Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 27.07.2022, Az.: 13 A 4350/21

eindringen in Wohnung; Ermessen; Missbilligung; Polizeibeamter; Missbilligung des Verhaltens eines Polizeibeamten

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
27.07.2022
Aktenzeichen
13 A 4350/21
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2022, 63872
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGHANNO:2022:0727.13A4350.21.00

Tenor:

Der Bescheid vom 18. Februar 2021 und der Widerspruchsbescheid vom 31.Mai 2021 werden aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Vollstreckungsschuldnerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand

Der Kläger, im Statusamt eines Kriminaloberkommissars bei der Beklagten tätig, wendet sich gegen eine von seinem Dienstherrn ausgesprochene Missbilligung.

Diese hat folgenden Hintergrund: Im Rahmen einer Vollstreckungsmaßnahme suchte im Oktober 2019 ein Kollege des Klägers - der D. - die Wohnung eines gewissen E. auf, um dort eine Beschlagnahme durchzuführen. Dort vergaß der Beamte sein Funkgerät. Erst bei Rückkehr in die Wache fiel ihm der Verlust des Funkgerätes auf.

Der Kläger wurde - neben anderen Beamten - bei der Suche nach dem Funkgerät eingesetzt und zur Wohnung des E. geschickt. Nach - bestrittener - Darstellung der Beklagten wurde er zu Beginn des Einsatzes durch PHK F. darauf hingewiesen, dass die Wohnung des E. nicht ohne Rücksprache mit der Staatsanwaltschaft betreten werden dürfe.

Eine andere Streifenwagenbesatzung traf den E. in einer Sisha-Bar an. Der E. erklärte sich bereit, mit diesen Beamten zurück in seine Wohnung zu gehen und das Funkgerät zu holen. Darauf teilte der Kläger mit, dies sei nicht mehr nötig, man habe das Funkgerät bereits an sich genommen. Die Funkstreifenbesatzung hat gleichwohl mit dem E. dessen Wohnung aufgesucht und festgestellt, dass die Wohnungstür offenstand und das Schließblech verbogen war.

Der Kläger gab seinerzeit zunächst an, man habe an der Wohnungstür geklopft, dabei sei diese aufgegangen, sie hätten in die Wohnung hineingerufen und sodann habe er gemeinsam mit seinem Kollegen (G.) die Wohnung betreten und das Funkgerät an sich genommen (Beiakte 03, Bl. 22). Später trug er vor, nachdem auf Klingeln nicht geöffnet worden sei, habe er sich und ein weiterer Beamter über den rückwärtigen Eingang des Wohnhauses in den Hausflur des Gebäudes begeben und dann eine nicht verschlossene Wohnung betreten, wobei ihnen zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt gewesen sei, dass es sich um die Wohnung des E. gehandelt habe. In der Wohnung sei das Funkgerät gefunden und an sich genommen worden.

Der Wohnungsbesitzer E. sagte aus, er habe nach dem D. gegangen sei, etwa eine halbe Stunde später (ca. 10:30 Uhr) die Wohnung verlassen. Gegen 12:00 Uhr / 12:30 Uhr sei er von einem Freund angerufen worden. Der habe mitgeteilt, seine Wohnungstür stehe offen. Er sei zu seiner Wohnung gegangen, habe die Tür abgeschlossen und sei dann wieder zum Laden seines Vaters gegangen. Er habe noch andere Mieter im Haus gefragt, aber keiner habe etwas gesehen und gehört. So gegen 15:00 Uhr seien dann zwei Polizeibeamte gekommen und hätten nach dem Funkgerät gefragt; er sei dann mit diesen beiden Beamten letztendlich zu seiner Wohnung gegangen. Zwischenzeitlich hätten die Beamten dann erfahren, dass das Funkgerät wieder im Besitz der Polizei sei. Seine Wohnungstür habe sperrangelweit aufgestanden. Er habe sich die Tür angeschaut, die sei schon einmal aufgebrochen worden, damals habe er ein Metallband angeschraubt, um die Tür wieder verschließen zu können. Dieses Band sei hochgebogen und die Schrauben hätten gefehlt. Der Türriegel sei noch verschlossen gewesen, also sei die Tür, so meine er, als sie von Dritten geöffnet worden sei, noch abgeschlossen gewesen

Ein gegen den Kläger eingeleitetes Strafverfahren wegen des Verdachts des Hausfriedensbruches und der Sachbeschädigung wurde von der Staatsanwaltschaft B-Stadt gem. § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.

Der Zeuge H. sagte bei seiner Vernehmung auf der PI Nienburg/Schaumburg aus, er habe alle vier Kollegen gegenüber deutlich zum Ausdruck gebracht, dass keiner die Wohnung des E. betreten dürfe (Beiakte 03, Bl. 92, 83).

Der Zeuge I. konnte nur bestätigen, dass ihm der Zeuge Mirco Trümmelmeyer gesagt hat, dass niemand in die Wohnung des E. gehen dürfe. Ob das auch der Kläger gehört habe, könne er nicht sagen (Beiakte 03, Bl. 91). Die Tür des Geschädigten beschrieb er als "recht klapprig", aber die Tür habe sich verschließen lassen (a.a.O., Bl. 93).

Der Zeuge J. sagte aus, dass er erst später mitbekommen habe, dass es eine Anweisung gegeben haben soll, die Wohnung nicht zu betreten (Beiakte 03, Bl. 100).

Der Zeuge K. sagte aus, er habe bei seinem zweiten Aufsuchen der Wohnung des Geschädigten an dessen Wohnungstür geklopft, diese sei dann aufgesprungen. Er habe die Tür wieder zugezogen, die Tür sei mit dem Schloss eingerastet (Beiakte 03, Bl. 123). Als er am Morgen des Tages zum ersten Mal (zwecks Beschlagnahme des Führerscheins) an der Wohnungstür gewesen sei, sei das Schließblech schon abgebogen und Schrauben nicht vorhanden gewesen (a.a.O, Bl. 127).

Der Zeuge (und im Strafverfahren Mitbeschuldigter) G. schrieb in einer Darstellung vom 22. Oktober 2020, ihm sei nicht bekannt gewesen, wessen Wohnung genau die des Geschädigten E. gewesen sei (Beiakte 03, Bl. 159). Er habe sich nach Betreten des Hausflures in eine offene Wohnung ohne Türen und Fenster begeben, die in einer Renovierungsphase gewesen sei. Zurück im Hausflur habe er den Kläger gesehen, der bereits in der Wohnung des Geschädigten gewesen sei. Der Kläger habe ihm gesagt, die Wohnungstür sei nur angelehnt gewesen. Erst als er das vermisste Funkgerät gesehen habe, sei ihm klargeworden, dass sie die Wohnung des E. betreten hatten (a.a.O. Bl. 160). Eine konkrete Anordnung durch PHK F., die Wohnung des E. nicht zu betreten, habe es nicht gegeben, jedenfalls sei sie ihm nicht bekannt (a.a.O., Bl. 161).

Nach vorheriger Anhörung - der Kläger äußerte sich dabei dahingehend, dass er eine nichtverschlossene Wohnung betreten habe (Beiakte 03, Bl. 170) - sprach die Beklagte mit Bescheid vom 18. Februar 2021 dem Kläger gegenüber eine "qualifizierte Missbilligung" aus. Der Kläger habe seien Dienstpflichten nach § 35 Satz 2 BeamtStG verletzt. Er habe die Weisung, die Wohnung des E. nicht ohne dessen Einverständnis bzw. nicht ohne weitere Rücksprache mit der Staatsanwaltschaft zu betreten, nicht beachtet. Gefahr im Verzuge habe nicht vorgelegen.

Der Kläger legte gegen diesen Bescheid Widerspruch ein. Die Wohnungstür sei offen gewesen, Beschädigungen nicht durch ihn verursacht. Er habe die Wohnung betreten, gerufen und gefragt, ob eine Auskunftsperson da sei. Erst als das Funkgerät entdeckt worden sei, habe sich herausgestellt, dass es sich um die Wohnung des E. gehandelt habe (BA 03, Bl. 185). Ihm sei aber auch nicht vom Zeugen F. gesagt worden, dass er die Wohnung des E. nicht betreten dürfe (a.a.O., Bl. 191).

Mit Widerspruchsbescheid vom 31.Mai 2021, zugestellt am 4. Juni 2021, wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück.

Der Kläger hat am 28. Juni 2021 Klage erhoben.

Er trägt vor, er habe an einer nicht verschlossenen Wohnungstür im Erdgeschoss geklopft, dann die Wohnung betreten und durch Rufen bekanntgegeben, dass er Polizeibeamter sei und nach Auskunftspersonen gefragt. Er und sein Kollege hätten irrig Gefahr in Verzug angenommen. Weder ihm noch seinen Kollegen sei zu diesem Zeitpunkt bekannt gewesen, dass es sich dabei um die Wohnung des E. gehandelt habe. Sein Kollege habe dann das Funkgerät in der Wohnung entdeckt.

Die Angabe, PHK F. habe deutlich zum Ausdruck gebracht, dass niemand die Wohnung des E. betreten sollte, sei unzutreffend. Zwar habe der PHK noch etwas gerufen, doch das habe weder er, der Kläger, noch sein Kollege verstanden und auch nicht auf sich bezogen. Im Übrigen hätten sie auch nicht gewusst, dass die Wohnung, die sie betreten haben, die Wohnung des E. gewesen sei. An den einzelnen Wohnungen seien keine Klingeln angebracht gewesen, eine Zuordnung der Klingelschilder am Hauseingang zu den Wohnungen sie nicht möglich gewesen. Erst nach Betreten der Wohnung sei das Funkgerät entdeckt worden.

Die offene Wohnungstür und das verbogene Türblech hätten für einen Anfangsverdacht einer möglichen Straftat (Einbruchsdiebstahl) gesprochen, so dass zur Abwendung von Gefahren für Leib und Leben des Wohnungsinhabers oder einer Sache von bedeutendem Wert das Betreten der Wohnung zulässig gewesen sei.

Im Übrigen stelle - hilfsweise - ein Funkgerät im Besitz eines Nichtberechtigten ebenfalls eine gegenwärtige Gefahr dar.

Auch habe die Beklagte ihr Ermessen nicht ausgeübt; dies lasse sich dem Bescheid jedenfalls nicht entnehmen.

Der Kläger beantragt,

die qualifizierte Missbilligung vom 18. Februar 2021 in Form des Widerspruchsbescheides vom 31. Mai 2021 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, diese aus der Personalakte zu entfernen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Kläger habe die Weisung, die Wohnung des E. nicht zu betreten, nicht befolgt. Dass der Kläger diese Weisung nicht gehört haben will, sei eine Schutzbehauptung. Da eine Disziplinarmaßnahme als unverhältnismäßig angesehen worden sei, sei auch eine Abwägung und damit sei eine Ermessensentscheidung getroffen worden.

Alle Beteiligten haben sich mit einem Urteil ohne mündliche Verhandlung und mit einer Entscheidung des Berichterstatters anstelle der Kammer einverstanden erklärt.

Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Im Einverständnis der Beteiligten ergeht die Entscheidung gemäß § 87a Abs. 2 und 3 VwGO durch den Berichterstatter und nach § 101 Abs. 2 VwGO weiterhin ohne mündliche Verhandlung.

Die zulässige Klage ist begründet. Der angefochtene Bescheid ist nicht rechtmäßig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.

Die Beklagte hat zu Unrecht eine Missbilligung gegenüber dem Kläger ausgesprochen. Die dem Ausspruch zu Grunde liegende Ermessensentscheidung der Beklagten ist vom Gericht zwar nur eingeschränkt überprüfbar. Das Gericht ist jedoch zu dem Ergebnis gekommen, dass ein Ermessensfehler vorliegt. Die Beklagte hat den Sachverhalt nicht richtig gewürdigt. Es ist nicht gesichert, ob sich die Ereignisse tatsächlich so zugetragen haben, wie die Beklagte in den angefochtenen Bescheiden meint.

Der Vortrag des Klägers ist nicht zu wiederlegen. Zwar kann nicht ausgeshclossen werden, dass es sich insoweit - wie die Beklagte meint - um reine Schutzbehauptungen handelt. Da die Beklagte jedoch die volle Beweislast trägt, ein derartiger Beweis für das vorgeworfene Fehlverhalten des Klägers jedoch nicht erbracht wurde, ist vom Gericht nach dem Grundsatz "in dubio pro reo" zu Gunsten des Klägers zu entscheiden.

Im Einzelnen:

Die hier streitgegenständliche schriftliche Missbilligung ist eine beamtenrechtliche Maßnahme, die auf dem allgemeinen Beamtenrecht, insbesondere auf der Geschäftsleitungs-, Weisungs- und Aufsichtsbefugnis des Dienstherrn beruht. Diese beinhaltet die Befugnis des Dienstvorgesetzten, sich aus gegebenem Anlass in Form einer Ermahnung bzw. Missbilligung über das dienstliche Verhalten eines ihm nachgeordneten Beamten kritisch zu äußern und diesen auf die bestehenden Dienstpflichten hinzuweisen, auch wenn dem Beamten der Vorwurf eines Dienstvergehens nicht gemacht werden soll. Eine solche Ermahnung kann auch schriftlich erfolgen. Dies führt dazu, dass sie als solche zu den Personalaktendaten i. S. d. § 88 NBG gehört. Die schriftliche Ermahnung steht von ihrem Gewicht her zwischen den im alltäglichen Dienstbetrieb häufig vorkommenden mündlichen Ermahnungen und sonstigen kritischen Äußerungen eines Vorgesetzten und Maßnahmen des Dienstvorgesetzten mit disziplinarem Einschlag, wozu etwa auch ein Verweis i. S. v. §§ 6 Abs. 1 Nr. 1, 7 NDiszG als mildeste Form einer Disziplinarmaßnahme gehört. Einer schriftlichen Ermahnung kommt neben ihrer Hinweisfunktion nicht zuletzt aus Fürsorgegesichtspunkten die Bedeutung zu, den Beamten nachdrücklich zu einer Besserung seines beanstandeten Verhaltens zu bewegen, um ihn gegebenenfalls vor drohenden einschneidenden Maßnahmen, wie etwa disziplinarrechtlichen Schritten, zu bewahren (vgl. schon Urteil des erkennenden Gerichts vom 03.09.2007 - 13 A 2962/06 - hinsichtlich des Rechts der Bundesbeamten - und Urteil vom 22. Januar 2008 - 13 A 2986/07).

Ob eine Missbilligung ausgesprochen wird oder nicht, liegt im pflichtgemäßen Ermessen des Dienstherrn. Mit der Erläuterung, weshalb kein Verweis, sondern nur eine Missbilligung ausgesprochen wird, hat die Beklagte noch gerade ausreichend Ermessenserwägung dargelegt.

Eine Missbilligung scheitert jedoch daran, dass dem Kläger keine Pflichtverletzung zur Überzeugung des Gerichts nachgewiesen werden kann.

Dabei kann offenbleiben, ob der Kläger tatsächlich die Weisungen des Zeugen PHK F. gehört hat oder ob es sich bei den Äußerungen des Klägers um eine reine Schutzbehauptung handelt. Aufgrund der Zeugenaussagen der Zeugen PHK F. im Verfahren vor der Polizeiinspektion ist das Gericht zwar davon überzeugt, dass tatsächlich so eine Weisung erfolgt ist. Auch obliegt dem Kläger gemäß § 35 Beamtenstatusgesetz die Pflicht, Weisung seiner Vorgesetzten zu befolgen. Nach Angaben des Klägers hat er diese Weisung aber nicht gehört habe, sie sei offenbar im allgemeinen Trubel untergegangen. Auf die Frage, ob dies so zutrifft, kommt es letztendlich aber nicht an.

Nach Angaben des Klägers stand eine Wohnungstür offen und wies Einbruchsspuren auf. Dem Kläger will zudem nicht bewusst gewesen sein, dass es sich hierbei um die Wohnung des E. gehandelt hat.

Diese Angaben sind dem Kläger nicht zu wiederlegen. Das Gericht hat dabei die von der Beklagten eingeholten Zeugenaussagen gewürdigt. Sie widersprechen nicht denknotwendigerweise den Angaben des Klägers und ergeben jedenfalls nicht, dass der Kläger die Unwahrheit gesagt hat.

Unabhängig davon, ob ihm die Weisung des PHK F. bekannt war und ob er wusste, dass es sich um die Wohnung des E. handelt, konnte der Kläger nach seinem nicht wiederlegbaren Vortrag jedenfalls von Gefahr im Verzug ausgehen. Die Wohnungstür stand danach offen und der Schließmechanismus der Tür wies Beschädigungen auf. Bei dieser Sachlage bestand durchaus die Möglichkeit, dass ein Einbruch geschehen war und möglicherweise ein Geschädigter - ggf. verletzt - oder der Einbrecher selbst sich noch in der Wohnung befand. Zumindest ein Einbrecher hätte auf Zuruf des Klägers sicherlich nicht antwortet. Nach den nichtwiderlegbaren Angaben des Klägers war nach alledem sein Verhalten (Betreten der Wohnung) gerechtfertigt und zur Abwehr einer möglichen Gefahr durchaus auch erforderlich.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 und § 711 Satz 1 und 2 ZPO.