Landgericht Lüneburg
Beschl. v. 27.12.2023, Az.: 3 S 35/23

Schadensersatzanspruch des Grundstücksnachbarn bezüglich der Erhöhung eines Schornsteins

Bibliographie

Gericht
LG Lüneburg
Datum
27.12.2023
Aktenzeichen
3 S 35/23
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2023, 54114
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
AG Celle - AZ: 130 C 200/23

In dem Rechtsstreit
1. Herrn XXX
2. Frau XXX
Kläger und Berufungskläger
Prozessbevollmächtigte zu 1, 2: Rechtsanw. XXX
XXX
gegen
Herrn XXX
Beklagter und Berufungsbeklagter
Prozessbevollmächtigter: Rechtsanw. XXX
XXX
hat die 3. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg am 15.12.2023 durch den Vizepräsidenten des Landgerichts XXX die Richterin am Amtsgericht XXX und die Richterin am Landgericht XXX beschlossen:

Tenor:

Es wird erwogen, die Berufung durch einstimmigen Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen. Dem Berufungskläger wird Gelegenheit zur Stellungnahme und zu einer weitere Kosten zum Teil vermeidenden Berufungsrücknahme binnen drei Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses gegeben.

Gründe

I.

Die Parteien streiten um Schadensersatz bezüglich einer Erhöhung eines Schornsteins.

Bei den Klägern handelt es sich um die Nachbarn des Beklagten.

Der Beklagte hat im Jahr 2019/2020 mit einer Baugenehmigung auf seinem Grundstück ein zweigeschossiges Mehrfamilienhaus mit einer Firsthöhe von ca. 10 m errichtet. Die Baugenehmigung erhielt keinerlei Auflagen hinsichtlich des Abstands zur Kaminanlage der Kläger.

Die Kaminanlage der Kläger, welche bereits ca 1990 erbaut wurde, hält ab 2024 die dann geltenden Imissionswerte nicht mehr ein.

Es ist dadurch eine Nachrüstung erforderlich. Eine solche Nachrüstung ist ordnungsrechtlich als Neuerrichtung der Anlage zu werten, sodass für die ursprünglich genehmigte Anlage kein Bestandsschutz mehr besteht. Dies bedeutet, dass bei der Nachrüstung insbesondere § 19 Nummer 2 der 1. Bundesimmissionsschutzverordnung eingehalten werden muss, wonach die Austrittsöffnung der Kaminanlage im Umkreis von 15 m die Oberkante von Lüftungsöffnung, Fenster und Türen um mindestens 1 m überragen muss. Da die bisherige Anlage in dem jetzigen Zustand dies gegenüber dem vom Beklagten errichteten Neubau nicht einhalten kann, muss der Schornstein im erheblichen Umfang verlängert werden und mit umfangreichen Abspannung gesichert werden, was - so behaupten es die Kläger - ausweislich eines eingeholten Kostenvoranschlages voraussichtlich Kosten in Höhe von 4.023,39 € verursachen werde. Ohne das zwischenzeitlich errichtete Haus der Beklagten wäre diese Erhöhung nicht erforderlich.

Die Kläger sind der Ansicht, dass ihnen daher ein Anspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 5 NBauO aus der Verletzung des nachbarrechtlichen Rücksichtnahmegebots auf Schadensersatz zustehe. Sie sind der Ansicht, dass der Beklagte bei der Errichtung seines Neubaus die für Kaminanlagen notwendigen Abstände von vornherein hätte berücksichtigen müssen. Ein etwaiges Verschulden des Architekten sei ihm zuzurechnen.

Sie haben in der ersten Instanz beantragt, wie folgt zu erkennen:

  1. 1.

    Der Beklagte wird verurteilt, an die Kläger einen Betrag in Höhe von 3.381,00 € netto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 26.05.2022 zu zahlen.

  2. 2.

    Der Beklagte wird verurteilt, an die Kläger außergerichtliche Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 305,00 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 26.5.2022 zahlen.

Der Beklagte hatte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er vertrat insbesondere die Ansicht, dass die Klage bereits unzulässig sei, da kein Schlichtungsverfahren, wie es seines Erachtens gemäß § 15a Abs 1 EGZPO in Verbindung mit Art 124 EGBGB i.V.m. § 1 Abs 2 Nr 2 b NSchlG vorsieht, durchgeführt worden war.

Im Übrigen läge es allein in der Verantwortung der Kläger, wenn die bisherige Anlage die nunmehr erforderlichen Immissionsschutzwerte nicht erreiche und dadurch eine Nachrüstung erforderlich werde.

Ferner ist er der Ansicht, dass er jedenfalls nicht schuldhaft gehandelt habe, da er eine Baugenehmigung gehabt habe.

Außerdem hätte es den Klägern offen gestanden, im Wege der Drittanfechtungsklage gegen die Erteilung der Baugenehmigung vor dem Verwaltungsgericht vorzugehen. Allein daher fehle es schon am Rechtsschutzbedürfnis für die hier geltend gemachte Klage.

Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Ein Verschulden des Beklagten sei nicht ersichtlich. Insbesondere habe er auch nicht fahrlässig gehandelt, da der Beklagte einen Architekten beauftragt habe und dieser eine Baugenehmigung beantragt habe. Im Rahmen des Genehmigungsverfahren würde die Vereinbarkeit des Bauvorhabens mit den öffentlich-rechtlichen Norm geprüft und daraufhin sei die Baugenehmigung ohne Auflagen erteilt worden. Auf die Rechtmäßigkeit dieser Baugenehmigung habe der Beklagte als baurechtlicher Laie vertrauen dürfen.

Hiergegen richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Kläger.

Sie sind der Ansicht, dass das Amtsgericht zu Unrecht ein Verschulden abgelehnt habe. Insbesondere habe das Amtsgericht unberücksichtigt gelassen, dass der Beklagte einen Architekten beauftragt habe und ein etwaiges Verschulden dieses Architekten ihm zuzurechnen sei. Der Architekt habe deutlich erkennen können, dass im Hause der Kläger eine Kaminanlage betrieben werde. Das Abluftrohr sei bereits dadurch, dass es außen an der Hauswand entlanggeführt wird, deutlich erkennbar. Der Beklagte bzw. sein Architekt hätten hier unabhängig von der Frage, ob Auflagen erteilt wurden, die nachbarschützenden Normen berücksichtigen müssen. Da die Bundesimmissionsschutzverordnung bereits vor Jahren die gestapelten Anforderungen eingeführt habe, sei dies auch erkennbar gewesen.

Im Übrigen sei auch ihr rechtliches Gehör beschnitten worden, da die Baugenehmigung erst nach der mündlichen Verhandlung zur Akte gereicht und ihnen keine Gelegenheit gegeben worden sei, hierauf Stellung zu nehmen. Im Übrigen sei der eingereichten Baugenehmigung die Anlage nicht beigefügt gewesen.

Sie beantragen,

das angefochtene Urteil abzuändern und nach den erstinstanzlichen Anträgen der Berufungskläger zu erkennen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

II.

Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung, eine Entscheidung des Berufungsgerichts zur Fortbildung des Rechts oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ist nicht erforderlich und eine mündliche Verhandlung ist nicht geboten. Die Berufung hat nach derzeitiger Sach- und Rechtslage aus folgenden Gründen offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg.

Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO hat das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen zu Grunde zu legen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Somit besteht eine grundsätzliche Bindung des Berufungsgerichts an die erstinstanzliche Tatsachenfeststellung.

Konkreter Anhaltspunkt in diesem Sinn ist jeder objektivierbare rechtliche oder tatsächliche Einwand gegen die erstinstanzlichen Feststellungen. Bloß subjektive Zweifel, lediglich abstrakte Erwägungen oder Vermutungen der Unrichtigkeit ohne greifbare Anhaltspunkte wollte der Gesetzgeber ausschließen.

In diesem Zusammenhang ist ebenso zu berücksichtigen, dass der Richter nach dem vom Gesetzgeber in § 286 ZPO festgelegten Grundsatz der "freien Beweiswürdigung" nach seiner Überzeugung und unter Beachtung der Denk-, Natur- und Erfahrungsgesetze den gesamten Prozessstoff zu bewerten hat. Dies bedeutet, dass der Richter neben der materiellen Bindung an Gesetz und Recht prozessual lediglich an Denk-, Natur- und Erfahrungsgesetze gebunden ist, im Übrigen aber die im Prozess gewonnenen Erkenntnisse grundsätzlich ohne Bindung an gesetzliche Beweisregeln nach seinen individuellen Einschätzungen bewerten darf. Bei der Würdigung von Beweisen muss der Richter "nach freier Überzeugung" (so § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO) davon überzeugt sein, dass auf der Grundlage eines Beweisergebnisses eine Tatsache mit derart hoher Wahrscheinlichkeit festzustellen ist, dass Zweifeln Schweigen geboten ist, ohne sie - in Anbetracht der allgemeinen Grenzen menschlicher Erkenntnisfähigkeit - völlig auszuschließen (BGHZ 53, 245, 256; BGHZ 61, 165, 169; BGH NJW 2000, 953, 954).

Diese Grundsätze vorausgeschickt, ergeben sich für die Kammer keine konkreten Zweifel an der Tatsachenfeststellung des Amtsgerichts.

Auch die rechtliche Würdigung des Amtsgerichts dürfte zutreffend sein.

Zunächst dürfte das Amtsgericht zurecht davon ausgegangen sein, dass die Klage auch ohne ein vorgeschaltetes Schlichtungsverfahren zulässig ist.

Soweit der Beklagte auf § 15a EGZPO und die Gesetzesbegründung dazu hinweist, dürfte das bereits deswegen nicht einschlägig sein, weil § 15a EGZPO den Bundesländern lediglich vorgegeben hat, in welchem Rahmen sie eine vorherige verpflichtende Streitschlichtung anordnen können.

Von Bedeutung ist daher lediglich, in welchem Umfang Niedersachsen von der grundsätzlichen Ermächtigung Gebrauch gemacht hat. § 1 Abs. 2 Nds. Schlichtungsgesetz schreibt einen Schlichtungsversuch vor der Erhebung der Klage zu den ordentlichen Gerichten für eine Zahlungsklage nicht vor, selbst wenn diese im Zusammenhang mit einem Nachbarrechtstreit steht. Diese Einschränkung findet zwar im Wortlaut der Vorschrift keinen ausdrücklichen Niederschlag, ergibt sich aber aus der Entstehungsgeschichte der Norm. Der niedersächsische Landesgesetzgeber hat von der Ermächtigung in § 15 a EGZPO, als Voraussetzung für bestimmte Klagen einen Schlichtungsversuch vorzuschreiben, erst im Jahr 2009 Gebrauch gemacht. Grundlage des Gesetzgebungsverfahrens waren insbesondere auch die Erfahrungen, die in der Vergangenheit bereits in anderen Bundesländern hinsichtlich der obligatorischen Streitschlichtung gewonnen worden waren. Eine obligatorische Streitschlichtung sollte von vornherein nur für die Sachgebiete eingeführt werden, in denen sie sich nach den Erfahrungen der anderen Bundesländer bewährt hatte, nicht dagegen für Bereiche, in denen sie keine Entlastungseffekte ausgelöst hatte. Ausweislich der Gesetzesbegründung sollte daher der obligatorische Schlichtungsversuch nach Maßgabe von § 15 a EGZPO in Niedersachsen für Nachbarstreitigkeiten und für Ehrverletzungsstreitigkeiten eingeführt werden, da er sich insoweit nach den vorliegenden Erfahrungen bewährt hatte (vgl. Gesetzentwurf v. 10.08.20019, Drucksache 16/1475 des Niedersächsischen Landtags, S. 8 ff.). Die Norm ist daher so zu verstehen, dass für einen auf Zahlung gerichteten Anspruch ein Schlichtungsverfahren auch dann keine Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Klage ist, wenn der Anspruch mit der Verletzung nachbarrechtlicher Pflichten begründet wird (vgl. hierzu auch BGH, Urt. v. 19.02.2016, V ZR 96/15, Rn. 10 ff. m.w.N., zitiert nach juris; vgl. LG Osnabrück, Urteil vom 22. November 2017 - 1 S 498/16 -, Rn. 25, juris).

Das Amtsgericht dürfte daher die Klage zu Recht nicht als unzulässig abgewiesen haben.

Nach derzeitig einstimmiger Einschätzung der Kammer dürfte das Amtsgericht die Klage auch zutreffend als unbegründet angesehen haben.

Es ist derzeit nicht ersichtlich, dass der Beklagte gegen § 5 NBauO verstoßen haben könnte. Der Beklagte hat ein Bauvorhaben geplant, eine Baugenehmigung dafür beantragt und die Baugenehmigung dafür auch bekommen.

Wenn der Kläger ein niedrigeres Haus hat und einen Schornstein so errichtet hat (oder ein Haus mit einem entsprechenden Schornstein gekauft hat), dass der Schornstein für ein in der Nachbarschaft zulässigerweise zu bauendes Haus zu niedrig ist, dann dürfte dies in seinen Zuständigkeitsbereich fallen. Wäre der Kamin nach dem Haus des Beklagten gebaut worden, so hätten die Kläger sogleich einen höheren Schornstein bauen müssen.

Letztlich hat auch nicht der Neubau des Hauses des Beklagten die Nachrüstung erforderlich gemacht, sondern die Anhebung der Grenzen der Immisionsschutzverordnung.

Der Beklagte hat ein zulässiges Bauvorhaben errichtet und dafür eine Baugenehmigung bekommen.

Wenn die Kläger geltend machen wollen, dass der Beklagte so hoch hätte nicht bauen dürfen, dann wäre es erforderlich gewesen, gegen diese Baugenehmigung vorzugehen, nämlich mit der jetzt geltend gemachten Begründung, die Baugenehmigung verstoße gegen das Gebot der Rücksichtnahme. Dann hätte das Verwaltungsgericht darüber entschieden, ob das so richtig ist oder ob keine Verletzung des Rücksichtnahmegebotes vorliegt.

Die nachbarschützende Wirkung dürfte durch die erteilte Baugenehmigung untergegangen sein. Denn nach derzeitiger Einschätzung kann man nur im verwaltungsrechtlichen Wege gegen die (Ausnahme-)Genehmigung mit der Begründung vorgehen, bei Erteilung der Genehmigung seien die Rechte des Nachbarn nicht ausreichend berücksichtigt worden.

So lange der Beklagte rechtmäßig, d. h. aufgrund einer wirksam erteilten Baugenehmigung sein Bauvorhaben errichtet hat - und dass dies nicht der Fall ist, wird von der Klägerseite in keiner Weise substantiiert behauptet - ist nicht ersichtlich, wie gegen eine zivilrechtliche Vorschrift verstoßen worden sein soll. Und zwar weder vom Architekten noch von dem Beklagten selbst, wobei den Klägern sicherlich darin zuzustimmen ist, dass dem Beklagten ein eventuelles Verschulden seines Architekten grundsätzlich zuzurechnen sein dürfte.

Dies dürftet umso mehr gelten, da die Vorschrift des § 19 Erste Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Verordnung über kleine und mittlere Feuerungsanlagen - 1. BImSchV) sich gegen den Nachbarn mit dem Schornstein richtet, da sein Schornstein nicht tiefer als die Fenster nebenan sein darf. Das Verbot richtet sich also gerade nicht gegen die Höhe des Hauses des Beklagten.

Die Kammer regt deshalb - unbeschadet der Möglichkeit zur Stellungnahme - die kostengünstigere Rücknahme des Rechtsmittels an.