Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 06.09.2005, Az.: 2 A 91/05
Asylanerkennung; Hussein; Irak; Nordirak; Rücknahme; Widerruf
Bibliographie
- Gericht
- VG Göttingen
- Datum
- 06.09.2005
- Aktenzeichen
- 2 A 91/05
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2005, 51021
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 73 Abs 1 AsylVfG 1992
Tatbestand:
Die Kläger sind irakische Staatsangehörige kurdischer Volkszugehörigkeit und moslemischen Glaubensbekenntnisses. Der Kläger zu 1) ist der Vater der in der Bundesrepublik Deutschland geborenen Kläger zu 2) bis 4). Er stammt ursprünglich aus dem Nordirak, hat aber dort keinerlei familiäre Kontakte mehr, nachdem er mit seinen Eltern von seinem 7. Lebensjahr an bis zur Ausreise im Jahre 1992 nach Deutschland in der Türkei gelebt hatte. Am 04.06.1992 beantragte er seine Anerkennung als Asylberechtigter; er hätte in der Türkei Schwierigkeiten mit dem türkischen Militär gehabt, weil er die PKK unterstützt hätte.
Mit Bescheiden vom 17.03.1999 (betr. den Kläger zu 1), vom 25.03.1999 (betr. die Kläger zu 2 und 3) und vom 28.04.1999 (betr. den Kläger zu 4) stellte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge nach vorangegangener gerichtlicher Verpflichtung fest, dass bei den Klägern die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen. Zur Begründung stellte das Amt im Wesentlichen auf die Asylantragstellung im Ausland ab. weshalb die Kläger im Falle einer Ausreise in den Irak dort mit asylrechtlich relevanten Maßnahmen zu rechnen hätten.
Mit Verfügungen vom 24.11.2004 leitete die Beklagte das Widerrufsverfahren ein. Die Kläger beriefen sich im Rahmen ihrer Anhörung im Wesentlichen darauf, dass sie weder verwandtschaftliche Beziehungen noch andere Kontakte zu Personen im Irak hätten. Eine Ausreise dorthin sei für sie deshalb unzumutbar.
Mit Bescheid vom 26.01.2005 widerrief die Beklagte die Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG im Fall der Kläger vorliegen und stellte zugleich fest, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG sowie Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen. Zur Begründung gab die Beklagte an, es sei nach dem Sturz des Regimes von Saddam Hussein eine entscheidende Änderung der Sachlage eingetreten, die den Widerruf rechtfertige. Die von den Klägern geltend gemachten Lebensumstände führten nicht zur Annahme eines Abschiebungsverbotes. Im Übrigen hätte die meisten Asylsuchenden vor ihrer Einreise auch keinen Gebietskontakt zu Deutschland gehabt.
Hiergegen haben die Kläger am 11.02.2005 Klage erhoben, zu deren Begründung sie sich auf ihr Vorbringen im Rahmen der Anhörung berufen. Aus Rechtsgründen könne der angefochtene Bescheid schließlich keinen Bestand haben, da von einer dauerhaften und stabilen Änderung der Verhältnisse im Irak keine Rede sein könne und in Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention deshalb ein Widerruf des Flüchtlingsstatus der Kläger nicht erfolgen dürfe. Zudem liege ein Ermessensfehler vor, da § 73 Abs. 2 a AsylVfG in der Fassung vom 30.07.2004 mangels Übergangsvorschrift auch auf Altfälle anwendbar sei und die Beklagte keinerlei Ermessen ausgeübt habe.
Die Kläger beantragen,
den Bescheid der Beklagten vom 26.01.2005 aufzuheben,
hilfsweise,
die Beklagte unter Aufhebung der Ziffer 2 des Bescheides vom 26.01.2005 zu verpflichten, festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen,
weiter hilfsweise,
die Beklagte unter Aufhebung der Ziffer 3 des Bescheides vom 26.01.2005 zu verpflichten, festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Kläger sind in der mündlichen Verhandlung zu ihren Klagegründen informatorisch angehört worden. Wegen der Einzelheiten ihrer Einlassungen wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten sowie auf die beigezogenen Akten des Bundesamtes Bezug genommen. Diese Unterlagen sind ebenso wie die aus der den Beteiligten mit der Ladung übersandten Liste ersichtlichen Erkenntnismittel Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist mit Haupt- und Hilfsanträgen unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 26.01.2005 ist rechtmäßig, so dass die Kläger die geltend gemachten Ansprüche nicht haben (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Die gesetzlichen Voraussetzungen des § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG für einen Widerruf der Rechtsstellung der Kläger, wie sie mit Bescheiden der Beklagten vom 17.03.1999 (betr. den Kläger zu 1), vom 25.03.1999 (betr. die Kläger zu 2 und 3) und vom 28.04.1999 (betr. den Kläger zu 4) begründet worden ist, sind erfüllt. Nach dieser Vorschrift ist diese Rechtsposition unverzüglich zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen. Dies ist hier der Fall.
Die Vorschrift ist verfassungsrechtlich unbedenklich, denn sowohl das Asylgrundrecht als auch die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft verleihen anders als die Menschenrechte, die dem Individuum Zeit seines Lebens zustehen, seinem Träger keinen unveränderbaren Status. Vielmehr ist der Bestand dieser Rechtspositionen von der Fortdauer der das Asylrecht bzw. die Flüchtlingseigenschaft begründenden Umstände abhängig. Zu ihnen zählt vor allem die Verfolgungsgefahr (BVerwG, Urteil vom 24.11.1992 - 9 C 3.92 - , Buchholz 402.25, § 73 AsylVfG 1992 Nr. 1, Seite 2).
Der Gesetzgeber hatte ausweislich des Gesetzentwurfs der Fraktionen der SPD und FDP bei Schaffung des § 16 Abs. 1 AsylVfG 1982, der insoweit im wesentlichen gleich lautenden Vorgängervorschrift des heutigen § 73 Abs. 1 AsylVfG, vor allem den Fall als Widerrufsgrund vor Augen, dass "in dem Verfolgungsland ein Wechsel des politischen Systems eingetreten ist, so dass eine weitere Verfolgung nicht mehr zu befürchten ist" (BT-Ds. 9/875, Seite 18). Deshalb wird in der von der Kammer geteilten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Voraussetzung des Widerrufs gemacht, dass sich die für die Beurteilung der Verfolgungslage maßgeblichen Verhältnisse nach Ergehen des bestandskräftigen Anerkennungsbescheides bzw. nach Erlass des das Bundesamt entsprechend verpflichtenden verwaltungsgerichtlichen Urteils erheblich geändert haben und die Anerkennung als Asylberechtigter oder die Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 51 Abs. 1 AuslG deswegen nunmehr ausgeschlossen ist (BVerwG, Urteil vom 19.09.2000 - 9 C 12.00 - , BVerwGE 112, 80, 84; Urteil vom 08.05.2003 - 1 C 15.02 - , NVwZ 2004, 113, 114). Der Widerrufstatbestand ist erfüllt, wenn eine Wiederholung der Verfolgungsmaßnahmen wegen zwischenzeitlicher Veränderung im Verfolgerstaat mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden kann (BVerwG, Urteil vom 24.11.1992, a.a.O., Seite 3).
Der so bestimmte Regelungsgehalt des § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG stimmt mit dem Inhalt der sog. "Beendigungsklausel" des Art. 1 C Ziffer 5 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28.7.1951 (BGBl 1953 II Seite 560 - Genfer Flüchtlingskonvention - GFK) überein. Diese Bestimmung der GFK besagt, dass ein Flüchtling im Sinne des Abkommens nicht mehr unter dieses Abkommen fällt, wenn er nach Wegfall der Umstände, aufgrund deren er als Flüchtling anerkannt worden ist, es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Landes in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt. Die GFK schreibt damit weder vor, wie die Flüchtlingseigenschaft festzustellen ist, noch trifft sie Regelungen über den Widerruf des förmlich zuerkannten Flüchtlingsstatus (OVG Münster, Beschluss vom 04.12.2003 - 8 A 3766/03.A - , EZAR 214 Nr. 16). Die "Beendigungsklausel" in Art 1 C Ziffer 5 GFK beruht ebenso wie § 73 Abs. 1 AsylVfG auf der Überlegung, dass in Anbetracht von Veränderungen in dem Land, im Verhältnis zu dem die Furcht vor Verfolgung bestanden hatte, ein internationaler Schutz nicht mehr gerechtfertigt ist, da die Gründe, die dazu führten, dass eine Person ein Flüchtling wurde, nicht mehr bestehen (vgl. zum Ganzen mit Nachweisen, VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 16.03.2004 - A 6 S 219/04 - , AuAS 2004, 142). Art 1 C Ziffer 5 GFK stellt auch keine weitergehenden Anforderungen an den Widerruf der Flüchtlingseigenschaft als § 73 Abs. 1 AsylVfG. Dies zum einen schon deshalb nicht, weil die GFK keine Regelungen über den Widerruf des Flüchtlingsstatus trifft. Selbst wenn man andererseits - wie dies die Kläger tun - aus dieser Vorschrift ableiten wollte, dass für den Wegfall der Rechtsposition als Flüchtling Voraussetzung ist, dass sich die "Umstände" auf grundlegende, nicht nur vorübergehende, d.h. stabile Veränderungen im Verfolgerstaat beziehen müssen, besteht zu der vom Bundesverwaltungsgericht gefundenen und von der Kammer geteilten Rechtsauffassung kein inhaltlicher Unterschied zu § 73 Abs. 1 AsylVfG. Denn nach der zitierten Rechtsprechung setzt der Widerruf im Sinne von § 73 Abs. 1 AsylVfG voraus, dass sich die tatsächlichen Verhältnisse im Verfolgerstaat so einschneidend und dauerhaft geändert haben, dass der Betroffene ohne Verfolgungsfurcht heimkehren kann.
Eine derart grundlegende Veränderung der Verfolgungssituation ist im Irak eingetreten.
Die Kammer schließt sich in ständiger Rechtsprechung (vgl. z.B. bereits Urteil vom 14.07.2004 - 2 A 77/04 - ) der überzeugenden Auffassung des zuständigen Senats des Nds. Oberverwaltungsgerichts an, der in seinem Beschluss vom 30.03.2004 - 9 LB 5/03 - (AuAS 04, 153) ausgeführt hat:
"Dem Kläger droht bei seiner Rückkehr in den Irak weder derzeit noch in absehbarer Zeit eine im Rahmen von Art. 16 a GG bzw. des § 51 Abs. 1 AuslG beachtliche politische Verfolgung. Dem aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 6. November 2003 ist mit großer, ja mit völliger Eindeutigkeit zu entnehmen, dass sich die politische Lage im Irak durch die am 20. März 2003 begonnene und am 1. Mai 2003 durch die Erklärung des US-Präsidenten Bush als beendet erklärte Militäraktion grundlegend verändert hat. Die Baath-Regierung unter der Führung Saddam Husseins hat, namentlich nach der Festnahme von Saddam Hussein im Dezember 2003, ihre politische und militärische Herrschaft über den Irak vollständig verloren. Der Irak steht nunmehr unter Besatzungsrecht und wird derzeit von einer "Zivilverwaltung" der Koalition ("Coalition Provisional Authority" - CPA) unter dem Sondergesandten des US-Präsidenten, Paul Bremer, sowie einem provisorischen Regierungsrat ("Governing Council") und einem Interims-Kabinett regiert. Der Sturz des Regimes von Saddam Hussein ist nach allen vorliegenden Erkenntnissen eindeutig und unumkehrbar, und zwar trotz der nach wie vor problematischen Sicherheitslage im Irak, insbesondere im Hinblick auf terroristische Anschläge. Eine Rückkehr der Baath-Regierung kann nach den derzeit gegebenen Machtverhältnissen und der Offenkundigkeit der veränderten politischen Gegebenheiten als ausgeschlossen bewertet werden.
Mit den veränderten politischen Gegebenheiten hat sich die Verfolgungssituation des Klägers von Grund auf geändert. Der - in der Vergangenheit in der überwiegenden Anzahl der asylrechtlichen Schicksale vorgenommenen - Anknüpfung an die Asylantragstellung und den langjährigen Auslandsaufenthalt ist mit dem Sturz des Regimes von Saddam Hussein der Boden entzogen. Die - frühere - Verfolgungssituation gerade durch diese asylbegründenden Umstände ist vielmehr in ihr Gegenteil verkehrt worden. Die bei der Anhörung des Klägers zum Ausdruck gebrachte Gegnerschaft zum Regime Saddam Hussein würde den Kläger nunmehr eher gegenteilig sogar gerade zum Träger bzw. zum Freund der jetzigen und das aktuelle Tagesgeschehen bestimmenden politischen Kräfte machen. Die zuvor eine politische Verfolgung begründenden Umstände haben ihre asylrelevante Bedeutung verloren, weil sie ihre Grundlage allein im Unrechtsregime von Saddam Hussein hatten. Dieser Einsicht ist - soweit ersichtlich - auch die inzwischen die veränderten politischen Gegebenheiten im Irak aufnehmende und bewertende obergerichtliche Rechtsprechung gefolgt (in jüngster Zeit insbesondere BVerwG, Urt. v. 11.2.2004 - 1 C 23.02 - zum Urt. d. Sen. v. 21.6.2002 - 9 LB 155/02 - und Urt. v. 24.2.2004 - 1 C 24.02 - zum Urt. d. Sen. v. 21.6.2002 - 9 LB 3662/01 - ; ferner BayVGH, Urt. v. 13.11.2003 - 15 B 02.31751 und 15 B 01.30114 - ; SächsOVG, Beschl. v. 28.8.2003 - A 4 B 573/02 - AuAS 2003, 250; Schleswig-Holsteinisches OVG, Beschl. v. 30.10.2003 - 1 LB 39/03 - und vom 28.10.2003 - 1 LB 41/03 - ; OVG Münster, Urt. v. 14.8.2003 - 20 A 430/02.A - Asylmagazin 1-2/2004, 17; weiterhin VG Aachen, Urt. v. 11.9.2003 - 4 K 2360/01.A - )."
Neuere Erkenntnisse bestätigen die Annahme, dass eine Rückkehr zu den alten Machtverhältnissen ausgeschlossen ist (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom Mai 2005). Die aktuelle politische Entwicklung im Irak hält sich im Rahmen der o.a. politischen Zielvorgaben, beschleunigt den Übergang zu einem souveränen irakischen Staat gar, der nichts mehr mit dem Vorgängerregime gemein hat.
Die Kammer folgt ausdrücklich nicht der vom VG Stade geäußerten Rechtsansicht, aus dem Umstand, dass sich die tatsächliche Situation im Nordirak nach dem Sturz von Saddam Hussein nicht von derjenigen zu Zeiten seiner Herrschaft unterscheidet und dass nach wie vor eine politische Verfolgung durch die irakische Zentralregierung nicht zu befürchten sei, sei zu folgern, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 73 Abs. 1 AsylVfG nicht vorliegen (vgl. Urteile des VG Stade vom 24.06.2004 - 6 A 541 und 804/04, zitiert nach der Internetentscheidungssammlung des Nds. Oberverwaltungsgerichts). Die Kammer schließt sich vielmehr der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in dem oben bereits zitierten Urteil vom 19.09.2000 an, welches nach Ansicht der Kammer vom VG Stade fehlinterpretiert wird. In dieser Entscheidung des BVerwG heißt es (abgedruckt auf S. 85 f.):
"Der Anwendung des § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG auf rechtswidrige Verwaltungsakte steht auch nicht entgegen, dass die Voraussetzungen einer zu Unrecht erfolgten Asylanerkennung oder Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG im Nachhinein scheinbar nicht entfallen sein können, da sie begriffsnotwendig von Anfang an nicht vorlagen. Diese Sicht verstellt den Blick für den eigenständigen, nicht an die Rechtswidrigkeit des Ausgangsbescheids, sondern an die nachträgliche Veränderung der politischen Verhältnisse im Verfolgerland anknüpfenden Regelungszweck der Widerrufsbestimmung. So besteht der vermeintliche Widerspruch beispielsweise nicht, wenn bei einer allgemein vorhandenen Verfolgungsgefahr eine Anerkennung ausgesprochen wurde, obwohl einzelne Voraussetzungen für die Gewährung von Asyl oder Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG nicht vorlagen, im Nachhinein die allgemeine Verfolgungsgefahr aber insgesamt entfallen ist. Wurde etwa eine Anerkennung rechtswidrig gewährt, weil eine tatsächlich vorhandene inländische Fluchtalternative nicht beachtet oder eine Gruppenverfolgung rechtlich unzutreffend angenommen wurde, lässt aber ein späterer politischer Systemwechsel die zugrunde gelegte Verfolgungsgefahr nunmehr eindeutig landesweit entfallen, so ist kein Grund erkennbar, weshalb § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG auf solche Fälle nachträglicher Sachlagenänderungen nicht anzuwenden sein sollte. Insbesondere eröffnet dies die Möglichkeit eines Widerrufs bereits dann, wenn jedenfalls unzweifelhaft eine nachträgliche Änderung der Verhältnisse feststeht, ohne dass es noch der unter Umständen schwierigeren Prüfung und Entscheidung bedürfte, ob die ursprüngliche Anerkennung rechtmäßig oder rechtswidrig war (so schon Beschlüsse des Senats vom 20. Juni 1996 und 27. Juni 1997 jew. a.a.O.).“
Sollte der hier streitbefangene Bescheid vom 26.01.2005 wie dargestellt zu verstehen sein, so ist nach dem Sturz des Regimes von Saddam Hussein, eine erhebliche Veränderung der Verfolgungssituation im Irak eingetreten, die den Widerruf nach § 73 Abs. 1 AsylVfG rechtfertigt. Das VG Stade gelangt zu seiner abweichenden Rechtsansicht durch eine unzulässige Verengung des Blicks auf die Verhältnisse im Nordirak. Es mag durchaus sein, dass sich die Verhältnisse dort nicht so wesentlich wie im Zentralirak verändert haben. Bei der Frage, ob staatliche Verfolgung in asylerheblicher Weise - noch - droht, muss der Blick jedoch auf das Verfolgungssubjekt, den Staat Irak, gerichtet werden, denn nur eine landesweite staatliche Verfolgung rechtfertigt die Anerkennung als Asylberechtigter oder Flüchtling. Die Frage, ob es eine verfolgungssichere Region in diesem Gesamtstaat, hier im Nordirak, gibt, ist eine - nachrangige - Einzelfrage im Sinne eines Ausschlussgrundes. Folgerichtig beschäftigte sich die Rechtsprechung des Nds. Oberverwaltungsgerichts auch vorrangig mit der Frage, ob der irakische Staat im Nordirak Staatsgewalt ausgeübt hat, was verneint wird, und geht nachrangig der Frage nach, ob sich die Machtgrundlagen der PUK und KDP derartig verfestigt haben, dass von staatsähnlicher Macht gesprochen werden kann, was ebenfalls verneint wird. In späteren Entscheidungen behandelt das Nds. Oberverwaltungsgerichts, und ihm folgend die Rechtsprechung aller niedersächsischen Verwaltungsgerichte, den Nordirak als inländische Fluchtalternative (vgl. nur Beschluss vom 04.08.1999 - 9 L 1719/99 - , BA Seite 18 f.; Urteil der 4. Kammer des erkennenden Gerichts vom 09.03.1999 - 4 A 4239 - ). Damit stellt sich die Situation im Nordirak nur als einzelne notwendige, aber nicht hinreichende Voraussetzung für die Gewährung von Asyl oder Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG, namentlich als tatsächlich vorhandene inländische Fluchtalternative im Sinne der zitierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dar.
Der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Widerrufsbescheides steht weiterhin nicht § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG entgegen. Danach ist von einem Widerruf abzusehen, wenn sich der Ausländer auf zwingende, auf früheren Verfolgungen beruhende Gründe berufen kann, um die Rückkehr in den Staat abzulehnen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, oder in dem er als Staatenloser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Dabei ist zu beachten, dass sich diese Gründe zwar mit Gründen für Abschiebungsverbote nach § 60 AufenthG überschneiden können, dass sich aber die Tatbestandvoraussetzungen der Vorschriften so wesentlich voneinander unterscheiden, dass sich eine gesonderte Prüfung des § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG auch dann nicht erübrigt, wenn ein Abschiebungsverbot nicht vorliegt (VGH Kassel, Beschluss vom 28.05.2003 - 12 ZU 2805/02.A, InfAuslR 2003, 400, 401 zur insoweit vergleichbaren Vorschrift des § 53 AuslG). Inhaltlich führt nicht jede auftretende Beeinträchtigung zum Absehen vom Widerruf. Derartige Gründe müssen vielmehr von einer gewissen Schwere und Tragweite sein, so dass ein Widerruf immer dann zu unterbleiben hat, wenn schwere physische oder psychische Schäden vorliegen, die infolge der bereits erlittenen politischen Verfolgung entstanden sind und die sich bei einer Rückkehr in das Heimatland wesentlich verschlechtern. Darüber hinaus können Gesichtspunkte der Erwerbstätigkeit, einer wirtschaftlichen und sozialen Ausgrenzung, das Lebensalter und der Zeitraum zwischen Verfolgung und Flucht einerseits und Rückkehr andererseits zu berücksichtigen sein (vgl. VGH Kassel, a.a.O.; Renner, AuslR, 7. Aufl. § 73 AsylVfG Rdnr. 12f.). Derartige Gründe liegen bei den Klägern nicht vor. Denn sie sind nicht vorverfolgt aus dem Irak ausgereist. Persönliche Probleme von Asylrelevanz gab es lediglich mit dem türkischen Staat wegen der Unterstützungstätigkeit des Klägers zu 1 für die PKK. Diese Dinge spielen indessen keine Rolle bei der Frage, ob den Kläger eine Rückkehr bzw. Ausreise in den Irak zumutbar ist. Ebenso rechtlich unerheblich ist der Umstand, dass die Kläger zu 2. bis 4. in ihrem Leben noch keinerlei Gebietskontakt mit dem Irak hatten und auch der Kläger zu 1. bereits im Kindesalter sein Heimatland verlassen hatte. Denn diese Lebensumstände haben keinerlei Bezug zum Asylschicksal der Kläger, der für die Anwendung der Zumutbarkeitsregelung des § 73 AsylVfG aber gegeben sein muss.
Der angefochtene Bescheid vom 26.01.2005 ist auch nicht deshalb rechtswidrig, weil die Beklagte ermessensfehlerhaft gehandelt hätte.
Gemäß § 77 Abs. 1 AsylVfG stellt das Gericht in Streitigkeiten nach diesem Gesetz auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ab. Zu diesem Zeitpunkt ist § 73 Abs. 2a AsylVfG in der Fassung des Art. 3 des Gesetzes zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern -Zuwanderungsgesetz- vom 30.07.2004 (BGBl I Seite 1950), zuletzt geändert durch Art. 6 des Gesetzes zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes und weiterer Gesetze vom 14. März 2005 (BGBl I 721) anzuwenden. In dessen Satz 1 ist eine Überprüfungspflicht des Bundesamtes hinsichtlich der Voraussetzungen des Widerrufs einer Asylanerkennung spätestens nach Ablauf von drei Jahren vorgesehen. § 73 Abs. 2a AsylVfG regelt in diesem Zusammenhang, dass eine spätere Entscheidung über einen Widerruf dann im Ermessen des Bundesamtes steht, wenn nach Prüfung ein Widerruf nicht erfolgt. Diese Regelung führt in Fällen, in denen, wie hier, die Asylanerkennung oder die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft vor Inkrafttreten des Gesetzes am 1. Januar 2005 erfolgte, jedoch nicht dazu, dass der Beklagten ein Ermessensfehler vorgeworfen werden kann. Richtig ist, dass es insoweit an einer Übergangsvorschrift fehlt (vgl. Huber, Das Zuwanderungsgesetz, NVwZ 2005, 1 (10)). Eine solche sah die Beschlussempfehlung des Innenausschusses vom 10. November 2004 zunächst in § 104 Abs. 6 AufenthG vor (BT-Ds 15/4173). Aus ihr konnte entnommen werden, dass § 73 Abs. 2a AsylVfG auf diejenigen Fälle des Widerrufs und der Rücknahme keine Anwendung finden sollte, die vor dem 01.01.2005 erfolgt waren und nicht gerichtlich aufgehoben worden sind. Auf Empfehlung desselben Ausschusses (Empfehlungen 918/1/04) ist diese Bestimmung nicht Gesetz geworden. Sie ist allerdings erneut und wortgleich in den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes und weiterer Gesetze vom 14.12.2004 (BT-Ds 15/4491) eingeflossen, auf Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses vom 16.02.2005 (BT-Ds 15/4870) indes erneut aus dem Gesetz gestrichen worden. Immerhin lässt sich den Vorgängen die gesetzgeberische Motivation entnehmen, § 73 Abs. 2a AsylVfG nicht auf Fälle Anwendung finden zu lassen, in denen vor dem 01.01.2005 Rechtsstellungen der ausländischen Flüchtlinge widerrufen wurden. Dieses Ergebnis entspricht auch dem Sinn und Zweck der Neuregelung. Im hier zu entscheidenden Fall erfolgte der Widerruf indessen nach dem 01.01.2005. Gleichwohl findet die Neufassung des § 73 Abs. 2a AsylVfG auch insoweit keine Anwendung, denn sie gilt nur für den Widerruf von Anerkennungsbescheiden, die nach dem 01.01.2005 erteilt worden sind. Hierauf hat die Beklagte zu Recht in ihrem Schriftsatz vom 11.03.2005, auf den das Gericht zur weiteren Begründung Bezug nimmt, hingewiesen
Schließlich haben die Kläger auch nicht die hilfsweise geltend gemachten Ansprüche gegen die Beklagte auf Feststellung, dass in ihrem Fall die Voraussetzungen nach § 60 Abs. 1 AufenthG oder Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegen
Maßgeblich für die Feststellung von Abschiebungshindernissen ist insoweit § 60 Abs. 2 bis 7 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (Aufenthaltsgesetz - AufenthG- Art. 1 i.V.m. Art. 15 Abs. 3 Nr. 1 des Gesetzes zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz) vom 30. Juli 2004, BGBl I, Seite 1950). Derartige Abschiebungshindernisse sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
Insbesondere liegen die Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 7 AufenthG nicht vor. Danach soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht, wobei Gefahren in diesem Staat, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Entscheidung nach § 60 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG berücksichtigt werden. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG sind dieselben wie in dem früheren § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG, weshalb auch insoweit auf die hierzu ergangene Rechtsprechung zurückgegriffen werden kann. Die Kammer folgt auch diesbezüglich der zitierten Rechtsprechung des Nds. Oberverwaltungsgerichts, das insoweit ausgeführt hat:
„Der Kläger kann auch keinen Abschiebungsschutz im Rahmen des § 53 Abs. 6 AuslG - nur die Frage stellt sich hier - beanspruchen. Diese Vorschrift setzt das Bestehen einer konkreten Gefahr voraus, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob sie vom Staat ausgeht oder ihm zuzurechnen ist (BVerwG, Urt. v. 17.10.1995 - 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324). Dabei reicht allerdings allein die theoretische Möglichkeit, Opfer von Eingriffen in die genannten Rechtsgüter zu werden, nicht aus, um eine Gefahr in diesem Sinne zu begründen. Vielmehr ist erforderlich, dass eine einzelfallbezogene, individuell bestimmte und erhebliche Gefährdungssituation mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit landesweit besteht (BVerwG, Urt. v. 17.10.1995 - aaO; BVerwG, Urt. v. 15.4.1997 - 9 C 38.96 - BVerwGE 104, 265). Eine dem Kläger drohende konkrete Gefahr in diesem Sinne ist derzeit nicht ersichtlich.
Soweit nahezu im gesamten Irak noch eine mehr oder weniger instabile Sicherheitslage (S. 8 ff. d. Lageberichtes des Auswärtigen Amtes v. 6. November 2003) festzustellen ist, insbesondere mit der Gefahr terroristischer Anschläge zu rechnen ist, sind dadurch bedingte Gefahren nur allgemeiner Natur. Dies gilt nicht nur für den Bereich des früheren Zentralstaates, sondern gerade auch für Bagdad, dem Heimatort des Klägers. Zunächst ist zwar festzustellen, dass die innere Sicherheit im Irak durch Terroranschläge, Sabotageakte und Banditenüberfälle - mit Schwerpunkt im arabisch sunnitischen Kerngebiet nördlich und westlich von Bagdad - belastet ist. Weiter hat die Gewaltkriminalität in den Städten zugenommen, weil noch keine effektive Polizeigewalt aufgebaut werden konnte und die Soldaten der internationalen Militärkoalition sich aus Selbstschutzgründen dieser Aufgabe nur zurückhaltend annehmen. Andererseits ist ein landesweiter militärischer und insbesondere organisierter Widerstand gegen die internationale Militärkoalition oder die CPA bislang nicht erkennbar. Einzelne Gewalt- und Terroraktionen - soweit sie überhaupt „politisch“ einzuordnen sind - beschränken sich eher auf lokale Bereiche bzw. sind als - wenn auch tragische - Einzeltaten zu bewerten. Gefährdet sind vor allem Polizei- und Sicherheitskräfte. Andererseits gelten Teilregionen im kurdisch bewohnten Norden sowie im mehrheitlich schiitischen Süden als eher befriedet. Unabhängig davon ist allgemein festzustellen, dass die aus Gewaltaktionen der genannten Art entstehenden Gefährdungen gleichsam „blind“ jeden treffen können. Eine Situation dieser Art ist gemäß § 53 Abs. 6 AuslG nicht schutzbegründend.
Nach den vorliegenden Erkenntnisquellen kann auch im Hinblick auf die Versorgungslage im Irak nicht von einer (extremen) existenziellen Gefährdung einzelner Rückkehrer ausgegangen werden. Nach der Wiederaufnahme des „Oil for Food“-Programms auf Grund der UN-Sicherheitsrats-Resolution Nr. 1.483 hat sich die Versorgungslage im Irak spürbar entspannt (S. 10 f des Lageberichts vom 6. November 2003). Hinzu kommt das World-Food-Programm der UN und ähnliche Programme von nicht staatlichen Hilfsorganisationen, der derzeit relativ freie Warenverkehr von und nach dem Irak sowie die Erträge der irakischen Landwirtschaft. Die Versorgung mit sauberem Trinkwasser kann zwar weiterhin örtlich problematisch sein, ohne dass es insoweit aber zu existenziellen Gefährdungen kommt. Allgemein ist festzustellen, dass im kurdischen Norden des Landes die Versorgung mit Wasser besser als im Süden funktioniert.
Angesichts dieser - zwar - nach wie vor angespannten, im Wesentlichen aber doch (landesweit) gesicherten Versorgungssituation im Irak ist mit Existenzgefährdungen Einzelner im Rückkehrfalle nicht zu rechnen. Dies gilt auch für den Kläger, der auch dann, wenn er allein in den Irak zurückkehren wird, dort wie andere gesunde Gleichaltrige leben und als Hochschullehrer beim Wiederaufbau seines Landes mitwirken kann.“
Das Nds. OVG hält an den vorstehenden Erkenntnissen auch in neueren Entscheidungen unverändert fest (vgl. Beschl. vom 09.02.2005 - 9 LA 31/05 - und vom 01.03.2005 - 9 LA 46/05). Die Kammer teilt diese Rechtsprechung - auch im Hinblick auf die neuere Rechtsprechung des VG Köln (Urteil vom 10.06.2005 - 18 K 4074/04.A) - ausdrücklich.
Weitere Gründe für das Vorliegen von Abschiebungsverboten sind weder vorgetragen noch aus den Akten ersichtlich.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83 b AsylVfG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf §§ 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.