Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 08.10.2004, Az.: 6 C 4151/04
Hochschuloptimierungskonzept; Stellenbesetzung; Stellenplan; Stellenprinzip; Studium; Wiederbesetzungssperre; Zulassung; Zulassungszahl
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 08.10.2004
- Aktenzeichen
- 6 C 4151/04
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2004, 50751
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- Art 12 Abs 1 GG
- § 8 KapV ND 2003
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Das sog. Stellen- oder Soll-Prinzip aus § 8 KapVO lässt die Berücksichtigung von Stellenvakanzen generell nicht zu.
2. Das gilt auch dann, wenn die Hochschule für einzelne Professorenstellen eine Wiederbesetzungssperre anordnet, um den globalen Einsparungsvorgaben des Hochschuloptimierungskonzepts (HOK) des MWK nachzukommen.
Gründe
I. Die Antragstellerin bewarb sich im regulären Zulassungsverfahren als Studienanfängerin bei der Antragsgegnerin um einen Studienplatz im zulassungsbeschränkten Studiengang Public Relations/Öffentlichkeitsarbeit mit dem Abschluss Bachelor zum Wintersemester 2004/2005. Mit Bescheid vom 11. August 2004 lehnte die Antragsgegnerin die beantragte Zulassung ab, weil auf die 20 zur Verfügung stehenden Studienplätze 588 Bewerbungen eingegangen waren und die Antragstellerin nach Leistung und Wartezeit einen Rangplatz, der eine Zulassung ermöglichte, nicht erzielt hatte. Die Antragstellerin bewarb sich daraufhin mit einem gesonderten Schreiben an die Antragstellerin vom 31. August 2004 um einen Studienplatz außerhalb der festgesetzten Kapazität.
Die Antragstellerin hat am 25. August 2004 einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt. Zur Antragsbegründung macht sie geltend, die Ausbildungskapazität in dem von ihm gewünschten Studiengang sei im Wintersemester 2004/2005 nicht ausgeschöpft worden.
Die Antragstellerin beantragt,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, sie im Wintersemester 2004/2005 vorläufig zum Studium im Studiengang PR/Öffentlichkeitsarbeit im 1. Fachsemester zuzulassen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Die Antragsgegnerin trägt vor, der Antragstellerin habe auf ihre fristgerechte Studienplatzbewerbung in Anbetracht des von ihr erreichten Rangplatzes kein Studienplatz zugewiesen werden können. Im Übrigen legt die Antragsgegnerin die Unterlagen über die Berechnung der Studienplatzkapazität in dem Studiengang PR/Öffentlichkeitsarbeit vor.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten verwiesen.
II. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO ist zulässig und begründet. Die Antragstellerin hat den für eine vorläufige Zulassung zum Studium erforderlichen Anordnungsanspruch sowie einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO).
Die Antragstellerin hat zunächst glaubhaft gemacht, dass sie die persönlichen Voraussetzungen für eine Zulassung zum Studium außerhalb der festgesetzten Kapazität erfüllt. Mit der Antragsschrift hat sie eine beglaubigte Abschrift ihres Zeugnisses über den Erwerb der Fachhochschulreife vorgelegt. Da sie im regulären Zulassungsverfahren von der Antragsgegnerin in das Auswahlverfahren zur Vergabe der Studienplätze einbezogen und diesbezüglich mit dem Bescheid vom 11. August 2004 beschieden worden ist, kann das Gericht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass die Antragstellerin der Antragsgegnerin mit der Studienplatzbewerbung ihre Hochschulzugangsberechtigung entsprechend § 2 Abs. 4 Satz 1 der Verordnung über die Vergabe von Studienplätzen durch die Hochschulen (Hochschul-VergabeVO) schon vor Einleitung des außerkapazitären Zulassungsverfahrens und damit fristgerecht nachgewiesen hat. Die Antragstellerin hat ferner glaubhaft gemacht, dass sie innerhalb der bis zum 20. September des Jahres laufenden Ausschlussfrist nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b) Hochschul-VergabeVO einen entsprechenden Aufnahmeantrag bei der Antragsgegnerin eingereicht hat. Sie hat hierzu eine Zweitschrift ihres an die Antragsgegnerin gerichteten Schreibens vom 30. August 2004 vorgelegt.
Die Antragstellerin kann ferner glaubhaft machen, dass ihrer mit Art. 12 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich gewährleisteten Freiheit der Wahl einer Berufsausbildung in dem Studiengang PR/Öffentlichkeitsarbeit die gemäß § 4 Abs. 1 Niedersächsisches Hochschulzulassungsgesetz (NHZG) bei der Antragsgegnerin eingeführte örtliche Zulassungsbeschränkung nicht entgegensteht. Die Überprüfung der von der Antragsgegnerin vorgelegten Kapazitätsberechnungsunterlagen ergibt vielmehr, dass die Aufnahmekapazität der Antragsgegnerin im Studiengang PR/Öffentlichkeitsarbeit mit der durch die Verordnung über Zulassungszahlen zum Wintersemester 2004/2005 und zum Sommersemester 2005 (ZZ-VO 2004/2005) festgesetzten Zulassungszahl von 20 noch nicht ausgeschöpft wird, sondern diese um insgesamt 3 Studienplätze übersteigt.
Da neben der Antragstellerin keine weitere Bewerberin bzw. kein weiterer Bewerber bei dem zuständigen Verwaltungsgericht Hannover einstweiligen Rechtsschutz zur vorläufigen Zulassung zum Studium in diesem Studiengang beantragt hat, kann die Antragstellerin danach ohne Einschränkung eine vorläufige Zulassung erhalten.
Rechtsgrundlage für die Kapazitätsberechnung ist die Verordnung über die Kapazitätsermittlung zur Vergabe von Studienplätzen (Kapazitätsverordnung - KapVO -). Nach § 3 Abs. 1 KapVO wird die Ermittlung der jährlichen Aufnahmekapazität in zwei Verfahrensschritten vorgenommen, und zwar zum Einen durch Berechnung auf Grund der personellen Ausstattung nach §§ 6 bis 13 KapVO sowie zum Anderen durch Überprüfung des danach gefundenen Ergebnisses an Hand der weiteren kapazitätsbestimmenden Kriterien nach §§ 14 bis 19 KapVO, wobei die in § 3 Abs. 2 KapVO genannten Faktoren bei der Feststellung der Aufnahmekapazität unberücksichtigt bleiben und gesondert auszuweisen sind. Im Übrigen führt die Kammer nach ständiger Rechtsprechung die Berechnungen nach der KapVO grundsätzlich auf vier Stellen nach dem Komma und mit einer der mathematischen Grundregel entsprechenden Rundung auf die vierte Stelle durch.
Bei der Bestimmung des Lehrangebotes nach der personellen Ausstattung gemäß §§ 6 ff. KapVO ist zunächst zu ermitteln, welche haushaltsrechtlichen Stellen der Lehreinheit, welcher der betreffende Studiengang nach § 7 KapVO zugeordnet ist, für das ihr zugeordnete Lehrpersonal (§ 8 Abs. 1 und 2 KapVO) zur Verfügung stehen. Dabei ist vom sog. Stellen- oder Soll-Prinzip auszugehen, d.h. es sind diejenigen Stellen zu berücksichtigen, die haushaltsrechtlich für die Lehreinheit vorhanden und besetzbar sind (vgl. § 8 Abs. 3 KapVO), unabhängig davon, ob diese Stellen tatsächlich besetzt oder aus tatsächlichen Gründen nicht besetzt sind.
Im vorliegenden Fall ist der von der Antragstellerin angestrebte Studiengang PR/Öffentlichkeitsarbeit mit dem ebenfalls zulassungsbeschränkten Studiengang Journalistik zu einer Lehreinheit im Sinne von § 7 Abs. 2 KapVO zusammengefasst worden. Dieser Lehreinheit werden von den im Stellenplan für den Fachbereich Informations- und Kommunikationswesen ausgewiesenen Stellen insgesamt 7 Stellen für Professorinnen und Professoren, und zwar 5 Stellen der Besoldungsgruppe (BesGr) C 3 und 2 Stellen der BesGr C 2, zugeordnet. Für diese 7 Stellen ist nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 Lehrverpflichtungsverordnung (LVVO) von einer Regellehrverpflichtung in Höhe von 18 Lehrveranstaltungsstunden (LVS) je Stelle auszugehen.
Die Antragsgegnerin geht in ihrer Kapazitätsberechnung allerdings davon aus, dass eine der im Stellenplan für den Fachbereich ausgebrachten und der Lehreinheit PR/Öffentlichkeitsarbeit - Journalistik zugeordneten Stellen der BesGr. C 3 für die Ermittlung der Kapazität nicht berücksichtigt werden könne, weil sie diese Stelle infolge der ihr mit dem Hochschuloptimierungskonzept des Niedersächsischen Ministeriums für Wissenschaft und Kultur gemachten Vorgaben zur Haushaltskonsolidierung nicht besetzen könne.
Die dadurch bedingte zusätzliche Beschränkung der Aufnahmekapazität der Lehreinheit steht jedoch mit dem Stellenprinzip in § 8 KapVO nicht im Einklang. Dieses Prinzip besagt, dass bei der Ermittlung des Lehrangebots nicht von der tatsächlichen Zahl der Lehrpersonen und ihren jeweiligen individuellen Lehrverpflichtungen auszugehen ist, sondern von der Zahl der der Lehreinheit zugewiesenen Stellen und den auf diese Stellen entfallenden Regellehrverpflichtungen. Aus § 8 Abs. 3 KapVO folgt, dass vom Stellen- und Soll-Prinzip alle Stellen für Professorinnen und Professoren erfasst werden, deren Besetzung haushaltsrechtlich zulässig ist. Dieses Prinzip lässt mithin die Berücksichtigung von Stellenvakanzen nicht zu (BVerwG, DVBl. 1990 S. 940 [BVerwG 20.04.1990 - BVerwG 7 C 51.87] [941]). Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (a.a.O.) ist es danach naheliegend, wenn nicht sogar unter dem Gesichtspunkt der erschöpfenden Kapazitätsnutzung geboten, die nachteiligen Folgen einer Stellenvakanz kapazitätsrechtlich nicht den Studienbewerbern, sondern der Hochschule aufzubürden.
Dass die Antragsgegnerin mit dem Hochschuloptimierungskonzept angewiesen worden ist, im Haushaltsjahr 2004 Einsparungen im Gegenwert von insgesamt 20 Stellenäquivalenten zu erbringen und das Präsidium der Fachhochschule beschlossen hat, die Wiederbesetzung einer unter anderem der Lehreinheit zugeordneten Stelle der BesGr. C 3 zu sperren, ändert an der kapazitätsrechtlichen Berücksichtigung dieser Stelle nicht. Administrative Wiederbesetzungssperren erfüllen nicht das Erfordernis einer haushaltsrechtlichen Unzulässigkeit im Sinne von § 8 Abs. 3 KapVO, auch wenn sie in Vollzug globaler Vorgaben des Fachministeriums oder gar des Haushaltsgesetzgebers angeordnet werden. Entscheidend ist insoweit allein, dass der Haushaltsplan 2004 weder in den Allgemeinen Haushaltsbemerkungen zum Stellenplan des Kapitels 06 38 (Fachhochschule Hannover) noch in den diesem Kapitel beigefügten Haushaltsvermerken Einschränkungen hinsichtlich der Besetzbarkeit einer Stelle der BesGr. C 3 im Fachbereich Informations- und Kommunikationswesen vorsieht. Dass die betreffende, nicht in die Kapazitätsberechnung einbezogene Stelle für eine Professorin oder einen Professor der BesGr. C 3 bereits nach Abschnitt 2 Abs. 8 Nr. 3 der Allgemeinen Bestimmungen zum Haushaltsgesetz 2004 in das Kapitel einer anderen Hochschule umgesetzt worden wäre, hat die Antragsgegnerin nicht vorgetragen.
Danach beträgt das in Deputatstunden ausgedrückte unbereinigte Lehrangebot (S) der Lehreinheit PR/Öffentlichkeitsarbeit - Journalistik 126 LVS.
Da nach den Unterlagen der Antragsgegnerin weder Lehrauftragsstunden hinzuzurechnen (L = 0) noch Dienstleistungen anderer Lehreinheiten zu berücksichtigen sind (E = 0), ergibt sich für das bereinigte Lehrangebot nach Formel 3 der Anlage 1 zur KapVO daher der Wert Sb = S - E = 124,5 - L = 124,5.
Die Anteilquoten (zp) für die Studiengänge PR/Öffentlichkeitsarbeit und Journalistik an der Lehreinheit nach § 12 KapVO betragen nach den unbestrittenen Angaben der Antragsgegnerin, die insoweit übernommen werden, jeweils 0,5000.
Der Curricularnormwert nach § 13 KapVO ist für beide Studiengänge nach Anlage 2 zur KapVO auf jeweils 6,3 festgesetzt worden.
Da an dem Lehrangebot der beiden genannten Studiengänge keine weiteren Lehreinheiten mehr beteiligt sind, entsprechen die jeweiligen Curricularwerte hier gleichzeitig auch den nach § 13 Abs. 4 KapVO zu bildenden Curricularanteilen (CAp).
Der gewichtete Curricularanteil beträgt nach Formel 4 der Anlage 1 zur KapVO mithin CA = (6,3 x 0,5000) + (6.3 x 0,5000) = 6,3000.
Damit beträgt die jährliche Aufnahmekapazität des Studiengangs PR/Öffentlichkeitsarbeit nach Formel 5 der Anlage 1 zur KapVO Ap = (2 x 124,5 x 0,5000) : 6,3000 = 19,7619.
Dieser Wert ist nach § 16 KapVO im zweiten Verfahrensschritt unter anderem dahingehend zu überprüfen, ob zu erwarten ist, dass wegen Studienabbruches, Fachwechsels oder Hochschulwechsels die Zahl der Abgänge an Studierenden in höheren Fachsemestern größer ist als die Zahl der Zugänge (Schwundquote). Hierfür kann der Wert Ap mit dem Schwundfaktor multipliziert werden, den die Antragsgegnerin für den streitigen Studiengang mit 1,1779 errechnet hat, ohne dass dies von der Antragstellerin angegriffen worden wäre oder sonst bei der nur gebotenen summarischen Prüfung Zweifel an der Richtigkeit dieser Berechnung bestünden.
Damit beträgt die jährliche Aufnahmekapazität der Antragsgegnerin im Studiengang PR/Öffentlichkeitsarbeit im Ergebnis 19,7619 x 1,1779 = 23,2775, mithin abgerundet 23.
Daraus folgt, dass für die Zulassung der Antragstellerin zum Studiengang PR/Öffentlichkeitsarbeit über die von der Antragsgegnerin im regulären Zulassungsverfahren ausgesprochenen 20 Zulassungen hinaus ein weiterer Studienplatz zur Verfügung steht.