKGG nicht vorgesehen. Die der Klägerin gewährten Leistungen waren auch ihr gegenüber ggf. aufzuheben und zurückzufordern. Die Auffassung des SG, das gezahlte Kindergeld werde stets an "die Eltern", d. h. die Personen, die im Sinne des Art. 6 Grundgesetz tatsächlich Erziehungsberechtigte und Unterhaltsverpflichtete sind, geleistet, und die Verpflichtung "auf Benennung eines Antragsberechtigten" nach § 3 BKGG habe lediglich das Verwaltungsverfahren erleichternde Gründe, steht mit dem geltenden Recht nicht in Einklang.

Wie der Senat bereits im die Berufung zulassenden Beschluss vom 11. Oktober 2012 - L 13 BK 14/12 NZB - dargelegt hat, wird die vom SG Oldenburg im angefochtenen Gerichtsbescheid favorisierte Gesetzesauslegung in anderen landessozialgerichtlichen Entscheidungen nicht einmal diskutiert (vgl. Landessozialgericht - LSG - Niedersachsen-Bremen, 6. Senat, Urteil vom 16. August 2012 - L 6 BK 18/09; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 9. Februar 2012 - L 9 BK 8/10). Zutreffend hat das Bayerische LSG hat in einem Urteil vom 16. Februar 2006 (- L 14 KG 1/04 - juris Rdn. 32) zu § 3 BKGG ausgeführt, dass der Kindergeldanspruch nach den gesetzlichen Bestimmungen einer einzelnen Person zugeordnet werde. Beim Kindergeld nach dem BKGG handele es sich nicht um einen "Familienanspruch" oder eine Vergünstigung für die Familie, die den Eheleuten gemeinsam zustünde oder zumindest von jedem der beiden gleichermaßen für den anderen oder die Gemeinschaft beantragt bzw. beansprucht werden könne. Von der allgemeinen Zweckrichtung des Kindergelds, eine Hilfe für den Unterhalt der Kinder oder/und für die Betreuung und Erziehung zu geben, zu unterscheiden sei die Inhaberschaft des Anspruchs. Der Kindergeldanspruch werde nach dessen gesetzlichen Bestimmungen einer einzelnen Person wie zum Beispiel Vater, Mutter, Stiefelternteil, einem der Großeltern usw. zugeordnet, und die Anspruchsvoraussetzungen, die jede dieser Personen für sich erfüllen müssen, seien zum Teil verschieden. Kämen mehrere Personen für die gleiche Zeit als Kindergeldberechtigte in Frage, so ordne § 3 BKGG den Anspruch nur einer einzigen Person zu. Jeder potenziell Kindergeldberechtigte müsse aber den ihm möglicherweise zustehenden Kindergeldanspruch - unter anderem durch Antrag - selbst verfolgen; auch Gründe, die der Durchsetzung des Anspruchs entgegenstehen könnten, seien in Bezug auf den Kindergeldanspruch jeder einzelnen Person gesondert zu beurteilen. Dieser Auffassung tritt der Senat mit der weiteren Maßgabe bei, dass auch die ggf. nachfolgende Aufhebung und Rückforderung individualisiert gegenüber dem jeweiligen Leistungsempfänger zu erfolgen hat.

Dementsprechend richtet sich der Bewilligungsbescheid vom 27. Januar 2010 - wie auch sein Wortlaut nahelegt - allein an die Klägerin, und gegenüber ihr als Regelungsadressatin war dementsprechend auch eine Aufhebung bzw. eine Rückforderung zu erklären.

Der Senat geht hierbei schließlich auch davon aus, dass auch Spellbrink/Becker (in: Eicher, SGB II, Kommentar, 3. Aufl. 2013, Anhang, § 6a BKGG Rdn. 60) mit der Formulierung, es könne "im Einzelfall schwer abzuschätzen sein, ob eine Familie einen Anspruch nach § 6a BKGG hat oder dem System des SGB II unterfällt", keine abweichende Auffassung zum Ausdruck bringen wollten. Denn diese Äußerung hat keinen engeren Bezug zur Frage der Aktivlegitimation i. S. des § 3 BKGG, und die Zielrichtung der dortigen Diskussion ist ersichtlich eine andere. Nach alledem ist nicht ersichtlich, dass die Rechtsauffassung der 35. Kammer des SG Oldenburg in Rechtsprechung oder Literatur geteilt würde.

Die rechtlich zu ziehenden Konsequenzen aus dem Umstand, dass die Familienkasse I. im Tenor des Ausgangsbescheides vom 21. Oktober 2010 die Aufhebung nur i. H. von 109,00 EUR monatlich für die Monate März bis Juni 2010 erklärt hat, während sich insbesondere unter Heranziehung der Gründe des Widerspruchsbescheides ergibt, dass tatsächlich eine Aufhebung i. H. von 156,00 EUR monatlich für die Monate März bis Juni 2010 erfolgen sollte, sind aufgrund der genannten Gründe nicht mehr entscheidungserheblich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 1 und Abs. 2 SGG liegen nicht vor.