Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 17.11.2020, Az.: L 16 KR 143/18
Kostenübernahme für eine beidseitige Oberarmstraffung; Operationsindikation in Form einer sogenannten Entstellung
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 17.11.2020
- Aktenzeichen
- L 16 KR 143/18
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2020, 50930
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Braunschweig - 07.02.2018 - AZ: S 31 KR 181/13
Rechtsgrundlage
- § 27 Abs. 1 SGB V
Fundstellen
- NZS 2021, 191
- RdW 2021, 187-188
- VK 2021, 39
Redaktioneller Leitsatz
1. Eine Regelabweichung im Sinne einer Entstellung ist nicht auf der Grundlage der subjektiven Betrachtungsweise des betroffenen Versicherten, sondern allein nach einem objektiven Maßstab zu beurteilen.
2. Von einer Entstellung kann erst dann ausgegangen werden, wenn eine körperliche Auffälligkeit in einer solchen Ausprägung vorhanden ist, dass sie sich schon bei flüchtiger Bewegung in alltäglichen Situationen - quasi "im Vorbeigehen" - bemerkbar macht und regelmäßig zur Fixierung des Interesses anderer auf den Betroffenen führt.
Tenor:
Das Urteil des Sozialgerichts Braunschweig vom 7. Februar 2018 und der Bescheid der Beklagten vom 5. April 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. April 2013 werden aufgehoben.
Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin mit einer beiderseitigen Oberarmstraffung zu versorgen.
Die Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Kostenübernahme für eine beidseitige Oberarmstraffung.
Die im Jahre 1958 geborene Klägerin ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Sie leidet an einer Cutis-laxa mit mäßiggradigem Hautüberschuss im Bereich der Oberarme bei Zustand nach Gewichtsreduktion von 45 bis 50 kg bei erfolgter Schlauchmagenoperation.
Am 23. März 2011 beantragte die Klägerin durch Vorlage eines Schreibens der behandelnden Ärzte des J. Hospitals die Kostenübernahme für eine Oberarmstraffung. Darin wurde auf die durchgeführte Schlauchmagenoperation verwiesen. Seither habe die Klägerin 50 kg an Gewicht verloren und halte dieses seit Monaten stabil. Es zeige sich ein Fettverteilungstyp mit massivstem Hautüberschuss beider Oberarme. Dies beeinträchtige die Klägerin im Bewegungsausmaß und in der Hygiene. Die Beklagte beauftragte daraufhin den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) mit der sozialmedizinischen Begutachtung. Dieser führte am 1. April 2011 aus "Nein, Kosmetik."
Daraufhin lehnte die Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 5. April 2011 ab. Es handele sich um eine kosmetische Indikation.
Die Klägerin erhob Widerspruch und trug vor, dass so viel Haut da sei, die durchaus scheuere. Da sie Briefzustellerin sei, müsse sie auch bei Hitze im Freien arbeiten und durch das Schwitzen scheuere die Haut unter den Armen. Sie habe sogar schon schmerzhafte Abszesse gehabt. Sie müsse reguläre Dienstkleidung tragen und bekomme keine Extrakleidung für dicke Oberarme. Früher habe sie sehr große Dienstkleidung gehabt, weil sie am ganzen Körper dick gewesen sei, nun trage sie sechs bis sieben Kleidergrößen kleiner, aber so seien natürlich auch die Arme der Kleidung entsprechend kleiner.
Mit Aktenlage-Gutachten vom 7. Dezember 2011 und Untersuchungsgutachten vom 16. Januar 2013 führte der MDK aus, dass bei der Klägerin keine Krankheit im Sinne des SGB V vorliege. Die Klägerin werde nicht in ihren Körperfunktionen beeinträchtigt und es liege auch keine Entstellung vor. Zwar könne nicht ausgeschlossen werden, dass die Klägerin, die spezielle Berufskleidung tragen müsse, eine Funktionsbeeinträchtigung habe. Vor der abschließenden Klärung müsse jedoch eine weiterführende Gewichtsreduktion angestrebt werden. Bei einem derzeitigen BMI von 38 liege nach wie vor eine behandlungsbedürftige Form der Adipositas vor. Es solle zunächst eine weitergehende Reduktion auf einen BMI von unter 30 angestrebt werden. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt würden die Voraussetzungen für eine Kostenübernahme nicht vorliegen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 26. April 2013 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Die medizinischen Voraussetzungen für eine Kostenübernahme einer Resektion des Hautfettgewebsüberschusses im Bereich der Oberarme seien nicht erfüllt. Eine erneute Antragstellung und Begutachtung nach Erreichen einer entsprechenden Gewichtsreduktion sei möglich. Diesbezüglich verwies sie auf die Ausführungen des MDK.
Hiergegen hat die Klägerin Klage vor dem Sozialgericht (SG) Braunschweig erhoben. Zur Begründung hat sie vorgetragen, dass der Zustand der Oberarme in ihrem Fall als behandlungsbedürftige Krankheit zu werten sei, da sie ua schmerzhafte Abszesse durch überschüssige scheuernde Haut hätte. Sie habe ihren BMI inzwischen auf 33,6 reduziert. Sie müsse weitere 9 kg abnehmen um einen BMI von unter 30 zu erreichen. Eine weitere Gewichtsabnahme würde nicht dazu führen, dass weitere Hautlappenüberschüsse entstehen würden, insoweit würde eine weitere Gewichtsabnahme auch nicht eine weitere Oberarmstraffung erfordern. Auch wenn die Klägerin im weiteren Verlauf des Verfahrens erneut zugenommen habe, so würde sich der Zustand der Oberarme nicht ändern.
Die Beklagte hat mit Schreiben vom 27. September 2013 ausgeführt, dass es medizinischem Standard entsprechen würde, zunächst die endgültige Gewichtsreduktion und die damit verbundenen Auswirkungen abzuwarten, um dann über Ausmaß und Umfang einer straffenden Operation zu entscheiden.
Das SG hat zur Aufklärung des medizinischen Sachverhaltes die Befundberichte des Allgemeinmediziners Dr K. vom 1. August 2014 und 27. Februar 2017 eingeholt. Dort klagte die Klägerin über Reizzustände der Haut, psychische Belastungen, Minderwertigkeitsgefühle durch kosmetisch unbefriedigenden Zustand, Gelenkschmerzen auch im Bereich der Schultergelenke, Belastungsdyspnoe, diffuse Schmerzen und Myalgien. Seit 2014 hätten die Schmerzen in den Gelenken zugenommen.
Die medizinischen Unterlagen sind durch den MDK ausgewertet worden. Dieser hat am 7. September 2017 durch Dr L. ausgeführt, dass ein aktueller Befund hinsichtlich der Oberarme nach wie vor nicht vorliege. Eine qualifizierte sozialmedizinische Begutachtung sei nicht möglich. Es liege weiterhin eine behandlungsbedürftige Form der Adipositas vor, die vorrangig zu behandeln sei. Der BMI betrage 38. Zusammenfassend lägen die sozialmedizinischen Voraussetzungen einer Kostenübernahme nicht vor.
Mit Urteil vom 7. Februar 2018 hat das SG die Klage abgewiesen. Bei der Klägerin liege keine behandlungsbedürftige Krankheit vor, da die Körperfunktion nicht beeinträchtigt werde. Auftretende Hautbeschwerden könne die Klägerin mit einer Creme behandeln. Außerdem liege keine Entstellung vor, da nach dem persönlichen Eindruck während der mündlichen Verhandlung die Form der Oberarme sich nicht bereits im Vorbeigehen so bemerkbar mache, dass das Interesse darauf fixiert werde. Dies gelte selbst bei ärmellosen Kleidungsstücken.
Gegen das am 29. März 2018 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 4. April 2018 Berufung bei dem Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen eingelegt. Zur Begründung hat sie ausgeführt, dass der Hautüberschuss an den Oberarmen zu Verspannungen und Haltungsschäden führe. Sie habe bereits physiotherapeutische Behandlungen wegen der Verspannungen erhalten. Der Grund für die Fehlhaltung und die Schmerzen mit Sensibilitätsstörungen sei ihre überschüssige Haut. Es liege damit eine Krankheit vor, die sie in ihrer Körperfunktion beeinträchtige. Außerdem liege eine entstellend wirkende anatomische Abweichung vor. Die Oberarme würden nicht zum übrigen Körper passen, denn sie würden viel größere Kleidungsgrößen benötigen, als der übrige Körper. Die Abweichung habe ein extremes und unzumutbares Maß erreicht. Es sei der Klägerin erschwert bzw nahezu unmöglich, sich frei und unbefangen unter Mitmenschen zu bewegen. Die Klägerin hat eine Photodokumentation vorgelegt.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Braunschweig vom 7. Februar 2018 sowie den Bescheid der Beklagten vom 5. April 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. April 2013 aufzuheben und
die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin mit einer beiderseitigen Oberarmstraffung zu versorgen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und schließt sich den dort genannten Gründen an.
Zur Aufklärung des medizinischen Sachverhaltes hat das Gericht das Sachverständigengutachten des Orthopäden Dr M. vom 10. Dezember 2019 eingeholt. Zusammenfassend führt der Sachverständige aus, dass im Mittelpunkt des orthopädischen Befundes eine Funktionseinschränkung der Kniegelenke stehe. Die von der Klägerin genannten Beschwerden im Schulter- und Nackenbereich seien als funktionelles Schmerzsyndrom zu bezeichnen. Eine Funktionsprüfung der Halswirbelsäule und der oberen Extremitäten zeige keine Funktionsbeeinträchtigungen. Hautveränderungen im Sinne einer Geschwulstbildung oder von lokalen bakteriellen bzw Pilzinfektion lägen nicht vor. Bei einer radikalen Teilentfernung des Gewebes sei mit einer Gewichtsverminderung von ca 1 kg auf jeder Körperseite auszugehen. Bei einem Körpergesamtgewicht von 86 kg sei dies aus orthopädischer Sicht kein relevanter Einflussfaktor.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Prozessakte und den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die der Entscheidung zugrunde gelegen hat.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist form- und fristgemäß erhoben worden und auch im Übrigen zulässig.
Sie ist auch begründet. Dem Urteil des Sozialgerichts Braunschweig vom 7. Februar 2018 sowie dem Bescheid der Beklagten vom 5. April 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. April 2013 vermag sich der erkennende Senat nicht anzuschließen. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Gewährung einer beidseitigen Oberarmstraffung. Dies folgt zwar nicht aus medizinischen Gründen (1.), jedoch unter dem Gesichtspunkt einer Entstellung (2.).
1. Gesetzlich Versicherte haben nach § 27 Abs 1 SGB V Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst ua ärztliche Behandlung einschließlich Psychotherapie und Krankenhausbehandlung (§ 27 Abs 1 Satz 2 Nr 1 und 5 SGB V). Nach § 12 Abs 1 SGB V müssen die Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein, sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen. Die Leistungspflicht der Gesetzlichen Krankenversicherung setzt nach § 27 Abs 1 Satz 1 SGB V eine behandlungsbedürftige Krankheit voraus (vgl Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschlüsse vom 12. September 2017 - L 16 KR 31/17 und 4. September 2019 - L 16 KR 73/19). Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung wird von dieser Definition ein regelwidriger, vom Leitbild des gesunden Menschen abweichender, Körper- oder Geisteszustand umschrieben, der ärztlicher Behandlung bedarf oder den Betroffenen arbeitsunfähig macht (vgl Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 8. März 2016 - B 1 KR 35/15 R Rn 9 mwN). Es handelt sich um einen rechtlichen Zweckbegriff (vgl. Nolte, Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, Band 1, Stand: Mai 2020, § 27 Rn 9 ff). Der Krankheitsbegriff ist von dem medizinischen Krankheitsbegriff zu unterscheiden, wonach Krankheit eine Erkrankung mit bestimmten Symptomen und Ursachen ist. Auch auf die Krankheitsursache kommt es grundsätzlich nicht an (Nolte, aaO, Rn 10, 11 mwN). Eine Krankheit im Rechtssinne verlangt eine erhebliche Abweichung vom idealen Zustand. Geringfügige Störungen, die keine wesentlichen funktionellen Beeinträchtigungen zur Folge haben, reichen nicht aus. Abweichungen von einer morphologisch idealen Norm, die noch befriedigende körperliche oder psychische Funktionen zulassen, sind keine Krankheit. Für die Feststellung der Regelwidrigkeit ist vom Leitbild des gesunden Menschen auszugehen, der zur Ausübung der normalen körperlichen und psychischen Funktionen in der Lage ist. Eine Abweichung von dieser Norm führt zur Regelwidrigkeit. Erforderlich ist dabei, dass der Versicherte in seinen Körperfunktionen beeinträchtigt wird und diese Funktionsbeeinträchtigung durch die notwendige Krankenbehandlung erkannt, geheilt, gelindert oder ihre Verschlimmerung verhütet wird (BSG, Urteil vom 4. März 2014 - B 1 KR 69/12 R Rn 9 mwN; BSG, Urteil vom 8. März 2016 - B 1 KR 35/15 R). Ein Anspruch auf Krankenbehandlung in Form von Eingriffen in intakte, nicht in ihrer Funktion beeinträchtige Organsysteme kommt als Ausnahmefall nur dann in Betracht, wenn die Abweichung entstellend wirkt (BSG, Urteil vom 4. März 2014 - B 1 KR 69/12 R, Rn 12; BSG, Urteil vom 8. März 2016 - B 1 KR 35/15 R Rn 10).
Eine behandlungsbedürftige Beeinträchtigung der Körperfunktionen, die eine Straffungsoperation medizinisch indizieren würde, ergibt sich aus den vorliegenden medizinischen Unterlagen nicht. Es bestehen keine Hautveränderungen, die ausschließlich durch eine Oberarmstraffung therapierbar wären. Zwar werden in den Befundberichten des Allgemeinmediziners Dr K. Hautirritationen genannt. Im Rahmen der gutachterlichen Untersuchung bei dem Sachverständigen Dr M. zeigten sich bei der Klägerin jedoch keine Hautveränderungen im Sinne einer Geschwulstbildung oder einer lokalen bakteriellen bzw Pilzinfektion. Wenn solche Hautveränderungen bei der Klägerin also überhaupt vorhanden sein sollten, so sind sie offensichtlich vorübergehender Natur und mit konservativen Mitteln gut therapierbar. Dies gilt trotz der überreichlichen Ausprägung des Haut- und Unterhautgewebes nach massiver Gewichtsreduktion (Cutis-laxa), eine Operationsindikation folgt hieraus nicht. Denn bei wertender Betrachtung sind die Hautirritationen nicht als derart schwerwiegend und untherapierbar zu bewerten, als das sie ausschließlich durch eine Operation behandelbar wären.
Eine medizinische Notwendigkeit in Form einer indirekten Krankenbehandlung zur Therapie von Schulter und Nackenbeschwerden liegt ebenfalls nicht vor. Diesbezüglich fehlt es ebenfalls an einer medizinischen Indikation.
Wird durch eine Operation in ein funktionell intaktes Organ eingegriffen und dieses regelwidrig verändert, bedarf diese Behandlung einer speziellen Rechtfertigung, wobei die Art und Schwere der Erkrankung, die Dringlichkeit der Intervention, die Risiken und der zu erwartende Nutzen der Therapie sowie etwaige Folgekosten für die Krankenversicherung gegeneinander abzuwägen sind (BSG, Urteil vom 19. Februar 2003 - B 1 KR 1/02 R; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 9. Januar 2014 - L 5 KR 325/12; Hessisches LSG, Urteil vom 15. April 2013 - L 1 KR 119/11 und vom 06.Oktober 2016 - L 8 KR 291/14: LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 11. Mai 2020 - L 16 KR 364/19). Insoweit darf eine chirurgische Behandlung in Form einer Oberarmstraffung nur Ultima Ratio sein, da ein operativer Eingriff stets mit einem erheblichen Risiko (Narkose, Operationsfolgen wie zB Entzündungen, Thrombose bzw Lungenembolie, operationsspezifische Komplikationen) verbunden ist. Zu fordern ist in jedem Fall eine schwerwiegende Erkrankung der Wirbelsäule, die erfolglose Ausschöpfung aller konservativen orthopädischen Behandlungsmaßnahmen und die mit an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit, dass die Maßnahme auch den gewünschten Behandlungserfolg bringt (Hessisches LSG, aaO; LSG Hamburg, Urteil vom 25. August 2016 - L 1 KR 38/15).
Eine orthopädische Erkrankung der Halswirbelsäule liegt bei der Klägerin nicht vor. Im Mittelpunkt des orthopädischen Befundes steht vielmehr eine Funktionseinschränkung der Kniegelenke. Dort bestehen Verschleißumformungen mit Zunahme der subjektiven Belastungsschmerzen. Die Klägerin gibt im Bereich der Schulteroberarmregion eine chronische Schmerzsymptomatik bei Überkopfarbeiten an. Jedoch hat die Funktionsprüfung durch den Sachverständigen Dr M. gezeigt, dass im Bereich von HWS, Schulter- und Ellenbogengelenken keine Funktionseinschränkungen bei der Klägerin festzustellen sind. Es liegt vielmehr eine seitengleiche freie Beweglichkeit bei vollständiger Gelenkstabilität vor. Die subjektiven Beschwerden im Sinne von belastungsabhängigen Verspannungen sind als Schulterarmsyndrom einzuordnen. Hieraus folgt eine Indikation zu krankengymnastischer Behandlung mit Übergang in ein muskelstabilisierendes Gerätetraining, nicht jedoch eine Operationsindikation zur Teilentfernung überschüssigen Haut- und Unterhautgewebes. Denn selbst bei einer radikalen Teilentfernung des Gewebes wäre allenfalls mit einer Gewichtsverminderung von ca 1 kg auf jeder Körperseite auszugehen. In dieser Hinsicht hat der Sachverständige Dr M. für den Senat uneingeschränkt nachvollziehbar ausgeführt, dass eine solche Gewichtsveränderung bei einem Gesamtkörpergewicht von 86 kg zu vernachlässigen ist. Denn durch ein konsequentes und regelmäßig durchgeführtes Training der Schultergürtel und Oberarmmuskulatur ist im Vergleich dazu eine Kraftsteigerung von mindestens 10 bis 15 kg zu erwarten. Es ist daher uneingeschränkt schlüssig, dass der Sachverständige die gewünschte Oberarmstraffung aus orthopädischer Sicht als keinen mehr relevanten Einflussfaktor bewertet. Dem hat die Klägerin inhaltlich auch nichts entgegengehalten.
2. Es liegt jedoch eine Operationsindikation in Form einer sogenannten Entstellung vor. Denn nach dem Ergebnis der Inaugenscheinnahme der Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung ist das Erscheinungsbild der Oberarme entstellend im Rechtssinne. Hierbei ist auf den bekleideten Zustand abzustellen. Eine Unterscheidung nach Sommer und Winterzeit ist nicht vorzunehmen (LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 25. Februar 2020 - L 4 KR 257/16). Für die Annahme einer Regelabweichung im Sinne einer Entstellung ist nicht die subjektive Betrachtungsweise des betroffenen Versicherten, sondern allein ein objektiver Maßstab entscheidend. Danach liegt eine Entstellung erst dann vor, wenn eine körperliche Auffälligkeit in einer solchen Ausprägung vorhanden ist, dass sie sich schon bei flüchtiger Bewegung in alltäglichen Situationen quasi "im Vorbeigehen" bemerkbar macht und regelmäßig zur Fixierung des Interesses anderer auf den Betroffenen führt (BSG, Urteil vom 19. Oktober 2004 - B 1 KR 3/03 R; Urteil vom 8. März 2016 - B 1 KR 35/15 R Rn 12 ff mwN).
Nach dem persönlichen Eindruck des Erscheinungsbildes der Klägerin, den sich der Senat in der mündlichen Verhandlung verschafft hat, ist vorliegend auch unter Zugrundelegung strenger Maßstäbe ausnahmsweise von einer Entstellung auszugehen. Dies ergibt sich unter dem Gesichtspunkt einer massiven Asymmetrie des Erscheinungsbildes von Ober- und Unterarmen. Die Klägerin hat im Termin unauffällige, weitgeschnittene, lockere Alltagskleidung getragen. Die Kleidungsgröße passte zur Körpergröße. Im Bereich der Oberarme war deutlich zu sehen, dass die Kleidung dort sehr eng anlag, während sie sich im Bereich der Unterarme bewegte wie eine "Fahne im Wind". Hierdurch entsteht bei einem unbeteiligten Beobachter der Eindruck, dass im Bereich der Oberarme zusätzliche, dicke Polster in die Kleidung eingebracht sein könnten, was zu forschenden und entsprechend unangenehmen Blicken führt. Sobald dann bei der Betrachtung des Erscheinungsbildes im Gehen erkennbar wird, dass es sich um massive Fettablagerungen handelt, richtet sich der Blick auf die Rückseite der Oberarme. Dort fällt ein eiförmiger, voluminöser Gewebeüberhang ins Auge, welcher die Ellenbogen deutlich überdeckt. Dieses stark asymmetrische Erscheinungsbild der Arme ist selbst bei einem beleibten Menschen derart ungewöhnlich, dass es sich nicht mit üblicher Alltagskleidung überdecken lässt und die Klägerin bereits in alltäglichen Situationen zum Objekt des Interesses anderer wird.
Dabei weist der Senat darauf hin, dass er bei der Beurteilung der Entstellung regelmäßig strenge Maßstäbe zugrunde legt und dabei insbesondere von Menschen mit unauffälligem Erscheinungsbild die gebotene Toleranz gegenüber Normabweichungen einfordert. Erst wenn diese - wie hier - die Grenze zur Entstellung überschreiten, kommt ein Leistungsanspruch in Betracht. Auch weiterhin sind Normabweichungen grundsätzlich vorrangig zu tolerieren und nur ausnahmsweise zu korrigieren (vgl auch BSG, Urteil vom 8. März 2016 - B 1 KR 35/15 R Rn 13).
Mithin ist der Berufung antragsgemäß zu entsprechen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Ein gesetzlicher Grund zur Zulassung der Revision ist nicht gegeben (§ 160 Abs 2 SGG).