Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 16.08.2000, Az.: 4 L 2806/00
Anrechnung; Arbeitsentgelt; Behinderter; Eingliederungshilfe; Einkommen; Einkommensanrechnung; Einsatz; Hilfeempfänger; Sozialhilfe; Strafgefangener; Umfang; Werkstatt für Behinderte
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 16.08.2000
- Aktenzeichen
- 4 L 2806/00
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2000, 42034
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 20.06.2000 - AZ: 7 A 3290/99
- VG - 20.06.2000 - AZ: 7 A 6107/99
Rechtsgrundlagen
- § 85 Abs 2 BSHG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Übertragbarkeit der BVerfG-Rechtsprechung zur Höhe des Arbeitsentgelts für Strafgefangene auf die Regelung des § 85 Abs. 2 BSHG zum Umfang des Einsatzes von Arbeitseinkommen
Gründe
Der Antrag des Klägers ist nicht begründet.
Nach § 124 Abs. 2 VwGO (i.d.F. des 6. VwGO-Änderungsgesetzes vom 1. November 1996, BGBl. I S. 1626) ist die Berufung nur zuzulassen,
1. wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
2. wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
3. wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
4. wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
5. wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend ge-macht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
Gemäß § 124 a Abs. 1 Satz 4 VwGO sind in dem Antrag auf Zulassung der Berufung die Gründe, aus denen die Berufung zuzulassen ist, darzulegen. Die dem Revisionsrecht nachgebildete Darlegungspflicht bestimmt als selbständiges Zulässigkeitserfordernis den Umfang der Prüfung durch das Rechtsmittelgericht. Sie soll den Aufwand für die Bearbeitung des Zulassungsantrags "reduzieren" und dadurch das Zulassungsverfahren beschleunigen. Sie verlangt, wie sich aus dem Hinweis auf den Vertretungszwang (§ 67 Abs. 1 VwGO) in der Gesetzesbegründung ergibt, fallbezogene und aus sich heraus verständliche, auf den jeweiligen Zulassungsgrund bezogene und geordnete Ausführungen, die sich mit der angefochtenen Entscheidung auf der Grundlage einer eigenständigen Sichtung und Durchdringung des Prozessstoffes auseinandersetzen. Das bloße Benennen oder Geltendmachen eines Zulassungsgrundes genügt dem Darlegungserfordernis ebenso wenig wie eine bloße Wiederholung des erstinstanzlichen Vorbringens oder gar eine -- ergänzende -- Bezugnahme hierauf. Diesen Anforderungen genügt das Vorbringen des Klägers nur zum Teil.
Der Kläger meint, die Frage habe grundsätzliche Bedeutung, ob die Freibetragsregelung des § 85 Abs. 2 BSHG mit dem Grundgesetz vereinbar sei, denn wenn eine sehr geringe Entlohnung der Arbeit nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Urt. v. 1.7.1998 -- 2 BvR 441/90 u. a. --, BVerfGE 98, 169 = NJW 1998, 3337 [BVerfG 01.07.1998 - 2 BvR 441/90]) nicht einmal für Strafgefangene verfassungsrechtlich zulässig gewesen sei, könne sie für ihn, den Kläger, als Behinderten ebenfalls im Ergebnis nicht zulässig gewesen sein. Dieses Vorbringen des Klägers rechtfertigt aber eine Zulassung der Berufung nicht.
Selbst wenn man ausschließlich auf das Ergebnis abstellte -- wie viel Geld bleibt dem Strafgefangenen/Hilfeempfänger letztlich zur eigenen Verfügung? --, wären die Fälle nicht vergleichbar. Der Strafgefangene soll im Vollzug der Freiheitsstrafe fähig werden, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen (§ 2 S. 1 StVollzG). Dementsprechend hat das BVerfG (a.a.O.) darauf abgestellt, dass die dem Gefangenen im Strafvollzug zugewiesene Pflichtarbeit nur dann ein wirksames Resozialisierungsmittel ist, wenn die geleistete Arbeit angemessene Anerkennung findet. Diese Anerkennung muss geeignet sein, "dem Gefangenen den Wert regelmäßiger Arbeit für ein künftiges eigenverantwortliches und straffreies Leben in Gestalt eines für ihn greifbaren Vorteils vor Augen zu führen". Die Bemessung des (dem Gefangenen verbleibenden) Arbeitsentgelts muss so sein, dass er hinreichend davon überzeugt werden kann, dass Erwerbsarbeit zur Herstellung einer Lebensgrundlage sinnvoll ist. Diese Gesichtspunkte treffen im Fall eines Hilfeempfängers wie hier des Klägers nicht zu. Der Kläger erhält für die Tätigkeit in der Werkstatt für Behinderte einen Lohn, dessen Höhe und Angemessenheit nicht im Streit ist. Er erhält daneben Hilfe in besonderen Lebenslagen in Form der Sicherstellung des Lebensunterhalts und der Betreuung in einem Wohnheim. Wenn er hierfür zu einem Kostenbeitrag aus seinem Einkommen herangezogen wird (§ 85 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2, Abs. 2 BSHG), dient das dazu "zu vermeiden, dem Hilfesuchenden/Hilfeempfänger daraus einen wirtschaftlichen Vorteil erwachsen zu lassen, dass er auf Kosten der Allgemeinheit in einer seinen Lebensunterhalt und seine umfassende Betreuung sicherstellenden Weise untergebracht ist" (BVerwG, Beschl. v. 7.4.1995 -- BVerwG 5 B 36.94 --, Buchholz 436.0 § 85 BSHG Nr. 13 = DVBl. 1995, 699 = FEVS Bd. 46, 8). Die Nichtinanspruchnahme eines Teils des Einkommens hat den Zweck, den Arbeits- und Selbsthilfewillen des erwerbstätigen Behinderten zu erhalten und zu stärken (BVerwG a.a.O.). Bei geistig Behinderten wie dem Kläger, bei denen die gewährte Eingliederungshilfe letztlich nicht zu einer Befähigung, unabhängig von Hilfe leben zu können, führen wird, dient die Freilassung eines Teils des Einkommens aber nicht dazu, dem Hilfeempfänger eine Perspektive für ein künftiges Leben in Eigenverantwortung und ohne Unterstützung durch die Allgemeinheit zu bieten. Die Ziele, die bei der Bemessung des Arbeitsentgelts für Strafgefangene einerseits und der Belassung eines Teils des Einkommens bei Hilfeempfängern wie dem Kläger andererseits zu beachten sind, sind mithin so unterschiedlich, dass Ansatzpunkte für eine Übertragbarkeit der o.g. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auf den vorliegenden Fall nicht ersichtlich sind und vom Kläger auch nicht dargelegt werden.
Weshalb der Kläger weiter meint, "die angefochtene Entscheidung (verstoße) unter dem gleichen Gesichtspunkt gegen das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 1.7.1998", hat er nicht einmal dargelegt und ist auch nicht erkennbar.
Der Kläger hält schließlich "die Frage (für) grundsätzlich klärungsbedürftig, ob im Falle des Klägers bei einer Tätigkeit § 85 Abs. 2 BSHG eine abschließende, bindende Regelung trifft oder ob insoweit für den Fall des Klägers lediglich Mindestbeträge festgeschrieben werden". Dieses Vorbringen ist bereits in sich unschlüssig, denn wenn es um eine Klärung der aufgeworfenen Frage "im Fall des Klägers" bzw. "für den Fall des Klägers" gehen soll, handelt es sich um eine einzelfallbezogene und nicht fallübergreifende, "grundsätzlich" bedeutsame Frage. Abgesehen davon hat das Verwaltungsgericht diese Frage als im vorliegenden Fall nicht entscheidungserheblich angesehen, weil im Fall des Klägers Einzelfallgesichtspunkte, die zu einer anderen Bemessung des freizulassenden Einkommensteils führen könnten, nicht vorlägen. Wenn der Kläger dem entgegenhält, es lägen "durchaus eine Reihe von Einzelfallbesonderheiten vor" und das Verwaltungsgericht hätte insoweit weiter aufklären müssen, will er wohl den Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ("ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils") geltend machen. Insoweit ist aber die Darlegung des Zulassungsgrundes unzureichend. Es genügt nicht, den Ausführungen des Verwaltungsgerichts hierzu (ab S. 5 Mitte des Urteilsabdrucks) lediglich die nicht weiter erläuterte Behauptung entgegenzusetzen, es lägen doch Besonderheiten vor.