Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 26.04.2017, Az.: 5 B 7267/16

Abschiebungsandrohung; Asylfolgeantrag

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
26.04.2017
Aktenzeichen
5 B 7267/16
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2017, 54083
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Eine Abschiebungsandrohung gem. § 71 Abs. 4 i.V.m. § 34 a Abs. 1 Satz 4 AsylG ist nur in solchen Fällen zulässig, in denen stichhaltige Gründe für die Annahme vorliegen, dass eine Abschiebung - und damit der Erlass einer Abschiebungsanordnung nach Satz 1 oder 2 - nicht möglich ist.

Solche der Abschiebung entgegenstehenden Gründe hat die Antragsgegnerin im konkreten Einzelfall darzulegen.

Tenor:

Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers vom 02.12.2016 gegen die Abschiebungsandrohung in Ziffer 3. des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 22.11.2016 wird angeordnet.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Gründe

I.

Der Antragsteller wendet sich im Wege einstweiligen Rechtsschutzes gegen die im Rahmen der Ablehnung seines Asylfolgeantrages erlassene Abschiebungsandrohung nach Italien.

Der Antragsteller, nach eigenen Angaben sudanesischer Staatsangehöriger, ist in Italien als Flüchtling anerkannt. Seine italienische Aufenthaltserlaubnis und sein italienisches Reisedokument waren bis zum 20.02.2017 gültig.

Der Antragsteller hatte sich bereits von Herbst 2012 bis November 2015 im Bundesgebiet aufgehalten und hier Asyl beantragt. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) hatte mit - nach Abschluss des dagegen gerichteten Klageverfahrens 5 A 428/14 - bestandskräftigem Bescheid vom 17.01.2014 festgestellt, dass dem Antragsteller aufgrund seiner Ausreise aus einem sicheren Drittstaat kein Asylrecht zusteht, und seine Abschiebung nach Italien angeordnet. Der Antragsteller war im November 2015 gemeinsam mit seiner volljährigen Schwester freiwillig nach Italien ausgereist.

Im Dezember 2015 begab er sich erneut nach Deutschland und beantragte am 09.08.2016 erneut die Durchführung eines Asylverfahrens.

Mit Bescheid vom 22.11.2016 lehnte das Bundesamt den Asylfolgeantrag als unzulässig ab, forderte den Antragsteller zur Ausreise innerhalb einer Woche auf, drohte ihm die Abschiebung nach Italien an und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf sechs Monate ab dem Tag der Abschiebung.

Am 02.12.2016 hat der Antragsteller Klage erhoben (Az.: 5 A 7266/16), über die noch nicht entschieden ist, und um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht. Zur Begründung macht er geltend, die Abschiebung nach Italien sei angesichts der dortigen Verhältnisse unzulässig. Ihm drohe in Italien Obdachlosigkeit und in dieser Situation sei es ihm auch nicht möglich, die italienische Aufenthaltserlaubnis verlängern zu lassen.  Außerdem bestünden Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung, weil § 71 Abs. 4 i.V.m. § 34 a Abs. 1 Satz 4 AsylG primär den Erlass einer Abschiebungsanordnung vorsehe. Es erschließe sich nicht, weshalb die Antragsgegnerin plötzlich davon ausgehe, dass der Gültigkeitsablauf der italienischen Aufenthaltserlaubnis oder des italienischen GFK-Reiseausweises einer Abschiebung entgegenstehe. Art. 5 des Europäischen Übereinkommens über die Aufhebung des Sichtvermerkzwangs für Flüchtlinge vom 20. April 1959 sehe die Rücknahme eines Inhabers eines Reiseausweises durch den Ausstellerstaat unabhängig von dessen Gültigkeit vor.

Der Antragsteller beantragt sinngemäß,

die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen die Abschiebungsandrohung vom 22.11.2016 anzuordnen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Sie habe zu Recht eine Abschiebungsandrohung erlassen. Denn sie habe bei Bescheiderlass bereits den Ablauf der italienischen Aufenthaltserlaubnis und des Reisedokumentes des Antragstellers vorausgesehen. Insoweit verweise sie auf den Rechtsgedanken des § 18 AufenthV. Es sei bereits abzusehen gewesen, dass die Abschiebung nicht durchgeführt werden könne. Davon, dass der Antragsteller weiter über einen Schutzstatus in Italien verfüge, gehe sie aus. Auch die Verlängerbarkeit der abgelaufenen Dokumente sei anzunehmen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

II.

Über den Antrag entscheidet gem. § 76 Abs. 4 Satz 1 AsylG die Berichterstatterin als Einzelrichterin.

Der zulässige Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung im Bescheid des Bundesamtes vom 22.11. 2016 ist begründet.

Nach der im vorliegenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nur möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage überwiegt das Aussetzungsinteresse des Antragstellers das öffentliche Vollzugsinteresse. Die Interessenabwägung fällt zugunsten des Antragstellers aus, da sich die streitgegenständliche Abschiebungsandrohung nach gegenwärtigem Stand im Hauptsacheverfahren voraussichtlich als rechtswidrig erweisen wird.

Als Rechtsgrundlage für die vorliegend erlassene Abschiebungsandrohung kommt einzig § 34 a Abs. 1 Satz 4 AsylG in Betracht. Die Vorschrift ist aufgrund der Verweisung in § 71 Abs. 4 AsylG im Falle der Abschiebung in einen sicheren Drittstaat - wie Italien gem. § 26 a Abs. 2 AsylG als Mitgliedstaat der EU - entsprechend anzuwenden. Bei dem von dem Antragsteller im Jahre 2016 gestellten Asylantrag handelte es sich um einen Asylfolgeantrag im Sinne von § 71 AsylG, denn der von ihm im Jahr 2012 gestellte und als unzulässig abgelehnte Asylantrag war ein früherer Antrag im Sinne von Abs. 1 der Vorschrift (vgl. hierzu allgemein: Marx, Kommentar zum AsylG, 9. Auflage 2017, § 71 Rn. 9).

Es ist auch nicht zu beanstanden, dass die Antragsgegnerin den erneuten Antrag des Antragstellers nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG als unzulässig abgelehnt hat. Die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG lagen nicht vor. Die Situation von anerkannten Flüchtlingen in Italien hat sich seit der Bestandskraft der im ersten Asylverfahren ergangenen Entscheidung vom 17.01.2014 nicht verändert. Eine Abschiebungsandrohung bzw. - anordnung war auch nicht nach  § 71 Abs. 5 AsylG entbehrlich. Die Vorschrift ist europarechtskonform dahin auszulegen, dass sie nur in Ausnahmefällen, wie etwa bei missbräuchlicher Antragstellung, Anwendung findet (vgl. Leitfaden des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 20.07.2015 zur unmittelbaren innerstaatlichen Anwendung der Richtlinie 2013/32/EU des Rates vom 26.06.2013 (Verfahrensrichtlinie)).

Jedoch ist bei Folgeanträgen nach § 71 Abs. 4 i. V. m. § 34 a AsylG eine Abschiebungsandrohung nur dann zulässig, wenn eine Abschiebungsanordnung nach § 34 a Abs. 1 Satz 1 oder 2  AsylG nicht ergehen kann (§ 34 a Abs. 1 Satz 4 AsylG). Für letzteres liegen hier keine hinreichenden Anhaltspunkte vor. Darüber hinaus ist die hier gesetzte Ausreisefrist von 1 Woche rechtswidrig, was die Abschiebungsandrohung insgesamt rechtswidrig macht.

Zunächst ist nicht ersichtlich, dass eine Abschiebungsanordnung, welche in Fällen wie dem vorliegenden kraft Gesetzes das vorrangig anzuwendende Mittel zur Durchsetzung der Ausreisepflicht ist, nicht ergehen kann bzw. konnte. Bloße Zweifel, ob eine Abschiebung durchgeführt werden kann, wie sie die Antragsgegnerin im Verlaufe des gerichtlichen Verfahrens geltend gemacht hat, können in diesem Zusammenhang nach Ansicht der Einzelrichterin nicht ausreichen. Dies lässt sich aus der Gesetzessystematik und dem Gesetzgebungsprozess ableiten und ist auch im Hinblick auf die Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) geboten.

Nach § 34 a Abs. 1 Satz 1 AsylG ordnet das Bundesamt die Abschiebung in einen sicheren Drittstaat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Dies impliziert, dass das Bundesamt zunächst zu prüfen hat, ob eine Abschiebung möglich ist oder nicht, und dementsprechend entweder eine Abschiebungsanordnung erlässt oder auf das in Abs. 1 Satz 4 der Vorschrift zweitrangig vorgesehene Instrument der Abschiebungsandrohung zurückgreift. Bei der Auslegung und Anwendung der diesbezüglichen Vorschriften ist zu beachten, dass Abschiebungsanordnung und Abschiebungsandrohung nicht etwa austauschbar oder teilidentisch sind, sondern unterschiedliche Maßnahmen der Verwaltungsvollstreckung darstellen, wenn auch mit einer gleichen Zielrichtung und teilweise identischen Prüfungsinhalten (vgl. BVerwG, Beschl. v. 23.10.2015 - 1 B 41/15 -, Juris). Die Regelung in Satz 4 ist mit Inkrafttreten des Inte-grationsgesetzes in das AsylG eingeführt worden und schafft eine zusätzliche Möglichkeit zum Erlass einer die Abschiebung vorbereitenden Maßnahme. Dabei hat der Gesetzgeber die in diesen Fällen bislang allein bestehende Möglichkeit, nach § 34 a Abs. 1 Satz 1 und 2 AsylG eine Abschiebungsanordnung zu erlassen, als vorrangige Maßnahme beibehalten. Mit der Regelung in § 34 a Abs. 1 Satz 4 AsylG will der Gesetzgeber offenbar einerseits eine Handhabe geben für Fälle, in denen eine Abschiebung und damit der Erlass einer Abschiebungsanordnung nicht möglich ist, andererseits nicht gänzlich auf das Instrument der Abschiebungsanordnung verzichten, wie dies im Unterschied hierzu für die Fallgestaltungen der § 29 Abs. 1 Nr. 2 und 4 AsylG in § 35 AsylG vorgesehen ist. Angesichts dessen, dass der Gesetzgeber hier eindeutig nicht voraussetzungslos den Erlass einer Abschiebungsandrohung zulässt, ist zu verlangen, dass die Antragsgegnerin zunächst eine stichhaltige Prüfung vornimmt, ob der Erlass einer Abschiebungsanordnung möglich ist oder nicht.

Eine solche Prüfung ist auch im Hinblick auf die Gewährung effektiven Rechtsschutzes erforderlich. Denn bei Erlass einer Abschiebungsandrohung werden von der Antragsgegnerin lediglich gem. § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG die zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernisse geprüft. Inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse bleiben, anders als bei der Abschiebungsanordnung (vgl. hierzu Nds. OVG, Beschl. v. 02.05.2012, - 13 MC 22/12 -, juris, Rn. 27), außer Betracht. Dies bedeutet für den Betroffenen, dass er derartige, der Abschiebung entgegenstehende Gründe nur noch gegenüber der Ausländerbehörde geltend machen kann. Prozessual wird dies meist in einem Verfahren gem. § 123 VwGO stattfinden, und zwar anlässlich der unmittelbar bevorstehenden Abschiebung, die gem. § 59 Abs. 1 Satz 8 AufenthG nach Ablauf der Frist zur freiwilligen Ausreise nicht mehr angekündigt werden darf und deren Termin dem Betroffenen damit zumeist nicht bekannt sein wird. Gerichtlicher Rechtsschutz wird dann häufig in einer Situation gesucht, in der sich der Betroffene bereits auf dem Weg zum Flughafen oder am Flughafen befindet. Die Möglichkeiten, hier umfassend und mit Nachweisen zu möglichen Abschiebungshindernissen vorzutragen, sind faktisch eingeschränkt. Demgegenüber ist bei Erlass einer Abschiebungsanordnung die Durchführbarkeit der Abschiebung behördlich zu prüfen und die diesbezügliche behördliche Entscheidung voll überprüfbar. Angesichts dieser aus dem Erlass einer Abschiebungsandrohung resultierenden faktische Verkürzung der Rechtsschutzmöglichkeiten dürfen an die Annahme der Tatbestandsvoraussetzungen des § 34 a Abs. 1 Satz 4 AsylG nicht zu geringe Anforderungen gestellt werden. Eine Abschiebungsandrohung muss vielmehr auf die Fälle beschränkt bleiben, in denen stichhaltige Gründe für die Annahme vorliegen, dass eine Abschiebung nicht durchgeführt werden kann. Solche der Abschiebung entgegenstehenden Gründe hat die Antragsgegnerin im konkreten Einzelfall darzulegen.

Dies ist der Antragsgegnerin vorliegend nicht gelungen.

Die erforderliche Prüfung, ob im konkreten Einzelfall Abschiebungshindernisse bestehen oder nicht, ist hier zunächst vollständig unterblieben. Das Bundesamt hat ausweislich des Verwaltungsvorgangs vor Bescheiderlass keine Schritte unternommen, um zu überprüfen, ob die Abschiebung nach Italien erfolgen kann. Insbesondere ist nach Aktenlage keine Anfrage an die für die Rückübernahme anerkannter Flüchtlinge zuständige Stelle in Italien erfolgt. Auch der streitgegenständliche Bescheid befasst sich nicht mit den tatbestandlichen Voraussetzungen für den Erlass einer Abschiebungsandrohung, also insbesondere nicht mit der Vorrangigkeit einer Abschiebungsanordnung.

Im gerichtlichen Eilverfahren auf die Problematik hingewiesen, hat die Antragsgegnerin erst nach mehrmaliger Aufforderung zu der Problematik Stellung genommen und lediglich pauschal und ohne konkrete Erläuterung, weshalb dies eine Abschiebung verhindern könnte, auf den Umstand hingewiesen, dass die italienische Aufenthaltserlaubnis und das italienische Reisedokument des Antragstellers inzwischen abgelaufen sind bzw. bei Bescheiderlass abzulaufen drohten. Dieser Umstand ist zwar berücksichtigungsfähig, da es auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ankommt (§ 77 Abs. 1 AsylG), genügt jedoch nicht um eine Nichtdurchführbarkeit der Abschiebung zu belegen. Die Antragsgegnerin hat auf die von Seiten der Bevollmächtigten des Antragstellers gemachten Ausführungen, dass der Ablauf der italienischen Dokumente eine Abschiebung nicht verhindere, keine weiteren Ausführungen gemacht. Vielmehr geht sie sogar selbst davon aus, dass der Antragsteller weiter über einen Flüchtlingsstatus in Italien verfügt und seine italienischen Dokumente problemlos verlängern kann. Weshalb sie bei dieser Sachlage gleichzeitig annimmt, Italien würde ihn als (weiterhin) dort anerkannten Flüchtling nicht zurücknehmen, ist nicht nachvollziehbar.

Davon unabhängig führt die fehlerhafte Fristbestimmung in der Abschiebungsandrohung dazu, dass diese insgesamt rechtswidrig ist. Die Antragsgegnerin hat vorliegend eine Frist zur Ausreise von 1 Woche gesetzt. Dies ist gem. § 36 Abs. 1 AsylG, jedoch nur in den Fällen der Unzulässigkeit nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 und 4 AsylG und der offensichtlichen Unbegründetheit des Asylantrages vorgesehen. Für alle anderen Fälle, wie hier den eines unzulässigen Asylfolgeantrags nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG gilt gem.   § 38 Abs. 1 AsylG, dass eine Ausreisefrist von 30 Tagen zu setzen ist. Da die Ausreisefrist ein untrennbarer Bestandteil des Regelungskomplexes der Abschiebungsandrohung ist (vgl. § 34 Abs. 1 AsylG, § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG, VG München, Urt. v. 03.02.2017 - M 17 K 16.35318 -, juris) zieht ihre rechtswidrige Bestimmung die Rechtswidrigkeit der Gesamtregelung nach sich.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Gerichtskostenfreiheit aus  § 83b AsylG.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 80 AsylG).