Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 25.08.2000, Az.: 1 O 2424/00

Auslegung; einstweilige Einstellung; Unterlassungsanspruch; Urteilstenor; Vollstreckungsgegenklage; Zwangsvollstreckung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
25.08.2000
Aktenzeichen
1 O 2424/00
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2000, 42000
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 25.05.2000 - AZ: 9 B 513/99

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Zur Auslegung eines Urteilstenors.


2. Zu den Voraussetzungen für die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung bei Unterlassungsansprüchen.

Gründe

1

Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet.

2

Die vom Verwaltungsgericht getroffene Entscheidung gemäß § 769 ZPO i.V.m. § 767 ZPO begegnet keinen durchgreifenden Bedenken. Voraussetzung für die in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts gestellte Entscheidung über die Einstellung der Zwangsvollstreckung bis zum Erlass des Urteils über die in § 767 ZPO bezeichneten Einwendungen gemäß § 769 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist, dass die Klage gemäß § 767 ZPO Aussicht auf Erfolg hat (vgl. OLG Hamburg, Beschl. v. 03.04.1978 -- 2 WF 72/78 --, NJW 1978, 1272; Hartmann in: Baumbach/Lauterbach, ZPO, 58. Aufl. 2000, § 769 Rdnr. 6; Zöller, ZPO, 18. Aufl. 1993, § 769 Rdnr. 6).

3

Nach dem derzeitigen Stand des Verfahrens dürfte die Vollstreckungsabwehrklage der Antragstellerin und Beschwerdegegnerin gemäß § 767 Abs. 2 ZPO begründet sein. Die Begründetheit hängt davon ab, dass eine Einwendung der Antragstellerin und Beschwerdegegnerin durchgreift, die den durch das zu vollstreckende Urteil festgestellten Anspruch betrifft und nicht mehr rechtzeitig geltend gemacht werden konnte.

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Eine solche Einwendung liegt hier vor.

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Voraussetzung der Entscheidung des Senats vom 25. Juli 1997 -- 1 L 5856/95 --, auf die die Antragstellerin und Beschwerdegegnerin hingewiesen hat, war die Erwartung, dass "dann, wenn die Beklagte (die jetzige Antragstellerin und Beschwerdegegnerin) das ihr Zumutbare (Erhöhen des Ballfangzaunes auf etwa 6 m, ggf. durch "weiches" Material) täte, nur in absoluten Ausnahmefällen ein Ball das Grundstück des Klägers (des jetzigen Antragsgegners und Beschwerdeführers) erreicht. Ein solcher Ausnahmefall, der wegen seiner dann zu erwartenden Seltenheit eine Wiederholungsgefahr nicht besorgen lässt, wird den Kläger nicht berechtigen, erneut auf Unterlassung zu klagen (§ 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB), zumal die dadurch eingetretene Beeinträchtigung nur noch Bagatellcharakter hätte" (S. 19 UA).

6

Diese Erwartung ist durch die Erhöhung des Ballfangzaunes auf 6 m eingetreten und mit der Vollstreckungsabwehrklage gemäß § 767 ZPO von der Antragstellerin und Beschwerdegegnerin als Einwendung im Sinne von § 767 ZPO geltend gemacht worden.

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Der Senat lässt offen, ob die Antragstellerin und Beschwerdegegnerin mit ihrem Hinweis auf die Errichtung des Ballfangzaunes in einer Höhe von 6 m bereits die Erfüllung der ihr durch das Senatsurteil vom 25. Juli 1997 auferlegten Pflichten geltend machen will. Der Erfüllungseinwand wäre eine zulässige Einwendung i.S.d. § 767 ZPO (vgl. BGH, Urt. v. 08.10.1992 -- VII ZR 272/90 --, NJW 1993, 1394; s. auch Zöller, aaO, § 767 Rdnr. 12; Hartmann in: Baumbach/Lauterbach, aaO, § 767 Rdnr. 21; Thomas/Putzo, ZPO, 20. Aufl. 1997, § 767 Rdnr. 20).

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Durch die Errichtung des Ballfangzaunes ist jedenfalls die vom Senat in der genannten Entscheidung angegebene Bagatellgrenze unterschritten. Die bereits oben angegebene "Erwartung" des Senats gibt offensichtlich, wenn auch nicht ausdrücklich die Auffassung des Senats wieder, dass im Falle der Errichtung eines Ballfangzaunes es nur noch selten zum "Zufliegen" von Bällen auf das Grundstück des Antragsgegners und Beschwerdeführers kommen wird. Diese Ausführungen waren auch erforderlich und sind notwendig tragende Urteilsgründe. Denn Voraussetzung für einen Unterlassungsanspruch gemäß § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB ist -- wie im Urteil vom 25. Juli 1997 ausgeführt -- in der Regel eine Wiederholungsgefahr sowie das Fehlen eines Rechtfertigungsgrundes, das überwiegend mit dem Fehlen eines Duldungsgrundes gleichgesetzt wird (vgl. dazu ausführlich: Medicus, Münchener Kommentar, BGB, 2. Aufl. 1986, § 1004 Rdnr. 49). Diese Voraussetzungen und zugleich Grenzen des Unterlassungsanspruchs des Antragsgegners und Beschwerdeführers gemäß § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB hat der Senat durch die eingangs dargelegte "Erwartung" festgelegt, die -- wie sich aus den Urteilsgründen ebenfalls ergibt -- allein nur deswegen "Erwartung" geblieben ist, weil die Beklagte sich zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht über ihre Bereitschaft äußern mochte, das ihr im Rahmen des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses Zumutbare, nämlich eine Erhöhung des Ballfangzaunes, in Aussicht zu stellen (S. 18 UA).

9

Zwar hat der Senat die gesetzlichen Grundlagen seiner "Erwartung" nur angedeutet. Die Entscheidung, insbesondere auch Ziffer 1 des Tenors, ist aber vom Antragsgegner und Beschwerdeführer seinerzeit akzeptiert, jedenfalls aber nicht mit Rechtsmitteln angegriffen worden. Die gesetzliche Grundlage der "Erwartung" ergibt sich -- wie hier nur noch erläuternd angeführt sei -- aus einer entsprechenden Anwendung des § 906 Abs. 1 BGB (im Einzelnen streitig: vgl. Gursky in: Staudinger, BGB, 12. Aufl. 1989, § 1004 Rdnr. 14 m.w.N. zum Streitstand; s. auch BGH, Urt. v. 08.10.1958 -- V ZR 54/56 --, BGHZ 28, 225, dort aber unter Hinweis auf eine Duldungspflicht aus dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis (S. 230); wie hier näher Jauernig, JZ 1986, 605, 608; Meisner/Stern/Hodes, Nachbarrecht, 5. Aufl. 1970, § 16 II 2 u. 3). Danach ist der Kläger zur Duldung selbst grob-körperlicher Immissionen (vgl. diesen Begriff schon bei Heck, Grundriss des Sachenrechts 1930, § 50 Anm. 8) -- hier des Zufliegens von Bällen -- verpflichtet, wenn das Grundstück nur noch unwesentlichen Beeinträchtigungen ausgesetzt ist (vgl. zur Anwendbarkeit des § 906 BGB auf Unterlassungsansprüche gemäß § 1004 Abs. 2 BGB: Bassenge in: Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 59. Aufl. 2000, § 1004 Rdnr. 34; Jauernig in: Jauernig, BGB, 9. Aufl. 1999, § 1004 Rdnr. 22; Medicus in: Münchener Kommentar, BGB, 2. Aufl. 1986, § 1004 Rdnr. 52).

10

Um eine solche unwesentliche Beeinträchtigung handelt es sich hier, wie die Angaben des Antragsgegners und Beschwerdeführers selbst belegen. Denn das Zufliegen von sieben Bällen in einem Zeitraum von dreizehn Monaten (September 1998 bis September 1999) auf das Grundstück des Antragsgegners und Beschwerdeführers (= jahresdurchschnittlich jeweils auf etwa zwei Monate ein Ball) unterschreitet nach Auffassung des Senats die Bagatellgrenze deutlich und verpflichtet zur Duldung.

11

Die Unterschreitung der Bagatellgrenze ist als gesetzlich geregelter Duldungsgrund gemäß § 1004 Abs. 2 BGB i.V.m. § 906 Abs. 1 BGB auch eine zulässige Einwendung i.S.d. § 767 ZPO. Diese ist auch erst nach der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 27. Juli 1997 eingetreten. Denn zu diesem Zeitpunkt hatte die Antragstellerin und Beschwerdegegnerin die Erhöhung des Ballfangzaunes nicht durchgeführt und noch nicht einmal verbindlich in Aussicht gestellt (vgl. Senatsurt. v. 25.07.1997, S. 18 UA), so dass das Unterschreiten der Bagatellgrenze und damit das Vorliegen eines Duldungsgrundes wegen unwesentlicher Beeinträchtigung vom Senat zum Zeitpunkt der Entscheidung (noch) nicht festgestellt werden konnte.

12

Die Einwendungen des Antragsgegners und Beschwerdeführers greifen dagegen nicht durch.

13

Die Auffassung des Antragsgegners und Beschwerdeführers im Schriftsatz vom 14. Januar 2000 im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht 9 A 512/99, auf die er hier Bezug genommen hat, ist unrichtig. Der Antragsgegner und Beschwerdeführer meint, aus der Formulierung des Urteils vom 25. Juli 1997 "der öffentlich-rechtliche Unterlassungsanspruch ist -- anders als das angefochtene Urteil meint -- nicht durch das der Beklagten Zumutbare begrenzt, weil nicht die Zuführung unwägbarer, sondern fester Stoffe im Streit ist" ergebe sich ohne Zweifel, dass dem Antragsgegner und Beschwerdeführer aufgrund des rechtskräftig festgestellten Unterlassungsanspruchs nicht zumutbar sei, auch nur einmal monatlich einen auf sein Wohngrundstück geschossenen Ball zu dulden.

14

Diese Schlussfolgerung ist nicht zutreffend. Denn die oben genannten Darlegungen des Senats betreffen -- wie der Antragsgegner und Beschwerdeführer richtig zitiert -- die Zuführung fester Stoffe auf ein Grundstück und den dagegen gerichteten Unterlassungsanspruch des Betroffenen. Dieser Unterlassungsanspruch ist im Gegensatz zur Regelung des § 906 Abs. 2 Satz 1 BGB, der unwägbare Stoffe betrifft, nicht dadurch eingegrenzt, dass der Betroffene trotz wesentlicher Beeinträchtigungen die Unterlassung dann nicht beanspruchen kann, wenn die Maßnahmen zur Beseitigung der Beeinträchtigung dem jeweiligen Anspruchsgegner wirtschaftlich unzumutbar sind. Vielmehr kann er grundsätzlich auch dem Anspruchsgegner wirtschaftlich unzumutbare Beseitigungsmaßnahmen bei Beeinträchtigungen durch grob-körperliche Immissionen verlangen.

15

Damit ist aber nicht zu verwechseln die Duldungspflicht eines Eigentümers bei (wie jetzt) unwesentlichen Beeinträchtigungen, die er gemäß § 1004 Abs. 2 BGB i.V.m. § 906 Abs. 1 BGB nicht (mehr) abwehren kann, gleich ob es sich um die Zuführung unwägbarer oder fester Stoffe handelt.

16

Unzutreffend ist auch die Auffassung des Antragsgegners und Beschwerdeführers, die Erhöhung des Ballfangzaunes auf 6 m sei keine nachträgliche Einwendung i.S.d. § 767 Abs. 2 ZPO, weil die Erhöhung des Ballfangzaunes gerade Grundlage der Verurteilung der Antragstellerin und Beschwerdegegnerin gewesen sei. Grundlage der Verurteilung war -- wie bereits dargelegt und wie sich ohne weiteres aus den Ausführungen des Senats im Urteil vom 25. Juli 1997, S. 19 UA, ergibt -- gerade die fehlende Bereitschaft der Antragstellerin und Beschwerdegegnerin, den Ballfangzaun zu erhöhen.

17

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

18

Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 13 Abs. 1 und § 20 Abs. 3 GKG, wobei der Senat unter Berücksichtigung der Streitwertfestsetzung im Verfahren 1 L 5856/95 hinsichtlich des Urteilstenors zu Ziffer 1 einen Wert von 5.000,-- DM annimmt, der gemäß § 20 Abs. 3 GKG zu halbieren ist.

19

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 25 Abs. 3 Satz 2 GKG).