Landgericht Lüneburg
Beschl. v. 31.01.2023, Az.: 3 S 29/22

Bibliographie

Gericht
LG Lüneburg
Datum
31.01.2023
Aktenzeichen
3 S 29/22
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2023, 31392
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
AG Lüneburg - 14.06.2022 - AZ: 48 C 67/21

Fundstelle

  • ZMR 2023, 500-503

In dem Rechtsstreit
Herrn XXX
Kläger und Berufungskläger,
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanw. XXX
gegen
WEG
Beklagte und Berufungsbeklagte,
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanw. XXX
hat die 3. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg am 31,01,2023 durch den Vizepräsidenten des Landgerichts XXX, die Richterin am Landgericht XXX und die Richterin XXX beschlossen:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das am 14.06.2022 verkündete Urteil des Amtsgerichts Lüneburg wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Das genannte Urteil wird ohne Sicherheitsleistung für vorläufig vollstreckbar erklärt.

Der Streitwert für die Berufungsinstanz wird auf 10.000 € festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Zur Begründung nimmt die Kammer auf die Darstellung des Sach- und Streitstandes in dem Beschluss vom 07.11.2022 Bezug.

Auch der Schriftsatz vom 06.12.2022 bietet keinen Anlass zu einer anderweitigen Würdigung der Sach- und Rechtslage:

A. Hauptantrag

Mit Schriftsatz vom 06.12.2022 rügt der Kläger, § 47 WEG erfasse nicht nur Altvereinbarungen, die den früheren Gesetzestext wiederholen. Er erfasse auch diejenigen Vereinbarungen, die von der Rechtslage des früheren WEG von vorneherein abweichen. § 47 WEG enthalte keine ungeschriebene Tatbestandsvoraussetzung, wonach eine Gesetzeswiederholung erforderlich wäre.

l.

Unabhängig davon, ob man in den § 47 WEG das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal hineinlesen möchte, dass dieser nur Altvereinbarungen erfasst, die den Wortlaut des bei ihrer Errichtung geltenden WEG wiederholen, ist dessen Tatbestandsvoraussetzung nicht erfüllt. Im streitgegenständlichen Fall ist ein entgegenstehender Wille i.S.d. § 47 WEG anzunehmen. Dieser "Versteinerungswille" muss sich nach einer Auslegung aus der Vereinbarung selbst ergeben. Maßgebend ist also der Wortlaut und Sinn, wie er sich aus unbefangener Sicht als nächstliegende Bedeutung der Eintragung ergibt. Umstände außerhalb der Eintragung dürfen nur herangezogen werden, wenn sie nach den besonderen Verhältnissen des Einzelfalls für jedermann ohne weiteres erkennbar sind (BeckOK WEG/Elzer, 50. Aufl., WEG § 47). Es ist ohne weiteres erkennbar, dass ein solcher Wille hier gegeben ist. Die Eigentümer haben explizit eine vom damaligen WEG abweichende Regelung vereinbart. Die damalige Gesetzeslage hinsichtlich der Zuständigkeit und der Kostentragung entsprach in diesem Punkt auch der heutigen. Das bewusste Abwenden von den Zuständigkeiten und damit verbunden der Kostenregelung, spricht eindeutig für einen entgegenstehenden Willen. Daher ist davon auszugeben, dass die Wohnungseigentümer das Zusammenleben in der WEG eigenständig und abweichend von der damaligen und damit auch heutigen Rechtslage regeln wollten. Einen anderen Sinn und Zweck kann der Regelung nicht entnommen werden.

II.

Darüber hinaus ist die Kammer der Auffassung, dass dem § 47 WEG das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal der wiederholenden Altvereinbärung beizumessen ist, wobei es hierauf grundsätzlich nach dem oben Gesagten nicht ankommt.

1.

Zum einen meint der Kläger Gegenteiliges folge aus den Gesetzesmaterialien (vgl. BR-Drs. 168/20, S. 95). Die Gesetzesbegründung führe nämlich an erster Stelle aus, dass § 47 WEG sicherstellen soll, dass die geänderten Vorschriften des WEG "in der Regel auch in den Gemeinschaften gelten" soll, "in denen Wohnungseigentum vor Inkrafttreten der Änderungen begründet worden ist". Eine Einschränkung auf bloß gesetzeswiederholende Alternatiwereinbarungen sei dem nicht zu entnehmen. Der später in der Gesetzesbegründung erwähnte Anwendungsfall, dass eine Vereinbarung den Gesetzeswortlaut wiederholt, werde lediglich beispielhaft aufgeführt.

Dieser Einwand des Klägers verfängt nicht. Entgegen der Ansicht des Klägers handelt es sich in der Gesetzesbegründung nicht nur um eine beispielhafte Aufzählung. In der Begründung heißt es klar:

"Eine solche Vorschrift ist notwendig, da viele Gemeinschaftsordnungen den Wortlaut des bei ihrer Errichtung geltenden Gesetzes wiederholen. In der Regel wird damit nicht bezweckt, dass diese Vorschriften auch gegenüber späteren Gesetzesänderungen Vorrang genießen. Vielmehr soll die Wiederholung gesetzlicher Vorschriften in der Gemeinschaftsordnung in der Regel nur den Wohnungseigentümern und dem Verwalter die Lektüre des Gesetzes ersparen. Problematisch ist jedoch, dass es bei späteren Gesetzesänderungen zu einem zumindest formalen Widerspruch von Gemeinschaftsordnung und geändertem Gesetz kommen kann". (BR-Drs. 168/20, S. 95)

Aus dieser Formulierung wird deutlich, dass der Gesetzgeber die Notwendigkeit des § 47 WEG gerade für solche Fälle erachtet hat, wo ursprünglich der Gesetzeswortlaut mit der Formulierung in der Gemeinschaftsordnung übereinstimmte. In einem solchen Fall lag demnach zunächst keine abweichende Vereinbarung nach § 10 Abs. 1 WEG vor und war auch nicht gewollt. Sinn und Zweck war allein die damit einhergehende Ersparnis der Gesetzeslektüre. Wenn aber nun durch die geänderte Gesetzeslage der neue gesetzliche Wortlaut und die Formulierung in der Gemeinschaftsordnung nicht übereinstimmen, so würde rein formal eine abweichende Vereinbarung nach § 10 Abs. 1 WEG vorliegen. In diesem Fall müsste im Wege der Auslegung ermittelt werden, ob eine abweichende Vereinbarung nach § 10 Abs. 1 WEG vorliegt. Eben diesen Unsicherheiten soll durch § 47 WEG entgegengewirkt werden. Sofern die Eigentümer aber - wie hier - schon von Anfang an eine abweichende Vereinbarung getroffen haben, kann kein Raum für die Anwendung des § 47 WEG bleiben. Dies folgt daraus, dass in dieser Konstellation kein Bedürfnis dafür gegeben ist, die oben benannten Unsicherheiten zu beheben, da schon von vorneherein eine abweichende Vereinbarung bezweckt war.

2.

Soweit der Kläger meint, die Beschränkung aufAlternatiwereinbarungen, die nur den früheren Gesetzeswortlaut wiederholen, sei nicht mit dem Sinn und Zweck des Gesetzes vereinbar, folgt auch aus diesem Einwand keine andere Bewertung. Wie zu Ziff. 1 bereits angeführt ist es gerade der Sinn und Zweck des § 47 WEG die durch eine nachträgliche Änderung entstandene Widersprüchlichkeit zwischen dem neuen WEG und den in der Gemeinschaftsordnung verfassten Regelungen aufzulösen, welche von den Eigentümern nicht gewollt war.

3.

Eine andere Bewertung folgt auch nicht aus dem offenen Wortlaut des § 47 WEG, da dieser einer hinreichenden Konkretisierung durch die zu Ziff. 1 und 2 angestellten Erwägungen zugänglich ist.

4.

Wenn der Kläger seine Auffassung mit verschiedenster Kommentarliteratur begründet, mag es zwar zutreffend sein, dass teilweise in der Literatur eine abweichende Meinung vertreten wird. Allerdings hat sich die Kammer dennoch eine eigene Meinung zu bilden. Auf Grund der Bewertung der Gesetzesmaterialien sowie dem Sinn und Zweck des § 47 WEG aber auch abweichender - bereits im Beschluss vom 07.11.2022 zitierter - Literatur, verbleibt die Kammer weiter bei der Auffassung, dass § 47 WEG auf den streitgegenständtichen Fall keine Anwendung findet.

a) So meint beispielsweise Elzer, § 47 WEG widme sich allein solchen Vereinbarungen, die den Wortlaut des bei ihrer Errichtung geltenden WEG wiederholen. Ungeschriebene Tatbestandsvoraussetzung des §47 WEG sei aus diesem Grunde, dass die zu betrachtende Vereinbarung den Wortlaut des alten Gesetzes wiederhole (Elzer in: BeckOK WEG, § 47, Rn. 6, 50. Auflage, Stand: 30.09.2022 mwN). Weiter führt dieser an, es liege auf der Hand, dass eine Vereinbarung, die etwas vom Gesetz Abweichendes bestimmte, aller Voraussicht nach kein Zufall war und daher mit dem Willen abgeschlossen wurde, das Leben in einer Wohnungseigentumsanlage eigenständig und originär zu regeln. Hier ergebe sich also bereits aus der Vereinbarung selbst der Wille, auch einem neueren Gesetz nicht weichen zu wollen. Andernfalls hätten die Wohnungseigentümer jederzeit die entsprechende Vereinbarung mit einer Offnungsklausel versehen können. Der Gesetzgeber darf den Wohnungseigentümern auch keinen Willen unterstellen, den sie nach den maßgeblichen Grundsätzen der objektiven Auslegung von Grundbucheintragungen erkennbar nicht hatten (s. auch Becker/SchneiderZflR 2020, 281 (307)). Hatte daher eine Vereinbarung eine vom bei ihrer Errichtung geltenden WEG bewusst abweichende Bestimmung getroffen, ist der Tatbestand des § 47nicht erfüllt (Elzer in: BeckOK WEG, § 47, Rn. 6, 50. Auflage, Stand: 30.09.2022 mwN). Dieser zutreffenden Auffassung schließt sich die Kammer ah.

Wenn der Kläger nun meint, es müsse hier eine andere Grenze gezogen werden, da die aktuellen WEG-Strukturen gleichsam zerstört werden würden und auch eine "aktuelle" Vereinbarung daher als unwirksam angesehen werden müsse, vermag die Kammer dem nicht zu folgen. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass die aktuellen WEG-Strukturen durch die Vereinbarung zerstört werden würde.

b) Auch aus den Ausführungen von Irene/Heinemann folgt eben diese Auslegung. Diese führen aus: "Die Regelung hat der Gesetzgeber für erforderlich gehalten, weil viele Gemeinschaftsordnungen den Wortlaut des Gesetzes wiederholen, ohne damit aber abweichende Regelungen schaffen zu wollen, sondern nur den Inhalt des Gesetzes in ihre Gemeinschaftsordnung aufnehmen, um den Wohnungseigentümern die Lektüre des Gesetzes zu ersparen. Bei späteren Änderungen des Gesetzes kommt es dann allerdings zu einem Widerspruch zwischen der Gemeinschaftsordnung und dem geänderten Gesetz. Allein diese Abweichung soll nicht dazu führen, dass geprüft werden muss, ob es sich dabei um eine abweichende Vereinbarung iSv§10Abs.1 S. 2 handelt". Auch aus diesen Ausführungen folgt, dass von dem ungeschriebenen Tatbestandsmerkmal auszugehen ist.

B. Hilfsantrag

Mit seinem Hilfsantrag begehrt: der Kläger, festzustellen, dass die streitbefangenen Regelungen nicht auf die Beseitigung anfänglicher Baumängel anzuwenden sind und keine Vereinbarung hinsichtlich der Kostentragungslast beinhalten.

I. Beseiticjuna anfäncilicher Baumängel

Soweit der Kläger mit dem Wortsinn der "Erhaltung" argumentiert und meint, dieser sei wortwörtlich auszulegen, verfängt dies nicht. Denn hierbei handelt es sich zumindest um einen anderen Begriff, der nicht mit der vereinbarten "Instandhaltung und Instandsetzung" gleichzusetzen ist. Der Begriff der reinen "Erhaltung" ist seinem Wortlaut nach freilich enger auszulegen als der Begriff der "Instandsetzung". Aber gerade vom Letzteren wird in der streitbefangenen Regelung gesprochen. Zum Begriff der Instandsetzung und Instandhaltung werden nach h.M. aber eben auch solche Maßnahmen gezählt, die zu einer erstmaligen ordnungsmäßigen Herstellung/Erstellung des gemeinschaftlichen Eigentums erforderlich sind (stRspr, exemplarisch BGH NJW-RR 2018, 1165 Rn. 11; NZM 2018, 611 Rn. 10; NJW-RR 2017, 462 [BGH 09.12.2016 - V ZR 84/16] Rn. 26; NZM 2016, 523 [BGH 26.02.2016 - V ZR 250/14] Rn. 10; NJW 2015, 2027 [BGH 14.11.2014 - V ZR 118/13] Rn. 20). Weiter gehört hierher auch eine Maßnahme, die einen anfänglichen Baumangel ausgleicht (vgl. BGH NZM 2018,611 [BGH 04.05.2018 - V ZR 203/17] Rn. 10 und Rn. 18; OLG Schleswig OLGR 2003, 451 (452); LG Köln ZWE 2013, 263).

II. Kostentraaungungslast

Die streitbefangene Regelung enthält auch eine eindeutige Regelung der Kostentragungslast.

Wenn der Kläger nun meint, eine andere Bewertung folge aus der Definition des Wohnungseigentums, weshalb sich der erste Satz von Nr. 11. 3b GO nicht auf die Kostentragungslast hinsichtlich der Erhaltung in gemeinschaftlichem Eigentum stehender Gebäudesubstanz auswirken könne, verfängt dies nicht. Zum einen spricht der 11. 3b GO nur von einer "entsprechenden" Geltung. Die eindeutige Regelung der Kostentragungslast folgt zum anderen aber auch alleine aus dem letzten Satz der Nr. 11. 3 b GO, wonach in allen Zweifelsfällen die Kosten der jeweilige Eigentümer zu tragen hat. Dies folgt auch aus dem Zusammenspiel der vorstehenden Sätze des 3b) GO. In diesen ist nämlich geregelt, dass eine abweichende Kostentragungslast nur in bestimmten - dort aufgeführten - Fällen vorgesehen ist. Im Umkehrschluss daraus folgt, dass die Kostentragungslast sich im Übrigen nach dem letzten Satz des 11. 3b GO richten muss.

C. Da die Sache im Übrigen keine grundsätzliche Bedeutung hat, die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung keine Entscheidung der Kammer erfordert und eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist, war die Berufung wie angekündigt gem. § 522 Abs. 2 ZPO mit der sich aus § 97 ZPO ergebenden Kostenfolge zurückzuweisen. Das angefochtene Urteil war ferner gem. § 708 Nr. 10 l ZPO ohne Sicherheitsleistung für vorläufig voltstreckbar zu erklären.