Landgericht Lüneburg
Urt. v. 07.12.2023, Az.: 5 O 6/23
Wettbewerbsrechtlicher und datenschutzrechtlicher Unterlassungsanspruch wegen des Verschicken von Werbung per E-Mail
Bibliographie
- Gericht
- LG Lüneburg
- Datum
- 07.12.2023
- Aktenzeichen
- 5 O 6/23
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2023, 53472
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlage
- Art. 82 DS-GVO
In dem Rechtsstreit
des Herrn M. P. L.,
Kläger
Prozessbevollmächtigter: Rechtsanw. B. W.,
gegen
f. GmbH, vertreten durch d. Geschäftsführer,
Beklagte
Prozessbevollmächtigter: Rechtsanw. Dr. S. D.,
wegen Unterlassungs- und Schadensersatzanspruch
hat die 5. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg auf die mündliche Verhandlung vom 09.11.2023 durch die Richterin C. als Einzelrichterin
für Recht erkannt:
Tenor:
- 1.
Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzendes Ordnungsgeldes bis zur Höhe von 250.000,- € oder Ordnungshaft von bis zu sechs Monaten - zu vollstrecken an den gesetzlichen Vertretern der Beklagten - zu unterlassen, dem Kläger elektronische Nachrichten (E-Mails) werblichen Inhalts zu senden oder senden zu lassen, ohne dass eine wirksame Einwilligung des Klägers vorliegt.
- 2.
Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger Auskunft darüber zu geben, welche Daten zu seiner Person in deren Unternehmen gespeichert sind, auch soweit sich diese auf Herkunft und Empfänger beziehen, welcher Zweck mit der Speicherung dieser Daten verfolgt wird, und an welche Personen oder Stellen diese Daten übermittelt wurden bzw. werden.
- 3.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Schadensersatz in Höhe von 500,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 12.04.2023 zu zahlen.
- 4.
Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von den außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten von 540,50 € freizustellen.
- 5.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
- 6.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. In Bezug auf den Klageantrag zu Ziffer 3 darf die Beklagte die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
und beschlossen: Der Streitwert wird auf 6.000,00 Euro festgesetzt.
Tatbestand
Die Parteien streiten über Ansprüche wegen Verletzung von Datenschutzvorschriften durch zugesandte Werbeemails.
Der Kläger erhielt von der Beklagten zahlreiche Werbeemails. Er hatte zunächst in den Erhalt solcher Emails eingewilligt, indem er sich bei dem Email-Newsletter der Beklagten angemeldet hatte. Nachdem er sich von diesem abgemeldet hatte verschickte die Beklagte an den Kläger am 18.09.2022, 20.09.2022, 23.09.2022 und 25.09.2022 Werbeemails.
Der Kläger meldete sich von dem Email-Newsletter der Beklagten erneut am 20.09.2022 ab. Die Abmeldung wurde ihm daraufhin per Email bestätigt.
Dennoch erhielt er am 24.11.2022, 25.11.2022, 28.11.2022, 3.12.2022 und 4.12.2022 Werbeemails durch die Beklagte. Am 16.12.2022 wurde die Beklagte durch den Prozessbevollmächtigten des Klägers aufgefordert, den Versand der Werbeemails an den Kläger zu unterlassen und eine Unterlassungserklärung abzugeben.
Dieser Aufforderung kam die Beklagte nicht nach, sondern verschickte am 4.1.2023, 6.1.2023, 8.1.2023 und 10.1.2023 weitere Werbeemails an den Kläger. Die Beklagte kann dieser Aufforderung auch trotz erneuter Aufforderung durch den Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 04.01.2023 nicht nach.
Der Erhalt der Werbeemails verärgerte den Kläger und er musste Zeit aufwenden, um diese Werbeemails zu löschen.
Der Kläger beantragt nach Klageänderung,
- 1.
Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzendes Ordnungsgeldes bis zur Höhe von 250.000,- € oder Ordnungshaft von bis zu sechs Monaten - zu vollstrecken an den gesetzlichen Vertretern der Beklagten - zu unterlassen, dem Kläger elektronische Nachrichten (E-Mails) werblichen Inhalts zu senden oder senden zu lassen, ohne dass eine wirksame Einwilligung des Klägers vorliegt.
- 2.
Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger Auskunft darüber zu geben, welche Daten zu seiner Person in deren Unternehmen gespeichert sind, auch soweit sich diese auf Herkunft und Empfänger beziehen, welcher Zweck mit der Speicherung dieser Daten verfolgt wird, und an welche Personen oder Stellen diese Daten übermittelt wurden bzw. werden.
- 3.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen angemessenen Schadensersatz, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
- 4.
Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von den außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten von 540,50 € freizustellen.
Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 09.06.2023 den Klageantrag zu Ziffer 1, zu Ziffer 2 sowie den Klageantrag zu Ziffer 4 anerkannt.
Die Beklagte beantragt im Übrigen,
die Klage abzuweisen.
Sie tritt dem Anspruch auf Schadensersatz aus Rechtsgründen entgegen.
Entscheidungsgründe
I.
Die Verurteilung der Beklagten in Bezug auf die Klageanträge zu Ziffer 1., 2. und 4. beruht auf ihrem Anerkenntnis.
II.
Die zulässige Klage ist auch im Übrigen begründet.
1. Dem Kläger steht gem. Art. 82 DS-GVO ein Anspruch auf Ersatz immateriellen Schadens zu, den die Kammer wie tenoriert bemisst.
Nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO hat jede Person, der wegen eines Verstoßes gegen die DSGVO ein materieller oder immaterieller Schaden entstanden ist, Anspruch auf Schadensersatz gegen den Verantwortlichen, also diejenige natürliche oder juristische Person, Behörde, Einrichtung oder andere Stelle, die allein oder gemeinsam mit anderen über die Zwecke und Mittel der Verarbeitung von personenbezogenen Daten entscheidet (vgl. Art. 4 Nr. 7 DSGVO).
2. Die Beklagte hat gegen Bestimmungen der DS-GVO verstoßen, indem sie dem Kläger Werbeemails zugeschickt hat, ohne dass dies nach Art. 6 Abs.1 DS-GVO gerechtfertigt war. Der Kläger hatte seine zunächst erteilte Einwilligung zu dem Erhalt von Werbeemails zuvor unbestritten widerrufen. Die Beklagte konnte folglich keinen rechtfertigenden Tatbestand gem. Art. 6 Abs. 1 lit. a DS-GVO mehr für den Versand der streitgegenständlichen Werbeemails darlegen.
3. Die Verstöße haben nach dem - insoweit auch unwidersprochen gebliebenen und damit zugestandenen (§ 138 Abs.3 ZPO) Vorbringen des Klägers - kausal zu einem immateriellen Schaden geführt. Der Begriff des immateriellen Schadens ist unionsrechtlich autonom und in allen Mitgliedstaaten einheitlich auszulegen (EuGH, Urt. 4.5.2023 - C-300/21).
Dabei muss der Schaden des Klägers nicht eine gewisse Erheblichkeit erreicht haben. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist Art. 82 Abs. 1 DSGVO dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung oder Praxis entgegensteht, die den Ersatz eines immateriellen Schadens im Sinne dieser Bestimmung davon abhängig macht, dass der der betroffenen Person entstandene Schaden einen bestimmten Grad an Erheblichkeit erreicht hat (EuGH, Urt. 4.5.2023 - C-300/21).
Wenngleich der immaterielle Schaden nach Erwägungsgrund 146 zur DS-GVO tatsächlich entstanden sein muss und nicht lediglich befürchtet werden darf, ist nach Erwägungsgrund 146 S. 3 zur DS-GVO der Schadensbegriff weit auszulegen. Der EuGH verlangt unter Bezugnahme auf den Effektivitätsgrundsatz, dass Schadensersatzforderungen abschrecken und weitere Verstöße unattraktiv machen sollen (so bereits EuGH 10.4.1984 - 14/83, NJW 1984, 2021 (2022).
Als immaterieller Schaden kommen Ängste, Stress, Komfort- und Zeiteinbußen in Betracht (Bergt in Kühling/Buchner/Bergt, 4. Aufl. 2024, DS-GVO Art.82 Rn. 18b).
Hier hat der Kläger unbestritten viermal gegenüber der Beklagten erklärt, dass er keine weiteren Werbeemails wünscht. Zweimal ließ der Kläger dies sogar von seinem bevollmächtigten Rechtsanwalt erklären. Dennoch hat die Beklagte dem Kläger weiterhin Werbeemails geschickt. Der bei dem Kläger dadurch verursache Ärger, Zeitverlust und Eindruck des Kontrollverlusts stellt einen Schaden im Sinne der Norm dar. Die negativen Auswirkungen des Verstoßes gegen die DS-GVO liegen darin, dass sich der Kläger mit der Abwehr der von ihm unerwünschten Werbung auseinandersetzen musste. Dies sogar mehrfach, da die Beklagte seinen Widerruf der Einwilligung mehrfach missachtete. Der Umstand, dass sogar der Prozessbevollmächtigte des Klägers die Beklagte zweimal erfolglos zum Unterlassen aufforderte, ist geeignet bei dem Kläger den belastenden Eindruck der Hilflosigkeit und des Kontrollverlustes in Bezug auf seine Datenverarbeitung zu führen.
4. Die Frage, ob Art. 82 DS-GVO eine vom Verschulden abhängige oder unabhängige Anspruchsgrundlage darstellt, kann dahinstehen. Denn vorliegend ist nichts vorgetragen oder ersichtlich, was gegen ein Verschulden der Beklagten spricht.
5. Bei der Bestimmung der Höhe des Schadensersatzes, die der Kläger in das Ermessen des Gerichts gestellt hat, sind gem. § 287 Abs.1 S. 1 ZPO alle Umstände des Einzelfalls würdigen, insbesondere Art, Intensität und Dauer der erlittenen Rechtsverletzung. Auch bei der Höhe des Schadens ist der Effektivitätsgrundsatz zu berücksichtigen.
Das Amtsgericht Pfaffenhofen (AG Pfaffenhofen, Endurteil v. 09.09.2021 - 2 C 133/21) entschied in einem ähnlichen Fall:
"Die Höhe des Anspruchs ist dabei nicht willkürlich, sondern auf der Grundlage der inhaltlichen Schwere und Dauer der Rechtsverletzung zu beurteilen, unter Berücksichtigung des Kontexts, der Umstände eines Verstoßes. Genugtuungs- und Vorbeugungsfunktion können bei der Bezifferung eine Rolle spielen. Einerseits darf die Höhe des Schadensersatzes keine Strafwirkung entfalten. Andererseits reicht ein künstlich niedrig bezifferter Betrag mit symbolischer Wirkung nicht aus, um die praktische Wirksamkeit des Unionsrechts sicherzustellen (vgl. Paal/Pauly/Frenzel, 3. Aufl. 2021, DS-GVO Art. 82 Rn. 12a)."
Dabei sprach das AG Pfaffenhofen dem Kläger 300,00 Euro für eine unerwünscht erhaltene Werbeemail zu, wobei in dem dortigen Fall die Beklagte die Emailadresse des Klägers gänzlich ohne dessen Einwilligung erhalten hatte.
Das AG Diez (Urteil vom 17.04.2018 - 7 O 6829/17) erachtete in dem Fall eines Versandes einer Werbeemail, mit welcher die Beklagte am 25.5.2018, als die DS-GVO Gültigkeit erlangte, eben aus diesem Grund und unter Bezugnahme hierauf nach einer Einwilligung zum Newsletter-Bezug anfragte, einen Schadensersatzanspruch als unbegründet.
In einem ähnlichen Fall lehnte das AG Goslar (Urteil vom 27.09.2019 - 28 C 7/19) einen Schadensersatzanspruch ab, da es sich auch in dem dortigen Fall um lediglich eine Werbeemail handelte: "Für das Gericht ist aufgrund des Vortrags des Klägers ein Schaden indes nicht ersichtlich. Es handelte sich lediglich um eine einzige Werbe-E-Mail, die nicht zur Unzeit versandt wurde und aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes deutlich zeigt, dass es sich um Werbung handelt, so dass ein längeres Befassen mit der E-Mail nicht notwendig war."
Im Interesse einer effektiven Abschreckung und einer Kompensierung des erlittenen Schadens ist das Verhalten der Beklagten in Form der mehrfachen Missachtung des ausdrücklich erklärten Willens des Klägers als schadensersatzerhöhend zu berücksichtigen. Schadensersatzerhöhend ist ebenfalls die Häufigkeit des Verstoßes zu berücksichtigen. In dem vorliegenden Fall hat der Kläger in einem Zeitraum von knapp vier Monaten insgesamt dreizehn Werbeemails von der Beklagten erhalten. Er erhielt dabei jeweils 4 bzw. 5 Werbeemails in kurzer Zeitabfolge, teilweise fast täglich.
Zu berücksichtigen ist allerdings auch, dass die Auswirkungen des Verstoßes gegen die DS-GVO den Wirkungsbereich des Klägers nicht verlassen haben. Es wurde durch den Verstoß kein Bereich berührt, der etwa die Beziehung des Klägers zu Dritten berührt.
Das Gericht erachtet vorliegend im Ergebnis eine Entschädigung von 500,00 EUR für angemessen.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1, 92 Abs. 2 Nr.1 ZPO. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
1) Die Beklagte ist in Bezug auf die anerkannte Klageforderung der Ziffer 1 unterlegen. Ein sofortiges Anerkenntnis der Beklagten gem. § 93 ZPO liegt jedoch nicht vor, da die Beklagte dem Kläger Anlass zur Klage gegeben hat. Der Kläger forderte die Beklagte mit Schreiben vom 16.12.2022 (Anlage K8, Bl. 31 f. d.A.) bereits vorprozessual auf, eine Unterlassungserklärung abzugeben. Dem kam die Beklagte nicht nach, sodass für den Kläger Klage geboten war.
2) Die Beklagte ist in Bezug auf die anerkannte Klageforderung der Ziffer 2 ebenfalls unterlegen. Der Kläger hat vorprozessual von der Beklagten keine Auskunft verlangt. Die Beklagte hat diesbezüglich keinen Anlass zur Klage gegeben und die Klage mit der Klageerwiderungsschrift "sofort" gem. § 93 ZPO anerkannt.
3) Die Beklagte ist in dem Rechtsstreit in Bezug auf die streitig gebliebene Klageforderung nach Ziffer 3 unterlegen und hat daher gem. § 91 Abs.1 ZPO die Kosten zu tragen.
4) Die Beklagte ist in dem Rechtsstreit in Bezug auf die Klageforderung nach Ziffer 4 unterlegen. Der Kläger hat seine Klage dahingehend geändert, dass er zunächst beantragte, die Beklagte zu verurteilen, den Kläger von den außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 627,13 Euro freizustellen und sodann die Klageforderung auf den anerkannten und tenorierten Betrag reduzierte.
Ein sofortiges Anerkenntnis der Beklagten gem. § 93 ZPO liegt jedoch nicht vor, da die Beklagte dem Kläger Anlass zur Klage gegeben hat. Der Kläger forderte die Beklagte mit Schreiben vom 16.12.2022 (Anlage K8, Bl. 31 f. d.A.) bereits vorprozessual zur Zahlung des Schadensersatzes auf. Dem kam die Beklagte nicht nach, sodass für den Kläger Klage geboten war. Die Zuvielforderung des Klägers war diesbezüglich und insgesamt gem. § 92 Abs.2 Nr.1 ZPO verhältnismäßig geringfügig. Die Beklagte hat daher die Kosten des Rechtsstreits auch in Bezug auf den Klageantrag zu Ziffer 2 zu tragen.
IV.
Der Streitwert wird festgesetzt auf 6.000,00 Euro. Er setzt sich zusammen aus:
1. 5.000,00 Euro Unterlassungsanspruch gem. Klageforderung nach Ziffer 1,
2. 500,00 Euro Auskunftsanspruch gem. Klageforderung nach Ziffer 2
3. 500,00 Euro Schadensersatzanspruch gem. Klageforderung nach Ziffer 3.