Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 04.04.2017, Az.: 3 A 943/15
Kindergeld; Vorausleistungen; Wohnen bei den Eltern; Wohnkostenzuschuss
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 04.04.2017
- Aktenzeichen
- 3 A 943/15
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2017, 54230
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 13 Abs 2 Nr 1 BAföG
- § 36 Abs 1 BAföG
- § 53 S 1 BAföG
- § 27 Abs 3 SGB 2
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Ein dem Auszubildenden gewährter Wohnkostenzuschuss gemäß § 27 Abs. 3 SGB II a.F. wirkt sich nicht mindernd auf dem Auszubildenden gewährte Vorausleistungen nach § 36 BAföG aus.
2. Ein Wohnkostenzuschuss nach § 27 Abs. 3 SGB II a.F. ist mit Blick auf die Frage einer Gefährdung der Ausbildung im Sinne von § 36 BAföG nicht mit Kindergeld vergleichbar, dass von dem kindergeldberechtigten Elternteil
an den Auszubildenden weitergeleitet wird.
3. Bei der Prüfung einer Gefährdung der Ausbildung ist nicht nur die tatsächliche Einkommens-, sondern auch die tatsächliche Ausgabensituation des Auszubildenden in den Blick zu nehmen, soweit dort notwendige Ausgaben (für die Unterkunft) anfallen, die über den im BAföG dafür angesetzten Pauschalbeträgen liegen.
Tenor:
Der Bescheid der Beklagten vom 30.01.2015 wird aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des durch das Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin selbst Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Berufung und Sprungrevision werden zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Aufhebung eines an sie gerichteten Änderungsbescheids der Beklagten, durch welchen ihr weniger Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) bewilligt werden als zuvor durch den Ausgangsbescheid.
Die am E. geborene Klägerin hat ihren Wohnsitz in der B.. Die 3-Zimmer-Wohnung bewohnt sie gemeinsam mit ihrer Mutter. Die Mutter der Klägerin vermietet der Klägerin eines der Zimmer unter Einräumung der Mitbenutzung von Gemeinschaftsräumen unter. Ausweislich des Untermietvertrages vom 01.04.2011 beträgt der Mietzins 260,00 Euro inklusive Strom und Heizung. Klägerin und Mutter teilen sich auch die Kosten für die Verpflegung.
Die Klägerin hatte am 01.09.2013 an der Hochschule F. das Studium im Studiengang Informationsmanagement (Bachelor) aufgenommen. Mit Bescheid vom 31.10.2013 wurde ihr Ausbildungsförderung nach dem BAföG für den Bewilligungszeitraum 09/2013 - 08/2014 bewilligt.
Mit Wiederholungsantrag vom 28.05.2014 beantragte die Klägerin auch für den Bewilligungszeitraum 09/2014 - 08/2015 Leistungen nach dem BAföG. In dem Antrag gab sie an, dass sie Leistungen für Auszubildende vom JobCenter in Höhe von 211,00 Euro monatlich bezieht. Ausweislich des Bescheides handelte es sich um einen Wohnkostenzuschuss nach § 27 Abs. 3 SGB II in der von 01.04.2012 bis 31.07.2016 geltenden Fassung (§ 27 Abs. 3 SGB II a.F.), der bis zum 31.08.2014 bewilligt war. Am 08.09.2014 ergänzte die Klägerin ihren Antrag um einen Antrag auf Vorausleistungen nach § 36 BAföG für ihre Mutter für den obigen Bewilligungszeitraum.
Am 31.10.2014 erließ die Beklagte den Bescheid über die Ausbildungsförderung. Sie bezifferte den Bedarf der Klägerin mit 495,00 Euro und den anzurechnenden Unterhaltsbeitrag der Mutter mit 317,70 Euro. Den Wohnkostenzuschuss hat die Beklagte in diesem Bescheid nicht berücksichtigt, da die Bewilligungszeiträume sich nicht überschnitten. Die Beklagte bewilligte daher Leistungen in Höhe von 446,00 Euro, davon 268,70 Euro als Vorausleistung anstelle des Unterhaltsbeitrags der Mutter. Sie brachte bei der Berechnung der Vorausleistung von den seitens der Mutter anrechenbaren 317,70 Euro den gemäß § 13 Abs. 2 Nr. 1 BAföG pauschalierten Wert der Unterkunft in Höhe von 49,00 Euro mindernd in Abzug. Die Klägerin wurde aufgefordert, im Falle einer erneuten Bewilligung des Wohnkostenzuschusses der Beklagten hierüber Mitteilung zu machen. Die Beklagte kündigte an, in diesem Fall die Vorausleistungen neu zu berechnen.
Mit Bescheid vom 19.12.2014 bewilligte das JobCenter der Klägerin auch für den Zeitraum vom 01.09.2014 bis zum 28.02.2015 gemäß § 27 Abs. 3 SGB II a.F. einen Wohnkostenzuschuss i.H.v. 211,00 Euro monatlich zu den angemessenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung. Die Klägerin übermittelte der Beklagten den neuen Bewilligungsbescheid per E-Mail am 29.12.2014.
Daraufhin überrechnete die Beklagte die Höhe der der Klägerin zustehenden Vorausleistungen. Im Ergebnis dieser Überrechnung brachte die Beklagte den vom JobCenter bewilligten Zuschuss vorausleistungsmindernd in Abzug. Anstelle des Wertes der Unterkunft i.H.v. 49,00 Euro zog die Beklagte nunmehr 211,00 Euro von den 317,70 Euro Unterhalt durch die Mutter ab, sodass statt 268,70 Euro Vorausleistung 106,00 Euro Vorausleistung verblieben.
Am 30.01.2015 erließ die Beklagte den entsprechenden Änderungsbescheid für den gesamten Bewilligungszeitraum. Sie bewilligte der Klägerin in Abänderung des Bescheides vom 31.10.2014 Ausbildungsförderung in Höhe von 284,00 Euro, davon 106,70 Euro Vorausleistung anstelle des Unterhalts der Mutter. Die sich hieraus ergebende Überzahlung i.H.v. 810,00 Euro rechnete die Beklagte mit den ausstehenden Leistungen auf.
Mit Klage vom 13.02.2015 wendet sich die Klägerin gegen den Änderungsbescheid vom 30.01.2015.
Sie ist der Auffassung, dass der Zuschuss des JobCenters zu Unrecht vorausleistungsmindernd in Abzug gebracht worden ist. Sie trägt hierzu vor, dass der Wohnkostenzuschuss nicht dem Einkommensbegriff in § 21 Abs. 3 Nr. 4 BAföG i.V.m. der Einkommensverordnung unterfalle und es sich daher auch nicht um anrechenbares Einkommen handele. Weiterhin deckten die im BAföG beinhalteten Pauschalbeträge für Wohnkosten ihre Wohnkosten nicht ab, sodass der vom JobCenter bewilligte Zuschuss anrechnungsfrei bleiben müsse. Die von der Beklagten angesprochene Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Urteil vom 09.12.2014 - Az. 5 C 3.14 -, juris) zur Berücksichtigung des Kindergeldes bei der Berechnung der Vorausleistung sei auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar, denn das Kindergeld sei auf den unterhaltsrechtlichen Bedarf anzurechnen, wenn es bestimmungsgemäß an den Auszubildenden ausgezahlt werde, der Wohnkostenzuschuss hingegen nicht. Der Sinn des Wohnkostenzuschusses bestehe darin, bedürftigen Auszubildenden unter Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen einen Zuschuss zu den Unterkunftskosten zu leisten, da die Ausbildungsförderungsleistungen den Bedarf in diesem Punkt nicht deckten. Diese Leistung sei daher nicht bedarfsmindernd, anderenfalls könne der Zuschuss seinen Zweck nicht erfüllen und die Deckungslücke nicht schließen. Die Leistung des Wohnkostenzuschusses lasse die Gefährdung der Ausbildung allein noch nicht entfallen. Wenn die Beklagte den Betrag anrechne, würde ihr Einkommen wieder unter das Existenzminimum abgleiten, dessen Sicherung die Funktion des Zuschusses aber sei.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 30.01.2015 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie vertritt die Auffassung, dass die der Klägerin zustehenden Vorausleistungen korrekt berechnet worden seien. Der durch das JobCenter gewährte Zuschuss von 211,00 Euro sei in voller Höhe von dem anzurechnenden Unterhaltsbeitrag der Mutter i.H.v. 317,70 Euro vorausleistungsmindernd abzuziehen, da in dieser Höhe der Klägerin Mittel tatsächlich zugeflossen seien und in diesem Umfang die Ausbildung der Klägerin nicht gefährdet sein könne. Sie verweist hierzu auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, nach welcher weitergeleitetes Kindergeld im Vorausleistungsverfahren zu berücksichtigen sei. Dies lasse sich auf die vorliegende Konstellation übertragen, denn ebenso wie das Kindergeld werde der Wohnkostenzuschuss neben den Leistungen nach dem BAföG gewährt. Entgegen der Auffassung der Klägerin wirke sich der Wohnkostenzuschuss auch unterhaltsrechtlich bedarfsmindernd aus, denn der Unterhaltsanspruch des volljährigen Kindes umfasse auch Kosten für eine Wohnung. Schließlich setze die Gewährung von Vorausleistungen eine Gefährdung der Ausbildung voraus, welche bei der Zahlung von Kindergeld ebenso wie beim Wohnkostenzuschuss entfalle, weil in der Höhe, in der Mittel zuflössen, die finanzielle Notlage abgewendet sei und eine Notwendigkeit für Vorausleistungen nicht mehr bestünde.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Anfechtungsklage ist begründet. Der angegriffene Abänderungsbescheid der Beklagten vom 30.01.2015 ist aufzuheben, denn er ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO.
Der Abänderungsbescheid beruht vorliegend auf § 53 S. 1 BAföG als Rechtsgrundlage. Zweifel an der formellen Rechtmäßigkeit bestehen nicht, insbesondere ist die Klägerin gemäß § 24 SGB X angehört worden, indem ihr die Beklagte bereits im Vorfeld des abgeänderten Bewilligungsbescheides durch einen Schriftwechsel die Gelegenheit gegeben hatte, sich dazu zu äußern, dass im Falle der Bewilligung eines Wohnkostenzuschusses die Vorausleistung neu berechnet werden sollte.
Der Bescheid ist jedoch materiell rechtswidrig, weil die Tatbestandsvoraussetzungen des § 53 S. 1 BAföG nicht erfüllt sind. Gemäß § 53 S. 1 BAföG kann ein Bescheid auch zuungunsten des Auszubildenden geändert werden, wenn sich ein für die Leistung der Ausbildungsförderung maßgeblicher Umstand ändert. Maßgeblich ist ein Umstand, der die Tatbestandsvoraussetzungen der Rechtsgrundlage der abzuändernden Entscheidung betrifft. Dieses Merkmal ist nicht erfüllt, weil sich kein für die Leistung maßgeblicher Umstand geändert hat.
Im vorliegenden Fall überrechnete die Beklagte die Höhe der Vorausleistung, sodass sich der veränderte Umstand auf die Höhe der der Klägerin zustehenden Vorausleistung beziehen muss. Rechtsgrundlage für die Bewilligung von Vorausleistungen ist § 36 Abs. 1 BAföG. Hiernach wird auf Antrag Ausbildungsförderung ohne Anrechnung des Unterhaltsbetrags der Eltern geleistet, wenn der Auszubildende glaubhaft macht, dass die Eltern den Unterhaltsbeitrag nicht leisten werden und dadurch die Ausbildung gefährdet ist. In Betracht kommt hier als veränderter Umstand einzig ein teilweiser Wegfall der Gefährdung der Ausbildung durch die nachträgliche Bewilligung eines Wohnkostenzuschusses. Dies ist jedoch nicht als Veränderung eines maßgeblichen Umstandes anzusehen, weil die Leistung des Wohnkostenzuschusses die Gefährdung der Ausbildung nicht entfallen lässt.
Ausgangspunkt ist, dass eine Ausbildung gefährdet ist, wenn dem Antragsteller infolge der glaubhaft gemachten Nichtleistung des Unterhaltes durch unterhaltspflichtige Eltern - bei gleichzeitiger Anrechnung des Einkommens der Eltern auf den Bedarf nach § 11 Abs. 2 S. 1 BAföG - nicht ausreichend Mittel zur Verfügung stehen, um sich der Ausbildung in notwendigem Umfang zu widmen. Somit war zur Zeit des Ausgangsbescheides die Ausbildung gefährdet, denn die Klägerin hatte unstrittig glaubhaft gemacht, dass ihre Mutter jedenfalls in Höhe von 268,70 Euro ihrer Unterhaltspflicht nicht nachkommen wird. Das Einkommen der Mutter wurde ihr jedoch auf den Bedarf angerechnet, sodass sich für die Klägerin eine Finanzierungslücke in Höhe dieser Differenz auftat und ihre Ausbildung gefährdet war. Ob hierbei zu Recht mit 49,00 Euro der Wert der Unterkunft vorausleistungsmindernd in Abzug gebracht wurde, obwohl die Klägerin die Unterkunft nicht unentgeltlich als Unterhaltsleistung, sondern im Rahmen eines Untermietvertrages gegen Mietzins erhalten hat, kann hier offen bleiben, da der Ausgangsbescheid bestandskräftig wurde.
Der Umstand dieser bestehenden Gefährdung der Ausbildung war durch die Leistung des Wohnkostenzuschusses nicht entfallen, weil der Klägerin im Sinne des § 36 BAföG weiterhin nicht ausreichend Mittel zur Verfügung standen, um sich der Ausbildung in erforderlichem Umfang zu widmen. Eine Betrachtung von Einkünften allein reicht nämlich nicht aus, um zu beurteilen, ob diese zum Unterhalt reichen. Erforderlich ist vielmehr die Prüfung, ob eine Finanzierungslücke besteht, die im Rahmen von § 36 S. 1 BAföG als Gefährdung der Ausbildung anzusehen ist oder nicht, sodass ferner auch maßgeblich ist, welche Posten auf der Ausgabenseite des Antragstellers einzubeziehen sind, denen die Einkünfte gegenüber gestellt werden können. Zur Feststellung dieser Finanzierungslücke ist, wenn man den Wohnkostenzuschuss auf der Seite der Einkünfte berücksichtigt, aber erforderlich, auch auf der anderen Seite die pauschale Ermittlung des Bedarfs nach dem BAföG um Posten in Höhe tatsächlich abfließender, notwendiger Ausgaben zu korrigieren, soweit diese gemäß § 13 Abs. 2 Nr. 1 BAföG für den gesetzlich pauschalierten Bedarf unberücksichtigt bleiben.
Das folgt aus der Auslegung des Merkmals der „Gefährdung“ in § 36 Abs. 1 BAföG. Diese ist dahingehend vorzunehmen, dass entweder bei der Prüfung der Gefährdung nur diejenigen Einnahmen zu berücksichtigen sind, die in der pauschalisierten Bedarfsberechnung einen korrespondierenden Posten haben, oder dass bei Berücksichtigung tatsächlicher Mehreinnahmen von den pauschalen Bedarfssätzen des BAföG zugunsten tatsächlich vorliegender Mehrausgaben für eine Wohnung abgewichen werden muss, um zu einem realitätsgetreueren Abbild der Gefährdung der Ausbildung zu gelangen. Somit sind entweder weiterhin 449,00 Euro, davon 268,70 Euro als Vorausleistung, zu gewähren, weil der Wohnkostenzuschuss nur insoweit in die Berechnung einfließen darf, wie die Pauschalen nach dem BAföG von einem Bedarf ausgehen, also i.H. der bereits abgezogenen 49,00 Euro aus § 13 Abs. 2 Nr. 1 BAföG. Oder es wäre weiterhin die gleiche Summe zu gewähren, weil den Mehreinnahmen von 211,00 Euro ein durch das JobCenter festgestellter, tatsächlich bestehender Mehrbedarf zur Deckung der Lebenshaltungskosten von 211,00 Euro gegenüber der Berechnung durch die Beklagte anhand des Pauschalsatzes in § 13 Abs. 2 Nr. 1 BAföG besteht.
Für eine solche Auslegung und ein daraus resultierendes Nebeneinander von Wohnkostenzuschuss i.S.v. § 27 Abs. 3 a.F. SGB II und Vorausleistung nach § 36 Abs. 1 sprechen sowohl (1.) der Wortlaut, als auch (2.) der historische Kontext, (3.) die Systematik und (4.) der Sinn und Zweck der Regelung. Die Auffassung der Beklagten, dass die tatsächlichen Mehreinnahmen die Gefährdung in ihrem Umfang haben entfallen lassen, weil die Klägerin insoweit finanzielle Mittel zur Verfügung hatte und deshalb nicht in eine ausbildungsgefährdende Notlage geraten konnte, greift demgegenüber zu kurz und überzeugt deshalb nicht. Diesem Ergebnis liegt nämlich die abzulehnende Auslegung zugrunde, dass im Rahmen der Prüfung einer Gefährdung die tatsächlichen Einkünfte samt Wohnkostenzuschuss einer fiktiven Ausgabenberechnung gegenüber gestellt werden dürfen, die bei Leistungsberechtigten, die bei ihren Eltern wohnen, nach § 13 Abs. 2 Nr. 1 BAföG pauschal davon ausgeht, dass Wohn- und Heizkosten mit (damals) 49,00 Euro abgedeckt werden können.
1. Im Hinblick auf den Wortlaut legt die sprachliche Bedeutung einer „Gefährdung der Ausbildung“ nahe, dass diese an tatsächlichen Begebenheiten zu bemessen ist und es damit auf den tatsächlich anfallenden finanziellen Mehrbedarf für die Wohnung des Antragstellers ankommt. Auch nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts spricht aus grammatikalischer Sicht Überwiegendes dafür, dass das Merkmal der „Gefährdung“ einen tatsächlichen Zustand beschreibt, der in einer durch den Ausfall einer Unterhaltsleistung der Eltern hervorgerufenen finanziellen Notlage besteht (BVerwG, Urteil vom 09. Dezember 2014 – 5 C 3/14 –, juris Rn. 12). Diese Auslegung überzeugt, denn die Frage nach einer Gefährdung kann sich nur daran orientieren, ob einem Schutzgut ein realer Schaden droht.
Das Bundesverwaltungsgericht zieht hieraus den Schluss, eine Gefährdung in dem Umfang auszuschließen, in welchem dem Auszubildenden finanzielle Mittel, wie etwa das Kindergeld, tatsächlich zufließen. Konsequent ist es dann aber, nicht nur auf Seite der Einnahmen auf die tatsächlich zugeflossenen Mittel abzustellen, sondern auch auf der Ausgabenseite den tatsächlich vorhandenen Bedarf einzubeziehen und nicht lediglich den Bedarf nach dem anhand von § 13 Abs. 2 Nr. 1 BAföG ermittelten Bedarfssatz. Denn aus einer Gegenüberstellung von pauschalisiertem Bedarf mit tatsächlichen Einnahmen lässt sich kein logischer Schluss darauf ziehen, ob die finanziellen Mittel zur Existenzsicherung ausreichen oder der Ausbildung eine reale Gefahr droht. Diesen Schluss erlaubt nur eine umfassende Betrachtung der Lebenswirklichkeit des Auszubildenden.
Insoweit spricht der Wortlaut nicht nur dafür, tatsächliche Zuflüsse wie das Kindergeld und den Wohnkostenzuschuss zu berücksichtigen, sondern auch tatsächlich anfallende Wohn- und Heizkosten als zusätzliche Ausgaben einzubeziehen, sofern die Sätze des BAföG - wie beispielsweise im Falle von § 13 Abs. 2 Nr. 1 BAföG bei Kindern, die bei ihren Eltern wohnen - diesen Mehrbedarf übergehen.
(2) Aus systematischer Sicht ist zunächst nicht relevant, ob es sich, wie zeitweilig von den Parteien diskutiert, um Einkommen i.S.v. § 21 BAföG handelt, das auf den Bedarf anzurechnen ist, oder ob die Freibetragsgrenze von § 23 BAföG greift. Die Beklagte hat hier den Wohnkostenzuschuss nämlich nicht nach diesen Normen als eigenes Einkommen auf den Bedarf angerechnet, sondern lediglich auf den Anteil der Leistung, der als Vorausleistung ergeht, die zusätzlichen Einnahmen also allein im Rahmen der Gefährdung einbezogen (vgl. BVerwG, Urteil vom 09. Dezember 2014 – 5 C 3/14 –, juris, Rn. 18)
Systematisch naheliegend erscheint es zunächst, die Frage, ob eine Gefährdung i.S.v. § 36 BAföG vorliegt, auch nach den Bedarfsregelungen des BAföG zu bestimmen, da davon auszugehen ist, dass der Gesetzgeber hier die Schaffung eines kohärenten und speziellen Gesetzeswerkes beabsichtigt hat, nach dem im Allgemeinen die Durchführbarkeit von Ausbildung und Studium gewährleistet werden soll, und hierfür die Heranziehung der Pauschalen in §§ 13ff BAföG für ausreichend erachtet hat. Ein tatsächlicher Mehrbedarf, der im BAföG keinen normierten Niederschlag findet, wäre daher außer Betracht zu lassen. Auch das Bundesverwaltungsgericht stellt im Zusammenhang mit der Berücksichtigung von Kindergeld darauf ab, dass der „ausbildungsförderungsrechtliche Bedarf gedeckt und eine Gefährdung der Ausbildung nicht zu besorgen“ sei (BVerwG, Urteil vom 09. Dezember 2014 – 5 C 3/14 –, juris, Rn. 16), was nahelegt, alleine die Bedarfssätze im Rahmen von § 36 BAföG für maßgeblich zu halten.
Eine solche Betrachtungsweise lässt jedoch außer Betracht, dass § 27 Abs. 3 SGB II a.F. ebenfalls im systematischen Zusammenhang zum BAföG gesehen werden muss, da es sich hierbei, soweit es um den Wohnkostenzuschuss für Studierende geht, um eine Norm handelt, die das BAföG gezielt ergänzt hat und eine dortige Lücke schließen sollte, inhaltlich also einer Norm des BAföG selbst sehr nahe kam. Die Norm hätte daher ebenso auch ins BAföG aufgenommen werden können (Söhngen in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl. 2015, § 27, Rn. 26 m.w.N.), sodass dieser Aspekt gegen eine abschließende systematische Wertung im BAföG und für eine Auflockerung der schematischen Betrachtungsweise nach §§ 13ff BAföG spricht. Auch § 7 Abs. 5 SGB II zeigt, dass § 27 Abs. 3 SGB II a.F. in engem sachlichen Zusammenhang mit dem BAföG stand.
Problematisch erscheint auch, dass der Anspruch nach § 27 Abs. 3 SGB II a.F. nur unter Berücksichtigung der Ausbildungsförderung bewilligt wurde, also wenn der Bedarf in entsprechender Anwendung des § 19 Abs. 3 SGB II nicht durch Einkünfte wie Ausbildungsförderung gedeckt wurde (Söhngen in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl. 2015, § 27, Rn. 32). Wenn allerdings bereits die Vorausleistung beim Wohnkostenzuschuss angerechnet wird, würde die Anrechnung des Wohnkostenzuschusses auf die Vorausleistung im nächsten Schritt zu einer zirkulären Berechnung führen, infolge derer auch der Wohnkostenzuschuss aufgrund der Anrechnung auf die Ausbildungsförderung neu berechnet werden muss. Ergibt sich hieraus ein Mehrbedarf, würde dies wieder zur Überrechnung der Vorausleistung führen. Dies überzeugt nicht und spricht in systematischer Hinsicht somit deutlich dafür, dass bei der Auslegung § 27 Abs. 3 SGB II a.F. und § 36 BAföG auch als aufeinander bezogen verstanden werden müssen.
3. Auch die historische Auslegung spricht gegen die Auslegungsweise der Beklagten. Aus den Gesetzesmaterialien zu § 22 Abs. 7 SGB II in der bis zum 31.12.2010 gelten-den Fassung, der Vorgängernorm von § 27 Abs. 3 SGB a.F., ergibt sich, dass der Gesetzgeber erkannt hat, dass die pauschalierten Sätze nach dem BAföG in einzelnen Härtefällen zu Ausbildungsabbrüchen zu führen drohen, wenn Sätze für die tatsächliche Deckung der Unterhaltskosten nicht ausreichen. Die Neuregelung war somit ausdrücklich dafür vorgesehen, Studierende, die im Haushalt der Eltern zu den Kosten für Unterkunft und Heizung tatsächlich beisteuern, weil die Eltern den auf das Kind entfallenden Wohnkostenanteil nicht tragen können, zu unterstützen und ihre Ausbildung sicherzustellen (BT-Drs. 16/1410, S. 24., zu Buchst. d). Daraus lässt sich folgern, dass der Gesetzgeber bei der Schaffung des § 27 Abs. 3 SGB II a.F. die Lücke, die im vorliegenden Fall dadurch entsteht, dass die Klägerin einerseits unter § 13 Abs. 2 Nr. 1 BAföG fällt, andererseits aber einen normalen Mietzins entrichtet, als potenzielle Gefährdung der Ausbildung eingestuft hat. Diese Wertung muss aus historischer Sicht daher auch bei der Auslegung von § 36 BAföG Niederschlag finden.
4. Schließlich spricht auch der Sinn und Zweck der Regelung in § 36 BAföG gegen die von der Beklagten gewählte Auslegungsart. Zum einen zielt diese auf die Sicherung der Ausbildung, die dadurch gefährdet ist, dass Eltern ihrer bürgerlich-rechtlichen Unterhaltspflicht dem Auszubildenden gegenüber nicht oder nicht in Höhe des angerechneten Betrages nachkommen, obwohl sie wirtschaftlich dazu in der Lage wären; zum anderen schließt sie die durch die zahlreichen typisierenden und pauschalierenden Regelungen im Anrechnungssystem des Bundesausbildungsförderungsgesetzes bedingte Lücke zwischen dem Förderungsrecht und dem bürgerlich-rechtlichen Unterhaltsrecht mit dem Ziel, Härten für den Auszubildenden aufzufangen. Die Vorausleistung ergänzt die Regelförderung mit dem Ziel, die Gefahr eines Ausbildungsabbruchs infolge aktueller Mittellosigkeit abzuwenden. Sie tritt hierfür an die Stelle des seitens der Eltern oder eines Elternteils nicht geleisteten Anrechnungsbetrages und ersetzt diesen (BVerwG, Urteil vom 09. Dezember 2014 – 5 C 3/14 –, juris, Rn. 15). Die Priorität der Norm liegt somit in der tatsächlichen Existenzsicherung des Auszubildenden. Hinsichtlich dieser Existenzsicherung weist das BAföG im Rahmen von § 13 Abs. 2 Nr. 1 eine Finanzierungslücke zwischen dem abstrakten Bedarf von (damals) 49,00 Euro und den tatsächlich anfallenden Wohnkosten auf, da der Bedarf nach §§ 13ff BAföG im Übrigen keine Posten für Mietzins oder Heizkosten enthält. § 27 Abs. 3 SGB II a.F. bezweckte, wie bereits gezeigt, diese Lücke zu schließen, und sollte seinerseits den Ausbildungsförderungsberechtigten vor einem Ausbildungsabbruch aus finanzieller Not bewahren. Nach der Norm wurden daher gedeckelt Leistungen erbracht, die eine tatsächlich bestehende Unterfinanzierung beheben sollten. Der Gesetzgeber hatte also erkennbar das Ziel verfolgt, ein normatives Netz zu schaffen, in dem auch in atypischen Konstellationen eine Finanzierung des Förderungsberechtigten gewährleistet wird, die neben dem sonstigen zum Leben notwendigen Bedarf auch Wohnkosten abdeckt.
Dieser Zielsetzung läuft es aber zuwider, wenn die Beklagte, nachdem Leistungen nach § 27 Abs. 3 SGB II a.F. gewährt wurden, weil Vorausleistung, Ausbildungsförderung und sonstige Einkünfte gerade nicht ausreichen, um die Lebenshaltung zu decken, und somit ein Ausbildungsabbruch droht, die so gewährten Mehreinnahmen auf die Vorausleistung anrechnet und die Klägerin somit wieder auf ein Förderungsniveau setzt, welches der Gesetzgeber als unzureichend bewertet hat. Eine solche Herangehensweise läuft nicht nur dem Zweck des § 36 BAföG zuwider, sie höhlt auch den eigens hierauf zugeschnittenen § 27 Abs. 3 SGB II a.F. gänzlich aus, da der dort vorgesehene Zuschuss für die Klägerin nutzlos wird, wenn der gleiche Betrag auf der Seite der Vorausleistung wieder abgezogen wird. § 27 Abs. 3 SGB II a.F. verliert bei dieser Auslegung seinen gesetzgeberischen sozialen Zweck vollständig, wenn der Auszubildende nur im Wege der Vorausleistung gefördert werden kann. Darüber hinaus folgt aus der Auslegung eine Entlastung der eigentlich unterhaltspflichtigen und -fähigen Eltern auf Kosten der Allgemeinheit, da so der Wohnkostenzuschuss faktisch anstelle der Vorausleistung gezahlt wird und in dieser Höhe die Regressoption gegen die Eltern aus § 37 Abs. 1 BAföG entfällt, was ebenfalls der Konzeption der Vorausleistung zuwiderläuft.
Diese Schlüsse werden letztlich auch gestützt, wenn man sie von ihren Konsequenzen her betrachtet. Hielte man die Auslegung der Beklagten für richtig, wäre die Klägerin gehalten, ihren notwendigen Lebensunterhalt von 495,00 Euro zu bestreiten, bestehend aus 211,00 Euro Wohnkostenzuschuss, 107,70 Euro Vorausleistung und 177,30 Euro Ausbildungsförderung. Zieht man hiervon die unstrittigen Kosten i.H.v. 260,00 Euro für die Wohnung ab, verbleiben 235,00 Euro monatlich zur Deckung aller weiteren Kosten. Nach lebensnaher Betrachtung kann eine solche Summe kaum dazu ausreichen, die Lebenshaltungskosten abzudecken, sodass der durch § 36 BAföG verfolgte Zweck nicht erreicht wird. Auch die teleologische Auslegung spricht daher im vorliegenden Fall dafür, dass geleisteter Wohnkostenzuschuss nicht im Rahmen der Vorausleistung in Abzug gebracht werden kann.
Nichts anderes ergibt sich auch aus dem Vergleich des Wohnkostenzuschusses mit dem nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 09.12.2014 - Az. 5 C 3/14) auf die Vorausleistung anrechenbaren Kindergeld. Der Grund hierfür liegt darin, dass Wohnkostenzuschuss und Kindergeld Leistungen gänzlich unterschiedlicher Natur und Zielsetzung sind. Der ausschlaggebende Unterschied hinsichtlich des Kindergeldes ist, dass dieses nicht wie der Wohnkostenzuschuss vom Staat an den Vorausleistungsberechtigten gezahlt wird, um einen bestimmten, vom Gesetz definierten Bedarf zu decken, sondern einen Anspruch der Eltern darstellt. Das Kindergeld wird daher auch an die Eltern ausgezahlt; nachdem es in das Vermögen der Eltern übergegangen ist, existiert „das Kindergeld“ als solches nicht mehr. Wenn die Eltern also das Kindergeld an ein studierendes Kind „weiterreichen“, erfolgt dies nicht aufgrund eines originären Anspruchs des Kindes auf das Kindergeld, sondern im Rahmen ihrer allgemeinen Unterhaltspflicht. Die Überweisung des Kindergeldes stellt somit nichts anderes dar als die teilweise Erfüllung der Unterhaltspflicht der Eltern durch diese. Da der Anspruch auf Unterhaltsleistungen somit im Verhältnis Kind zu Eltern damit insoweit gemäß § 362 Abs. 1 BGB untergeht, bleibt auch kein Raum mehr dafür, in dieser Höhe Vorausleistungen zu verlangen. Dieser Anspruch ist nämlich durch das Merkmal der Gefährdung akzessorisch an die Unterhaltspflicht der Eltern gekoppelt und besteht nur in der Höhe, in der die Eltern unterhaltspflichtig sind und ihrer Pflicht nicht nachkommen. Auf den Wohnkostenzuschuss lassen sich diese Erwägungen hingegen nicht übertragen, denn der Wohnkostenzuschuss befreit, anders als die eigene Leistung der Eltern, diese nicht von ihrer Unterhaltspflicht, sondern wird vielmehr erst dann bewilligt, wenn fest steht, dass das studierende Kind unter Berücksichtigung aller Einkünfte - somit auch des Unterhalts durch die Eltern - unterfinanziert ist. Der Wohnkostenzuschuss greift somit erst als letztes Mittel, nachdem alle anderen Möglichkeiten der Finanzierung ausgeschöpft sind, und kann deshalb auch nicht auf vorrangig heranzuziehende Finanzierungsquellen, wie den Unterhaltsbedarf oder die Ausbildungsförderung - oder eben die Vorausleistung - angerechnet werden.
Da der materiell rechtswidrige Abänderungsbescheid die Klägerin als Adressaten benennt und dieser gegenüber in der Verringerung ihres Anspruches nach dem BAföG eine belastende Rechtsfolge setzt, folgt aus der materiellen Rechtswidrigkeit zugleich auch die subjektive Rechtsverletzung der Klägerin.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit beruht auf § 188 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 und § 711 Satz 1 und 2 ZPO.
Die Berufung war gemäß § 124a i.V.m. § 124 Abs. 1 Nr. 3 VwGO zuzulassen, da die Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat, ob ein nach dem SGB II an den Auszubildenden gewährter Wohnkostenzuschuss in seinem Umfang eine Gefährdung der Ausbildung i.S.v. § 36 BAföG entfallen lässt. Diese Frage ist bisher weder obergerichtlich noch höchstrichterlich entschieden. Die Sprungrevision war aus dem gleichen Grund gemäß § 134 Abs. 1 i.V.m. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen.