Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 26.06.2014, Az.: L 8 SO 291/13

Unterlassung der Beteiligung sozial erfahrener Dritter als "absoluter Aufhebungsgrund" bei Ergehen von Kostenbeitrags- oder Aufwendungsersatzbescheiden

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
26.06.2014
Aktenzeichen
L 8 SO 291/13
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2014, 29945
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2014:0626.L8SO291.13.0A

Verfahrensgang

nachfolgend
BSG - 24.03.2015 - AZ: B 8 SO 16/14 R

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 17. Februar 2012 geändert. Der Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 16. Oktober 2008 wird aufgehoben. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen eine Entscheidung der Beklagten, nach der er einen Betrag in Höhe von 302,58 EUR von seinem therapeutischen Entgelt als Kostenbeitrag für die Zeit von Januar 2007 bis März 2008 zu leisten hat. Vorab ist streitig, ob die Widerspruchsentscheidung der Beklagten ordnungsgemäß ergangen ist.

Bei dem 1969 geborenen Kläger besteht eine paranoid-halluzinatorische Psychose. Er bezieht seit Oktober 1997 eine Erwerbsunfähigkeitsrente, die seit 2003 auf unbestimmte Dauer gewährt wird. Vor seiner stationären Aufnahme in der Einrichtung F. GmbH im Jahr 1998 lebte er in G. im örtlichen Zuständigkeitsbereich des damaligen Landkreises Hannover, dessen Rechtsnachfolger die Beklagte ist. Im ersten Halbjahr 2007 betrug die Höhe seiner Rente 402,92 EUR, ab dem 1. Juli 2007 monatlich 405,08 EUR. Weitere Einkünfte mit Ausnahme des hier streitigen therapeutischen Entgelts hat der Kläger nicht, Vermögen ist nicht vorhanden.

Im Anschluss an frühere Kostenanerkenntnisse gewährte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 22. Februar 2007 ab dem 1. Januar 2007 bis zunächst längstens 31. Dezember 2008 für den Aufenthalt in der stationären Einrichtung Hilfe zum Lebensunterhalt gemäß §§ 35 ff. SGB XII und Eingliederungshilfe. Weiter heißt es in dem Bescheid: "Über die Höhe des zu leistenden Kostenbeitrages (§ 92 Abs. 1 SGB XII) erhalten Sie ggf. einen gesonderten Bescheid". Mit Bescheid vom gleichen Tag bewilligte die Beklagte dem Kläger für die Zeit vom 1. Januar 2007 bis zum 31. Dezember 2007 Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII in Höhe von 571,00 EUR monatlich. Weiter heißt es in dem an den Betreuer des Klägers gerichteten Bescheid wörtlich:

"Die vorliegende Behinderung erfordert Leistungen in einer stationären Einrichtung für behinderte Menschen, die von mir erbracht werden.

Ich bin deshalb gemäß § 92 Abs. 1 SGB XII verpflichtet, der von Ihnen betreuten Person auch dann die Leistung der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung im vollen Umfang zu erbringen, soweit die von Ihnen betreute Person den Lebensunterhalt aus eigenem Einkommen und Vermögen beschaffen kann.

In Höhe dieses Teils hat die von Ihnen betreute Person zu den Kosten der erbrachten Grundsicherungsleistungen beizutragen.

Über die Höhe des Kostenbeitrags erhalten Sie ggf. einen weiteren Bescheid. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn von hier Einkommen (z. B. Rente) nicht vereinnahmt wird."

Ein entsprechender Bescheid erging am 21. Januar 2008 für die Zeit vom 1. Januar 2008 bis 31. Dezember 2008 mit einem monatlichen Zahlbetrag in Höhe von 573,00 EUR.

Mit Schreiben vom 25. April 2008 übersandte das F. GmbH der Beklagten eine Aufstellung von therapeutischen Zuwendungen für Bewohner und Bewohnerinnen der Einrichtung, in der u. a. der Kläger aufgeführt ist. Dieser erhielt jedenfalls von Januar bis Dezember 2007 sowie im ersten Quartal 2008 ein monatliches Entgelt in Höhe von 77,00 EUR. Einem in der Akte der Beklagten enthaltenen Entwicklungsbericht 2006 ist zu entnehmen, dass der Kläger mindestens bereits seit 2005 an einer ganztätigen arbeitstherapeutischen Maßnahme teilnimmt.

Mit Bescheid vom 12. Juni 2008 setzte die Beklagte für die Zeit vom 1. Januar 2007 bis zum 31. März 2008 einen Kostenbeitrag in Höhe von insgesamt 3.837,60 EUR fest. Da die Rente zur Kostendeckung direkt an die Beklagte gezahlt wurde, forderte diese die Zahlung eines Kostenbeitrages aus dem erzielten Einkommen aus arbeitstherapeutischer Beschäftigung in Höhe von 320,88 EUR. Von dem Werkstatteinkommen in Höhe von 77,00 EUR brutto setzte die Beklagte dabei Arbeitsmittel in Höhe von 5,20 EUR sowie ein Achtel des jeweiligen Eckregelsatzes (43,13 EUR für die Zeit von Januar bis Juni 2007, 43,38 EUR für die Zeit von Juli 2007 bis März 2008) ab sowie weiter 25 Prozent des danach verbleibenden Betrages (7,17 EUR von Januar bis Juni 2007, 7,11 EUR von Juli 2007 bis März 2008). Gegen den am 16. Juni 2008 (einem Montag) beim Betreuer des Klägers eingegangen Bescheid richtete sich der Widerspruch vom 16. Juli 2008. Dieser wurde mit Widerspruchsbescheid vom 16. Oktober 2008 zurückgewiesen. Eine Beteiligung sozial erfahrener Dritter (§ 116 Abs. 2 SGB XII) erfolgte nicht. Der Widerspruchsbescheid wurde am 18. Oktober 2008 zugestellt.

Am 18. November 2008 erhob der Kläger hiergegen Klage. Ein Einsatz seiner Einkünfte aus der Tätigkeit der Therapie sei ihm nicht zumutbar. In jedem Fall liege eine besondere Härte im Sinne des § 84 SGB XII vor, weil der therapeutische Zweck gefährdet wäre, wenn ihm diese Prämie nicht auch tatsächlich zur Verfügung gestellt würde. Das Sozialgericht (SG) Hannover hat die Klage mit Urteil vom 17. Februar 2012 abgewiesen und die Berufung zugelassen. Die therapeutische Zuwendung sei Einkommen im Sinne des § 82 Abs. 1 SGB XII. Es liege weder ein Fall des § 83 SGB XII noch der §§ 84 Abs. 1 oder 2 SGB XII vor. Es sei auch nicht zu erkennen, dass durch die Erhebung des Kostenbeitrages der Anreiz zur Fortsetzung der Therapie verloren gehe, weil dem Kläger mehr als zwei Drittel der erzielten Einnahmen als zusätzliches Einkommen zu dem gewährten Barbetrag verblieben. Auch die Einkommensberechnung sei nicht zu beanstanden.

Gegen das am 21. März 2012 zugestellte Urteil ist für den Kläger am 23. April 2012, einem Montag, Berufung eingelegt worden. Im Laufe des Berufungsverfahrens hat die Beklagte die Berechnung des Freibetrages geändert und ihre Zahlungsforderung auf nunmehr 302,58 EUR reduziert. Dabei hat sie den Freibetrag nach § 82 Abs. 3 Satz 2 SGB XII vom Brutto-Entgelt aus der therapeutischen Beschäftigung berechnet und nicht mehr wie vorher vom nach § 82 Abs. 2 SGB XII bereinigtem Entgelt. Der Kläger hat dies als Teilanerkenntnis angenommen und verfolgt sein Begehren im Übrigen weiter.

Der Kläger beantragt,

  1. 1.

    das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 17. Februar 2012 aufzuheben,

  2. 2.

    den Bescheid der Beklagten vom 12. Juni 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Oktober 2008 aufzuheben, soweit mit ihm ein Kostenbeitrag aus arbeitstherapeutischer Zuwendung gefordert wird.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Eine weitere Reduzierung des streitigen Betrages wird von ihr auch in Kenntnis des Urteils des Bundessozialgerichts (BSG) vom 28. Februar 2013 - B 8 SO 12/11 - abgelehnt. Anders als in dem vom BSG entschiedenen Fall handele es sich bei der gewinnorientierten F. GmbH nicht um eine Einrichtung der freien Wohlfahrtspflege. Auf eine Anfrage des Senats hat die Beklagte klargestellt, dass sie nicht beabsichtigt, einen erneuten Widerspruchsbescheid unter Beteiligung sozial erfahrener Dritter im Sinne von § 116 SGB XII zu erlassen.

Außer den Gerichtsakten lagen zwei Bände Verwaltungsakten der Beklagten, den Leistungsvorgang des Klägers betreffend, vor. Sie waren Gegenstand des Verfahrens. Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und der Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Rechtszüge und der Beiakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 i. V. mit § 153 Abs. 1 SGG ohne mündliche Verhandlung über die kraft Zulassung durch das SG gemäß §§ 143, 144 SGG statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung des Klägers. Die Berufung ist im Sinne der Änderung des erstinstanzlichen Urteils und der Aufhebung des Widerspruchsbescheides vom 16. Oktober 2008 begründet. Hierüber entscheidet der Senat durch Teilurteil. Im Übrigen, hinsichtlich des eigentlichen Klagebegehrens, der Aufhebung des Kostenbeitragsbescheides vom 12. Juni 2008, bleibt das Verfahren rechtshängig, eine Entscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.

Der Kläger verfolgt sein Ziel letztlich zutreffend mit einer Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG); im Falle der von ihm begehrten Aufhebung des Bescheides vom 12. Juni 2008 wäre er keiner Forderung der Beklagten auf Zahlung von nunmehr 302,58 EUR aus seinem arbeitstherapeutischem Entgelt mehr ausgesetzt.

Über das so verstandene Klagebegehren konnte jedoch vom SG und kann auch derzeit vom Senat nicht entschieden werden, weil die Klage unzulässig ist. Das hier erforderliche Vorverfahren ist nicht in der gesetzlich vorgesehenen Form durchgeführt worden, die Beklagte hat eine Widerspruchsentscheidung auch nicht nachgeholt.

Eine Anfechtungsklage ist nur dann zulässig, wenn die allgemeinen Prozessvoraussetzungen vorliegen, der Kläger klagebefugt ist und soweit gesetzlich vorgeschrieben das Widerspruchsverfahren durchgeführt worden ist. Letzteres folgt aus § 78 Abs. 1 Satz 1 SGG. Danach sind vor Erhebung einer Anfechtungsklage Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit des Verwaltungsakts in einem Vorverfahren nachzuprüfen. Eine der in Satz 2 der Vorschrift normierten Ausnahmen liegt hier nicht vor, insbesondere bestimmt kein Gesetz die Entbehrlichkeit des Widerspruchsverfahrens.

Zwar hat der Kläger rechtzeitig Widerspruch erhoben, es fehlt jedoch weiterhin an einer rechtmäßigen Widerspruchsentscheidung.

Nach § 116 Abs. 2 i.V. mit Abs. 1 SGB XII (bzw. des gleichlautenden bis 2004 geltenden § 114 Abs. 2 BSHG) sind vor dem Erlass des Verwaltungsaktes über einen Widerspruch gegen die Ablehnung der Sozialhilfe oder gegen die Festsetzung ihrer Art und Höhe sozial erfahrene Dritte, insbesondere aus Vereinigungen, die Bedürftige betreuen, oder aus Vereinigungen von Sozialleistungsempfängern, beratend zu beteiligen, soweit Landesrecht nichts Abweichendes bestimmt. Das Erfordernis der Beteiligung sozial erfahrener Personen ist kein bloßes Ordnungserfordernis. Vielmehr stellt die Nichtbeteiligung sozial erfahrener Personen im Widerspruchsverfahren einen erheblichen Mangel des Vorverfahrens dar, der überdies wegen der Bedeutung der Beratung für die Entscheidungspraxis der Behörden im Allgemeinen nicht der Disposition der unmittelbar Beteiligten überlassen werden kann und mithin von Amts wegen zu berücksichtigen ist (so bereits Urteil des BVerwG vom 2. Juni 1965 5 C 63.64 zu § 114 Abs. 2 BSHG; BSG Urteil vom 23. März 2010 B 8 SO 17/09 ).

In Niedersachsen sieht weder das Ausführungsgesetz zum SGB XII (Nds. AG SGB XII) vom 16. Dezember 2004 (Nds. GVBl. S. 644), zuletzt geändert durch Gesetz vom 11. Dezember 2013 (Nds. GVBl. S. 284), noch eine andere gesetzliche Regelung Abweichendes zu § 116 Abs. 2 SGB XII vor. § 3 Abs. 4 Nds. AG SGB XII enthält lediglich eine Bestimmung zu § 116 Abs. 1 SGB XII. Damit findet § 116 Abs. 2 SGB XII in Niedersachsen grundsätzlich Anwendung, sozial erfahrene Dritte sind in den dort genannten Fällen im Widerspruchsverfahren zu beteiligen.

Die Reichweite des § 116 Abs. 2 SGB XII wird in Literatur und Rechtsprechung unterschiedlich gesehen. Einigkeit besteht unter Hinweis auf das Urteil des BVerwG vom 11. Oktober 1984 5 C 144/83 darüber, dass es keinen Unterschied macht, ob dem Hilfesuchenden die Hilfe von Anfang an (ganz oder teilweise) oder im nachhinein dadurch versagt wird, dass eine vom Träger der Sozialhilfe für rechtswidrig gehaltene Bewilligung aufgehoben wird. Da auch auf diesem Wege Sozialhilfe abgelehnt wird, liegt insoweit ein Fall des § 116 Abs. 2 SGB XII (bzw. des früheren § 114 Abs. 2 BSHG) vor. Lippert in Mergler/Zink, SGB XII, § 116 RdNr. 17 hält die Festsetzung eines Aufwendungsersatzes nach § 19 Abs. 3 oder eines Kostenbeitrages nach § 92 Abs. 1 Satz 2 für eine Entscheidung über die Höhe der Sozialhilfe. Ähnlich auch Blüggel in PK 2. Aufl. 2014 § 116 RdNr. 31, Streichsbier in Grube/Wahrendorf SGB XII 5. Aufl. 2014 § 116 RdNr. 5, und Conradis in LPK-SGB XII 9. Aufl. 2012 § 116 RdNr. 14, die eine Beteiligung sozial erfahrener Dritter bei Entscheidungen über eine Aufrechnung für erforderlich halten, weil damit über die Höhe der Sozialhilfe entschieden wird. Nach Hohm in Schellhorn/Schellhorn/Hohm SGB XII 18. Aufl. 2010 § 116 RdNr. 11 fallen Widersprüche gegen die Festsetzung von Ersatzansprüchen oder gegen Überleitungsanzeigen nicht unter den § 116 Abs. 2 SGG, Kostenbeitrags- oder Aufwendungsersatzbescheide werden von ihm nicht erwähnt. Widersprüche gegen derartige Bescheide unterfallen nach Adolph, Loseblattkommentar zum SGB XII Stand 2009 § 116 RdNr. 30, sowie Schäfer in Fichtner/Wenzel SGB XII § 116 RdNr. 8 ohne weitere Begründung nicht dem § 116 Abs. 2 SGB XII; ebenso die Nds. HzSH 10. Aufl. 52005 Nr. 116.2.4 unter Hinweis auf ein Urteil des Bayerischen VGH vom 31. Mai 1968 (in dem es lediglich in einem Nebensatz ohne Begründung heißt, dass bei Erlass eines Aufwendungsersatzbescheides die Beteiligung sozial erfahrener Personen nicht vorgeschrieben ist), sowie Schlette in Hauck/Noftz SGB XII § 116 RdNr. 13. Seines Erachtens werde dadurch "gewissermaßen auf der Sekundärebene der Nachrang der Sozialhilfe wiederhergestellt".

Ob eine Beteiligung sozial erfahrener Dritter bei Widersprüchen gegen Kostenbeitrags- oder Aufwendungsersatzbescheide geboten ist, die sich nicht an den Leistungsberechtigten selber richten, sondern an Dritte (beispielsweise an den nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartner oder an die Eltern eines minderjährigen nicht verheirateten Kindes; vgl. § 19 Abs. 5, § 92 Abs. 1 Satz 2 SGB XII ), muss hier nicht entscheiden werden. Ein derartiger Fall liegt nicht vor. Nach Auffassung des Senats ist eine Beteiligung jedoch jedenfalls dann erforderlich, wenn der Bescheid den Leistungsberechtigten selber zur Kostentragung heranzieht, hier durch den streitigen Kostenbeitragsbescheid nach § 92 Abs. 1 Satz 2 SGB XII. Ein solcher Bescheid ist einer Ablehnung der Sozialhilfe bzw. einer Festsetzung der Höhe nach i.S. des § 116 Abs. 2 SGB XII gleichzusetzen. Unbeachtlich ist dabei, ob die Kostenbeteiligung zeitgleich mit dem Bewilligungsbescheid oder nachträglich gefordert wird. Bereits das BVerwG hat in seinem Urteil vom 11. Oktober 1984 (a.a.O., RdNr. 11) eine derartige Differenzierung abgelehnt. Sowohl vom Wortlaut als auch vom Zweck des § 114 Abs. 2 BSHG her bestehe, so das BVerwG, kein Unterschied, ob dem Hilfesuchenden die Hilfe von Anfang an (ganz oder teilweise) oder im Nachhinein versagt werde. Gleiches gilt im Falle des hier streitigen Kostenbeitragsbescheides. Mit ihm wird in Folge der ursprünglichen Bruttozahlung dem eigentlich im Bereich der Eingliederungshilfe geltenden Nettoprinzip wieder Geltung verschafft (s. hierzu BSG-Urteil vom 23. August 2013 B 8 SO 17/12 R RdNr. 16).

Die nach der hier vertretenen Auffassung verfahrensfehlerhaft unterbliebene Beteiligung der sozial erfahrenen Dritten führt nicht zur Nichtigkeit des Widerspruchsbescheides (§ 40 SGB X). Der Verfahrensfehler kann jedoch auch nicht geheilt werden, da keiner der in § 41 SGB X genannten Fälle vorliegt. Unbeachtlich wäre der Verfahrensfehler nur dann, wenn offensichtlich wäre, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat (§ 42 Satz 1 SGB X). Die unterbliebene Beteiligung sozial erfahrener Dritter stellt jedoch regelmäßig einen "absoluten Aufhebungsgrund" dar (ebenso wie im Fall einer unterlassenen Anhörung, s. hierzu BSG-Urteil vom 15. August 1996 9 RV 10/95 RdNr. 13), weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass bei Beteiligung sozial erfahrener Dritter eine andere Entscheidung ergangen wäre. Das gilt nicht nur bei Ermessensentscheidungen, sondern jedenfalls auch immer dann, wenn die Bewertung eines Sachverhalts oder die Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe entscheidungserheblich ist. Das BVerwG hat bereits mit Urteil vom 2. Juni 1965 5 C 63.64 (BVerwGE 21, 208, 210) zu § 114 Abs. 2 BSHG ausgeführt: "Die Beteiligung erfolgt zwar, wie sich aus dem Wortlaut des Gesetzes ergibt, lediglich zur Beratung der Behörde. Dass die Beratung durch sozial erfahrene Personen erfolgen soll, zeigt indessen, dass der Gesetzgeber der Erfahrung in der Sozialarbeit erhebliches Gewicht auch für die Entscheidung der Behörden im einzelnen Fall beimisst. Dann aber kann das Erfordernis der Beteiligung sozial erfahrener Personen nicht als bloßes Ordnungserfordernis angesehen werden. Vielmehr stellt die Nichtbeteiligung sozial erfahrener Personen im Widerspruchsverfahren einen erheblichen Mangel des Vorverfahrens dar".

Dass im vorliegenden Fall eine andere Entscheidung denkbar gewesen wäre, zeigt bereits der weitere Verlauf, in dem der Beklagte den Kostenbeitrag reduziert hat. Selbst bei einer nur entfernten Möglichkeit einer Auswirkung auf das Ergebnis muss das Widerspruchsverfahren nochmals durchgeführt werden. Dem Widerspruch Führenden würde sonst die gesetzlich vorgesehene Möglichkeit genommen, in einem entsprechend normierten Vorverfahren vor Einschaltung des Gerichts eine Überprüfung der ursprünglichen Verwaltungsentscheidung vornehmen zu lassen (so auch Schlette, a.a.O. § 116 RdNr. 17; Conradis, a.a.O. § 116 RdNr. 17; a. A. Blüggel, a.a.O. § 116 RdNr. 42, der bei gebundenen Entscheidungen keinen Einfluss des Verfahrensfehlers auf die Entscheidung in der Sache erkennen kann; zur "offensichtlichen Folgenlosigkeit des Fehlers" s. u.a. Schütze in von Wulffen/Schütze SGB X 8. Auflage 2014 § 42 RdNr. 11 ff.).

Damit ist der rechtwidrige Widerspruchsbescheid aufzuheben, ohne dass derzeit eine Entscheidung über den eigentlich angefochtenen Bescheid vom 12. Juni 2008 ergehen kann (s. hierzu unten). Eine isolierte Entscheidung über den Widerspruchsbescheid durch Teilurteil ist zulässig, weil er gegenüber dem Ausgangsbescheid eine eigenständige selbständige Beschwer enthält (so bereits im Ergebnis Urteil des BVerwG vom 11. Oktober 1994, a.a.O.; zu einem Fall unterbliebener Anhörung BSG-Urteil vom 25. März 1999 B 9 SB 14/97 R RdNr. 18 ff.). Insbesondere steht dem nicht § 95 SGG entgegen, auch nicht unter Berücksichtigung der differenzierteren Regelungen in § 79 VwGO.

Nach § 95 SGG ist, wenn ein Vorverfahren stattgefunden hat, Gegenstand der Klage der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat. Grundsätzlich werden damit Ausgangsbescheid und Widerspruchsbescheid als Einheit behandelt, wobei die Vorschrift davon ausgeht, dass der Widerspruchsbescheid den ursprünglichen Verwaltungsakt zwar inhaltlich verändern kann, ihn aber nicht ersetzt. Diese Einheit von Ursprungsbescheid und Widerspruchsbescheid wird durch einen Verfahrensfehler im Widerspruchsverfahren nicht in Frage gestellt, weil regelmäßig der Ursprungsbescheid inhaltlich oder formell nicht durch den Widerspruchsbescheid geändert ist, sondern nur die fehlende Beteiligung sozial erfahrener Personen (bzw. die Nichtanhörung des Betroffenen in dem vom BSG entschiedenen Verfahren) als Verfahrensfehler beachtet werden muss (BSG-Urteil vom 25. März 1999, a.a.O.). Ein derartiger Verfahrensfehler bedingt eine zusätzliche selbstständige Beschwer, die beseitigt werden muss, bevor über die Rechtmäßigkeit des Ausgangsbescheides in Gestalt des (neuen, ohne Verfahrensfehler ergangenen) Widerspruchsbescheides entscheiden werden kann.

In § 79 Abs. 1 Satz 2 VwGO ist dies ausdrücklich geregelt. Danach ist Gegenstand der Anfechtungsklage der Abhilfebescheid oder Widerspruchsbescheid, wenn dieser erstmalig eine Beschwer enthält. Nach Abs. 2 der Vorschrift kann der Widerspruchsbescheid auch dann alleiniger Gegenstand einer Anfechtungsklage sein, wenn und soweit er gegenüber dem ursprünglichen Verwaltungsakt eine zusätzliche selbständige Beschwer enthält; als eine zusätzliche Beschwer gilt auch die Verletzung einer wesentlichen Verfahrensvorschrift, sofern der Widerspruchsbescheid auf dieser Verletzung beruht. Für den Geltungsbereich der VwGO folgt daraus direkt, dass in Fällen wie hier der auf der Verletzung der wesentlichen Verfahrensvorschrift des § 116 Abs. 2 SGB XII beruhende Widerspruchsbescheid alleiniger Gegenstand einer Anfechtungsklage sein kann. Das Fehlen einer vergleichbaren Regelung für das sozialgerichtliche Verfahren bedeutet jedoch nicht, dass im Geltungsbereich des SGG in vergleichbaren Fällen keine isolierte Anfechtung des Widerspruchsbescheides möglich ist. Vielmehr ist der Rechtsgedanke des § 79 VwGO auch dort zu berücksichtigen (BSG-Urteil vom 25. März 1999, a.a.O. RdNr. 20 ff. mit näherer Begründung; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Auflage 2012 § 95 RdNr. 3).

Für die isolierte Entscheidung über den Widerspruchsbescheid durch Teilurteil bedarf es keines ausdrücklichen Anfechtungsantrags des Klägers. Das Gericht entscheidet gemäß § 123 SGG über die vom Kläger erhobenen Ansprüche, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein. Wenn der Kläger wie hier wegen der vom Senat nicht geteilten Rechtsauffassung der Beklagten sein mit der Anfechtungsklage verfolgtes Ziel nur erreichen kann, wenn vorher eine erneute Widerspruchsentscheidung ergeht, umfasst sein Begehren auch die hierfür erforderlich Aufhebung des rechtswidrigen Widerspruchsbescheides (anders wohl Schlette a.a.O. § 116 RdNr. 17). Im Übrigen ist der Kläger auf die Möglichkeit hingewiesen worden, dass eine derartige Entscheidung ergehen kann.

Die Beklagte wird nunmehr (ebenso wie dies von diversen anderen herangezogenen kommunalen Körperschaften in Niedersachsen praktiziert wird) unter Beteiligung sozial erfahrener Dritter erneut über den Widerspruch zu befinden und einen neuen Widerspruchsbescheid zu erlassen haben. Eine ausdrückliche Verpflichtung hält der Senat für entbehrlich.

Hinsichtlich der Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 12. Juni 2008 bleibt das Verfahren rechtshängig. Erst nach Erlass eines neuen unter Beteiligung sozial erfahrener Dritter ergangenen Widerspruchsbescheides kann hierüber mit Schlussurteil entscheiden werden. Bis dahin wird der Senat das Verfahren aussetzen.

Die Kostenentscheidung bleibt der abschließenden Entscheidung vorbehalten.

Der Senat misst der Frage, ob die Beteiligung sozial erfahrener Dritter im Widerspruchsverfahren auch bei einem Streit über die Höhe des Kostenbeitrages erforderlich ist, grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 160 Abs. 2 Nr 1 SGG bei und hat deshalb die Revision zugelassen. -