Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 14.02.2008, Az.: 5 A 3709/06
Berücksichtigung bereits übernommener Gremientätigkeiten bei der Erhebung von Langzeitstudiengebühren ab Wintersemester 2006/2007; Langzeitstudiengebühren; Vertrauensschutz; Erlass; Ermessen; Rückwirkung, unechte Studienguthaben; Hochschulgremien
Bibliographie
- Gericht
- VG Oldenburg
- Datum
- 14.02.2008
- Aktenzeichen
- 5 A 3709/06
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2008, 45995
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGOLDBG:2008:0214.5A3709.06.0A
Rechtsgrundlagen
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Der verfassungsrechtlich gebotene Vertrauensschutz im Hinblick auf unter altem Recht "erworbenes" Studienguthaben für die Tätigkeit in Hochschulgremien steht der Erhebung von Langzeitstudiengebühren ab dem Wintersemester 2006/2007 nicht entgegen, sondern ist bei Anwendung der Erlassvorschrift des § 14 Abs. 2 Satz 1 NHG zu beachten (wie VG Hannover, Urteil vom 14. Dezember 2006 - 6 A 6020/06 -).
- 2.
Hinsichtlich der Reichweite des Erlasses verbleibt den Hochschulen ein Entscheidungsspielraum.
Tenor:
Die Beklagte wird verpflichtet, den Antrag des Klägers vom 13. Juli 2006 auf Erlass der Langzeitstudiengebühren für das Sommersemester 2007 und das Wintersemester 2007/2008 wegen unbilliger Härte unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger zu 2/3 und die Beklagte zu 1/3; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen seine Heranziehung zu Langzeitstudiengebühren ab dem Sommersemester 2007 ohne Berücksichtigung seines unter der Rechtslage bis zum 31. Dezember 2005 "erworbenen" Studienguthabens für die Tätigkeit in Hochschulgremien.
Der Kläger studierte zunächst im Wintersemester 1999/2000 an der Universität H. ein Semester im Diplomstudiengang Physik. Seit dem Sommersemester 2000 studiert er Diplom-Physik an der Beklagten und seit Wintersemester 2001/2002 u.a. zusätzlich Sport im Lehramt Gymnasium. Voraussichtlich wird er sein Studium - nach einem Urlaubssemester im Sommersemester 2008 - im Wintersemester 2008/2009 beenden. Im Wintersemester 2002/2003 und in der Zeit vom Wintersemester 2003/2004 bis Wintersemester 2005/2006 war er 6 Semester als gewählter Vertreter im Studierendenparlament tätig. Vom Sommersemester 2005 bis Sommersemester 2006 war er zusätzlich im Fachschaftsrat und Fachschaftsausschuss der Fachschaft Sport tätig. Im Sommersemester 2003 war er beurlaubt.
Nachdem ihn die Beklagte mit Schreiben vom 30. Juni 2006 zur beabsichtigten Heranziehung zu Langzeitstudiengebühren ab dem Wintersemester 2006/2007 angehört hatte, beantragte der Kläger am 13. Juli 2006 unter Hinweis auf seine Tätigkeit in Hochschulgremien, ihm aus Härtegründen die Studiengebühren zu erlassen. Den Erlassantrag hat die Beklagte bislang nicht beschieden.
Der Kläger wendet sich gegen seine Heranziehung zu Langzeitstudiengebühren ab dem Sommersemester 2007 in Höhe von 600 € ab dem folgenden ersten Semester, 700 € ab dem folgenden dritten Semester und 800 € ab dem folgenden fünften Semester durch Bescheid der Beklagten vom 18. Juli 2006 in der Gestalt der Aufhebungs- bzw. Änderungsbescheide vom 11. August 2006 und 11. Dezember 2006.
Sein zwischenzeitlich gestellter Aussetzungsantrag blieb ohne Erfolg (Beschluss des Gerichts vom 9. März 2007 - 5 B 476/07 -, bestätigt durch Nds. OVG, Beschluss vom 18. Oktober 2007 - 2 ME 410/07 -).
Zur Begründung seiner bereits am 24. Juli 2006 erhobenen und nach Erlass der Änderungsbescheide teilweise für erledigt erklärten Klage trägt der Kläger im Wesentlichen vor: Seine Heranziehung zu Langzeitstudiengebühren ab dem Sommersemester 2007 sei rechtswidrig. Mangels einer verfassungsrechtlich gebotenen Übergangsregelung für Altfälle fehle es an einer wirksamen Rechtsgrundlage. Nach § 11 Abs. 3 Nr. 2 des Nds. Hochschulgesetzes - NHG - in der bis zum 31. Dezember 2005 geltenden Fassung habe sich sein Studienguthaben um 2 Semester auf insgesamt 6 Semester erhöht, weil er im Wintersemester 2002/2003 sowie vom Wintersemester 2003/2004 bis Sommersemester 2006 als gewählter Vertreter in verschiedenen Hochschulgremien mitgewirkt habe. Im Sommersemester 2007 habe er sich erst im 15. Fachsemester befunden und hätte deshalb nach den Vorschriften des NHG a.F. keine Studiengebühr zahlen müssen. Entsprechendes gelte für das nachfolgende Wintersemester. Er habe sich für die Gremientätigkeit im Vertrauen auf ein zusätzliches Studienguthaben zur Verfügung gestellt. Diese Rechtsposition habe der Gesetzgeber dadurch nachträglich entwertet, dass die hinsichtlich der Studiengebühren ab Wintersemester 2006/2007 in Kraft getretenen Vorschriften des NHG eine Tätigkeit in Gremien der Hochschule nicht mehr berücksichtigten. Er habe diese Änderung der Rechtslage bei seiner Kandidatur und Annahme der Ämter nicht voraussehen können, so dass er seinerzeit schutzwürdig auf den Fortbestand der geltenden Rechtslage habe vertrauen dürfen. Infolge der Ausgestaltung des alten Rechts habe er sogar gesteigerten Vertrauensschutz genossen. Der Gesetzgeber habe daher mit der übergangslosen Änderung des NHG sein verfassungsrechtlich geschütztes Vertrauen verletzt und auch nicht erkennbar beachtet, dass nach dem Hochschulrahmengesetz des Bundes Hochschulmitglieder wegen ihrer Tätigkeit in der Selbstverwaltung nicht benachteiligt werden dürften. Dies werde auch dadurch bestätigt, dass in Nordrhein-Westfalen in vergleichbaren Fällen eine Regelung zur Überführung von gewährten Bonusguthaben geschaffen worden sei. In dem ursprünglichen Bescheid vom 18. Juli 2006 habe die Beklagte zu Unrecht nicht berücksichtigt, dass er während eines Urlaubssemesters keine Leistungen der Hochschule in Anspruch genommen habe. Der Wille des Gesetzgebers stehe einer verfassungskonformen Auslegung der Erlassvorschrift in § 14 Abs. 2 NHG entgegen, dem Vertrauensschutz bei Anwendung dieser Norm Geltung zu verschaffen. Hilfsweise könne er auf seinen Antrag vom 13. Juli 2006 hin wegen unbilliger Härte einen Erlass der Langzeitstudiengebühren für das Sommersemester 2007 und das Wintersemester 2007/2008 verlangen. Die hier zu beachtende spezielle unbillige Härte erfordere keinen weiteren Vortrag.
Nachdem die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, soweit seine Heranziehung zu Langzeitstudiengebühren durch den Änderungsbescheid vom 11. August 2006 und den Änderungsbescheid vom 11. Dezember 2006 ermäßigt und das Verfahren insoweit durch Beschlüsse des Gerichts vom 26. September 2006 und 14. Februar 2007 eingestellt worden ist, beantragt der Kläger,
den Gebührenbescheid der Beklagten vom 18. Juli 2006 in der Gestalt der Aufhebungs- bzw. Änderungsbescheide vom 11. August 2006 und 11. Dezember 2006 aufzuheben, soweit er darin zu Langzeitstudiengebühren herangezogen wird,
hilfsweise die Beklagte zu verpflichten, ihm auf seinen Antrag die Langzeitstudiengebühren für das Sommersemester 2007 und das Wintersemester 2007/2008 wegen unbilliger Härte zu erlassen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie bezieht sich auf die angefochtenen Bescheide und erwidert ergänzend: Die Neufassung des NHG lasse bei der Erhebung der Studienbeiträge und -gebühren eine Berücksichtigung von Tätigkeiten der Studierenden in Hochschulgremien nicht mehr zu. In Wahrnehmung seines großen Gestaltungsspielraums habe sich der Gesetzgeber für ein neues System entschieden und übergangslos die Privilegierung von in Hochschulgremien tätigen Studierenden abzuschaffen. Die Neuregelung habe lediglich unechte Rückwirkung (tatbestandliche Rückanknüpfung), was in der Regel und auch hier zulässig sei. Immerhin erfolge eine Heranziehung zu Langzeitstudiengebühren erst ab dem Wintersemester 2006/2007 und erst nach Ablauf der Regelstudienzeit zuzüglich 4 Semestern. Die Erwartung des Klägers in den Fortbestand der alten Regelung sei nicht schutzwürdig. Die Gremienarbeit werde in der Regel nicht anstelle, sondern neben dem Studium geleistet. Die Regelung in Nordrhein-Westfalen sei nicht vergleichbar und habe überdies keine Auswirkungen auf das niedersächsische Recht. Das Hilfsbegehren des Klägers sei bereits unzulässig, da er keinen Erlassantrag gestellt habe bzw. das Schreiben des Klägers vom 12. Juli 2006 nicht auf das Sommersemester 2007 und das Wintersemester 2007/2008 zu beziehen sei. Zudem sei dieses Begehren nicht entscheidungsreif, weil der Kläger nicht nachgewiesen habe, inwieweit sich eine Studienverzögerung ergebe. Der Kläger habe auch die Kosten des Verfahrens hinsichtlich des für erledigt erklärten Teils des Rechtsstreits zu tragen. Erst durch die jeweils nachträglich ergangenen Erlasse des MWK vom 26. Juli 2006 bzw. 26. September 2006 sei eine für den Kläger günstige Berücksichtigung seines Urlaubssemesters bzw. der längeren Regelstudienzeit im Fach Diplom-Physik bei seinem Doppelstudium ermöglicht worden. Vor Änderung der Erlasslage habe der Kläger keinen Anspruch auf Berücksichtigung seines Urlaubssemesters bzw. der längeren Regelstudienzeit gehabt.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der vorgelegten Verwaltungsvorgänge Bezug genommen. Sie sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.
Entscheidungsgründe
Das nicht erledigte Klagebegehren hat nur hinsichtlich des Hilfsantrags in dem im Tenor genannten Umfang Erfolg.
Die mit dem Hauptantrag allein noch beanstandete Heranziehung zu Langzeitstudiengebühren ab dem Sommersemester 2007 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der insoweit angefochtene Bescheid der Beklagten vom 11. August 2006 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 11. Dezember 2006 - der den ursprünglichen Gebührenbescheid vom 18. Juli 2006 vollständig ersetzt - ist nicht zu beanstanden. Er findet seine Rechtsgrundlage in § 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 i.V.m. § 11 des Nds. Hochschulgesetzes - NHG - in der Fassung der Neubekanntmachung vom 26. Februar 2007 (Nds. GVBl.S. 69). Nach dieser Vorschrift erheben die Hochschulen in staatlicher Verantwortung für das Land von den Studierenden wegen der erhöhten Inanspruchnahme der staatlich finanzierten Hochschulinfrastruktur für jedes Semester eine Langzeitstudiengebühr in Höhe von 600 € ab dem folgenden ersten Semester und in Höhe von 700 € ab dem folgenden dritten Semester, wenn ein Studienbeitrag nach Ablauf des in § 11 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Abs. 2 Satz 3 NHG festgelegten Zeitraumes nicht mehr zu entrichten ist. Die dort genannten Voraussetzungen liegen im Fall des Klägers offensichtlich vor und werden von diesem auch nicht (mehr) in Frage gestellt. Nach den zwischenzeitlich ergangenen Erlassen des MWK vom 26. Juli 2006 und vom 26. September 2006 hat die Beklagte bei der Berechnung der studienbeitragspflichtigen Zeiten in dem Aufhebungsbescheid vom 11. August 2006 und dem Änderungsbescheid vom 11. Dezember 2006 berücksichtigt, dass der Kläger ein Urlaubssemester absolviert hat bzw. bei seinem Doppelstudium auf die längere Regelstudienzeit des Studiengangs Diplom-Physik (10 Semester) statt des Studienganges Sport (9 Semester) abzustellen ist.
Die Heranziehung des Klägers ist im Ergebnis auch aus verfassungsrechtlichen Gründen (Vertrauensschutz) nicht zu beanstanden. Die Kammer teilt zwar die vom Verwaltungsgericht Hannover (rechtskräftiges Urteil vom 14. Dezember 2006 - 6 A 6020/06 - juris) näher dargelegten verfassungsrechtlichen Bedenken daran, dass der Gesetzgeber bei der Neufassung des NHG zum ersten Januar 2006 keine an das individuelle Studienguthaben infolge Gremientätigkeiten der betroffenen Studierenden nach altem Recht anknüpfende Übergangsregelung geschaffen hat. Diese verfassungsrechtlichen Bedenken führen aber nicht zur Aussetzung des Klageverfahrens und Vorlage an das Bundesverfassungsgericht nach Art. 100 Abs. 1 GG hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit der Übergangsvorschrift des § 72 Abs. 12 NHG in der Fassung des Gesetzes vom 23. Februar 2006 (Nds. GVBl.S. 72). Vielmehr ist ihnen durch Anwendung der Erlassvorschrift des § 14 Abs. 2 Satz 1 NHG in der Fassung des Haushaltbegleitgesetzes 2006 vom 15. Dezember 2005 (Nds. GVBl.S. 426) Rechnung zu tragen (VG Hannover, Urteil vom 14. Dezember 2006, a.a.O.; so wohl auch Nds. OVG, Beschluss vom 18. Oktober 2007 - 2 ME 410/07 - betreffend den Aussetzungsantrag des Klägers).
Nach § 13 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 11 NHG in der Fassung des Art. 6 des Haushaltbegleitgesetzes 2006 vom 15. Dezember 2005 (Nds. GVBl.S. 426) wirkt sich die Tätigkeit eines Studierenden als gewählter Vertreter in einem Organ der Hochschule im Gegensatz zu § 11 Abs. 3 Nr. 2 NHG vom 24. Juni 2002 (Nds. GVBl.S. 286) - NHG a.F. - bei der Erhebung der Langzeitstudiengebühr nicht aus, weil dieser Umstand weder die studienbeitragspflichtige Zeit (früher: Studienguthaben) erhöht noch gesondert beim Ansatz der Langzeitstudiengebühr Berücksichtigung findet. Auch in der Übergangsvorschrift des § 72 Abs. 12 NHG in der Fassung des Gesetzes vom 23. Februar 2006 (Nds. GVBl.S. 72) wird nicht berücksichtigt, dass nach dem NHG a.F. die Mitwirkung als gewählter Vertreter oder Vertreterin in Organen der Hochschule, der Studierendenschaft oder Studentenwerke das Studienguthaben erhöht hat und deshalb die Pflicht zur Zahlung von Langzeitstudiengebühren um bis zu 2 Semester später entstanden ist als bei Studierenden, die nicht in diesen Organen mitgewirkt haben. Nach § 72 Abs. 12 Satz 1 NHG in der Fassung des Gesetzes vom 23. Februar 2006 sind Studienbeiträge nach § 11 NHG und Studiengebühren nach § 13 NHG in der Fassung des Gesetzes vom 15. Dezember 2005 erstmals zum Wintersemester 2006/2007 zu erheben. Die Ausnahmeregelung des § 72 Abs. 12 Satz 2 NHG, wonach Studienbeiträge von Studierenden, die ihr Studium vor dem Wintersemester 2006/2007 aufgenommen haben, erstmals zum Sommersemester 2007 zu erheben sind, ist schon seinem Wortlaut nach nicht anwendbar.
Hiervon ausgehend hat das Verwaltungsgericht Hannover die verfassungsrechtlichen Bedenken wie folgt begründet:
"Verfassungsrechtlich bedenklich ist aber, dass der Gesetzgeber bei der Neufassung des NHG die in § 11 Abs. 3 Nr. 2 NHG a.F. vorgesehene Erhöhung des Studienguthabens bei Gremientätigkeiten um bis zu 2 Semester nicht erkennbar berücksichtigt hat und insoweit insbesondere keine an das individuelle Studienguthaben der betroffenen Studierenden anknüpfende Übergangsregelung geschaffen hat (vgl. auch Göke, Studienbeiträge in Niedersachsen, Nds. VBl. 2006, 37, 41). Die Klägerin hat verfassungsrechtlich geschützt darauf vertrauen dürfen, dass bei einer Neufassung der Vorschriften des NHG über die Erhebung von Studiengebühren zumindest ihre Gremientätigkeit vom 01.04.2005 - 31.03. 2006 berücksichtigt wird. Das BVerfG hat im Beschluss vom 05.02. 2002 ( BVerfGE 105, 17, 36 ) zur tatbestandlichen Rückanknüpfung (unechte Rückwirkung) einer Norm des Steuerrechts ausgeführt:
"Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bedarf es vor dem Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes einer besonderen Rechtfertigung, wenn der Gesetzgeber die Rechtsfolgen eines der Vergangenheit zugehörigen Verhaltens nachträglich belastend ändert. Der Bürger wird in seinem Vertrauen auf die Verlässlichkeit der Rechtsordnung als einer Grundbedingung freiheitlicher Verfassungen enttäuscht, wenn der Gesetzgeber an bereits abgeschlossene Tatbestände im Nachhinein ungünstigere Folgen knüpft als diejenigen, von denen der Bürger bei seinen Dispositionen ausgehen durfte (vgl. BVerfGE 30, 272 (285) [BVerfG 10.03.1971 - 2 BvL 3/68][BVerfG 10.03.1971 - 2 BvL 3/68]; 45, 142 (168)). Der Einzelne wäre in seiner Freiheit erheblich gefährdet, wenn die öffentliche Gewalt an sein Verhalten im Nachhinein belastendere Rechtsfolgen knüpfen dürfte, als sie zum Zeitpunkt seines rechtserheblichen Verhaltens galten (stRspr, vgl. BVerfGE 72, 200 [BVerfG 14.05.1986 - 2 BvL 2/83] (257 f.); 97, 67 (78)).
Belastende Steuergesetze - dazu gehören auch solche, die eine Vergünstigung einschränken oder aufheben (vgl. Tipke/Lang, Steuerrecht, Köln 1998, § 4 Rn. 171; Offerhaus, DB 2001, S. 556, 557) - dürfen ihre Wirksamkeit daher grundsätzlich nicht auf bereits abgeschlossene Tatbestände erstrecken (vgl. BVerfGE 13, 261 (271) [BVerfG 19.12.1961 - 2 BvL 6/59][BVerfG 19.12.1961 - 2 BvL 6/59]) oder schutzwürdiges Vertrauen ohne hinreichende Rechtfertigung anderweitig enttäuschen (vgl. BVerfGE 72, 200 (254) [BVerfG 14.05.1986 - 2 BvL 2/83][BVerfG 14.05.1986 - 2 BvL 2/83]). Es ist in jedem Einzelfall zu ermitteln, inwieweit und mit welchem Gewicht das Vertrauen in die bestehende günstige Rechtslage schützenswert ist und ob die öffentlichen Belange, die eine nachteilige Änderung rechtfertigen, dieses Vertrauen überwiegen."
In vergleichbarer Weise hat sich das BVerfG im Urteil vom 05.02.2004 (2 BvR 2029/01, BVerfGE 109, 133, 180 -182) geäußert.
...
Dass mit § 11 Abs. 3 Nr. 2 NHG a.F. die Bereitschaft der Studierenden zur Mitwirkung in Organen der Hochschule gefördert werden sollte, ist bereits in der Entwurfsbegründung angesprochen worden. Ausweislich des Änderungsantrages der Fraktion der SPD vom 27.09.2001 zum Entwurf des Haushaltsbegleitgesetzes 2002 (LT - Drs. 14/2652), mit dem die Vorschriften über das Studienguthaben in diesen Entwurf eingefügt worden sind (§§ 81a und 81b NHG in der Fassung des Art. 8 Haushaltsbegleitgesetz 2002 vom 18.12. 2001, Nds. GVBl.S. 806), sollte mit der Anhebung des Studienguthabens wegen Gremientätigkeit (§ 11 Abs. 3 Nr. 2 NHG a.F.) dem staatlichen Interesse an einer Mitarbeit der Studierenden in den Organen der Hochschule, der Studentenschaft und der Studentenwerke Rechnung getragen werden. Weshalb dieses staatliche Interesse nunmehr sogar rückwirkend keine Bedeutung mehr haben soll, ist nicht erkennbar. Der Entwurf des Haushaltsbegleitgesetzes 2006 vom 29.08.2005 (LT - Drs. 15/2170) hat keine Regelungen zu Studienbeiträgen und Langzeitstudiengebühren enthalten, die Begründung enthält deshalb auch dazu keine Ausführungen. Erstmals die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Haushalt und Finanzen vom 30.11.2005 (LT - Drs. 15/2431) enthält die später Gesetz gewordenen Vorschriften über die Studienbeiträge und die Langzeitstudiengebühr. Die Beratungen über das Haushaltsbegleitgesetz 2006 und damit auch über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Haushalt und Finanzen lassen nicht erkennen, weshalb Zeiten der Tätigkeit in Hochschulgremien nicht mehr berücksichtigt werden sollen (Pl. Prot. 15/76 S. 8684 ff., insbesondere S. 8686 - 8690, und Pl. Prot. 15/77 S. 8804 - 8822). Dies lässt den Schluss zu, dass dieser Gesichtspunkt nicht berücksichtigt worden ist. Es ist insbesondere nicht erkennbar, dass die auch bei einer unechten Rückwirkung erforderliche Abwägung zwischen dem Gewicht der berührten Vertrauensschutzbelange und der Bedeutung des gesetzgeberischen Anliegens für das Gemeinwohl stattgefunden hat. Gesichtspunkte, die den zeitlichen Aufwand für die Tätigkeit in einem Hochschulgremium als bedeutungslos für die Länge der Studienzeit und damit auch für die Frage der Erhebung von Langzeitstudiengebühren erscheinen lassen, drängen sich nicht auf und sind insbesondere auch von der Beklagten nicht vorgetragen worden. Das BVerfG hat vielmehr im Beschluss vom 12.03.2003 - 1 BvR 894/01 - einen gesteigerten Vertrauensschutz für die in einem Hochschulorgan tätigen Studierenden angenommen, der auf dem bundesrechtlichen Verbot, Hochschulmitglieder wegen ihrer Tätigkeit in der Selbstverwaltung zu benachteiligen, beruht (§ 37 Abs. 3 HRG)."
Die Kammer teilt die Auffassung, dass es sich hier um eine im Einzelfall unzulässige Regelung mit tatbestandlicher Rückanknüpfung (unechte Rückwirkung) handelt (vgl. zum Maßstab auch BVerfG, 1. Kammer des Zweiten Senat , Beschluss vom 31. März 2006 - 1 BvR 1750/01 - juris Rn 39 zum baden-württembergischen Landeshochschulgebührengesetz). Diese lässt sich auch nicht unter Hinweis auf den großen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei der Schaffung bzw. Beseitigung von Privilegierungen von in Hochschulgremien tätigen Studierenden rechtfertigen. Der Hinweis darauf, dass bei der Berechnung der den Langzeitstudiengebühren vorausgehenden studienbeitragspflichtigen Zeiten neben der Regelstudienzeit 4 weitere Semester vorgesehen sind, überzeugt ebenso wenig. Auch bei der Berechnung des Studienguthabens war nach § 11 Abs. 1 Satz 1 NHG a.F. allgemein ein Aufschlag von 4 weiteren Semestern neben der Regelstudienzeit vorgesehen. Eine besondere Berücksichtigung gerade der Belange der unter altem Recht in Hochschulgremien tätigen Studierenden und dem öffentlichen Interesse an Förderung der Mitarbeit der Studierenden in Hochschulgremien findet sich darin nicht. Bedeutsam ist aber vor allem, dass die bei einer unechten Rückwirkung erforderliche Abwägung zwischen dem Gewicht der berührten Vertrauensschutzbelange und der Bedeutung des gesetzgeberischen Anliegens für das Gemeinwohl nicht stattgefunden hat. Daher liegt der Fall auch anders als bei den baden-württembergischen Langzeitzudiengebühren für das Wintersemester 1998/99 (vgl. BVerfG, a.a.O. und BVerwG, Urteil vom 25. Juli 2001 - 6 C 8.00 - BVerwGE 115, 32[BVerwG 25.07.2001 - 6 C 8/00] ).
Die Kammer ist ferner der Auffassung, dass auch hier das Vertrauen des Klägers auf den Fortbestand der in § 11 Abs. 3 Nr. 2 NHG getroffenen Regelung schutzwürdig war. Bei der Annahme der jeweiligen Wahl und Aufnahme seiner Gremientätigkeit im Studierendenparlament (Wintersemester 2002/2003 sowie Wintersemester 2003/2004 bis Wintersemester 2004/2005) und später im Fachschaftsrat und Fachschaftsausschuss (Sommersemester 2005 und Wintersemester 2005/2006) musste er nicht damit rechnen, dass die Gremientätigkeit bei einer zukünftigen Erhebung von Studiengebühren unberücksichtigt bleiben wird. Der Entwurf zum Haushaltsbegleitgesetz 2006 vom 29. August 2005 (LT-DRS. 15/2170) hat keine derartigen Anhaltspunkte enthalten, die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Haushalt und Finanzen, der die neuen Regelungen zu den Studienbeiträgen und der Langzeitstudiengebühr enthält, datiert vom 30. November 2005 (LT-DRS. 15/2431). Frühestens mit dem Bekanntwerden des Änderungsgesetzentwurfes vom 30. November 2005 hätte ein Vertrauen des Klägers auf den Fortbestand der bisherigen Rechtslage entfallen können.
Die Kammer ist schließlich mit dem Verwaltungsgericht Hannover (Urteil vom 14. Dezember 2006, a.a.O. unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs und des Bundesverfassungsgerichts) und wohl auch dem Nds. OVG (Beschluss vom 18. Oktober 2007 - 2 ME 410/07 -) der Auffassung, dass der Rechtsbegriff der "unbilligen Härte" in § 14 Abs. 2 Satz 1 NHG ausreichend Spielraum belässt, um den im Einzelfall zu berücksichtigenden Vertrauensschutz des Klägers zu wahren und verfassungswidrige Ergebnisse zu vermeiden. Der Wille des Gesetzgebers kann die verfassungskonforme Auslegung nicht ausschließen. Für die Rechtmäßigkeit eines auf § 13 Abs. 1 NHG gestützten Gebührenbescheides ist es dagegen ohne Bedeutung, ob Erlassgründe nach § 14 Abs. 2 NHG vorliegen. Denn derartige Gründe sind in einem gesonderten Antragsverfahren geltend zu machen und zu verfolgen. Folglich ist die vom Kläger beanstandet Heranziehung zu Langzeitstudiengebühren in den angefochtenen Bescheiden rechtmäßig.
Der Hilfsantrag des Klägers ist zulässig, aber nur insoweit begründet, als er eine Neubescheidung seines Erlassantrags unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts verlangen kann. Einer weiter gehenden Verpflichtung der Beklagten steht entgegen, dass ihr hinsichtlich der Reichweite einer zu treffenden Erlassentscheidung ein vom Gericht zu beachtender Entscheidungsspielraum zukommt.
Die Klage ist insoweit als Untätigkeitsklage nach § 75 VwGO zulässig, weil die Beklagte ohne zureichenden Grund nicht über den Erlassantrag des Klägers vom 13. Juli 2006 entschieden hat. Entgegen der Auffassung der Beklagten hat der Kläger unter dem genannten Datum einen Erlassantrag gestellt, der sich - nach mehrfacher Änderung des Ursprungsbescheides vom 18. Juli 2006 - nunmehr auch auf die Langzeitstudiengebühren für das Sommersemester 2007 und das Wintersemester 2007/2008 bezieht. Dies folgt aus der Auslegung des Antrags vom 13. Juli 2006 vor dem Hintergrund des auf eine Dauerheranziehung zu Studiengebühren gerichteten Anhörungsschreibens vom 13. Juni 2006, den angefochtenen Dauerverwaltungsakten, dem gerichtlichen Verfahren sowie dem zu beachtenden verfassungsrechtlichen Vertrauensschutz. Die verfassungsrechtlichen Bedenken gegen eine unzureichende Übergangsvorschrift wegen des nach altem Recht "erworbenen" Studienguthabens haben sowohl verfahrensrechtliche als auch inhaltliche Auswirkungen. Sie erfordern im Zweifel eine wohlwollende Auslegung der Frage, ob bereits ein Antrag gestellt wurde und können im Einzelfall sogar gebieten, von der Einhaltung der Antragsfrist in § 14 Abs. 2 Satz 4 NHG (längstens bis 1 Monat nach Vorlesungsbeginn des Semesters) abzusehen. Außerdem bedarf es zur Entscheidung dieses speziellen Unbilligkeitsgrundes keines weitergehenden Vortrags des Klägers mehr. Inhaltlich wirkt sich der zu beachtende verfassungsrechtliche Vertrauensschutz jedenfalls insofern aus, als der Beklagten kein Spielraum mehr bei der Frage verbleibt, ob eine unbillige Härte im Sinne von § 14 Abs. 2 Satz 1 NHG vorliegt. Der Begriff der "unbilligen Härte" in § 14 Abs. 2 NHG ist als unbestimmter Rechtsbegriff sowohl der Tatbestandsseite der Norm als auch als Ermessenkriterium der Rechtsfolgenseite der Norm zuzuordnen. Er umfasst sowohl persönliche als auch sachliche Billigkeitsgründe (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 29. Mai 2007 - 2 ME 419/07 - Nds. Rpfl. 2007, 355). Unter den so verstandenen Begriff lassen sich unschwer die im Einzelfall zu berücksichtigenden Umstände infolge des von Verfassungs wegen zu beachtenden Vertrauensschutzes fassen.
Allerdings verbleibt der Beklagten bei der Ermessensentscheidung, in welchem Umfang (ganz oder teilweise) ein Erlass der Gebühren in Frage kommt, ein Spielraum, den das Verwaltungsgericht zu wahren hat. Keineswegs erscheint allein die Entscheidung ermessensfehlerfrei, dem Kläger im Hinblick auf seine langjährige Tätigkeit in Hochschulgremien unter Geltung des alten § 11 Abs. 3 Nr. 2 NHG das "erworbene" Studienguthaben von zwei Semestern insgesamt bei einer Überleitung in das neue Recht zuzubilligen. Der bedeutsame Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei Abbau von Privilegierungen könnte aus gewichtigen Gründen des Gemeinwohls ebenso eine Bonusanerkennung rechtfertigen, die nur einen Teil der Anwartschaft auf das Studiengutachten (etwa nur 1 Semester Bonus) umfasst. Ferner können auch sonstige Umstände des Einzelfalles (wie Studiendauer, Mehrfachstudium, ggf. weitere Erschwerungsgründe wie Krankheit oder Kindererziehung, Gremienarbeit schon vor der Privilegierung in § 11 Abs. 3 Nr. 2 NHG a.F.) für die Bemessung des Umfangs des Erlasses berücksichtigt werden. Unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten könnte ggf. berücksichtigt werden, dass ab dem Sommersemester 2007 allgemein vor den Langzeitstudiengebühren Studienbeiträge in Höhe von 500 € pro Semester zu zahlen sind, die hier aber durch die Langzeitstudiengebühren ersetzt werden. Allerdings dürfte eine Ermessensentscheidung grds. fehlerhaft sein, die dem Kläger im Ergebnis keinen oder lediglich einen bloß symbolischen Erlass der Langzeitstudiengebühren gewährt.
Die Kostenentscheidung ergeht nach § 155 Abs. 1 Satz 1, 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO. Zu beachten war einerseits, dass der Kläger nur mit Teilen seines Hilfsantrags, dem weniger Bedeutung zukommt als dem Hauptantrag, obsiegt hat (Bescheidung statt beantragter Verpflichtung in konkreter Höhe). Hinsichtlich des erledigten Teils des Rechtsstreits war im Rahmen des billigen Ermessens zu berücksichtigen, dass die zwischenzeitlichen Änderungen durch Bescheide vom 11. August und 11. Dezember 2006 zwar zugunsten des Klägers erfolgt sind, er aber vor Änderung der Erlasslage durch Erlasse des MWK vom 26. Juli 2006 bzw. 26. September 2006 keinen Anspruch auf Berücksichtigung seines Urlaubssemesters bzw. der längeren Regelstudienzeit im Fach Diplom-Physik gehabt hat.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht nach § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.