Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 06.07.2022, Az.: 2 A 2661/21

Beihilfe; Fahrtkosten; Wiedereingliederung

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
06.07.2022
Aktenzeichen
2 A 2661/21
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2022, 59737
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Die im Rahmen einer Wiedereingliederungsmaßnahme anfallenden Fahrtkosten vom Wohnort zur Dienststelle sind nicht nach der Bundesbeihilfeverordnung erstattungsfähig.

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Erstattung von Fahrtkosten im Rahmen ihrer Wiedereingliederung.

Die Klägerin ist Regierungsamtsrätin beim D. der Bundeswehr mit einem Beihilfebemessungssatz von 50 Prozent. Im Jahr 2019 wurde bei ihr ein Mammakarzinom festgestellt. Sie unterzog sich daraufhin einer medizinischen Behandlung. Durch ärztliches Attest vom 2. Januar 2020 wurde eine Wiedereingliederung für den Zeitraum vom 6. Januar 2020 bis zum 28. Februar 2020 angeordnet. Mit Bescheid vom 14. Januar 2020 setzte das E. der Bundeswehr die Arbeitszeit auf vier Stunden täglich zwischen dem 6. Januar 2020 und dem 2. Februar 2020 und auf sechs Stunden täglich zwischen dem 3. Februar 2020 und dem 28. Februar 2020 fest.

Unter Bezugnahme auf ein Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 17. Juni 2020 - S 18 KR 967/19 - beantragte die Klägerin am 15. Juli 2020 die Erstattung von Fahrtkosten mit ihrem Pkw von ihrem Wohnort zur Dienststelle während ihrer Wiedereingliederung. Dabei gab sie eine einfache Fahrt mit 19 Kilometern an, die sie an 39 Tagen durchgeführt habe. Insgesamt sei sie 1.482 Kilometer gefahren und begehre 0,20 EUR pro Kilometer, mithin 296,00 EUR. Zudem beantragte sie die Erstattung von Fahrtkosten anlässlich einer Rehabilitationsmaßnahme zwischen dem 23. Juni 2020 und dem 14. Juli 2020.

Mit Bescheid vom 8. Dezember 2020 gewährte das C. eine Beihilfe in Höhe von 100 EUR für die Fahrtkosten, die im Zuge der Rehabilitationsmaßnahme entstanden sind. Die Erstattung von Fahrtkosten während der Wiedereingliederung lehnte das C. mit der Begründung ab, es handele sich um keine Aufwendungen im Sinne der Bundesbeihilfeverordnung. Hiergegen erhob die Klägerin mit Schreiben vom 11. Dezember 2020 Widerspruch, den sie durch Schreiben ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 18. Dezember 2020 begründete. Durch Widerspruchsbescheid vom 24. Februar 2021 wies das C. den Widerspruch der Klägerin zurück. Zur Begründung nahm es Bezug auf § 35 Abs. 1 BBhV, in welchem die beihilfefähigen Aufwendungen für Rehabilitationsmaßnahmen abschließend genannt seien. Die stufenweise Wiedereingliederung werde dort nicht erwähnt, sodass eine Erstattung derartiger Aufwendungen nicht erfolgen könne. Dass die Wiedereingliederung eine Rehabilitationsmaßnahme sei, habe nicht bestätigt werden können. § 35 Abs. 1 Nr. 4 BBhV erfasse ausschließlich ambulante Rehabilitationsmaßnahmen unter ärztlicher Leitung in einem anerkannten Heilbad oder Kurort. Die Befürwortung des Wiedereingliederungsplans der personalbearbeitenden Dienststelle könne keine beihilferechtliche Anerkennung von Fahrtkosten erwirken.

Die Klägerin hat am 19. März 2021 Klage erhoben. Zur Begründung trägt sie vor, das Sozialgericht Dresden habe durch Urteil vom 17. Juni 2020 bestätigt, dass die stufenweise Wiedereingliederung eine medizinische Maßnahme der Rehabilitation sei. Nach § 35 BBhV seien Fahrtkosten im Rahmen der Rehabilitation erstattungsfähig. § 7 Satz 4 BBhV verweise auf die entsprechende Anwendung des Sozialgesetzbuches. Ein wesentlicher Unterschied zwischen dem Beihilfe- und Sozialversicherungsrecht sei nicht erkennbar, weshalb sich der Grundgedanke des Sozialgerichts Dresden als anwendbar erweise. In § 35 BBhV seien stationäre und ambulante Rehabilitationsmaßnahmen aufgeführt, insbesondere würden in § 35 Abs. 1 Nr. 4 BBhV Maßnahmen mit dem Ziel der Wiederherstellung oder Erhaltung der Dienstfähigkeit genannt. Dies treffe auch auf die stufenweise Wiedereingliederung zu. Da die Fahrtkosten unvermeidliche und notwendige Kosten zum Zwecke der Durchführung der Maßnahme darstellten (vgl. hierzu § 80 Abs. 3 BBG) und der Wiederherstellung der Dienstfähigkeit dienten, seien sie nach der Bundesbeihilfeverordnung erstattungsfähig. § 35 Abs. 2 Satz 2 Ziff. 1 BBhV sei jedenfalls entsprechend anwendbar, hilfsweise § 60 Abs. 5 SGB V. Aus den zu der Bundesbeihilfeverordnung erlassenen Verwaltungsvorschriften ergebe sich ebenfalls der Grundgedanke der Beihilfefähigkeit notwendigerweise anfallender Kosten. Eine ärztliche Verschreibung im Sinne von Ziff. 35.1.5.3 BBhVVwV liege vor. Ziff. 35.1.5.3 BBhVVwV regele die mobile Rehabilitation als Sonderform der ambulanten Rehabilitation, wonach Fahrtkosten erstattungsfähig seien. Den Regelungen sei der Kerngedanke zu entnehmen, dass die Rehabilitation zu Hause förderungsfähig sei, was erst recht gelten müsse, wenn sie im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Aufsuchen des Arbeitsplatzes von zu Hause erfolge. Aus Ziff. 36.1.3 BBhVVwV folge, dass selbst wenn die ambulante Rehabilitationsmaßnahme nicht an einem Kurort als beihilfefähig anerkannt werde, jedenfalls Fahrtkosten erstattungsfähig seien. § 35 Abs. 1 Ziff. 4 BBhV verweise auf den Zweiten Abschnitt der Bundesbeihilfeverordnung, in welchem § 31 BBhV die Fahrtkostenerstattung regele. Aufgrund dieser Regelungen könne unterstellt werden, dass auch und gerade die unmittelbare Maßnahme der Wiedereingliederung in Form der täglichen Wiederaufnahme der beruflichen Tätigkeit als besonders förderungswürdig und beihilfefähig geregelt worden wäre, wenn dies konkret bedacht worden wäre. Eine sinngemäße Anwendung der Beihilfefähigkeit sei daher erforderlich, notwendig und führe zur Chancengleichheit. Die Regelungslücke sei durch Auslegung bzw. Analogie zu schließen.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 8. Dezember 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. Februar 2021 aufzuheben, soweit die mit ihrem Antrag vom 15. Juli 2020 nachgewiesenen Fahrtkosten für den Zeitraum vom 6. Januar 2020 bis zum 28. Februar 2020 als beihilfefähigen Kosten abgelehnt wurden und den Beklagten zu verpflichten, die von ihr beanspruchten Fahrtkosten im Rahmen der Wiedereingliederung in das Erwerbsleben in der Zeit vom 6. Januar 2020 bis zum 28. Februar 2020 als beihilfefähig festzusetzen und zu erstatten,

hilfsweise den Beklagten zu verpflichten, sie über die Festsetzung von Fahrtkosten in der Zeit ihrer Wiedereingliederungsmaßnahme vom 6. Januar 2020 bis zum 28. Februar 2020 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie nimmt Bezug auf den Bescheid vom 8. Dezember 2020 und den Widerspruchsbescheid vom 24. Februar 2021 und trägt ergänzend vor, § 35 Abs. 1 Nr. 1 bis 6 BBhV benenne abschließend die beihilfefähigen Aufwendungen für Rehabilitationsmaßnahmen. Die stufenweise Wiedereingliederung sei nicht genannt. Anders als im sozialgerichtlichen Verfahren, in dem ein Arbeitnehmer während einer stufenweise Wiedereingliederung nur Krankengeld erhalte, habe die Klägerin als Beamtin für die Dauer ihrer Erkrankung ihre vollen Dienstbezüge ohne finanzielle Einbußen erhalten. Der beihilferechtliche Anspruch von Beamten gegenüber dem Dienstherrn gründe auf dem Alimentationsprinzip und könne deshalb nicht mit den Regelungen zur gesetzlichen Krankenversicherung(spflicht) gleichgesetzt werden. Die von der Klägerin genannten Verwaltungsvorschriften enthielten Ausführungsbestimmungen zu den beihilferechtlichen Ansprüchen, die sich aus der Beihilfeverordnung ergäben. Die von ihr zitierten Verwaltungsvorschriften gebe es entweder nicht oder sie seien nicht geeignet, um den geltend gemachten Anspruch zu begründen. Das Bundesministerium des Innern weise in einem Merkblatt über das „Hamburger Modell“ zur stufenweise Wiedereingliederung darauf hin, dass es im Beamtenrecht keine vergleichbare gesetzliche Grundlage wie in § 74 SGB V gebe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Über die Klage kann ohne mündliche Verhandlung durch den Berichterstatter entschieden werden, weil sich die Beteiligten hiermit einverstanden erklärt haben.

Die Klage hat keinen Erfolg. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erstattung der ihr im Rahmen ihrer Wiedereingliederung entstandenen Fahrtkosten. Die Bundesbeihilfeverordnung sieht eine Erstattungsfähigkeit dieser Kosten nicht vor, was rechtlich nicht zu beanstanden ist.

Die Bundesbeihilfeverordnung ist eine Ausprägung der verfassungsrechtlichen Fürsorgepflicht des Dienstherrn gegenüber seinen Beamten. Die Fürsorgepflicht ergänzt die ebenfalls in Art. 33 Abs. 5 GG gewährleistete Alimentationspflicht des Dienstherrn. Sie fordert, dass der Dienstherr den amtsangemessenen Lebensunterhalt der Beamten bzw. Versorgungsempfänger und ihrer Familien auch in besonderen Belastungssituationen wie Krankheit, Pflegebedürftigkeit, Geburt oder Tod sicherstellt. Ob er diese Pflicht über eine entsprechende Bemessung der Dienstbezüge, über Sachleistungen, Zuschüsse oder in sonst geeigneter Weise erfüllt, bleibt von Verfassungs wegen seiner Entscheidung überlassen. Für die genannten besonderen Belastungssituationen wird die Fürsorgepflicht grundsätzlich abschließend durch die Beihilfevorschriften konkretisiert. Im Bereich der Krankenvorsorge verpflichtet sie den Dienstherrn, den Beamten bzw. Versorgungsempfänger von in Hinblick auf seine Alimentation unzumutbaren und unabwendbaren Belastungen freizuhalten, gebietet aber keine lückenlose Erstattung aller krankheitsbedingten Kosten (vgl. BVerwG, Urt. v. 2.4.2014 - 5 C 40.12 -, juris Rn. 19 m.w.N.).

Im Rahmen einer Wiedereingliederung nimmt die Klägerin ihre dienstlichen Aufgaben in reduziertem Umfang wahr. Es handelt sich bei den Fahrtkosten weder um eine Heilbehandlung noch um sonstige medizinische Aufwendungen, die nach der Bundesbeihilfeverordnung erstattungsfähig sind. Die Fahrtkosten stellen vielmehr Aufwendungen dar, die der Klägerin im Zuge der Anreise zur Dienststelle entstehen. Sie stehen in keinem Zusammenhang mit ihrer Erkrankung und müssen unabhängig von ihrem Gesundheitszustand von ihr selbst getragen werden. Eine unzumutbare finanzielle Belastung ist darin nicht zu sehen. Der klägerischen Argumentation folgt der Berichterstatter daher nicht.

Aus diesem Grund besteht auch kein Anlass, ein Sachverständigengutachten zu der Frage einzuholen, ob die stufenweise Wiedereingliederung in das Erwerbsleben nach allgemein anerkanntem Stand der medizinischen Erkenntnis als Therapie zur Überwindung der Folgen einer Erkrankung und damit als medizinische Rehabilitationsmaßnahme anzusehen ist.

Das von der Klägerin zitierte Urteil des Sozialgerichts Dresden ist schon deshalb nicht einschlägig, weil die Erstattungsfähigkeit von Aufwendungen im Zuge einer medizinischen Heilbehandlung durch die Bundesbeihilfeverordnung wie dargelegt abschließend geregelt wird. Im Übrigen führt die Beklagte zu Recht an, dass im Gegensatz zu einem Arbeitnehmer, der während seiner Erkrankung Krankengeld erhält, die Klägerin fortlaufend ihre vollwertigen Bezüge erhalten hat. Ein Verstoß gegen die Fürsorgepflicht des Dienstherrn bzw. das Alimentationsprinzip ist damit unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt erkennbar. Aus diesem Grunde ist es auch nicht angezeigt, die Bundesbeihilfeverordnung durch eine Gesetzesanalogie oder eine entsprechende Auslegung dahingehend „zu erweitern“, dass der Klägerin ihre Fahrtkosten zu erstatten sind. Nur am Rande sei angemerkt, dass die Ansicht des Sozialgerichts Dresden nicht unumstritten ist (vgl. SG Leipzig, Urt. v. 9.3.2022 - S 22 KR 570/21 -, juris Rn. 13 ff.).

Die Klage kann daher weder mit dem Haupt- noch mit dem Hilfsantrag Erfolg haben.

Gründe für die Zulassung der Berufung sind nicht ersichtlich.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 und § 711 Satz 1 und 2 ZPO.