Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 20.02.2013, Az.: 4 U 122/12

Vorliegen eines Rechtsschutzbedürfnisses für eine Vollstreckungsgegenklage bei Teilverzicht des Gläubigers

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
20.02.2013
Aktenzeichen
4 U 122/12
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2013, 53881
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2013:0220.4U122.12.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Verden - 11.09.2012

Fundstelle

  • EWiR 2013, 599

Amtlicher Leitsatz

Einer Vollstreckungsgegenklage kann das Rechtsschutzbedürfnis fehlen, wenn der Gläubiger vor Erhebung der Klage den (Teil-)Verzicht auf Vollstreckung titulierter Zinsen wegen eingetretener Verjährung erklärt und kein Anhaltspunkt dafür ersichtlich ist, dass sich der Gläubiger hieran nicht halten wird. Die Herausgabe des Titels ist ausnahmsweise nicht erforderlich, weil der Gläubiger durch den erklärten Teilverzicht ansonsten gezwungen wäre, bei sich jährlich ändernden Zinsen jedes Jahr einen neuen Titel auf eigene Kosten zu beschaffen.

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 11. September 2012 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 4. Zivilkammer des Landgerichts Verden teilweise geändert und die Klage in vollem Umfang abgewiesen.

Die Kläger haben die Kosten des Rechtsstreits aus beiden Rechtszügen zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Kläger dürften die Zwangsvollstreckung der Beklagten wegen der Kosten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die Kläger begehren im Wege der Zwangsvollstreckungsgegenklage die Feststellung, dass die Zwangsvollstreckung der Beklagten aus einer Grundschuldurkunde im Nennbetrag von 179.000 € zzgl. Zinsen in Höhe von 15 % seit dem 11. September 2002 hinsichtlich der vor dem 1. Januar 2010 fällig gewordenen Zinsen für unzulässig erklärt werde. Wegen der Einzelheiten des erstinstanzlichen Vortrages der Parteien sowie der erstinstanzlich gestellten Anträge wird auf die tatsächlichen Feststellungen im Urteil des Landgerichts vom 11. September 2012 Bezug genommen.

Das Landgericht hat der Klage unter Abweisung im Übrigen stattgegeben, soweit es die Zwangsvollstreckung der vor dem 1. Januar 2008 fälligen Zinsen anbetrifft. Insoweit bestehe insbesondere ein Rechtsschutzbedürfnis für die Klage. Hierbei könne offen bleiben, ob dieses Rechtsschutzbedürfnis bereits deshalb zu bejahen sei, weil eine teilweise Antragsrücknahme im Hinblick auf verjährte Zinsen das Rechtsschutzbedürfnis grundsätzlich nicht entfallen lasse, weil die Beklagte jederzeit die Möglichkeit habe, einen neuerlichen Antrag zu stellen. Einer Entscheidung über diese Frage bedürfe es vorliegend nicht, weil aus Sicht der Kläger das Verhalten der Beklagten Anlass zu Zweifeln gebe, ob diese an ihren ursprünglich abgegebenen Erklärungen in Zukunft festhalten werde. Während die Beklagte nämlich zunächst mit Schriftsatz vom 13. März 2012 in dem auf Antrag der Kläger geführten Prozesskostenhilfeverfahren auf bereits verjährte dingliche Zinsen verzichtet und mit weiterem Schriftsatz vom 19. März 2012 mitgeteilt habe, insoweit auch den Zwangsversteigerungsantrag zurückgenommen zu haben, beanspruche sie nunmehr gleichwohl dingliche Zinsen ab dem 1. Januar 2008. Das Rechtsschutzbedürfnis der Kläger folge bereits aus der sich hieraus für die Kläger ergebenden Ungewissheit.

Gegen dieses Urteil richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte sowie begründete Berufung der Beklagten. Die Beklagte wiederholt und vertieft ihr Vorbringen zu dem ihrer Auffassung nach fehlenden Rechtsschutzbedürfnis für die Vollstreckungsgegenklage. Das Vorgehen der Kläger stelle sich außerdem auch materiell-rechtlich als treuwidrig dar. Denn zum einen werde wegen einer gleichzeitig von der D.-Bank wegen einer weiteren Forderung in Höhe von ca. 173.000 € betriebenen Zwangsvollstreckung die Verwertung des Grundstücks im Wege der Zwangsversteigerung ohnehin nicht ausreichen, um die Beklagte und die D.-Bank als Gläubiger zu befriedigen. Die zu erwartende Restschuld könne auch nicht im Wege der Zwangsvollstreckung in das sonstige Vermögen der Kläger mit Erfolgsaussicht beigetrieben werden, weil die Kläger - dies ist unstreitig geblieben - bereits am 1. Februar 2012 jeweils die eidesstattliche Versicherung abgegeben hätten. Die Beklagte trägt insoweit weitere Einzelheiten zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen der Kläger, teilweise unter Beifügung von Belegen wie Schufa-Auskünften vor, die die Kläger nicht bestreiten. Sie legt außerdem ein von ihr unter dem 20. September 2012 an die Prozessbevollmächtigten der Kläger gerichtetes Schreiben vor, in dem sie den Klägern anbietet, auf deren Kosten den Titel beschränken zu lassen.

Die Beklagte beantragt,

unter teilweiser Änderung des am 11. September 2012 verkündeten Urteils des Landgerichts Verden die Klage insgesamt abzuweisen.

Die Kläger beantragen,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Sie verteidigen das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres Vortrags aus dem ersten Rechtszug. Sie verweisen insbesondere darauf, dass die Beklagte zunächst die Zwangsversteigerung auch wegen verjährter Zinsen betrieben habe. Das Angebot vom 20. September 2012 sei nicht aufgegriffen worden, weil die Kläger keine Kostenpflichten insoweit träfen. Auch sei trotz Abgabe der eidesstattlichen Versicherung künftige Befriedigung der Gläubiger der Kläger nicht von vornherein ausgeschlossen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet.

Die Zwangsvollstreckungsgegenklage ist in vollem Umfang abzuweisen. Ihr fehlt, soweit das Landgericht ihr entsprochen hat, entgegen der Rechtsansicht der Kammer das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis. Insoweit war die Klage auf die Berufung der Beklagten als unzulässig abzuweisen. Selbst wenn von einem Rechtsschutzinteresse der Kläger auszugehen sein könnte, wäre die Klage unbegründet, weil sich die Rechtsverfolgung der Kläger als rechtsmissbräuchlich darstellt.

1. Das Rechtsschutzbedürfnis der Kläger fehlt, weil die Beklagte im Schriftsatz vom 13. März 2012 in dem der Erhebung der Zwangsvollstreckung vorgeschalteten Prozesskostenhilfeprüfungsverfahren für die Kläger vorgetragen hatte, dass sie auf die bereits verjährten dinglichen Zinsen verzichte. Entgegen der Auffassung des Landgerichts gab es für die Kläger keinen hinreichenden sachlichen Grund, diesem Verzicht zu misstrauen. Insbesondere lag in dem vorangegangenen Vorgehen der Beklagten im Zwangsversteigerungsverfahren kein Verhalten, das objektiv für die Kläger und aus deren Sicht berechtigten Anlass zu Zweifeln hätte geben können, dass die Beklagte sich an den im Schriftsatz vom 13. März 2012 erklärten Verzicht künftig halten werde.

Denn die Beklagte hat zwar im Zwangsversteigerungsverfahren zunächst auch verjährte Zinsen geltend gemacht. Es kann offen bleiben, ob dies entsprechend der Erklärung der Beklagten zunächst auf einem Versehen beruhte oder nicht. Selbst wenn kein Versehen der Beklagten insoweit vorlag, war nämlich die Geltendmachung materiell-rechtlich verjährter Zinsen nicht rechtswidrig, weil die Verjährung dem Anspruch nur die Durchsetzbarkeit nimmt und gemäß § 214 Abs. 1 BGB nur nach erhobener Einrede des Schuldners berücksichtigt wird. Dass die Kläger bereits zu dem Zeitpunkt, zu dem die Beklagte noch das Zwangsversteigerungsverfahren auch wegen der vor dem 1. Januar 2008 fälligen Zinsen betrieb, bereits die Einrede der Verjährung erhoben hatten, ist nicht vorgetragen oder sonst ersichtlich. Als dagegen die Kläger am 1. März 2012 ein Prozesskostenhilfeprüfungsverfahren für die zu erhebende Vollstreckungsgegenklage unter Vorlage des Entwurfs der Vollstreckungsgegenklage mit der in diesem Entwurf auf S. 3 ausdrücklich erhobenen Verjährungseinrede eingeleitet hatten, hat die Beklagte im Rahmen ihrer Anhörung in diesem Prozesskostenhilfeverfahren mit Schriftsatz vom 12. März 2012 sofort den Verzicht erklärt und ihren Antrag im Zwangsversteigerungsverfahren zurückgenommen. Nach Prozesskostenhilfebewilligung zugunsten der Kläger hat ihnen die nunmehr anwaltlich vertretene Beklagte bereits in der Klageerwiderung vom 14. Juni 2002 auf S. 2 (Bl. 100 d. A.) ausdrücklich nochmals verbindlich erklärt, dass diese eine Zwangsvollstreckung wegen rückständiger Zinsen nicht betreibe, soweit Verjährung eingetreten ist. Die Beklagte hat damit auch in Anbetracht ihres vorangegangenen Verhaltens einen ausdrücklichen Verzicht erklärt. Das Rechtsschutzinteresse der Kläger kann nicht schon wegen gegenüber der Eindeutigkeit und/oder Glaubhaftigkeit dieses Verzichtes bestehender Zweifel bejaht werden.

2. Hierbei wird nicht verkannt, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH NJW 1974, 147 [BGH 23.11.1973 - V ZR 23/72]; NJW 1984, 2826, 2827 [BGH 08.02.1984 - IVb ZR 52/82]) bei einem Verzicht des Gläubigers auf die Zwangsvollstreckung das Rechtsschutzinteresse für eine Klage aus § 767 ZPO grundsätzlich nicht beseitigt ist, solange der Gläubiger noch den Titel in Händen hält. Hier ergibt sich nur die Besonderheit, dass die Beklagte nicht auf die Vollstreckbarkeit des Titels in seiner Gesamtheit, sondern nur in Teilen davon verzichtet hat, wobei diese Teile auch noch sich jährlich ändernde Nebenansprüche, nämlich Zinsen betreffen. Würde man den von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entwickelten Grundsatz, dass das Rechtsschutzinteresse für die Vollstreckungsgegenklage auch bei einem Teilverzicht nur dann und erst dann entfällt, wenn auch der Titel herausgegeben wird, auch auf diese Fälle übertragen, wäre der Gläubiger praktisch gezwungen, bei sich jährlich ändernden Zinsen jedes Jahr auf seine Kosten einen neuen Titel zu beschaffen. Dieses Ergebnis wäre nicht sachgerecht. Der Bundesgerichtshof hat in der Entscheidung NJW 1984, 2826, 2827 f [BGH 08.02.1984 - IVb ZR 52/82]ür eine Fallgestaltung, bei der von einer titulierten Unterhaltsrente einerseits ein Teil durch Erfüllung "verbraucht" war, andererseits der Gläubiger den Titel noch für die Vollstreckung zukünftig fällig werdender Ansprüche benötigte, anerkannt, dass der Gläubiger den Titel nur wegen des nicht mehr benötigten Teils nicht herausgeben oder umschreiben lassen müsse, weil der bloße Umstand, dass aus dem Titel ein Teil verbraucht sei, nicht schon allein die Besorgnis rechtfertige, dass der Gläubiger den Titel auch wegen des erledigten Teils zur unrechtmäßigen Vollstreckung insoweit missbrauche.

Nach Auffassung des Senats sind diese auch schon vom Bundesgerichtshof für den Bereich der Unterhaltsleistungen entwickelten einschränkenden Grundsätze zu den Anforderungen des Rechtsschutzbedürfnisses auch auf den vorliegenden Fall eines Teilverzichts zu übertragen. Denn die Beklagte hat, wie vorstehend dargelegt wurde, den Klägern gegenüber auch bisher keinen Anlass zu Misstrauen gegeben, sich insbesondere im bisherigen Vollstreckungsverfahren entgegen der Ansicht des Landgerichts im angefochtenen Urteil nicht selbst widersprüchlich verhalten. Es kommt hinzu, dass die Beklagte mit Schreiben vom 20. September 2012 an die Prozessbevollmächtigten der Kläger noch ausdrücklich angeboten hat, den Titel bei Kostenübernahme durch die Kläger beschränken zu lassen. Hierbei mag zwar zutreffen, dass die Kosten der Umschreibung des Titels grundsätzlich von der Beklagten als Gläubigerin zu tragen sind. Ihre im Schreiben vom 20. September 2012 erklärte Bereitschaft ist aber ein zusätzliches Anzeichen dafür, dass auch aus Sicht der Kläger mit einer rechtsmissbräuchlichen Verwendung des bei der Beklagten unverändert verbleibenden Titels nicht zu rechnen ist.

3. Letztlich kann aber auch dann, wenn ein Rechtschutzbedürfnis für die Kläger zu bejahen sein sollte, ihre Vollstreckungsgegenklage auch in dem vom Landgericht zugesprochenen Umfang deshalb keinen Erfolg haben, weil sich die Rechtsverfolgung der Kläger insoweit als rechtsmissbräuchlich, nämlich treuwidrig darstellt.

Denn der in zweiter Instanz für die Beklagten gehaltene Sachvortrag, wonach die Zwangsversteigerung des Grundstücks insgesamt für die Beklagte und die zweite Gläubigerin (D.-Bank) ohnehin aller Voraussicht nach nicht zu Verwertungserlösen führen werde, die auch nur annähernd zu einer Befriedigung beider Gläubiger ausreichen könnten, ist unstreitig geblieben. Unstreitig geblieben ist auch, dass eine Zwangsvollstreckung in das sonstige Vermögen der Kläger derzeit keinen Erfolg haben wird, weil die Kläger schon vor Beantragung von Prozesskostenhilfe in der vorliegenden Sache mit Antrag vom 1. März 2012 am 1. Februar 2012 die eidesstattliche Versicherung abgegeben, dies allerdings selbst nicht vorgetragen hatten. Aus diesem unstreitig gebliebenen Sachvortrag der Beklagten zweiter Instanz ergibt sich, dass die Kläger mit der Zwangsvollstreckungsgegenklage im vom Landgericht zugesprochenen Umfang ein Rechtschutzziel verfolgen, das ihnen unter keinem tatsächlichen oder rechtlichen Gesichtspunkt noch irgendeinen Nutzen bringen kann, weil die Zwangsvollstreckung, deren Unzulässigkeit festgestellt werden soll, ohnehin nicht nur von der Beklagten nicht mehr betrieben wird, sondern auch dann, wenn sie noch betrieben würde, zu keinem Vollstreckungserfolg führen könnte. Soweit die Kläger auf S. 3 unten der Berufungserwiderung vom 10. Dezember 2012 dem entgegen halten, es sei "nicht auszuschließen, dass sämtliche Gläubiger der Kläger befriedigt" würden, ist dies eine vor dem Hintergrund der abgegebenen eidesstattlichen Versicherung zumindest derzeit eine allenfalls theoretische Möglichkeit ohne Tatsachengrundlage. Dieser Vortrag ändert jedenfalls nichts daran, dass nach dem unstreitig gebliebenen Tatsachenvortrag der Beklagten (zwei Vollstreckungsgläubiger; eidesstattliche Versicherung beider Kläger schon vom 1. Februar 2012) alles dafür spricht, dass weder die Beklagte noch die D.-Bank aus ihren Titeln wegen ihrer rückständigen Zinsforderungen jedenfalls gegenwärtig und in absehbarer Zukunft Befriedigung erlangen können. Die Durchführung einer Zwangsvollstreckungsgegenklage, obwohl die Zwangsvollstreckung wenn auch vielleicht nicht sicher, so aber doch aller Wahrscheinlichkeit nach zu keinem Erfolg führen wird, erscheint aus diesem Grunde auch mutwillig. Deshalb wäre die Klage, wenn ihr für den hier streitgegenständlichen Teil nicht das Rechtsschutzbedürfnis fehlen würde, jedenfalls als unbegründet abzuweisen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Rechtssache gemäß § 543 Abs. 2 ZPO weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern. Die Frage, ob das Rechtsschutzbedürfnis der Kläger bei Teilverzicht eines im Übrigen noch vollstreckungsfähigen Titels auch ohne Herausgabe des Vollstreckungstitels bzw. Umschreibung weiter besteht, ist zum einen vom Bundesgerichtshof für Titel aus Unterhaltsrenten schon entschieden und im Übrigen nicht entscheidungserheblich, weil die Rechtsverfolgung der Kläger jedenfalls aus Gründen des Rechtsmissbrauchs in der Sache ohne Erfolg bleibt.