Verwaltungsgericht Göttingen
Beschl. v. 11.05.2006, Az.: 1 B 172/06

Einstweiliger Rechtsschutz gegen die Ablehnung eines Antrags auf Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis sowie gegen eine entsprechende Abschiebungsandrohung; Ausreisemöglichkeit in einen anderen Staat - hier Bosnien-Herzegowina - als Ausweisungsvoraussetzung; Zumutbarkeit einer Ausreisemöglichkeit; Gleichwertigkeit des Aufenthaltsrechts als Voraussetzung

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
11.05.2006
Aktenzeichen
1 B 172/06
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2006, 29188
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGGOETT:2006:0511.1B172.06.0A

Fundstelle

  • AUAS 2006, 195-196

Amtlicher Leitsatz

Eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 S. 1 AufenthG kann gem. Satz 2 dieser Vorschrift nur versagt werden, wenn die Möglichkeit der Ausreise in einen anderen Staat ausreichend geklärt ist.

Tenor:

Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die Ablehnung einer Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis und gegen die Abschiebungsandrohung im Bescheid des Antragsgegners vom 22. Februar 2006 wird angeordnet.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

1

Der am 11. April 2006 gestellte Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO ist zulässig, da die Klage zum Aktenzeichen 1 A 99/06 gegen die Ablehnung des Antrages auf Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis und gegen die Abschiebungsandrohung keine aufschiebende Wirkung hat (vgl. §§ 84 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG, 80 Abs. 2 Satz 2 VwGO i.V.m. den §§ 70 Abs. 1 NVwVG, 64 Nds. SOG).

2

Der Antrag ist auch begründet.

3

Das Gericht nimmt eine Abwägung der Interessen der Verfahrensbeteiligten vor, die zu Lasten des Antragsgegners ausgeht. Das Gericht sieht sich im Zeitpunkt seiner Entscheidung nicht in der Lage, die Erfolgsaussichten der Klage (1 A 99/06) ausreichend zu beurteilen, denn zur Zeit ist nicht geklärt, ob der Antragsteller tatsächlich die Möglichkeit hat, gem. § 25 Abs. 3 Satz 2 AufenthG in einen anderen Staat auszureisen. Dies ist aber Voraussetzung, um die hier in Rede stehende Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 AufenthG zu versagen.

4

Laut Auskunft der Deutschen Botschaft in Sarajewo an das Gericht vom 08. Mai 2006 ist das Aufenthaltsrecht in Bosnien-Herzegowina im "Gesetz über die Bewegung und den Aufenthalt von Ausländern und Asyl" (im folgenden: AusländerG B.-H.) geregelt. Die Erteilung einer befristeten Aufenthaltsgenehmigung für den ausländischen Ehegatten eines bosnisch-herzegowinischen Staatsangehörigen setze grundsätzlich voraus, dass der ausländische Ehegatte nachweise, dass er für seinen Lebensunterhalt aufkommen könne (Art. 33 Nr. 1 und Art. 34 AusländerG B.-H), wobei es ausreiche, wenn der bosnisch-herzegowinische Ehepartner nachweise, dass er für den Unterhalt seines Angehörigen aufkommen könne (Art. 38 AusländerG B.-H). Diese Voraussetzungen dürften im vorliegenden Fall nicht erfüllt sein. Es ist nicht ersichtlich, dass der Antragsteller oder seine Ehefrau, die in Deutschland jahrelang Sozialhilfeleistungen bezogen haben, in Bosnien-Herzegowina selbst ihren Unterhalt Familie sichern könnten. Für den Antragsteller könnte aber nach einer anderen Vorschrift im AusländerG B.-H. die Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung in Betracht kommen. Laut Auskunft der Deutschen Botschaft in Sarajewo besteht nach Art. 35 des AusländerG B.-H. die Möglichkeit, eine befristete Aufenthaltsgenehmigung aus humanitären Gründen zu erhalten. Dabei seien in Art. 35 Abs. 1 Ziffer a - d verschiedene Tatbestände aufgezählt, die als humanitäre Gründe für die Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung angesehen würden. Der vorliegende Fall - Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung für einen ausländischen Ehegatten - sei dort nicht enthalten. Allerdings bestehe nach der Auffangvorschrift des Art. 35 Abs. 1 Ziffer e die Möglichkeit, "aus anderen gerechtfertigten Gründen humanitärer Natur, dessen Rechtsgültigkeit die zuständige Organisationseinheit in der Zentrale des Ministeriums prüft", eine Aufenthaltsgenehmigung zu erhalten. Das Gericht teilt die Einschätzung der Deutschen Botschaft, dass nicht auszuschließen ist, dass für den Antragsteller die Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung nach dieser Vorschrift in Betracht kommt. Da zur Zeit aber nicht feststeht, ob dies tatsächlich der Fall sein wird, und ob die Ausreise des Antragstellers deshalb möglich ist, sind die Erfolgsaussichten der Klage offen.

5

Das Gericht teilt nicht die Auffassung des Antragsgegners, dass die Ausreise des Antragstellers bereits deshalb im Sinne von § 25 Abs. 3 Satz 2 AufenthG möglich ist, weil er sich als Tourist ohne Visum drei Monate in Bosnien-Herzegowina aufhalten kann. Bei einem solchen Aufenthalt würde es sich lediglich um eine Besuchsreise in einen anderen Staat handeln, die keine ernsthafte Alternative zu einem befristeten Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland darstellt und deshalb nicht unter § 25 Abs. 3 Satz 2 AufenthG fällt (siehe auch Renner, Kommentar zum Ausländerrecht, 8. Auflage, § 25 Rn. 25). Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nach Satz 2 dieser Vorschrift auch bei einem vorübergehenden Aufenthalt in einem anderen Staat ausgeschlossen sein soll (vgl. Gesetzesbegründung zu § 25 AufenthG, BT-Drucksache 15/420 Seite 79; Renner a.a.O., § 25 Rn. 25). Der Grund hierfür liegt offenbar darin, dass auch eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nur ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht vermittelt (§ 26 Abs. 1 und 2 AufenthG). Insofern dürfte eine Ausreise in einen anderen Staat dann im Sinne von § 25 Abs. 3 Satz 2 AufenthG möglich sein, wenn der Betroffene in dem anderen Staat ein Aufenthaltsrecht erhält, das seinem Aufenthaltsrecht in Deutschland in etwa gleichwertig ist. Dies wäre im Falle der Erteilung einer befristeten Aufenthaltsgenehmigung aus humanitären Gründen nach Art. 35 Abs. 1 e des AusländerG B.- H. nicht aber bei einem dreimonatigen Touristenaufenthalt der Fall.

6

Unter Berücksichtigung der dargestellten Sachlage überwiegt bei einer Interessenabwägung zwischen dem öffentlichen Interesse, ausländerrechtliche Entscheidungen insbesondere gegenüber Ausländern, die für ihren Lebensunterhalt auf öffentliche Leistungen angewiesen sind, zeitnah umzusetzen, und dem privaten Interesse des Betroffenen, von der sofortigen Vollziehung der Ablehnung eines Antrages auf Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis und der Abschiebungsandrohung verschont zu bleiben, das Interesse des Antragstellers. Für den Antragsteller besteht bei einem sofortigen Vollzug des angefochtenen Bescheides die Gefahr, dass er nach Bosnien-Herzegowina abgeschoben wird, bevor geklärt ist, ob er als Ehegatte einer bosnisch-herzegowinischen Staatsangehörigen tatsächlich eine Aufenthaltsgenehmigung für Bosnien-Herzegowina erhalten kann. Zwar könnte er sich zunächst legal drei Monate als Tourist in Bosnien-Herzegowina aufhalten und versuchen, während diesen Zeitraumes "vor Ort" eine Aufenthaltsgenehmigung zu erhalten. Es ist jedoch nicht auszuschließen, dass in diesem Fall - wie nach deutschen Recht - die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis bereits daran scheitern kann, dass er dann bei seiner Einreise seinen wahren Aufenthaltszweck nicht angegeben hätte. Er wäre als Tourist eingereist, obwohl er tatsächlich einen längerfristigen Aufenthalt verfolgt hätte.

7

Das Gericht weist noch auf folgendes hin:

8

Sollte der Antragsteller eine Aufenthaltserlaubnis für Bosnien-Herzegowina erhalten, dürfte seine Ausreise nach Bosnien-Herzegowina nicht nur möglich, sondern auch zumutbar (§ 25 Abs. 3 Satz 2 2. Halbsatz AufenthG) sein. Das Gericht geht nicht davon aus, dass der Antragsteller im Falle seiner Ausreise seine Existenzgrundlage verlieren würde, während er in Bosnien-Herzegowina zunächst keinerlei Erwerbsquelle hätte. Insoweit hält das Gericht die Ausführungen des Antragsgegners in dem angefochtenen Bescheid für zutreffend. Zwar beziehen der Antragsteller und seine Familie z. Zt. keine Sozialhilfeleistungen. Dies ist aber nur deshalb der Fall, weil sie freiwillig auf Sozialhilfeleistungen verzichtet haben. Nach Angaben des Antragsgegners sichert der erst im November 2005 angemeldete Gebrauchtwagenhandel den Lebensunterhalt des Antragsteller und dessen Familie nicht, vielmehr stünden diesen nach wie vor Ansprüche auf ergänzende Sozialhilfe zu.

9

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Streitwertbeschluss:

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.

Die Streitwertfestsetzung folgt aus den §§ 53 Abs. 3 Nr. 2, 52 Abs. 2 GKG. Dabei legt das Gericht in ständiger Rechtsprechung bei einem Streit um eine Aufenthaltserlaubnis den Auffangstreitwert von 5.000,00 Euro zugrunde. Für die daneben erlassene Abschiebungsandrohung nimmt das Gericht keine Erhöhung vor. Da mit dem vorläufigen Rechtsschutzbegehren im Ergebnis eine Vorwegnahme der Hauptsacheentscheidung verbunden ist, kommt eine Reduzierung des Betrages von 5.000,00 Euro nicht in Betracht.