Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 10.08.2017, Az.: 2 A 224/16
Anspruch auf Bauaufsichtliches Einschreiten; bauaufsichtliches Einschreiten; steckengebliebenes Genehmigungsverfahren; Lärm; Nachbar
Bibliographie
- Gericht
- VG Göttingen
- Datum
- 10.08.2017
- Aktenzeichen
- 2 A 224/16
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2017, 54116
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 22 BImSchG
- § 79 BauO ND
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Erfordert die Entscheidung, ob die Beeinträchtigung eines Nachbarn durch Lärm unzumutbar ist, komplexe, bisher von der Behörde unterlassene Sachverhaltsermittlungen und darauf beruhend komplexe Abwägungen, muss das Gericht die Sache auf eine Verpflichtungsklage des Nachbarn hin nicht spruchreif machen. Es sind die aus dem Immissionsschutzrecht bekannten Grundsätze des steckengebliebenen Genehmigungsverfahrens anzuwenden.
Tenor:
Die Klägerin wohnt am D. E. in F. G.; sie bewohnt ihre Wohnung aufgrund eines lebenslangen Wohnrechts. Ihr Prozessbevollmächtigter ist der ebenfalls in der Wohnung lebende Sohn. Eigentümerin der Wohnung ist die Stadt F. G..
Tatbestand:
Von Ende Mai bis Ende Juli eines jeden Jahres finden seit 1959 in unmittelbarer Nähe zur Wohnung der Klägerin die F. G. L. statt. Bühne und Tribüne für diese Festspiele erstrecken sich zwischen dem Dom und dem von der Klägerin bewohnten Haus. Im aufgebauten Zustand beträgt der Abstand zwischen Tribüne und Wohnhaus nach unbestrittenen Angaben der Klägerin 3,66 m. Die Tribüne hat an der dem Wohnhaus der Klägerin zugewandten Seite eine Höhe von etwa 6,5 m; ein Teil der Beleuchtungsanlagen übersteigt nach Angaben der Klägerin diese Höhe noch. Die Tribüne hat ein Fassungsvermögen von 999 Plätzen. Sie wird aus Anlass der Festspiele auf dem Domvorplatz aufgebaut und anschließend wieder abgebaut. Einschließlich Auf- und Abbau wird die Klägerin etwa 4 1/2 Monate im Jahr beeinträchtigt. Nach Abbau der Tribüne wird diese - teilweise - von der Eignerfirma für andere Veranstaltungen genutzt. Von dem Beklagten und der Stadt F. G. wird diese Tribüne als fliegender Bau betrachtet. Es erfolgt jährlich durch den Beklagten eine Gebrauchsabnahme, der eine Abnahmebescheinigung eines Prüfingenieurs für Baustatik zugrunde liegt, die bescheinigt, dass die Sitztribüne für die L. richtig nach den vom TÜV geprüften Unterlagen aufgestellt und montiert wurde. Gleichzeitig prüft der Beklagte und bescheinigt das Vorliegen von Rettungs- und Fluchtwegen. Daneben trifft der Beklagte eine verkehrsrechtliche Anordnung im Hinblick auf verkehrslenkende Maßnahmen anlässlich der G. L.. Weitere Genehmigungen erteilt weder der Beklagte noch die Stadt F. G..
Seit 1993 streitet sich der Prozessbevollmächtigte der Klägerin sowohl mit dem Beklagten wie auch mit der Stadt F. G. um die Rechtmäßigkeit der Tribüne. Verschiedene, vor der erkennenden Kammer geführte Gerichtsverfahren blieben im Wesentlichen deshalb erfolglos, weil das Gericht und das Nds. Oberverwaltungsgericht nicht zu erkennen vermochten, dass der Prozessbevollmächtigte der Klägerin in eigenen Rechten verletzt sein könnte (vgl. Gerichtsbescheid vom 22. Dezember 1994 -2 A 2227/94-, das daraufhin ergangene Berufungsurteil des Nds. Oberverwaltungsgerichts vom 10. Mai 1996 -1 L 1455/95- und den im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ergangenen Beschluss der erkennenden Kammer vom 17. August 1995 -2 B 2289/95-).
Unter dem 14. November 1996 erstattete das Ingenieurbüro T. u.a. aus U. eine schalltechnische Beurteilung der Immissionssituation im Zuge der Errichtung einer neuen Tribüne für die G. L.. Tatsächliche Messungen führte das Büro nicht durch. Unter Nennung von Rechtsprechungsbeispielen und im Hinblick darauf, dass es sich bei den L. um eine traditionelle Veranstaltung handele, hielten die Gutachter seinerzeit die während der L. auftretenden Geräusche noch für zumutbar. Allerdings äußerten sie auch die Auffassung, die Anordnung der Treppe der Tribüne unmittelbar gegenüber dem Gebäude D. E. sei nicht vertretbar, sofern andere Möglichkeiten der Erschließung bestünden. Bei Beachtung der vorstehenden Empfehlungen sei zu erwarten, dass die dann noch verbleibenden Geräuscheinwirkungen unter Würdigung der traditionellen Merkmale der L. als zumutbar angesehen werden könnten.
Weitere schalltechnische Untersuchungen oder Feststellungen sind nicht getroffen worden. Allerdings findet sich in den Verwaltungsvorgängen ein Vermerk des Leiters des Bauamtes des Beklagten vom 02.07.2008, in dem einerseits von einem zu erwartenden hohen Aufwand hinsichtlich Messdurchführung, -auswertung und -doku-mentation gesprochen wird. Diese wäre nur durch eine sachverständige Messstelle nach § 26 BImSchG leistbar. Ferner wird festgestellt, dass die einzuhaltenden Richtwerte nach der TA-Lärm mit Sicherheit überschritten werden würden. Der Mitarbeiter hielt es für den Prozessbevollmächtigten der Klägerin für zumutbar, während der Aufführungen die dem Festspielplatz zugewandten Wohnraumfenster geschlossen zu halten. Unter dieser Voraussetzung wäre der Innenraumrichtwert nach Nr. 6.2 TA-Lärm von nachts 25 dB (A) während des Festspielbetriebes einhaltbar und in diesem Einzelfall das Einwirken schädlicher Umwelteinwirkungen in Form unzulässig hoher Geräuschbelastungen abgewehrt. In einem Vermerk vom 22. April 1994 führte derselbe Mitarbeiter zudem Bestandsschutzgesichtspunkte zugunsten der L. ins Feld.
Immer wieder hatte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin in der Vergangenheit sowohl den Beklagten wie auch die Stadt F. G. auf die aus seiner Sicht unzumutbare Lärmbeeinträchtigung hingewiesen und gebeten, in dieser Sache tätig zu werden, insbesondere auch Schallpegelmessungen durchzuführen (so Schreiben des Prozessbevollmächtigten der Klägerin an den Beklagten vom 20.06.2008 [Beiakte 002, Registerplatz 2, Bl. 2]; ähnlich Schreiben des Prozessbevollmächtigten der Klägerin an den Beklagten vom 21. März 2012 [Beiakte 001, Bl. 45]). Schließlich erhob die Klägerin, vertreten durch ihren Prozessbevollmächtigten, mit Schreiben vom 7. Mai 2016 „Widerspruch gegen den Tribünenstandort in F. G.“. Die Klägerin brachte hierin ihre Rechtsauffassung zum Ausdruck, es handele sich nicht um einen fliegenden Bau, und wies auf das Urteil der 1. Kammer des erkennenden Gerichts vom 23. Februar 2005, Az.: 1 A 1214/02, hin. Sie forderte den Beklagten unter Berufung auf § 22 Bundesimmissionsschutzgesetz auf, gegenüber der Stadt F. G. tätig zu werden, damit diese die L. so betreibe, dass sie die Immissionsrichtwerte der Freizeitlärmrichtlinie auch einhalte. Darauf habe sie als unmittelbar Betroffene einen Rechtsanspruch.
Nachdem der Beklagte hierauf nicht reagierte, hat die Klägerin am 8. Juli 2016, vertreten durch ihren Sohn, Klage erhoben. Eine ordnungsgemäße Bevollmächtigung wurde mit Schriftsatz vom 11. November 2016 vorgelegt.
Zur Begründung ihrer Klage trägt sie vor, bei der Tribüne handele es sich nicht um einen fliegenden Bau. Ein Aufbau an anderer Stelle finde nicht statt. Die Tribüne werde nach Abschluss der L. eingelagert. Ferner werde der Lärmschutz nicht eingehalten und auch Brandschutzvorschriften würden verletzt. Ein Krankentransportwagen könne im Notfall nicht an ihr Haus gelangen. Allenfalls Teile der Tribüne würden andernorts aufgebaut. Auch die gesetzlichen Grenzabstände würden nicht eingehalten; die Tribüne vermittle zudem den Eindruck tunnelartigen Eingemauertseins.
Die Klägerin beantragt,
den Beklagten zu verpflichten, über den Antrag der Klägerin auf bauaufsichtliches Einschreiten gegen die Beigeladene unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hält die Klage für unzulässig, weil der Prozessbevollmächtigte der Klägerin nicht ordnungsgemäß mandatiert und die -ursprünglich erhobene- Feststellungsklage nicht die statthafte Klageart sei.
In der Sache führt der Beklagte aus, die Eignerfirma setze die Tribüne auch an anderen Orten ein; deshalb handele es sich bei ihr um einen fliegenden Bau. Sie sei auch ordnungsgemäß abgenommen worden. Die Stadt F. G. habe dem Vorhaben Tribünenaufbau und L. F. G. ausdrücklich zugestimmt. Dies müsse die Klägerin als Wohnrechtsinhaberin gegen sich gelten lassen. Eine unzumutbare Lärmbelästigung könne nicht festgestellt werden.
Die Beigeladene äußert sich zur Sache nicht und stellt keinen Antrag.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie die Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig.
Die Zulässigkeit der Klage scheitert nicht an einer fehlenden Bevollmächtigung des Prozessbevollmächtigten durch die Klägerin. Eine solche Bevollmächtigung ist mit Schriftsatz vom 11. November 2016 erfolgt.
Das Gericht legt das Begehren der Klägerin, die Rechtswidrigkeit der Tribüne festzustellen, gemäß § 88 VwGO sachgerecht dahin aus, dass sie vom Beklagten ein bauaufsichtliches Einschreiten gegen die Beigeladene verlangt. Dieses Begehren ergibt sich eindeutig aus dem als “Widerspruch gegen den Tribünenstandort“ bezeichneten Schreiben der Klägerin an den Beklagten vom 07.05.2016 und letztlich auch aus der Klagebegründung.
Diese nach § 42 Abs. 1 VwGO statthafte Verpflichtungsklage ist nicht deshalb unzulässig, weil mit ihr vorbeugender Rechtsschutz gegen künftige Veranstaltungen der F. G. L. begehrt wird. Diese Veranstaltung kehrt gerichtsbekannter Maßen jährlich wieder und findet im kommenden Jahr zum 60. Mal statt. Das Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin ist damit nicht mit dem Ende der jeweiligen Festspiele entfallen, sondern, weil es sich um einen wiederkehrenden Dauersachverhalt handelt, besteht für die nächsten Veranstaltungen fort.
Eine solche Verpflichtungsklage ist hier ohne Vorverfahren als Untätigkeitsklage nach § 75 VwGO zulässig. Mit ihrem Schreiben vom 07.05.2016 bringt die Klägerin hinreichend deutlich zum Ausdruck, dass sie den Beklagten auffordert, wegen einer Überschreitung der Immissionsrichtwerte der Freizeitlärmrichtlinie bauaufsichtlich einzuschreiten. Auf dieses Begehren hat der Beklagte bis heute nicht reagiert. War damit die Klage zum Zeitpunkt der Klageerhebung am 8. Juli 2016 noch nicht als Untätigkeitsklage zulässig, weil sie vor Ablauf von 3 Monaten seit dem Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsaktes erhoben worden ist, so ist sie doch im Laufe der abgelaufenen Zeit zulässig geworden. Der Beklagte hat den Antrag der Klägerin bis heute nicht beschieden.
Einen Anspruch auf ein konkretes bauaufsichtliches Einschreiten des Beklagten gegen die Beigeladene hat die Klägerin nicht, wohl aber darauf, dass der Beklagte ihren entsprechenden Antrag neu bescheidet.
Die Kammer folgt der Rechtsprechung des Nds. Oberverwaltungsgerichts, nach der der unmittelbare Anspruch des Nachbarn auf bauaufsichtliches Einschreiten nicht nur einen Verstoß gegen nachbarschützende Vorschriften voraussetzt, sondern zusätzlich erfordert, dass dadurch spürbare Beeinträchtigungen hervorgerufen werden. Es kommt folglich auf das Ausmaß der Einwirkungen auf das Nachbargrundstück an. Daher ist neben einem Verstoß gegen nachbarrechtliche Vorschriften zu prüfen, in welchem Umfang der Nachbar durch die angegriffene Maßnahme tatsächlich beeinträchtigt ist. Zwar verlangt das Oberverwaltungsgericht anders als das Bundesverwaltungsgericht in älteren Entscheidungen nicht, dass es sich um eine Beeinträchtigung mit hoher Intensität der Störung oder Gefährdung handelt, wohl aber, dass diese Beeinträchtigung tatsächlich unzumutbar ist (zuletzt Beschluss vom 19.02.2016 - 1 LA 111/15 -, Veröffentlichung nicht bekannt; Urteil vom 16.02.2012 - 1 LB 19/10 -, zitiert nach juris, m.w.N.).
Vorausgesetzt ist damit für den Anspruch die Verletzung einer nachbarschützenden Vorschrift.
Auf die Verletzung von Abstandsvorschriften kann sich die Klägerin nicht berufen. Hierzu ist allein der Eigentümer eines Nachbargrundstücks befugt, nicht aber der Wohnrechtsinhaber, wie die Klägerin (Große-Suchsdorf, NBauO, 9. Aufl. § 68 Rn. 20; Beschluss der Kammer vom 17.08.1995 -2 B 2289/95- in dem den Beteiligten bekannten Verfahren, den jetzigen Prozessbevollmächtigten der Klägerin betreffend). Denn Abstandsvorschriften sind grundstücks- und nicht nutzungsbezogen. Da die Klägerin Abstandsvorschriften als wohnrechtsinnehabende Nachbarin nicht für sich in Anspruch nehmen kann, kommt es an dieser Stelle weder auf eine konkrete Messung noch auf die zwischen den Beteiligten umstrittene Frage an, ob es sich bei der Tribüne um einen fliegenden Bau handelt oder nicht.
Sehr wohl aber kann sich die Klägerin als Nachbarin auf die Schutzwirkungen des § 22 Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSchG) berufen (vgl. Große-Suchsdorf, a.a.O.). Gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 BImSchG sind nicht genehmigungsbedürftige Anlagen so zu errichten und zu betreiben, dass schädliche Umwelteinwirkungen verhindert werden, die nach dem Stand der Technik vermeidbar sind, und dass nach dem Stand der Technik unvermeidbare schädliche Umwelteinwirkungen auf ein Mindestmaß beschränkt werden.
Auch hierfür spielt es keine Rolle, ob die Tribüne ein fliegender Bau im Sinne von § 75 NBauO ist oder nicht. Zwar handelt es sich gemäß § 75 Abs. 2 Satz 1 NBauO bei fliegenden Bauten um bauliche Anlagen, die ohne Baugenehmigung errichtet werden dürfen. Gemäß § 59 Abs. 3 NBauO müssen jedoch auch solche genehmigungsfreien Baumaßnahmen die Anforderungen des öffentlichen Baurechts ebenso wie genehmigungsbedürftige Baumaßnahmen erfüllen, es sei denn, dass sich die Anforderungen auf genehmigungsbedürftige Baumaßnahmen beschränken. Zum öffentlichen Baurecht gehören gemäß § 2 Abs. 16 NBauO die Vorschriften dieses Gesetzes, die Vorschriften aufgrund dieses Gesetzes, das städtebauliche Planungsrecht und die sonstigen Vorschriften des öffentlichen Rechts, die Anforderungen an bauliche Anlagen, Bauprodukte oder Baumaßnahmen stellen oder die Bebaubarkeit von Grundstücken regeln. Zu diesen Vorschriften gehören diejenigen des Bundesimmissionsschutzgesetzes (vgl. Große-Suchsdorf, a.a.O. § 2 Rn. 160). Deshalb ist es dem Nachbarn auch bei Anwendung der Vorschrift des § 75 NBauO für fliegende Bauten nicht verwehrt, sich auf eine Verletzung insbesondere des § 22 BImSchG als nachbarschützender Norm zu berufen (vgl. Große-Suchsdorf, a.a.O. § 75 Rn. 35; OVG Lüneburg, Urteil vom 10.05.1996 -1 L 1455/96-, zitiert nach juris, Rn. 7 in dem den Beteiligten bekannten Verfahren, den jetzigen Prozessbevollmächtigten der Klägerin betreffend; VG Augsburg, Beschluss vom 17.10.2011 -Au 5 E 11.1465-, zitiert nach juris, Rn.34-36).
Für die Frage, ob von einem Vorhaben Lärmbelästigungen oder gar Störungen durch Lärm ausgehen, kann auf die nach § 48 BImSchG erlassene allgemeine Verwaltungsvorschrift - TA-Lärm - zurückgegriffen werden (BVerwG, Urt. v. 30.09.1983 - 4 C 74/78 -, zitiert nach juris, Rn. 13; Fickert/Fieseler, BauNVO 12. Aufl., § 15 Rn. 17; ständige Rechtsprechung der Kammer, vgl. zuletzt Urt. v. 11.06.2015 - 2 A 103/14 -). Von einer Unzumutbarkeit einer Lärmbelästigung wird umso eher auszugehen sein, je leichter der Verursacher sie vermeiden kann; andererseits ist auf Seiten desjenigen, der dem Lärm ausgesetzt ist, zu berücksichtigen, dass er den Lärm durch eigene bauliche Maßnahmen oder andere Vorkehrungen abmildern kann (Große-Suchsdorf, a.a.O., § 3 Rn. 25).
Ergänzend zur TA-Lärm ist die Freizeitlärm-Richtlinie heranzuziehen (gemeinsamer Runderlass des MU, des MI, des ML, des MS und des MW v. 25.05.2012 - 40502/7.0 -, Nds. Ministerialblatt 2012, 500). Nach Abschnitt 1 der Freizeitlärm-Richtlinie sind Freizeitanlagen Einrichtungen i.S.d. § 3 Abs. 5 Nr. 1 oder 3 BImSchG. Grundstücke gehören zu den Freizeitanlagen, wenn sie nicht nur gelegentlich zur Freizeitgestaltung bereitgestellt werden. Dies können auch Grundstücke sein, die sonst dem Straßenverkehr dienen. Zu den Freizeitanlagen gehören insbesondere Grundstücke, Plätze oder Flächen, auf denen im Freien oder in Zelten Diskothekenveranstaltungen, Feuerwerke, Live-Musik-Darbietungen, Platzkonzerte, Rockkonzerte, Jahrmärkte, Schützenfeste, Stadtteilfest, Volksfeste usw. stattfinden. Unter diesen Begriff fällt auch die Veranstaltung der F. G. L.. Nach Abschnitt 2 der Richtlinie werden Freizeitanlagen wie nicht genehmigungsbedürftige gewerbliche Anlagen i.S.d. TA-Lärm betrachtet. Ihre Beurteilung und Messung erfolgt nach den entsprechenden Vorgaben der TA-Lärm mit der Ausnahme, dass die Ruhezeiten - Zuschläge nach Nr. 6.5 TA-Lärm auch in Gebieten nach Nr. 6.1 c TA-Lärm gelten. Darüber hinaus wird abweichend zu Nr. 7.2 TA-Lärm entsprechend der 18. BImSchV die Anzahl der Tage oder Nächte, an denen die Richtwerte für seltene Ereignisse herangezogen werden können, auf maximal 18 begrenzt.
Zu der Frage, ob die Grenzwerte der TA-Lärm überschritten sind, liegen tatsächliche Feststellungen bisher nicht vor. Es gibt entsprechende Mutmaßungen auf Seiten des Beklagten, tatsächliche Anhaltspunkte hierzu fehlen jedoch. Ob die Klägerin durch die F. G. L. unzumutbar in ihren Nachbarrechten verletzt ist, lässt sich daher derzeit nicht feststellen; Spruchreife im Sinne des klägerischen Antrags auf Einschreiten des Beklagten liegt deshalb nicht vor.
Es ist im derzeitigen Verfahrensstadium auch nicht Aufgabe des Gerichts, diese Spruchreife herbeizuführen. Da der Beklagte offenbar davon ausgeht, dass die Nutzung der Tribüne für die F. G. L. deshalb baurechtmäßig sei, weil es sich bei ihr um einen fliegenden Bau handelt, legt er seiner Entscheidung offensichtlich einen unvollständigen Sachverhalt zugrunde. Er wird erstmals darüber zu befinden haben, ob er gegen die Beigeladene bauaufsichtlich einschreitet, weil die von den Festspielen ausgehende Lärmbelästigung unzumutbar ist; er muss dabei Ermessen ausüben. Die Sachlage ist daher derjenigen ähnlich, die im Bau- und Immissionsschutzrecht nach dem Grundsatz vom "stecken gebliebenen" Genehmigungsverfahren behandelt wird. Die Verpflichtung des Gerichts, die Spruchreife herbeizuführen, entfällt, wenn ansonsten im Verwaltungsverfahren noch nicht behandelte komplexe Fragen erstmals im gerichtlichen Verfahren erschöpfend geprüft werden müssten (vgl. BVerwG, Urteil vom 14.04.1989 - 4 C 52.87 -, zitiert nach juris, Rn. 18; OVG NRW, Urteile vom 15.06.2012 - 2 A 2630/10 -, zitiert nach juris, Rn. 134, und vom 30.07.2009 - 8 A 2357/08 -, zitiert nach juris, Rn. 208).
Komplex sind hier nicht nur die mit der Sachverhaltsermittlung zusammenhängenden Fragen, sondern auch und gerade diejenigen, die sich mit der Vermeidbarkeit der Lärmemissionen und -immissionen beschäftigen. Dieser Grundsatz findet deshalb in dem hier zu entscheidenden Fall auch für den Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten Anwendung (ähnlich: VG Minden, Urteil vom 12.11.2015 -9 K 3413/13-, zitiert nach juris, Rn. 70).
Diesem Anspruch steht nicht entgegen, dass der Beklagte gegen einen anderen Hoheitsträger, nämlich die Stadt F. G. bauaufsichtlich einschreiten müsste. Hiergegen hatte das Nds. Oberverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 10.05.1996 (- 1 L 1455/95 -, zitiert nach juris, Rn. 14) rechtliche Bedenken geäußert. Denn mittlerweile tritt nicht mehr die Stadt F. G., sondern die privatrechtlich organisierte Beigeladene als Veranstalterin der L. auf.
Die Beantwortung der Frage, ob von den streitgegenständlichen Nutzungen für die Klägerin unzumutbare Lärmimmissionen hervorgerufen werden, erfordert weitergehende Ermittlungsmaßnahmen, zu denen insbesondere eine schalltechnische Begutachtung gehört. Deswegen kann der Beklagte nicht zu einer konkreten Maßnahme, sondern im Wege eines Bescheidungsausspruches nur verpflichtet werden, die für diese Ermessensentscheidung erheblichen tatsächlichen Feststellungen in eigener Verantwortung zu treffen. Das bedeutet, dass er bei den im nächsten Jahr stattfindenden L. entsprechend den Vorgaben der TA-Lärm und der Freizeitlärm-Richtlinie Lärmmessungen in Auftrag zu geben hat.
Für die vom Beklagten in Auftrag zu gebende Messung macht die Kammer folgende Vorgaben. Mit der Messung ist ein öffentlich bestellter Sachverständiger zu beauftragen. In Anbetracht der mit dem Auf- und Abbau zusammenhängenden Lärmentwicklung - wie sie auch im Ortstermin deutlich geworden ist - sind an jeweils zwei Tagen des Auf- und des Abbaus Messungen nach Maßgabe der TA-Lärm und der Freizeitlärmrichtlinie durchzuführen. Ferner ist jeweils eine Messung bei den Proben für die 2018 zur Aufführung kommenden Stücke der F. G. L. durchzuführen. Schließlich sind jeweils zwei Messungen für jedes zur Aufführung gelangende Stück während der Abendvorstellungen durchzuführen. Die Messungen müssen insbesondere auch den Schlussapplaus und das Verlassen der Tribüne durch die Zuschauer erfassen.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Die Beigeladene hat einen Antrag nicht gestellt und wird an den Kosten daher nicht beteiligt.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf §§ 167 VwGO i.V.m. 708 Nr. 11, 711 ZPO.