Landgericht Lüneburg
Beschl. v. 16.10.2023, Az.: 6 S 39/23

Anspruch des Eigentümers und Vermieters gegen den Mieter auf Räumung eines Einfamilienhauses nach Kündigungserklärung wegen Eigenbedarfs

Bibliographie

Gericht
LG Lüneburg
Datum
16.10.2023
Aktenzeichen
6 S 39/23
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2023, 53913
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
AG Lüneburg - 11.04.2023 - AZ: 42 C 86/22

In dem Rechtsstreit
Frau M.H.,
Beklagte zu 2. und Berufungsklägerin,
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte X
gegen
Herrn H.H.
Kläger und Berufungsbeklagter,
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte Y
Herrn E.H.
Beklagter zu 1.,
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte Z
hat die 6. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg am 16.10.2023 durch die Richterin am Landgericht Dr. S., die Richterin am Landgericht E. und den Richter am Landgericht Sch. beschlossen:

Tenor:

1.Die Berufung der Beklagten zu 2. gegen das Urteil des Amtsgerichts Lüneburg vom 11.04.2023 wird auf ihre Kosten als unzulässig verworfen.

2.Der Streitwert zweiter Instanz wird auf bis zu 13.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.

Der Kläger begehrt von den Beklagten die Räumung eines von ihm an den Beklagten zu 1. vermieteten und zwischenzeitlich nur noch von der Beklagten zu 2. bewohnten Einfamilienhauses nach Kündigungserklärung wegen Eigenbedarfs.

Die Beklagte zu 2. stellte am 05.01.2023 einen Befangenheitsantrag gegen den zuständigen Richter am Amtsgericht Dr. G., der durch den Richter Direktor des Amtsgerichts H. abgelehnt wurde. Nach sofortiger Beschwerde der Beklagten zu 2. gegen diesen Beschluss und Nichtabhilfe wies die Vorsitzende Richterin am Landgericht U. die sofortige Beschwerde mit Beschluss vom 28.03.2023, der Beklagten zu 2. zugestellt am 29.03.2023, zurück.

Am 11.04.2023 erließ das Amtsgericht Lüneburg durch den Richter am Amtsgericht Dr. G. ein Teil-Anerkenntnisurteil, in welchem es den Beklagten zu 2. antragsgemäß zur Räumung des Objekts verurteilte. Das Urteil wurde der Beklagten zu 2. am 19.04.2023 formlos übersandt.

Die Beklagte erhob mit Schriftsatz vom 11.04.2023, beim Amtsgericht Lüneburg eingegangen am 12.04.2023, eine Gehörsrüge und lehnte die Vorsitzende Richterin am Landgericht U. wegen der Zurückweisung der sofortigen Beschwerde ab. Das Ablehnungsgesuch wurde zwischenzeitlich durch das Landgericht als unzulässig verworfen und die Gehörsrüge zurückgewiesen.

Mit Schriftsatz vom 22.05.2023 hat die Beklagte zu 2. gegen das Teil-Anerkenntnisurteil Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 20.06.2023 begründet. Sie führt an, die Berufung sei, obwohl das Anerkenntnisurteil gegen den Beklagten zu 1. ergangen sei, zulässig. Da es sich bei den Beklagten um notwendige Streitgenossen handele, sei sie beschwert. Die Beklagte zu 2. sei auch Mieterin, da sie am 12.06.2022 einen mündlichen Mietvertrag geschlossen habe. Das abgegebene Anerkenntnis sei auch nicht wirksam. Zudem habe ein abgelehnter Richter entschieden. Zwar habe das Landgericht die sofortige Beschwerde gegen den Befangenheitsantrag vor Erlass des Anerkenntnisurteils zurückgewiesen, dieser hätte jedoch vor Ablauf der Frist zur Einlegung der Rüge nach § 321a ZPO nicht entscheiden dürfen. Die Beklagte zu 2. hat die Berufung mit Schriftsätzen vom 18.07.2023 und 28.09.2023 weitergehend begründet und angeführt, eine Zulässigkeit der Berufung ergebe sich aufgrund des Drohens sich widersprechender Entscheidungen im erstinstanzlichen Verfahren. Auf die Berufungsbegründung wird im Übrigen verwiesen (Bl. 397 ff., 416 ff., 447 ff. d.A.).

Der Kläger ist der Berufung entgegengetreten und beantragt, diese als unzulässig zu verwerfen.

II.

Die Berufung ist mangels Beschwer der Beklagten zu 2. unzulässig (§§ 511 Abs. 2 Nr. 1, 522 ZPO).

Die Beklagte zu 2. ist durch das Anerkenntnisurteil gegen den Beklagten zu 1. nicht beschwert, da dieses keinen Einfluss auf ihre Rechtsposition hat. Die Beschwer einer Partei folgt aus dem rechtskraftfähigen Inhalt des angefochtenen Urteils. Für einen Beklagten folgt diese aus dem Betrag oder Wert seiner Verurteilung. Die Beschwer ist auch bei Teil-Urteilen für jedes anzufechtende Urteil gesondert zu ermitteln (MüKoZPO, 6. Auflage 2020, vor § 511 Rn. 66).

Entgegen der Ansicht der Beklagten zu 2. liegt eine Beschwer bei ihr nicht wegen der Streitgenossenschaft der Beklagten vor, da es sich bei den Beklagten nicht um notwendige Streitgenossen handelt. Mieter und Dritter können zwar gleichzeitig verklagt werden, weil sie gesamtschuldnerisch auf Rückgabe haften. Eine gemeinschaftliche Klage gegen alle Besitzer oder Räumungsverpflichtete ist aber nicht zwingend. Räumungsverpflichtete sind insoweit einfache Streitgenossen (Schmidt-Futterer/Streyl, 15. Aufl. 2022, BGB § 546 Rn. 129). Auf die Beschwer eines Streitgenossen kommt es aus zuvor genannten Gründen gerade nicht an (BeckOK ZPO/Wulf, 50. Ed. 1.9.2023, ZPO § 511 Rn. 12).

Eine Beschwer kann durch die Beklagte zu 2. auch nicht dadurch hergeleitet werden, dass sie meint, im Rahmen des Teil-Anerkenntnisurteils habe ein abgelehnter Richter mitgewirkt und ein wirksames Anerkenntnis liege nicht vor. Für eine Beschwer ist es wegen des für diese alleine maßgeblichen rechtskraftfähigen Inhalts des angefochtenen Urteils nämlich gerade nicht zu berücksichtigen, ob die Entscheidung unerwünschte oder fehlerhafte Ausführungen enthält oder sich sogar als greifbar gesetzwidrig darstellt (vgl. entsprechend für die Rechtsbeschwerde: BGH, Beschluss vom 07.03.2002, IX ZB 11/02, zitiert nach: beck-online). Dies berücksichtigend kommt es insbesondere nicht darauf an, ob die Notfrist für die Gehörsrüge nach § 321a ZPO nach der ablehnenden Entscheidung über die sofortige Beschwerde gegen den Befangenheitsantrag bereits abgelaufen war.

Die Frist des § 321a Abs. 2 ZPO ist darüber hinaus schon deshalb offenkundig nicht maßgeblich für die Zulässigkeit weitergehender Entscheidung des abgelehnten Richters, da die Frist überhaupt erst nach Kenntnis von der Verletzung des rechtlichen Gehörs anfängt zu laufen (§ 321a Abs. 2 ZPO), wodurch diese - die Ansicht der Beklagten zu 2. unterstellt - eine weitergehende Entscheidung durch einen abgelehnten Richter bei jeglichem Verstoß gegen das rechtliche Gehör bis zur Kenntnis von diesem dauerhaft verhindern würde. Dies widerspricht dem Sinn und Zweck der Gehörsrüge, die eine unanfechtbare Entscheidung voraussetzt sowie kein Rechtsmittel ist und daher weder einen Suspensiveffekt gegen vorherige Entscheidungen noch einen Devolutiveffekt aufweist (BGH, Urteil vom 21.05.2014, III ZR 355/13, zitiert nach: beck-online).

Die Berufung ist auch nicht ausnahmsweise zulässig, weil es sich um ein unzulässiges Teil-Urteil handelt. Der Erlass eines Teil-Anerkenntnisurteils war zulässig. Eine Teilentscheidung ist zwar nur zulässig, wenn sie unabhängig von der Entscheidung über den restlichen Verfahrensgegenstand ist. Da das Gericht bei einem Anerkenntnis der Prüfung des Streitstoffes in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht jedoch enthoben ist und den anerkannten Anspruch lediglich dahingehend prüft, ob er eine Rechtsfolge zum Inhalt hat, die das geltende Recht zulässt (MüKoZPO/Musielak, 6. Aufl. 2020, ZPO § 307 Rn. 22), besteht - anders als in dem von der Beklagten zu 2. angeführten Urteil des Bundesgerichtshofes (BGH Urteil vom 01.07.2020, VIII ZR 323/18, zitiert nach beck-online) - schon keine Gefahr von sich inhaltlich widersprechenden Entscheidungen.

Auf weitergehende materiell-rechtliche Erwägungen der Beklagten zu 2., unter anderem zu ihrer Stellung als Mieterin, kommt es mangels Zulässigkeit der Berufung nicht an.

III.

Soweit die Beklagte zu 2. beantragt hat, die Rechtsbeschwerde zuzulassen, hat dies nicht zu erfolgen, da eine Zulassung wegen der gesetzlichen Regelung des § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO i.V.m. § 574 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO unbeachtlich und ohne Bindungswirkung wäre.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

V.

Der Streitwert war für das Berufungsverfahren gemäß § 3 ZPO i.V.m. § 41 Abs. 2 S. 1 GKG auf die Miete für 12 Monate, mithin auf bis zu 13.000,00 € festzusetzen.