Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 02.06.2014, Az.: L 4 KR 259/11
Anspruch einer Hebamme auf Wegegeld-Vergütung bei Hausgeburt; Kein Ausschluss wegen Nichtinanspruchnahme der nächstwohnenden Hebamme
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 02.06.2014
- Aktenzeichen
- L 4 KR 259/11
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2014, 21795
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2014:0602.L4KR259.11.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Osnabrück - 18.04.2011 - AZ: S 13 KR 361/08
Rechtsgrundlagen
- § 2 Abs. 1 S. 1 SGB V
- § 12 Abs. 1 SGB V
- § 134 Abs. 1 SGB V
- § 4 Abs. 3 S. 2 HebGV
Redaktioneller Leitsatz
1. Das Merkmal "nach der besonderen Lage des Falles" i.S.d. § 4 Abs. 3 S. 2 Hebammen-Gebührenverordnung (HebGV) in der bis zum 31.07.2007 geltenden Fassung ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, dessen Ausfüllung von den Gerichten uneingeschränkt nachprüfbar ist.
2. Ausgehend von der amtlichen Begründung der Norm rechtfertigte als besondere Lage des Falles die geplante Hausgeburt einschließlich Vor- und Nachsorge die Hinzuziehung einer weiter entfernt wohnenden Hebamme.
3. Zudem liegt keine Verletzung des Wirtschaftlichkeitsgebots vor. Wegen der Seltenheit von Hausgeburten und der zur Durchführung von Hausgeburten bereiten Hebammen ist die mehr als nur geringfügige Überschreitung der Toleranzgrenze von 20 km Entfernung in diesem Einzelfall gerechtfertigt.
Tenor:
1. Die Gerichtsbescheide des Sozialgerichts Osnabrück vom 18. April 2011 zu den Aktenzeichen S 13 KR 361/08 und S 13 KR 360/08 werden aufgehoben.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 4.407,85 Euro zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten
a. aus 937,50 Euro seit dem 1. März 2007
b. aus 601,55 Euro seit dem 14. Juli 2007
c. aus 2.868,80 Euro seit dem 6. Dezember 2006.
3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen zu tragen.
4. Der Streitwert beträgt a. bis zum 2. März 2014: im Verfahren S 13 KR 361/08 und L 4 KR 259/11: 937,50 Euro im Verfahren S 13 KR 360/08 und L 4 KR 255/11: 3.470,35 Euro b. seit dem 3. März 2014: im Verfahren L 4 KR 259/11: 4.407,85 Euro.
5. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Wegegeld-Vergütung für Hebammenleistungen bei Hausgeburten in drei Versichertenfällen, die zunächst in getrennten Rechtsstreiten entschieden und vom erkennenden Senat zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden worden sind. Die Klägerin ist im Jahr 1957 geboren und gelernte Hebamme, seit 1980 als freiberufliche Hebamme in Stadt und Landkreis K. tätig und im streitigen Zeitraum wohnhaft in L., südwestlich von K ... Der erste Vergütungsstreit betrifft die Versicherte M., geb. 1975, Versicherte der Beklagten und im streitigen Zeitraum wohnhaft in der N. in O. (im Folgenden: Versichertenfall 1). Die Klägerin betreute die Versicherte im Zeitraum vom 1. Juli 2006 bis zum 5. Januar 2007, am 19. Dezember 2006 wurde das Kind im Wege der von Anfang an geplanten Hausgeburt geboren. Die Entfernung zwischen der Wohnung bzw. Praxis der Klägerin und der Wohnung der Versicherten betrug 73 km einfache Strecke = 146 km hin und zurück. Die Klägerin stellte am 29. Januar 2007 gegenüber der Beklagten die Rechnung in Höhe von ca. 3.000,- Euro, darin enthalten Wegegeld in Höhe von ca. 1.800,- Euro, das von der Beklagten um die im Versichertenfall 1 streitige Summe von 937,50 Euro gekürzt wurde. Der zweite und dritte Vergütungsstreit betrifft Frau P., geb. 1980, Versicherte der Beklagten und im streitigen Zeitraum wohnhaft in der Q., R ... Diesem Vergütungsstreit liegen zwei Hausgeburten zugrunde. Die Klägerin betreute die Versicherte in der Zeit vom 2. Februar bis zum 6. Juni 2005 sowie vom 28. Januar bis zum 2. November 2006. Die beiden Kinder wurden im Wege der von Anfang an geplanten Hausgeburt am 17. Mai 2005 sowie am 27. September 2006 geboren. Die Entfernung zwischen der Wohnung bzw. Praxis der Klägerin und der Wohnung der Versicherten betrug 85 km einfache Strecke = 170 km hin und zurück. Die Klägerin stellte der Beklagten die Rechnungen vom 14. Juni 2005 und 6. November 2006 in Höhe von ca. 3.500,- Euro bzw. ca. 4.800,- Euro, in denen Wegegeld in Höhe von ca. 2.500,- Euro bzw. 3.700,- Euro enthalten war. Die Beklagte kürzte das Wegegeld um 601,55 Euro (Rechnung vom 14. Juni 2005) sowie um 2.868,80 Euro (Rechnung vom 6. November 2006) (Versichertenfälle 2 und 3). Die Klägerin betrieb jeweils das Mahnverfahren vor dem Amtsgericht S. (Zentrales Mahngericht), das die Mahnsachen nach jeweiligem Widerspruch der Beklagten als Klagverfahren an das Sozialgericht (SG) Osnabrück abgab. Der Versichertenfall 1 ist am 8. August 2008 beim SG eingegangen und dort unter dem Aktenzeichen S 13 KR 361/08 geführt worden. Die Versichertenfälle 2 und 3 sind als einheitliche Klage ebenfalls am 8. August 2008 beim SG eingegangen und dort unter dem einheitlichen Aktenzeichen S 13 KR 360/08 geführt worden. Zur Begründung hat die Klägerin in beiden Klagverfahren jeweils einheitlich vorgetragen, ihr stünde uneingeschränktes Wegegeld für jede der von ihr zu der jeweiligen Versicherten zurückgelegten Hin- und Rückfahrten zu, ohne Kürzungsberechtigung seitens der Beklagten. Rechtsgrundlage sei § 4 Abs. 2 der Hebammen-Gebührenverordnung (HebGV) in der bis zum 31. Juli 2007 geltenden Fassung. Der sich hieraus ergebende Anspruch auf Wegegeld sei uneingeschränkt zu erfüllen, weil in den jeweiligen Versichertenfällen keine, näher am Wohnort der Versicherten tätige Hebamme mit der Bereitschaft zur Hausgeburt verfügbar gewesen sei und gerade auch die von der Beklagten benannten, näher am Wohnort der Versicherten tätigen Hebammen im streitigen Zeitraum keine Hausgeburten hätten ausführen können/wollen. Die Beklagte hat vor dem SG in beiden Klagverfahren einheitlich erwidert, nach der in Rede stehenden Rechtsgrundlage des bis zum 31. Juli 2007 geltenden § 4 HebGV werde zwar grundsätzlich die tatsächlich zurückgelegte Wegstrecke von dem Wohnort bzw. der Praxis der Hebamme zur Versicherten (hin und zurück) im Wege des Wegegeldes vergütet. Daneben sei jedoch der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit gem. § 12 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) zu beachten, wobei es vorliegend als unwirtschaftlich zu betrachten sei, dass nach den vorliegenden Rechnungen jeweils mehr als 60 Prozent ausschließlich auf Wegegelder entfielen. Seine konkrete Ausprägung erfahre der Wirtschaftlichkeitsgrundsatz in § 4 Abs. 3 HebGV. Nach Satz 1 der Vorschrift könne die Krankenkasse Wegegelder ablehnen, wenn die in Anspruch genommene Hebamme mehr als 20 km weiter entfernt wohne bzw. ihre Praxistätigkeit ausübe als die nächstwohnende/praxisausübende Hebamme (sog. Toleranzgrenze von 20 km). Vorliegend könnten von der Beklagten Hebammen namentlich benannt werden, die im streitigen Zeitraum in kürzerer Entfernung als der Toleranzgrenze ausgehend vom Wohnort der Versicherten tätig bzw. wohnhaft gewesen seien. - Die entsprechenden Listen hat die Beklagte vor dem SG vorgelegt. Im Versichertenfall 1 sind von der Beklagten benannt worden: 1. Frau T. in U., 2. Frau V. in W., 3. Frau X. in Y ... In den Versichertenfällen 2 und 3 sind von der Beklagten namentlich benannt worden: 1. Frau T. in U., 2. Frau V. in W., 3. Frau X. in Y., 4. Frau Z. in AA ...
Zwar gelte die Toleranzgrenze von § 4 Abs. 3 Satz 1 HebGV nicht und seien auch weiter entfernt tätige/wohnhafte Hebammen mittels Wegegeld zu vergüten, wenn die Hinzuziehung der tatsächlich in Anspruch genommenen Hebamme (gegenüber den innerhalb der Toleranzgrenze wohnhaften bzw. praxistätigen Hebammen) aus anderen Gründen gerechtfertigt sei. Solche anderen Gründe seien vorliegend jedoch nicht ersichtlich: Dass vorliegend durchgängig Hausgeburten in Rede stünden, könne einen anderen besonderen Grund nicht rechtfertigen. Denn während Hausgeburten bis zur zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts noch der Ausnahmefall der kindlichen Geburt gewesen seien, seien Hausgeburten heutzutage in ihrer Akzeptanz deutlich gestiegen und könnten daher keine besondere Lage mehr im Sinne der HebGV darstellen. Daneben spreche gegen eine Wirtschaftlichkeit im Sinne des § 4 Abs. 3 Satz 2 HebGV, dass die Toleranzgrenze von 20 km vorliegend nicht lediglich unerheblich, sondern deutlich überschritten gewesen sei, nämlich im Versichertenfall 1 um (73 - 20 =) 53 km und in den Versichertenfällen 2 und 3 um (85 - 20 =) 65 km. Schließlich hat die Beklagte vor dem SG geltend gemacht, der Klägerin ohnehin ein höheres Wegegeld zugebilligt zu haben, als dies nach § 4 der HebGV vorgesehen sei. Denn man habe über die Toleranzgrenze hinaus eine Wegstrecke von jeweils 35 km (einfache Fahrt bzw. 70 km hin und rück) zur Vergütung gebracht. Das SG hat die beiden Klagen jeweils mit Gerichtsbescheid - beide datierend vom 18. April 2011 - abgewiesen und zur Begründung im Einzelnen ausgeführt, dass der Klägerin jedenfalls keine höhere als die ihr tatsächlich zugebilligte Wegegeld-Vergütung zustehe. Die maßgebliche Rechtsgrundlage ergebe sich aus § 134 Abs. 1 SGB V in der bis zum 31. Dezember 2006 geltenden Fassung i.V.m. § 4 der HebGV in der bis zum 31. Juli 2007 geltenden Fassung. Nach § 4 Abs. 3 Satz 1 HebGV könne die Krankenkasse die Zahlung eines Mehrbetrages an Wegegeld ablehnen, wenn eine andere als die nächstwohnende Hebamme tatsächlich Hilfe geleistet habe und der Weg von der Stelle der Leistung zur Wohnung oder Praxis der tatsächlich in Anspruch genommenen Hebamme mehr als 20 km länger sei als zur Wohnung oder Praxis der nächstwohnenden Hebamme. Dies gelte zwar nach § 4 Abs. 3 Satz 2 HebGV u.a. dann nicht, wenn die Zuziehung der tatsächlich in Anspruch genommenen Hebamme nach der besonderen Lage des Falles gerechtfertigt gewesen sei. Ein solcher Fall sei hier jedoch nicht ersichtlich. Die Beklagte habe der Klägerin Nachweise über nächstwohnende Hebammen erbracht. Gegen die beiden der Klägerin jeweils am 21. April 2011 zugestellten Gerichtsbescheide richten sich die von der Klägerin jeweils am 20. Mai 2011 eingelegten Berufungen, die zunächst unter den Aktenzeichen L 4 KR 259/11 (= S 13 KR 361/08) und L 4 KR 255/11 (= S 13 KR 360/08) geführt worden sind. Zur Berufungsbegründung macht die Klägerin jeweils (einheitlich) geltend, das SG habe materielles und prozessuales Recht verletzt. Materiell-rechtlich habe das SG verkannt, dass die Darlegungs- und Beweislast zur Benennung nächstwohnender Hebammen nach § 4 HebGV bei der Beklagten liege und diese lediglich Namen und Wohnorte von Hebammen mitgeteilt habe, eine nähere Substantiierung des Vortrages jedoch nicht erfolgt sei. Hilfsweise habe das SG Prozessrecht verletzt, da es zu den von der Beklagten angegebenen Namen hätte näher ermitteln müssen.
Die Klägerin beantragt nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen sinngemäß,
1. die Gerichtsbescheide des Sozialgerichts Osnabrück vom 18. April 2011 zu den Aktenzeichen S 13 KR 361/08 und S 13 KR 360/08 werden aufgehoben,
2. die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 4.407,85 Euro zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten
a. aus 937,50 Euro seit dem 1. März 2007
b. aus 601,55 Euro seit dem 14. Juli 2007
c. aus 2.868,80 Euro seit dem 6. Dezember 2006.
Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Berufungen zurückzuweisen.
Sie verteidigt die Kürzungen der Wegegelder als rechtmäßig und bezieht sich zur Begründung ergänzend auf die Gerichtsbescheide des SG. Der erkennende Senat hat im Verfahren L 4 KR 259/11 - Versichertenfall 1 - die von der Beklagten benannten Hebammen im Wege schriftlicher Befragung als Zeugen vernommen. Dabei hat Frau X. angegeben, zwar habe ihre damalige Praxis nur ca. 16 km entfernt von der Wohnung der Versicherten AB. gelegen. Frau AC. habe jedoch im Herbst 2006 wegen eines schweren Erkrankungsfalles in der Familie keine Hebammentätigkeit geleistet. Frau T. hat angegeben, ihre damalige Praxis sei zwar lediglich 19 km entfernt gelegen vom Wohnort der Versicherten AB ... Frau AD. habe jedoch keine Hausgeburten angeboten. Frau V. hat angegeben, ihre damalige Praxis habe lediglich ca. 6 km entfernt gelegen vom Wohnort der Versicherten AB. und sie habe seinerzeit auch Hausgeburten angeboten und bei rechtzeitiger Anmeldung angenommen. Jedoch sei darauf aufmerksam zu machen, dass es sich bei der Versicherten M., N. in U., um eine Kollegin, also ebenfalls um eine Hebamme, handele, zu der Frau AE. ein gutes persönliches Verhältnis gehabt habe, auch habe Frau AB. nach der Pensionierung von Frau AE. deren Praxisräume (zusammen mit einer weiteren Kollegin) gemietet. Frau AE. vermute, dass Frau AB. aufgrund des freundschaftlichen Verhältnisses und der sich daraus ergebenden Notwendigkeit der Wahrung der Privatsphäre auf ihre Inanspruchnahme als Hausgeburtshebamme verzichtet habe. Hinzu komme, dass Frau AE. aus der freundschaftlichen Verbindung wisse, dass Frau AF. (die Klägerin) schon zwei Hausgeburten der Frau AB. begleitet habe. Frau AE. habe deshalb die Entscheidung von Frau AB. zur Hebammenwahl unbedingt akzeptiert. In dem Verfahren L 4 KR 255/11 hat der Senat eine schriftliche Auskunft (nochmals) der Frau V. eingeholt, die angegeben hat, dass im Jahr 2005 ihre Praxis ca. 12 km entfernt gelegen habe vom Wohnort der Versicherten AG. und sie im Jahre 2005 auch fünf Hausgeburten durchgeführt habe. Der Senat hat in beiden Berufungsverfahren bei den Beteiligten die Durchführung einer Mediation vor dem Güterichter angeregt. Die Beteiligten haben jeweils zugestimmt, jedoch keine Übereinkunft erzielt. Schließlich hat der erkennende Senat die beiden Verfahren mit Beschluss vom 3. März 2014 gem. §§ 113, 153 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zu gemeinsamer Verhandlung und Entscheidung verbunden. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die beiden Gerichtsakten sowie auf die jeweiligen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen. Sie haben vorgelegen und sind Gegenstand von Beratung und Entscheidung gewesen.
Entscheidungsgründe
Der erkennende Senat konnte durch Urteil ohne mündliche Verhandlung gem. §§ 124 Abs. 2, 153 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheiden, da sich die Beteiligten zuvor hiermit einverstanden erklärt haben. Die Berufungen sind gem. §§ 143 ff. SGG statthaft und zulässig. Die Berufungen der Klägerin sind auch begründet. Die Klägerin hat in den drei zugrunde liegenden Versichertenfällen Anspruch auf Zahlung des vollen, von ihr im jeweiligen Versichertenfall geltend gemachten Wegegeldes einschließlich Zinsen. Die von der Beklagten vorgenommenen Kürzungen sind rechtswidrig. Die Gerichtsbescheide des SG Osnabrück waren deshalb aufzuheben. Das SG hat die maßgeblichen Rechtsgrundlagen des § 134 Abs. 1 SGB V in der hier maßgeblichen, bis zum 7. November 2006 gültigen Fassung i.V.m. § 4 HebGV in der bis zum 31. Juli 2007 geltenden Fassung zugrunde gelegt und - mit Ausnahme zu § 4 Abs. 3 HebGV - richtig angewendet. Wegen der Einzelheiten der Begründung, der sich der erkennende Senat anschließt, wird zum Zweck der Vermeidung von Wiederholungen gem. § 153 Abs. 2 SGG auf die Gründe in den angefochtenen Gerichtsbescheiden Bezug genommen. Insoweit ist lediglich zu ergänzen, dass die Beteiligten bezüglich des Wegegeldes nicht um den jeweiligen Beginnort der Fahrtstrecke und nicht um den Rechenweg zur Ermittlung des Wegegeld-Betrages streiten. Hierzu gehen die Beteiligten zutreffend davon aus, dass der Beginnort der Wegstrecke der tatsächlich herangezogenen Hebamme entweder deren Wohnort oder deren Praxis sein kann, wie es ausdrücklich im Wortlaut des § 4 Abs. 2a und b sowie in Abs. 3 Satz 1 HebGV geregelt ist (ebenso: Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 26. Juni 2008, L 5 KR 81/06, Rn. 29 - Zitierung nach juris) und dass von der Beklagten die zutreffenden Euro- bzw. Cent-Beträge je gefahrenen Kilometer zugrunde gelegt wurden, wie sie in § 4 Abs. 2 HebGV festgelegt sind. Streitig ist unter den Beteiligten vielmehr allein, ob die von der Klägerin zur Abrechnung gebrachten Wegegelder deshalb zu kürzen sind, weil die Klägerin nicht die nächstwohnende Hebamme war und die Beklagte gestützt hierauf eine Kürzung gem. § 4 Abs. 3 HebGV vorgenommen hat. Nach § 4 Abs. 3 Satz 1 HebGV kann die Krankenkasse die Zahlung eines Mehrbetrages an Wegegeld ablehnen, der dadurch entstanden ist, dass der Weg von der Stelle der Leistung der Hebamme (Entbindungsort der Versicherten) zur Wohnung oder Praxis der tatsächlich in Anspruch genommenen Hebamme mehr als 20 km (Toleranzgrenze) länger ist als zur Wohnung oder Praxis der nächstwohnenden Hebamme, die statt der tatsächlich in Anspruch genommenen Hebamme hätte herangezogen werden können. Die Kürzungsberechtigung der Krankenkasse besteht nach § 4 Abs. 3 Satz 2 HebGV jedoch nicht, wenn das Wegegeld anfällt, weil mehrere Hebammen die Dienstleistung in einem Krankenhaus nach einem vereinbarten Einsatzplan ausführen (vorliegend nicht einschlägig) oder (vorliegend einschlägig), wenn die Zuziehung der tatsächlich in Anspruch genommenen Hebamme "nach der besonderen Lage des Falles aus anderen Gründen gerechtfertigt war". Dabei handelt es sich bei dem Merkmal "nach der besonderen Lage des Falles" um einen unbestimmten Rechtsbegriff, dessen Ausfüllung von den Gerichten uneingeschränkt nachprüfbar ist (ebenso: Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 23. September 2010, Rn.21 - Zitierung nach juris). Soweit die Beklagte zur Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs geltend macht, ein besonderer Fall läge jedenfalls nicht schon deshalb vor, weil es in den Versichertenfällen um Hebammentätigkeiten im Wege der Hausgeburt gegangen sei, ist diese Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs unzutreffend, weil sie mit der Zweckrichtung der Vorschrift, wie sie aus der amtlichen Begründung zu § 4 HebGV hervorgeht, in Widerspruch steht. In der amtlichen Begründung zu § 4 HebGV heißt es: "Nach der besonderen Lage des Falles ist die Zuziehung einer weiter entfernt wohnenden Hebamme insbesondere bei einer geplanten Hausgeburt einschließlich Vor- und Nachsorge gerechtfertigt, solange nur verhältnismäßig wenige Hebammen Hausgeburten durchführen" (Zitierung nach Horschitz, Das Krankenkassen-Gebührenrecht der Hebamme, 9. Aufl. 2005, S. 83). Damit spricht nach Überzeugung des erkennenden Senats die ersichtliche Regelungsintention des Verordnungsgebers dafür, die Durchführung einer Hausgeburt als besondere Lage des Falles im Sinne des § 4 Abs. 3 Satz 2 HebGV anzuerkennen. Zur Maßgeblichkeit der amtlichen Begründung bei der Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs wurde auch bereits durch frühere Rechtsprechung entschieden, gerade auch bezüglich des vorliegend in Rede stehenden Kalenderjahres 2006 und für in diesem Kalenderjahr erbrachte Hebammenleistungen bei Hausgeburten, wobei eine Kürzungsberechtigung der gesetzlichen Krankenkasse ebenso abgelehnt und das von der Hebamme geltend gemachte Wegegeld uneingeschränkt zugesprochen wurde (Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, aaO., Rn. 32 ff. - Zitierung nach juris; hierzu ebenso: Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, aaO., Rn. 20 - Zitierung nach juris). Entgegen der hierzu von der Beklagten geäußerten Auffassung ist die amtliche Begründung zu § 4 Abs. 3 Satz 2 HebGV auch nicht durch die empirische tatsächliche Entwicklung der Geburtensituation in Deutschland obsolet geworden. Vielmehr stellen die Hausgeburten nach wie vor den strikten Ausnahmefall gegenüber den Krankenhaus- bzw. Klinik-Geburten dar und sind nur die wenigsten Hebammen bereit, Hausgeburten zu betreuen. Die von der amtlichen Begründung zugrunde gelegte besondere Situation der Hausgeburt dauert daher an: Nach den von der Gesellschaft für Qualität in der außerklinischen Geburtshilfe e.V. (QUAG) auf der Grundlage der Veröffentlichungen des statistischen Bundesamtes bekannt gegebenen Geburtenzahlen in Deutschland ist weder in den - vom Senat beispielhaft zitierten - Jahren 1999 oder 2000, den vorliegend maßgeblichen Jahren 2005 und 2006 oder in den Jahren 2011/2012 eine wesentliche Änderung in der Quote der außerklinischen Geburten eingetreten.
Jahr | Klinische Geburten | Außerklinische Geburten | Außerklinische Geburten in Prozent |
---|---|---|---|
1999 | 773.862 | 10.193 | 1,32 |
2000 | 770.053 | 10.565 | 1,37 |
2005 | 668.282 | 12.584 | 1,83 |
2006 | 675.144 | 11.165 | 1,65 |
2011 | 665.072 | 10.829 | 1,63 |
2012 | 675.944 | 10.164 | 1,50 |
Zum Verständnis für den vorl. Fall ist ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass die in der obenstehenden Tabelle genannte absolute Zahl sowie die genannte Quote der außerklinischen Geburten jeweils die Summe aus den Geburten in sog. Geburtshäusern und von Hausgeburten erfasst, weshalb nach einschlägigen Schätzungen die absolute Zahl der Hausgeburten bzw. die Quote nur ca. 50 Prozent der oben in Spalten drei und vier ausgewiesenen Zahlen beträgt (Nachweise bei: Studien und Fakten zur Sicherheit der Hausgeburt in: de.wikipedia.ort/wiki/Hausgeburt, Recherche vom 3. März 2014). Auch nach Medienveröffentlichungen von Hebammen-Verbänden werden Hausgeburten kaum noch angeboten, auch wegen der massiv gestiegenen Kosten für die Haftpflichtversicherungen der Hebammen, die von diesen selbst zu tragen sind, so dass von den ca. 19.000 Hebammen in Deutschland nur noch ca. 500 Hebammen eine Hausgeburt anbieten (siehe etwa: Schuften für die Haftpflicht, Spiegel online vom 25. Juni 2012; Hausgeburt - zu Hause gebor(g)en: Expertin erklärt den "Zauber einer Hausgeburt", www.t-online.de/Eltern/Schwangerschaft, Recherche am 4. März 2014). - In diesen Veröffentlichungen heißt es u.a. und im Gegensatz zur geäußerten Meinung der Beklagten, dass die Anzahl der Hausgeburten seit der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht zu-, sondern im Gegenteil abgenommen habe. Die gegenteilige Behauptung der Beklagten ist für den erkennenden Senat daher weder nachweisbar noch auch nur nachvollziehbar, wobei die Beklagte empirisch verifizierte Daten auch in keiner Weise zur Verfügung gestellt, sondern sich auf die bloße Behauptung der Zunahme von Hausgeburten beschränkt hat. Schließlich ist nach § 4 Abs. 3 Satz 2 HebGV die Hinzuziehung der nicht nächstwohnenden Hebamme auch bei - aus obenstehenden Gründen vorl. gegebenen - besonderen Lage des Falles nur dann "gerechtfertigt", wenn das Wirtschaftlichkeitsgebot gem. §§ 2 Abs. 1 Satz 1, 12 Abs. 1 SGG V beachtet ist. Die Berücksichtigung dieses Ablehnungsgesichtspunktes erfordert jedoch nicht eine strikte Grenzziehung allein danach, was für die gesetzliche Krankenkasse mit den geringsten Aufwendungen verbunden ist. Vielmehr sind für das Tatbestandsmerkmal alle Umstände des Einzelfalles maßgebend (siehe nochmals: Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, aaO., Rn. 21). Der hierzu von der Beklagten vertretenen Auffassung einer vorliegend zu weit gehenden Überschreitung der sog. Toleranzgrenze (20 km) durch die Klägerin (50 bis 60 km) schließt sich der Senat unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalles nicht an, da die empirisch nachweisbare Seltenheit von Hausgeburten (unter ein Prozent der Gesamt-Geburtenzahl, s.o.) und der zur Durchführung von Hausgeburten bereiten Hebammen (deutlich weniger als fünf Prozent, s.o.) auch eine mehr als nur geringfügige Überschreitung der Toleranzgrenze im Einzelfall rechtfertigen. - Dass die in einem derartigen Versichertenfall von der Hebamme berechtigt abgerechneten Wegegelder einen erheblichen Anteil der Gesamt-Rechnungssumme ausmachen, gegebenenfalls sogar mehr als die Hälfte des Rechnungsbetrages, ist - entgegen der Auffassung der Beklagten - nicht per se als unwirtschaftlich zu qualifizieren, sondern (logische) Folge der oben stehenden Erwägungen zur Verwirklichung der Zwecksetzung des § 4 Abs. 3 der HebGV nach deren amtlicher Begründung. Bei alledem lässt der Senat zugunsten der Beklagten dahinstehen, mit welchem Gewicht das Wirtschaftlichkeitsgebot innerhalb des § 4 Abs. 3 Satz 2 HebGV zu berücksichtigen ist, da die Kürzung des Wegegeldes nach der Gebührenvorschrift der gesetzlichen Krankenkasse nicht als gebundene Entscheidung vorgeschrieben ist, sondern lediglich eine rechtliche Möglichkeit der Entscheidung der Krankenkasse darstellt ("kann") (ebenso: Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, aaO., Rn. 34)). Nach alledem war die Beklagte aufgrund des Vorliegens einer Hausgeburt sowie der nicht unwirtschaftlichen Überschreitung der Toleranzgrenze in den hier in Rede stehenden drei Versichertenfällen nicht berechtigt, eine Kürzung des von der Klägerin geltend gemachten Wegegeldes vorzunehmen. Der erkennende Senat kann deshalb ungeprüft lassen, ob die weiteren, zu den hier vorliegenden Versichertenfällen geltend gemachten Besonderheiten (erst recht) eine Rechtfertigung für die Inanspruchnahme der Klägerin durch die jeweiligen Versicherten als nicht wohnortnächste Hebamme darstellen. Ungeprüft bleibt deshalb insbesondere, ob eine private/persönliche Beziehung zwischen einer Versicherten und einer nächstwohnenden Hebamme deren Inanspruchnahme berechtigt ausschließen (vorliegend: Versichertenfall 1) (Zeugenaussage Frau AE.) oder ob der Angabe der Klägerin näher nachzugehen ist, wonach die Versicherte ihr gegenüber ausdrücklich erklärt habe, sich um eine nächstwohnende Hebamme mit der Bereitschaft zur Durchführung von Hausgeburten bemüht zu haben, was jedoch ergebnislos verlaufen sei (Versichertenfälle 2 und 3) (Schreiben der Klägerin an die Beklagte vom 4. September 2005, Bl. 6 VA). Die Berufung der Klägerin war daher betreffend die geltend gemachten Hauptforderungen erfolgreich. Der Zinsanspruch der Klägerin ergibt sich bezüglich aller drei Abrechnungen aus § 69 Satz 3 SGB V (in der hier anzuwendenden Fassung des GKV-Modernisierungsgesetzes vom 14. November 2003) i.V.m. §§ 286, 288 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) (§ 286 BGB in der seit dem 1. Januar 2002 geltenden Fassung). Beginn des Anspruchs auf Verzugszinsen ist danach gem. § 5 Abs. 4 HebGV der Zeitpunkt von drei Wochen nach Rechnungseingang bei der gesetzlichen Krankenkasse (zum Ganzen siehe nur: BSG, Urteil vom 23. März 2006, B 3 KR 6/05 R, Rn. 17 - Zitierung nach juris; LSG Nordrhein-Westfalen, aaO.; LSG Rheinland-Pfalz, aaO.). Vorliegend datieren die Rechnungen der Klägerin im Versichertenfall 1 vom 29. Januar 2007, im Versichertenfall 2 vom 14. Juni 2005 sowie im Versichertenfall 3 vom 6. November 2006. Der Senat legt jeweils einen Zeitraum von vier Wochen bis Verzinsungsbeginn zugrunde, womit die drei-Wochen-Frist der HebGV zzgl. Übersendezeiten abgedeckt sind. Verzinsungsbeginn sind danach die im Entscheidungstenor ausgeurteilten Tage. Die Zinshöhe beträgt acht Prozentpunkte über dem Basiszinssatz und folgt aus § 288 Abs. 2 BGB, da die Klägerin als freiberuflich tätige Hebamme als gewerbliche Unternehmerin im Sinne der Vorschrift zu behandeln ist (ebenso: Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, aaO.; anders, nämlich 5% aus § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB: BSG, Urteil vom 3. August 2006, B 3 KR 7/06 R - Zitierung nach juris; Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, aaO.). Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs. 1 SGG i.V.m. 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 63 Abs. 2, 47 Abs. 1, 52 Abs. 3 Gerichtskostengesetz (GKG), wobei die in den beiden Ausgangsverfahren (L 4 KR 255/11 und L 4 KR 259/11) geltend gemachten Klagforderungen ab dem Zeitpunkt des Verbindungsbeschlusses durch den erkennenden Senat zu addieren sind. Die Revisionszulassung folgt aus § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache, weil die in § 4 Abs. 3 Satz 2 HebGV getroffene Regelung über das Wegegeld für Hebammen nicht mit Außerkrafttreten der HebGV zum 31. Juli 2007 obsolet wurde, sondern in den nachfolgenden Regelungen über die Hebammenhilfe mit identischem Wortlaut fortgeführt wurde und noch heute fort gilt. Dies gilt für den nach § 134a SGB V mit Wirkung ab 1. August 2007 geschlossenen "Vertrag über die Versorgung mit Hebammenhilfe nach § 134a SGB V zwischen den Berufsverbänden der Hebammen und den Spitzenverbänden der Krankenkassen" und der dortigen Anlage 1, in dessen § 3 Abs. 3 die wortlautgleiche Regelung wie im früheren § 4 Abs. 3 Satz 2 HebGV getroffen wurde. Die Anlage blieb identisch in den Vertragsfassungen ab 1. Juli 2008 ab 1. Januar 2010 und ab 1. Januar 2013.