Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 03.04.2017, Az.: 15 B 2468/17
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 03.04.2017
- Aktenzeichen
- 15 B 2468/17
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2017, 53636
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Tenor:
Die Antragsgegnerin wird einstweilen verpflichtet, der für die Abschiebung des Antragstellers zuständigen Ausländerbehörde mitzuteilen, dass der Antragsteller vorläufig nicht nach Bulgarien abgeschoben werden darf.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
Gründe
Der Antragsteller hat mit seinem sinngemäßen Antrag,
die Antragsgegnerin einstweilen zu verpflichten, der für die Abschiebung des Antragstellers zuständigen Ausländerbehörde mitzuteilen, dass der Antragsteller vorläufig nicht nach Bulgarien abgeschoben werden darf,
Erfolg.
Der Antrag ist zulässig und begründet.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes erlassen, wenn diese Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder aus anderen Gründen notwendig erscheint. Dazu muss der Antragsteller glaubhaft machen, dass die gerichtliche Entscheidung eilbedürftig ist (Anordnungsgrund) und der geltend gemachte Anspruch besteht (Anordnungs-anspruch).
Ein Anordnungsanspruch liegt vor.
Der Antragsteller hat Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG. Damit hat der Antragsteller einen Anspruch auf Abänderung des Bescheides der Antragsgegnerin vom 28.10.2015 bezüglich der unter Punkt 2 verfügten Abschiebungsandrohung nach Bulgarien auf Grundlage von § 51 Abs. 5 i. V. m. § 49 Abs. 1 VwVfG.
Wegen des Vorliegens eines zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernisses gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG darf die Antragsgegnerin dem Antragsteller die Abschiebung nach Bulgarien nicht androhen. Nach dieser Vorschrift darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Eine Abschiebung der Antragsteller nach Bulgarien würde gegen Art. 3 EMRK verstoßen, wonach niemand einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung unterworfen werden darf.
Zwar ist Bulgarien nach § 26a Abs. 2 AsylG als Mitgliedsstaat der Europäischen Union ein sicherer Drittstaat. Den Regelungen über sichere Drittstaaten liegt das Konzept einer normativen Vergewisserung über die Sicherheit im Drittstaat zugrunde (vgl. BVerfG, Urt. v. 14.05.1996 - 2 BvR 1938/93 / 2 BvR 2315/93 -, juris). Dieses bezieht sich darauf, dass der Drittstaat einem Betroffenen, der sein Gebiet als Flüchtling erreicht hat, den nach der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) und der EMRK gebotenen Schutz vor politischer Verfolgung und anderen ihm im Herkunftsstaat drohenden schwerwiegenden Beeinträchtigungen seines Lebens, seiner Gesundheit oder seiner Freiheit gewährt. Dadurch entfällt das Bedürfnis, ihm Schutz in der Bundesrepublik Deutschland zu gewähren. Der Betroffene ist grundsätzlich mit der Behauptung ausgeschlossen, der Drittstaat werde - entgegen seiner sonstigen Praxis - in seinem Fall seine Verpflichtungen nach der GFK und der EMRK nicht erfüllen und Schutz verweigern.
Von diesem Grundsatz sind jedoch Ausnahmen zu machen, wenn Abschiebungshindernisse durch Umstände begründet werden, die ihrer Eigenart nach nicht vorweg im Rahmen des Konzepts normativer Vergewisserung berücksichtigt werden können und damit von vornherein außerhalb der Grenzen liegen, die der Durchführung eines solchen Konzepts aus sich selbst heraus gesetzt sind. Dies kann etwa dann in Betracht kommen, wenn der Drittstaat selbst gegen den Schutzsuchenden zu Maßnahmen politischer Verfolgung greift und dadurch zum Verfolgerstaat wird oder der Schutzsuchende Gefahr läuft, in dem Drittstaat einer nach der Vorschrift des Art. 3 EMRK verbotenen unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung unterworfen zu werden. Eine Prüfung, ob der Abschiebung in den Drittstaat ausnahmsweise Hinderungsgründe entgegenstehen, kann der Ausländer nur erreichen, wenn es sich aufgrund bestimmter Tatsachen aufdrängt, dass er von einem im normativen Vergewisserungskonzept nicht aufgefangenen Sonderfall betroffen ist. An diese Darlegung sind strenge Anforderungen zu stellen (BVerfG, a. a. O., Rdnrn. 189-190). Allerdings müssen auch die Behörden und Gerichte wegen der Bedeutung der von Art. 3 EMRK geschützten Rechtsgüter die allgemeine und ihnen zugängliche Auskunftslage berücksichtigen (vgl. auch § 36 Abs. 4 Satz 2 AsylG).
Nach der Rechtsprechung des EGMR (Urt. v. 21.01.2011 - 30696/09 - M.S.S. gegen Belgien und Griechenland) ist eine Behandlung dann unmenschlich, wenn sie absichtlich über Stunden erfolgt und entweder tatsächliche körperliche Verletzungen oder schwere körperliche oder psychische Leiden verursacht. Als erniedrigend ist eine Behandlung dann anzusehen, wenn sie eine Person demütigt oder herabwürdigt und fehlenden Respekt für ihre Menschenwürde zeigt oder diese herabmindert oder wenn sie Gefühle der Furcht, Angst oder Unterlegenheit hervorruft, die geeignet sind, den moralischen oder psychischen Widerstand der Person zu brechen. Die Behandlung bzw. Misshandlung muss dabei, um in den Schutzbereich des Art. 3 EMRK zu fallen, einen Mindestgrad an Schwere erreichen. Dessen Beurteilung ist allerdings relativ, hängt also von den Umständen des Falles ab, insbesondere von der Dauer der Behandlung und ihren physischen und psychischen Auswirkungen sowie mitunter auch vom Geschlecht, Alter und Gesundheitszustand des Opfers.
Der Schutzbereich des Art. 3 EMRK kann auch bei unzureichenden Lebensbedingungen im betreffenden Mitgliedsstaat betroffen sein. Das gilt aber nicht in dem Sinne, dass die Vertragsparteien verpflichtet sind, jedermann in ihrem Hoheitsgebiet mit einer Wohnung zu versorgen, Flüchtlingen finanzielle Unterstützung zu gewähren oder ihnen einen bestimmten Lebensstandard zu ermöglichen. Art. 3 EMRK schützt aber davor, monatelang und ohne Perspektive in extremer Armut leben zu müssen und außerstande zu sein, für die Grundbedürfnisse wie Nahrung, Hygieneartikel und Unterkunft aufzukommen (EGMR, Urteil vom 21.01.2011, a. a. O.). Die maßgeblichen Kriterien für relevante Menschenrechtsverstöße sind den jeweiligen Mitgliedstaat bindenden rechtlichen Vorgaben zu entnehmen. Das sind zum einen die in der Richtlinie 2013/33/EU vom 26. Juni 2013 genannten Mindeststandards für die Aufnahme von Asylsuchenden und zum anderen die in der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 (ABl. L 337 vom 20.12.2011, 9) - Qualifikationsrichtlinie - (im Folgenden: QRL) genannten Kriterien zur Bestimmung der Personen, die tatsächlich Schutz benötigen, und zur Sicherstellung, dass diesen Personen in allen Mitgliedsstaaten ein Mindestniveau an Leistungen geboten wird. Nach der hier maßgeblich heranzuziehenden Qualifikationsrichtlinie müssen Statusinhabern insbesondere die notwendigen Hilfen zuteilwerden, mit denen sie die Befriedigung ihrer elementaren Grundbedürfnisse (wie z.B. Unterkunft, Nahrungsbeschaffung und Sicherstellung von Hygiene) in zumutbarer Weise erreichen können. Als Maßstab sind insbesondere Art. 26 QRL (Zugang zum Arbeitsmarkt), Art. 29 QRL (Erhalt von Sozialhilfe), Art. 30 QRL (Zugang zu medizinischer Versorgung) und Art. 32 QRL (Zugang zu Wohnraum) anzusehen. Die Richtlinien geben für alle Mitgliedstaaten verbindlich vor, was sie den Flüchtlingen zu leisten haben. Sie erweitern den zu berücksichtigenden Schutzbereich des Art. 3 EMRK. Diese unionsrechtlichen normativen Vorgaben überlagern gewissermaßen die allgemeinen – eher niedrigeren – völkervertraglichen Schutzstandards des Art. 3 EMRK und konkretisieren nach dem Verständnis des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte diese näher. Dies hat zur Folge, dass die konkreten Anforderungen an die immer kumulativ festzustellende Schwere der Schlechtbehandlung niedriger anzusetzen sind, aber gleichwohl die typischerweise für die Mehrheit der einheimischen Bevölkerung geltenden Standards nicht außer Acht gelassen werden dürfen.
Prognosemaßstab für das Vorliegen derart relevanter Mängel ist eine beachtliche Wahrscheinlichkeit. Die Bedingungen im zuständigen Mitgliedstaat müssen aufgrund größerer Funktionsstörungen regelhaft so defizitär sein, dass anzunehmen ist, dass dort auch dem Schutzinhaber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVerwG, Beschl. v. 19.03.2014 - 10 B 6.14 -, juris Rdnr. 9; OVG Lüneburg, Beschl. v. 20.12.2016 - 8 LB 184/15 -, juris Rdnrn. 32 f.). Bei einer zusammenfassenden, qualifizierten - nicht rein quantitativen - Würdigung aller Umstände, die für das Vorliegen solcher Mängel sprechen, muss ihnen ein größeres Gewicht als den dagegen sprechenden Tatsachen zukommen, d. h. es müssen hinreichend gesicherte Erkenntnisse dazu vorliegen, dass es vorhersehbar und regelmäßig zu den genannten Grundrechtsverletzungen kommt (vgl. OVG NRW, Urt. v.07.03.2014 - 1 A 21/12.A -, juris Rdnr. 106).
Nach diesen Maßstäben besteht nach Auffassung der Einzelrichterin ein relevantes Risiko, als anerkannter Schutzberechtigter in Bulgarien einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein (vgl. VG Hannover, Gerichtsbescheid v. 08.09.2016 - 6 A 3213/15 -, V.n.b.; VG Oldenburg, Urt. v. 17.01.2017 - 12 A 3971/16 -, juris; Urt. v. 24.06.2016 - 12 A 2277/16 - V.n.b.; VG Lüneburg, Urt. v. 21.12.2016 - 8 A 170/16 -, juris; VG Göttingen, Urt. v. 03.11.2016 - 2 B 361/16 -, juris; VG Chemnitz, Urt. v. 01.08.2016 - 6 K 2177/14.A -, juris; VG Gelsenkirchen, Urt. v. 19.02.2016 - 2a K 2466/15.A -, juris; VG Saarland, Urt. v. 05.01.2016 - 3 K 1037/15 -, juris; VG Aachen, Urt. v. 09.12.2015 - 8 K 2119/14.A -, juris Rdnrn. 110-120; vgl. auch Berufungszulassungsbeschluss des Nds. OVG vom 23.06.2016 - 2 LA 283/15 -, V.n.b.). Zwar kann es im Bereich sozialer Fürsorge unter dem Gesichtspunkt eines Verstoßes gegen das Verbot, jemanden einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung zu unterwerfen, von vorneherein nur um die Gewährleistung einer unabdingbaren Grundversorgung gehen. Es ist jedoch derzeit davon auszugehen, dass die hier geltende hohe Eingriffsschwelle von Art. 3 EMRK angesichts der gravierenden Missstände in Bulgarien überschritten ist. Die in Bulgarien zu erwartende Behandlung von anerkannten Schutzberechtigten begründet die Gefahr, dass der Antragsteller in Bulgarien den Schutz der Genfer Konvention trotz dessen formeller Zuerkennung aus praktischen Gründen nicht wahrnehmen könnte. Zur Begründung wird auf die Ausführungen des VG Oldenburg in dem Urteil vom 17.01.2017 (- 12 A 3971/16 -, juris) verwiesen, das sich - ebenso wie der von ihm zitierte Hessische Verwaltungsgerichtshof in seinem Urteil vom 4. November 2016 (- 3 A 1292/16.A -, juris) auch mit aktuellen Erkenntnissen aus der Presseberichterstattung auseinandersetzt:
„Das Gericht hat im Urteil vom 04. November 2015 (- 12 A 498/15 –, juris) im Einzelnen ausgeführt, dass in Bulgarien systemische Mängel im Umgang mit Inhabern eines Schutzstatus vorliegen, sodass Bulgarien nicht als sicherer Drittstaat im Sinne von Art. 16 a Abs. 2 GG, § 26 a AsylG anzusehen ist. An dieser Rechtsprechung hält das erkennende Gericht weiterhin fest, da sich an der tatsächlichen Situation in Bulgarien nichts geändert hat (vgl. zur Situation der Flüchtlinge, die einen Flüchtlings- oder subsidiären Schutzstatus erhalten haben, die bereits genannte Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 23. Juli 2015 an das VG Stuttgart sowie den Bericht der Rechtsanwältin Dr. Valeria Ilareva über die derzeitige rechtliche, wirtschaftliche und soziale Lage anerkannter Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigter in Bulgarien vom 27. August 2015). Die Betroffenen haben - wie ausgeführt - keine reelle Chance, sich ein Existenzminimum in Bulgarien zu schaffen. Es gibt nach wie vor keinen nationalen Integrationsplan, der es den Flüchtlingen ermöglicht, eine Existenz aufzubauen; es gibt keine Unterstützung bei der Wohnungssuche; die Schutzberechtigten erhalten die ohnehin sehr geringe Sozialhilfe tatsächlich nicht. Das Auswärtige Amt führt in der genannten Auskunft etwa aus: „In der Regel bedeutet der Erhalt eines Schutzstatus Obdachlosigkeit, da anerkannte Schutzberechtigte auf dem Wohnungsmarkt auch aufgrund der Voreingenommenheit der Bevölkerung geringe Chancen haben, bzw. ihre Situation durch das Verlangen horrender Mieten ausgenutzt wird.“ Außerdem haben die Flüchtlinge faktisch keinen Zugang zur gesundheitlichen Versorgung und faktisch keinen Zugang zum Arbeitsmarkt. Nach einem Bericht in der FAZ erheben laut einer Umfrage des Belgrader Zentrums für Menschenrechte Flüchtlinge schwere Vorwürfe gegen die bulgarische Polizei (FAZ vom 13. November 2015). Es wird weiterhin von schweren Menschenrechtsverletzungen berichtet („Misshandelt in Bulgarien“, TAZ vom 16. Dezember 2015; „Human Rights Watch wirft Bulgarien Gewalt gegen Flüchtlinge vor“ ZEIT ONLINE v. 20. Januar 2016; „Bürgerwehren jagen Flüchtlinge“, ZDF-heute v. 8. Juni 2016; Fiedler, Die Situation für Flüchtende in Bulgarien im Kontext der Schließung des ‚humanitären Korridors‘, Moving Europe Report Juli 2016; „Uno kritisiert Behandlung von Flüchtlingen in Bulgarien“ NZZ v. 12. August 2016 und FOCUS Online v. 12. August 2016).“
Auch der Hessische Verwaltungsgerichtshof führt im Urteil vom 4. November 2016 (– 3 A 1292/16.A –, juris) aus, dass Bulgarien nach wie vor kein funktionierendes und ausreichend finanziertes Integrationsprogramm für anerkannte Schutzberechtigte aufgestellt hat und/oder ein solches praktiziert. Das Gericht führt dazu weiter aus:
„Laut einer Pressemitteilung der Europäischen Kommission vom 23. September 2015 hat die Europäische Kommission insgesamt 40 Vertragsverletzungsverfahren hinsichtlich der Bewältigung der Flüchtlingskrise eingeleitet, bei denen mehrfach Bulgarien genannt wurde. So hat Bulgarien die Anerkennungsrichtlinie (Richtlinie 2011/95/EU) weder umgesetzt noch die Kommission über nationale Umsetzungsmaßnahmen in Kenntnis gesetzt. Gleiches hat für die überarbeitete Asylverfahrensrichtlinie (Richtlinie 2013/32/EU(1)) sowie die Richtlinie über die Aufnahmebedingungen (Richtlinie 2013/33/EU(4)) zu gelten. Das von der Europäischen Kommission verfasste Aufforderungsschreiben stellt die erste förmliche Stufe eines Vertragsverletzungsverfahrens dar (vgl. Pressemitteilung Europäische Kommission, Mehr Verantwortung bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise: Europäische Kommission bringt gemeinsames Europäisches Asylsystem auf Kurs und leitet 40 Vertragsverletzungsverfahren ein, Brüssel, 23.09.2015). In einem Bericht über eine Informationsreise des Europäischen Wirtschaft- und Sozialausschusses nach Bulgarien vom 25./26. Januar 2016 wird ausgeführt, dass Sprachunterricht anders als in Deutschland nicht angeboten wird, obwohl Investitionen in intensive Sprachkurse für Asylbewerber, die in Bulgarien bleiben, nötig sind, um die Integration voran zu treiben. Trotz einer Diskussion über eine Integrationsstrategie gebe es kein derartiges Programm für Menschen, denen der Schutzstatus gewährt wurde. Dies sei auch der Grund, weshalb viele Flüchtlinge das Land wieder verließen. Bestätigt wird hierin auch die von PRO ASYL beschriebene Praxis, dass Sozialwohnungen nur dann in Anspruch genommen werden können, wenn einer der Ehegatten die bulgarische Staatsangehörigkeit besitzt und bereits im Land gearbeitet hat. Flüchtlingskindern steht kein Recht auf einen Kindergartenplatz zu, wobei jedoch selbst bulgarische Bürger Schwierigkeiten haben, einen Platz für ihr Kind zu finden. Sehr wenige Asylbewerber gehen in Bulgarien gegen Asylentscheidungen vor, da sie keinen Zugang zur Rechtsberatung haben (vgl. Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss, Bericht über die Informationsreise nach Bulgarien, 25.26.01.2016). ACCORD (Austrian Centre for Country of Origin & Asylum Research and Documentation, Forschung und Dokumentation zu Asyl- und Menschenrechten) kommt in einem Bericht vom 14. April 2016 zu dem Ergebnis, dass kein Flüchtling in Bulgarien eine reelle Chance habe, sich ein Existenzminimum zu schaffen. Die Rückführung von Personen, die in Bulgarien einen Status erhalten haben, verstoße daher gegen Art. 3 EMRK und auf nationaler Ebene gegen § 60 Abs. 5 AufenthG. Bei kranken und vulnerablen Personen liege eine konkrete erhebliche Gefahr im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor (vgl. ACCORD, Anfragebeantwortung zu Bulgarien: Konsequenzen für einen in Bulgarien subsidiär ("humanitär") Schutzberechtigten bei Rücküberstellung, z. B. gemäß Dublin-Übereinkommen aus einem anderen EU-Land; Kann der humanitäre Schutz von Bulgarien wieder entzogen werden-, 14.04.2016). Die Neue Züricher Zeitung berichtet am 13. August 2016 über eine Untersuchung der UNO zur bulgarischen Asylpraxis: Unhygienische Unterkünfte, willkürliche Internierungen und eine Regierung, die den Fremdenhass schürt und Bürger ermuntert, an der Grenze Jagd auf Migranten zu machen - das UNO Hochkommissariat für Menschenrechte zeichne ein düsteres Bild vom Umgang mit Asylsuchenden in Bulgarien. Ein Team aus Genf habe das Balkanland Ende Juli 2016 zum 2. Mal innerhalb von acht Monaten besucht und eine Bilanz gezogen. Zwar vermerkten die UNO Experten auch Fortschritte, etwa bei den administrativen Verfahren. Angesichts der gravierenden Mängel scheine deren Erwähnung aber primär der diplomatischen Höflichkeit geschuldet. Zeid Raad al-Hussein, UNO Hochkommissar, habe scharfe Kritik an der Praxis geübt, Personen, die irregulär nach Bulgarien einreisten, zu internieren. Noch schlimmer sei, dass Gefängnisstrafen von über einem Jahr drohten, wenn jemand versuche, das Land wieder zu verlassen. Damit missachte Bulgarien internationales Recht. Bulgarien habe im ersten Halbjahr 2016 rund 14.000 Migranten festgenommen; in der entsprechenden Vorjahresperiode seien es noch 21.000 Personen gewesen. Nur wenige wollten im ärmsten EU-Mitgliedstaat bleiben (vgl. NZZ, Internieren und Abschieben, die UNO rügt Bulgariens Asylpraxis, 13.08.2016).
Angesichts dieser Situation, die nach wie vor von unzumutbaren Lebensverhältnissen, Versorgungsengpässen und inakzeptablen Unterbringungen geprägt ist, die zu Ängsten, Obdachlosigkeit, unzureichender medizinischer Versorgung und einem Leben in extremer Armut führen kann, ist es nicht zumutbar, die betreffenden Flüchtlinge nach Bulgarien abzuschieben. Damit liegt ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG vor. Eine auf § 35 AsylG gestützte Abschiebungsandrohung ist demnach rechtswidrig.“
Die Einzelrichterin folgt diesen Ausführungen nach eigener Prüfung und macht sie sich zu Eigen. Auch nach Auffassung der Einzelrichterin droht international Schutzberechtigten in Bulgarien die Obdachlosigkeit und ihnen fehlt faktisch der Zugang zum Arbeitsmarkt und zu staatlichen Sozialleistungen. Eine Abschiebung des Antragstellers nach Bulgarien würde darum seine Existenz bedrohen und zu einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 3 EMRK führen. Somit liegt ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG vor.
Dem kann nicht mit dem Argument entgegengetreten werden, die Lage für große Teile der bulgarischen Bevölkerung sei ebenfalls schwierig. Denn die Lage anerkannter Flüchtlinge unterscheidet sich grundlegend von der Situation der übrigen Bevölkerung. Sie haben keine sozialen Kontakte, können nicht auf wirksame familiäre oder nachbarschaftliche Hilfe zurückgreifen und sind weitgehend auf sich allein gestellt. Hinzu kommen Verständigungsprobleme, da sie die bulgarische Sprache nicht beherrschen und die Angestellten in den Behörden üblicherweise keine Fremdsprache sprechen (VG Lüneburg, Urt. v. 21.12.2016 - 8 A 170/16 -, juris Rdnr. 69). Diese besondere Schutzbedürftigkeit, die nicht nur bei Asylsuchenden, sondern auch bei international Schutzberechtigten besteht, ist nach der Rechtsprechung des EGMR bei der Prüfung, ob ein Verstoß gegen Art. 3 EMRK droht, zu berücksichtigen (EGMR, Urt. v. 04.11.2014 - 29217/12 - Trakhel gegen die Schweiz -, juris).
Im Übrigen hat das Bundesverfassungsgericht im Hinblick auf die problematische Situation von Schutzberechtigten in Bulgarien ausgeführt, dass jedenfalls in Fällen, in denen die Auskunftslage dem Einzelrichter aufgrund einer Vielzahl stattgebender Entscheidungen anderer Verwaltungsgerichte als nicht hinreichend eindeutig erscheinen darf, eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung geboten ist oder zumindest nahe liegt (stattgebender Kammerbeschluss v. 21.04.2016 - 2 BvR 273/16 -, juris Rdnr. 14). In einer solchen Situation ist es mit der Gewährung effektiven Rechtsschutzes nicht vereinbar, wenn das im Eilverfahren erst- und letztinstanzlich zuständige Verwaltungsgericht ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO verneint und es damit ermöglicht, dass praktisch kaum rückgängig zu machende Fakten geschaffen werden. Im Übrigen vermitteln die die Anordnung begründenden Entscheidungen für die Einzelrichterin eine besondere Überzeugungskraft (diesen Ansatz verfolgend: OVG Lüneburg, Beschl. v. 10.03.2017 - 2 ME 63/17 -, nicht veröffentlicht).
Der Anordnungsgrund liegt darin begründet, dass der Antragsteller ohne eine Anordnung nach § 123 VwGO jederzeit auf Grundlage der vollziehbaren Abschiebungsandrohung im Bescheid der Antragsgegnerin vom 28.10.2015 nach Bulgarien abgeschoben werden könnte. Einer vorherigen Mitteilung nach § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG an die Ausländerbehörde bedarf es nicht, weil der Antragsteller in einen sicheren Drittstaat abgeschoben werden sollen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist nicht begründet.
Der Antragsteller erfüllt die persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen nicht, weil er eine formgerechte Erklärung gemäß § 166 VwGO, § 117 Abs. 2 und 4 ZPO bislang nicht eingereicht hat.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).