Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 07.04.2017, Az.: 3 A 7377/16

Anerkenntnis, sofortiges; Inobhutnahme von UMF; Kostenerstattung; Leistungsklage; Prozesskosten

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
07.04.2017
Aktenzeichen
3 A 7377/16
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2017, 54232
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Hatte der kostenerstattungspflichtige überörtliche Träger vor Klageerhebung ein umfassendes Kostengrundanerkenntnis und eine Verzichtserklärung bzgl. der Einrede der Verjährung abgegeben, bestand für den kostenerstattungsberechtigten örtlichen Jugendhilfeträger im Sinne des § 156 VwGO kein Anlass zur Erhebung einer Leistungsklage.

Tenor:

Das beklagte Landesamt wird verurteilt, an die Klägerin 4.322,67 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 29.11.2016 zu zahlen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Wert des Streitgegenstands wird auf 4.322,67 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Die Klägerin verlangt von dem beklagten Landesamt gemäß § 89d Abs. 1 und 3 SGB VIII die Erstattung der Kosten, die ihr für die Inobhutnahme des unbegleitet eingereisten minderjährigen Flüchtlings A. im Zeitraum vom B. entstanden sind.

Nachdem die Klägerin den Minderjährigen, dessen unbegleitete Einreise am C. in ihrem örtlichen Zuständigkeitsbereich festgestellt worden war, gemäß § 42 Abs. 1 Nr. 3 SGB VIII (a.F.) in Obhut genommen hatte, stellte sie am D. bei dem dafür zuständigen Bundesverwaltungsamt einen Antrag auf Bestimmung des kostenerstattungspflichtigen (überörtlichen) Trägers. Das Bundesverwaltungsamt bestimmte mit Bescheid vom E. das beklagte Landesamt als kostenerstattungspflichtig.

Mit Rechnung und beigefügter Kostenaufstellung vom 24.06.2016 stellte die Klägerin dem beklagten Landesamt den mit der Klage geforderten Betrag in Rechnung. Da eine Zahlung zunächst nicht erfolgte, mahnte die Klägerin mit Schreiben vom 14.09.2016 die Zahlung an.

Unter dem 10.10.2016 gab das beklagte Landesamt gegenüber der Klägerin ein Kostenanerkenntnis dem Grunde nach ab. Mit weiterem Schreiben vom 18.11.2016 erklärte es unter Bezugnahme auf eine zwischenzeitlich auf höchster politischer Ebene (MPK vom 26. - 28.10.2016) getroffene Verabredung über die Verfahrensweise im Hinblick auf den bundesweit bestehenden Bearbeitungsstau bezüglich der Erstattungsforderungen in Fällen der vorliegenden Art ihren Verzicht auf die Einrede der Verjährung. Eine Zahlung ist bisher nicht erfolgt.

Die Klägerin hat am 29.11.2016 Klage erhoben. Sie weist darauf hin, dass der Anspruch nach Grund und Höhe unstreitig sei. Trotz eingetretener Fälligkeit und Mahnung habe das beklagte Landesamt die Forderung nicht beglichen, weshalb - auch zur Abwendung des zum 31.12.2016 drohenden Eintritts der Verjährung - die Verfolgung des Anspruchs im Klagewege erforderlich geworden sei. Die Abgabe eines Grundanerkenntnisses und der Verzichtserklärung bzgl. der Einrede der Verjährung ließen die Erforderlichkeit der Klageerhebung nicht entfallen, denn das ändere nichts daran, dass die Forderung nach wie vor nicht beglichen sei.

Die Klägerin beantragt,

das beklagte Landesamt seinem Anerkenntnis gemäß kostenpflichtig zu verurteilen, an sie 4.322,67 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Das beklagte Landesamt hat mit Klageerwiderungsschriftsatz vom 24.01.2017

„hinsichtlich des Klageanspruchs“ ein sofortiges Anerkenntnis abgegeben

und beantragt,

die Kosten des Rechtsstreits der Klägerin aufzuerlegen.

Es meint, es habe zur Erhebung der Klage im Sinne des § 156 VwGO keinen Anlass gegeben. Die Klägerin habe auf Grund seiner Erklärungen vom 10.10.2016 (Grundanerkenntnis) und vom 18.11.2016 (Erklärung zum Verzicht auf die Einrede der Verjährung) davon ausgehen können und müssen, dass es die streitbefangene Forderung auch nach Ablauf des 31.12.2016 begleichen werde. Es sei davon auszugehen, dass der Klägerin die auf höchster politischer Ebene Ende Oktober 2016 getroffenen Verabredungen zur Bewältigung des Bearbeitungsstaus bezüglich der Erstattungsforderungen im Zusammenhang mit Jugendhilfemaßnahmen zu Gunsten unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge vor Klageerhebung bekannt gewesen sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten sowie des Sachverhalts im Übrigen wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie den Inhalt der vorgelegten Verwaltungsvorgänge verwiesen.

Entscheidungsgründe

Das beklagte Landesamt ist gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 307 Satz 1 ZPO seinem Anerkenntnis gemäß zu verurteilen (zum Anerkenntnisurteil im Verwaltungsrechtsstreit vgl. BVerwG, Gerichtsbescheid vom 07.01.1997 – 4 A 20.95, juris; OVG Sachsen, Urteil vom 25.05.2010 – 2 A 127/10, juris; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 12.09.1990 – 5 S 2776/89, juris). Da das abgegebene sofortige Anerkenntnis „den Klageanspruch“ betrifft, umfasst es auch den geltend gemachten Anspruch auf Prozesszinsen.

Die Entscheidung trifft der Berichterstatter ohne mündliche Verhandlung (§ 87a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 VwGO, § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 307 Satz 2 ZPO).

Gemäß § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 313b Abs. 1 Satz 1 ZPO wird von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen.

Die Kostentscheidung folgt aus § 156 VwGO. Das beklagte Landesamt hatte durch sein Verhalten keinen Anlass zur Klage gegeben. Vielmehr hatte es mit seinem Kostenanerkenntnis vom 10.10.2016 sowie insbesondere mit seiner Erklärung vom 18.11.2016 zum Verzicht auf die Einrede der Verjährung alles ihm Mögliche und Erforderliche getan, um eine Klageerhebung abzuwenden. Dabei ist insoweit unerheblich, ob und inwieweit die Anforderungen an einen wirksamen Verjährungsverzicht rechtlich in Literatur und Rechtsprechung möglicherweise umstritten sind. Denn es ist, worauf das beklagte Landesamt zu Recht verweist, zu berücksichtigen, dass sein Verhalten auf einem vorherigen politischen Abstimmungsprozess auf Bund-Länder-Ebene beruhte, der u.a. genau für die hier vorliegende Fallkonstellation durchgeführt und in dem als Zwischenlösung die Abgabe von Verjährungsverzichtserklärungen verabredet worden war. Angesichts dessen bestand für die Klägerin kein Anlass anzunehmen, dass das beklagte Landesamt trotz seiner Erklärungen vom 10.10.2016 und vom 18.11.2016 die geltend gemachte Forderung nach Ablauf des 31.12.2016 nicht freiwillig begleichen würde, wenn die von ihm in der Erklärung vom 18.11.2016 im Einzelnen bezeichneten Voraussetzungen vorliegen würden, was im vorliegenden Verfahren unstreitig der Fall war. Allein der Umstand, dass die Forderung trotz Fälligkeit und Zahlungsaufforderung nicht umgehend bzw. innerhalb der vom der Klägerin gesetzten Fristen beglichen war, rechtfertigte angesichts der auch der Klägerin bekannten Gesamtumstände und der dafür politisch auf Bund-Länder-Ebene verabredeten Lösung die Erhebung der Klage nicht. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die Klägerin auch durch die Erhebung der Klage eine Begleichung der Forderung nicht unmittelbar bewirken konnte.

Die Entscheidung ist gemäß § 708 Nr. 1 ZPO ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 3 GKG.