Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 10.11.2020, Az.: L 8 SO 84/20 ER
Vorläufige Kostenübernahme für einen Hausgebärdensprachkurs; Auswahl einer geeigneten Dozentin; Ausnahme des Grundsatzes der Leistungskontinuität
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 10.11.2020
- Aktenzeichen
- L 8 SO 84/20 ER
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2020, 70984
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Stade - 07.05.2020 - AZ: S 19 SO 88/18
Rechtsgrundlagen
- § 86b Abs. 2 S. 2 SGG
- § 14 SGB IX
- § 104 SGB IX
Redaktioneller Leitsatz
1. Durch das Inkrafttreten des Rechts der Eingliederungshilfe nach Teil 2 des SGB IX zum 1.1.2020 erledigt sich eine Ablehnung von Eingliederungshilfe nicht auf andere Weise im Sinne von § 39 Abs. 2 SGB X. Eine bereits in der Zeit bis 31.12.2019 begründete Zuständigkeit eines Rehabilitationsträgers bleibt bestehen.
2. Als Leistung zur Teilhabe an Bildung kann sich ein Anspruch auf Übernahme von Kosten einer zusätzlichen Förderung der Gebärdensprache in Form eines Hausgebärdensprachkurses ergeben.
Tenor:
Der Antrag des Antragstellers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Im Streit ist die vorläufige Kostenübernahme für einen Hausgebärdensprachkurs, insbesondere die Auswahl einer geeigneten Dozentin.
Der 2008 geborene Antragsteller ist syrischer Staatsangehöriger, 2015 mit seinen Eltern nach Deutschland eingereist und als subsidiär Schutzberechtigter anerkannt. Seit dem Säuglingsalter besteht bei ihm eine beidseitig hochgradige, an Taubheit grenzende Innenohrschwerhörigkeit. Aus diesem Grund ist er als schwerbehinderter Mensch mit einem Grad der Behinderung von 100 und den Merkzeichen G, H, Gl und RF anerkannt. Er lebt gemeinsam mit Geschwistern im Haushalt seiner Eltern in der im Kreisgebiet des Antragsgegners gelegenen Stadt Osterholz-Scharmbeck und besucht die Schule an der D. E., eine Hörgeschädigtenschule, in der er einmal in der Woche für 90 Minuten an dem Unterrichtsfach Deutsche Gebärdensprache teilnimmt. Die Familie des Antragstellers bezieht zur Sicherung ihres Lebensunterhalts laufende Leistungen nach dem SGB II.
Nachdem der Antragsteller im Frühjahr 2017 mit einem Cochlear-Implantat versorgt worden war, beantragten seine Eltern beim Antragsgegner mit Schreiben vom 5.9.2017 und 14.2.2018 unter Vorlage eines Kostenvoranschlags der Dozentin F. die Gewährung eines Persönlichen Budgets (PB) zur Finanzierung eines Hausgebärdensprachkurses. Der (auch) vom behandelnden HNO-Facharzt G., Osterholz-Scharmbeck, empfohlene Kurs sollte nach dem Kostenvoranschlag an zwei Tagen in der Woche zwei Unterrichtseinheiten pro Tag umfassen. Nach Einholung einer Stellungnahme der Amtsärztin H. und der Dipl. Ergotherapeutin I. vom 22.5.2018, nach der der Vater einen - aus Sicht des Gesundheitsamtes im häuslichen Umfeld nicht indizierten - Gebärdensprachkurs nicht mehr befürwortet haben soll, lehnte der Antragsgegner den Antrag vom 5.9.2017 durch Bescheid vom 5.6.2018 ab. Auf den hiergegen erhobenen Widerspruch - bei dem Gespräch im Gesundheitsamt müsse es aufgrund geringer Deutschkenntnisse zu einem Missverständnis gekommen sein - holte der Antragsgegner eine weitere Stellungnahme der Mitarbeiterinnen des Gesundheitsamtes vom 9.7.2018 ein, nach der die Teilnahme an einem Gebärdensprachkurs als sinnhaft angesehen wurde, allerdings in ausreichender Weise durch den Besuch einer Gebärdensprachschule, nicht notwendig hingegen im häuslichen Umfeld (Hausgebärdensprachkurs). Insoweit solle noch Kontakt mit der Schule des Antragstellers aufgenommen werden, inwieweit die Umsetzung des Erlernens der Gebärdensprachschule dort möglich sei; anderenfalls könne der Antragsteller eine Gebärdensprachschule besuchen. Daraufhin wies der Antragsgegner den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 21.8.2018 mit der Begründung zurück, der Antragsteller sei dem Grunde nach anspruchsberechtigt, nach dem sozialhilferechtlichen Nachranggrundsatz aber auf einen Gebärdensprachkurs in seiner Schule oder einer anderen Gebärdensprachschule zu verweisen.
Während des hiergegen beim Sozialgericht (SG) Stade angestrengten Klageverfahrens wurde der Antragsgegner in einem ersten Eilverfahren im Wege der einstweiligen Anordnung dem Grunde nach verpflichtet, bis zum rechtskräftigen Abschluss des beim SG anhängigen Hauptsacheverfahrens, längstens jedoch bis zum 31.7.2020, die Kosten für einen Hausgebärdensprachkurs zu übernehmen (Senatsbeschluss vom 27.1.2020 - L 8 SO 199/19 B ER -). Der Antragsteller hatte nach dem damaligen Stand der Ermittlungen glaubhaft gemacht, dass sein Bedarf an zusätzlicher Sprachförderung nach den Stellungnahmen der ihn behandelnden Stellen und seiner Klassenlehrerin sowie des Schulleiters in hinreichender Weise nur durch einen Hausgebärdensprachkurs gedeckt werden kann und eine vorläufige Übernahme der damit einhergehenden Kosten angesichts der prognostischen Dauer des Hauptsacheverfahrens zur Erlangung einer angemessenen Schulbildung dringend geboten ist. Allerdings hat der Senat es in dem ersten Eilverfahren als ermessensgerecht erachtet, dass der Antragsgegner eine (Auswahl-)Entscheidung über den Leistungserbringer zu treffen hat, bei der die Besonderheit des Einzelfalles (§ 104 Abs. 1 SGB IX), insbesondere angemessene Wünsche des Antragstellers (§ 104 Abs. 2 SGB IX; vgl. für die Sozialhilfe § 9 Abs. 2 SGB XII) und die Empfehlung der Schule, aber ggf. auch geringere Kostensätze anderer Dozentinnen und Dozenten zu berücksichtigen sind.
In Ausführung dieser Entscheidung bewilligte der Antragsgegner dem Antragsteller Leistungen der Eingliederungshilfe durch Übernahme der Kosten für einen Gebärdensprachkurs in einem Umfang von vier Stunden je Woche (Bescheid vom 17.3.2020). Dem im Verwaltungs- und Eilverfahren ausdrücklich geäußerten Wunsch des Antragstellers, einen Hausgebärdensprachkurs durch die ihm aufgrund seines Schulbesuchs bereits bekannte Dozentin F. zu ermöglichen, lehnte der Antragsgegner insbesondere wegen unverhältnismäßiger Mehrkosten ab und erklärte gegenüber der Dozentin J., Gebärdenfreude Bremen, eine entsprechende Kostenzusage. Der Antragsteller nahm diesen Sprachkurs nicht in Anspruch und begehrt im Hauptsacheverfahren weiterhin eine Kostenübernahme für einen Hausgebärdensprachkurs durch die Dozentin F ... Die darauf gerichtete Klage wies das SG durch Gerichtsbescheid vom 7.5.2020 mit der Begründung ab, der Kläger habe keinen Rechtsanspruch auf die Kostenübernahme für einen Gebärdensprachkurs (nur) durch die Dozentin F., vielmehr habe der Antragsgegner den Leistungsantrag unter Anwendung des ihm zustehenden Ermessens und mit dem Verweis auf eine alternative Leistungserbringung zu Recht abgelehnt.
Der Antragsteller hat gegen die ihm am 15.5.2020 zugestellte Entscheidung am 9.6.2020 Berufung eingelegt und zugleich den erneuten Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gestellt. Er macht geltend, dass die Durchführung eines Hausgebärdensprachkurses - auch unabhängig von der gegenwärtigen Covid-19-Pandemie - dringend erforderlich sei und es ihm u.a. aufgrund seines Alters und seiner gesundheitlichen Beeinträchtigungen nicht zuzumuten sei, eine Gebärdensprachschule in Bremen aufzusuchen. Er bestreitet die fachliche Qualifikation der Dozentin J. für einen kindgerechten Hausgebärdensprachkurs; deren Unterricht in der Gebärdensprachschule sei ausnahmslos auf Erwachsenenbildung ausgerichtet und sie verfüge - anders als die Dozentin F. - nicht über einen staatlich anerkannten Abschluss in der Deutschen Gebärdensprache. Die Auswahl der Dozentin J. berücksichtige auch nicht, dass Hausgebärdensprachkurse kindgerechten und geschützten Konzepten unterliegen würden.
Der Antragsgegner erachtet einen Hausgebärdensprachkurs grundsätzlich nicht als notwendig. Die Übernahme entsprechender Kosten komme nur wegen der gegenwärtigen Bedingungen während der Covid-19-Pandemie in Betracht. Im Übrigen sei es dem Antragsteller zuzumuten, einen Sprachkurs bei der Dozentin J. in Bremen zu belegen. Er besuche täglich die Schule in Bremen, so dass sein Aktionsradius nicht auf die elterliche Wohnung beschränkt sei. Seinen Eltern sei es zuzumuten, ihn so lange zur Sprachschule nach Bremen zu begleiten, bis er die erforderliche Sicherheit und Selbstständigkeit erlangt hat, die Wege auch allein zurückzulegen. Seinem Wunsch, dass der Hausgebärdensprachkurs allein durch die Dozentin F. durchgeführt wird, stünden unverhältnismäßige Mehrkosten entgegen. Nach den Berechnungen des Antragsgegners würden sich die monatlichen Kosten eines Sprachkurses durch die Dozentin J. in der Sprachschule in Bremen auf 866,67 EUR bzw. im Haushalt des Antragstellers auf 1.213,33 EUR und eines Hausgebärdensprachkurses durch die Dozentin F. - wegen des höheren Stundensatzes und der zusätzlich berechneten Fahrtkosten - auf 2.630,18 EUR belaufen. Die Dozentin J. verfüge in gleicher Weise wie die Dozentin F. über die notwendige Qualifikation, den Antragsteller in der Gebärdensprache zu unterrichten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der Prozessakten der Hauptsache (- S 19 SO 88/18; L 8 SO 84/20 B ER -) und des vorangegangenen Eilverfahrens (- S 19 SO 16/19 ER; L 8 SO 199/19 B ER -) sowie der Verwaltungsakte des Antragsgegners verwiesen.
II.
Der Eilantrag des Antragstellers ist zulässig, insbesondere ist der Senat als Rechtsmittelgericht für die Entscheidung zuständig, weil die Hauptsache im Berufungsverfahren anhängig ist (§ 86b Abs. 2 Satz 3 SGG). In dem Verfahren betreffend den Gerichtsbescheid des SG vom 7.5.2020 ist über den vom Antragsteller geltend gemachten Anspruch auf Übernahme eines Hausgebärdensprachkurses durch die Dozentin F. (mit Wirkung für die Zukunft) und die Rechtmäßigkeit der Ablehnungsentscheidung des Antragsgegners (Bescheid vom 5.6.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.8.2018) zu entscheiden.
Die dort angefochtene Ablehnung des Leistungsantrags vom 5.9.2017 hat sich nicht durch das Inkrafttreten des Rechts der Eingliederungshilfe nach Teil 2 des SGB IX zum 1.1.2020 und den Wegfall der Zuständigkeit des Antragsgegners als örtlicher Träger der Sozialhilfe auf andere Weise erledigt (§ 39 Abs. 2 SGB X; vgl. hierzu BSG, Beschluss vom 25.6.2020 - B 8 SO 36/20 B - juris Rn. 9; Siefert, ZAP 2020, 359, 360 f.; Groth, jurisPR-SozR 19/2020 Anm. 5 und Eicher in jurisPK-SGB IX, 3. Aufl. 2020, Anhang zu § 19 SGB XII Rn. 2, 2.2.). Die Einführung der neuen Leistungen der Eingliederungshilfe mit einer neuen Trägerschaft berührt grundsätzlich nicht eine bereits nach § 14 SGB IX (in der Zeit bis 31.12.2019) begründete Zuständigkeit eines Rehabilitationsträgers, der (im Außenverhältnis) gegenüber dem Menschen mit Behinderung umfassend für die erforderlichen Rehabilitationsleistungen zuständig geworden ist (vgl. zur sog. "aufgedrängten" Zuständigkeit Ulrich in jurisPK-SGB IX, 3. Aufl. 2018, § 14 Rn. 39 m.w.N.). Für ein Fortwirken der bereits nach § 14 SGB IX begründeten Zuständigkeit bei einem Wegfall der Eigenschaft als Rehabilitationsträger i.S. des § 6 SGB IX reicht es damit aus, dass der (bislang zuständige) Rechtsträger - wie hier (dazu gleich) - weiterhin Rehabilitationsträger i.S. des § 6 SGB IX ist. § 14 SGB IX regelt die Zuständigkeitsklärung zwischen verschiedenen Rehabilitationsträgern, wobei die Bezeichnung "Träger", die im Sinne einer rechtsfähigen juristischen Person zu verstehen ist, deutlich macht, dass es sich um unterschiedliche juristische Personen des öffentlichen Rechts handeln muss, damit von einem Zuständigkeitskonflikt im Sinne der Vorschrift die Rede sein kann (so schon Senatsurteil vom 29.10.2015 - L 8 SO 122/12 - juris Rn. 28). Abgesehen von Fällen der zielgerichteten Zuständigkeitsanmaßung genügt es für die Anwendung des § 14 SGB IX, dass der Rechtsträger überhaupt Träger von Leistungen zur Teilhabe und damit ein Rehabilitationsträger i.S. des § 6 SGB IX ist (in diese Richtung wohl auch BSG, Urteil vom 4.4.2019 - B 8 SO 11/17 R - juris Rn. 13; vgl. auch § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IX, der allein auf den Antrag auf "Leistungen zur Teilhabe" abstellt).
§ 14 SGB IX ist als Vorschrift im Teil 1 des SGB IX im Recht der Eingliederungshilfe nach Teil 2 des SGB IX (weiterhin) anwendbar (§ 7 Abs. 1 Satz 1 und 3 SGB IX); auch die Normänderungen zum 1.1.2018 durch das Bundesteilhabegesetz vom 23.12.2016 (BGBl. I 3234) haben auf die hier bereits im September 2017 begründete Zuständigkeit des Antragsgegners keine Auswirkungen, weil die Neufassung des § 14 SGB IX lediglich an das bisherige Recht anknüpft und die Vorschrift nur präzisieren soll (vgl. BT-Drs. 18/9522, S. 233 und BT-Ausschussdrucksache 18(11)244, S. 7, 44, 51; zur zeitlichen Geltung eines Gesetzes nach allgemeinen Grundsätzen des intertemporalen Prozessrechts vgl. BSG, Urteil vom 13.7.2017 - B 8 SO 1/16 R - juris Rn. 20). Die Änderung oder das Inkrafttreten eines für einen (neuen) Rehabilitationsträger geltenden Leistungsgesetzes i.S. des § 7 Abs. 1 SGB IX führt insoweit nur dazu, dass der nach § 14 SGB IX bereits zuvor zuständig gewordene Rehabilitationsträger ggf. auch nach diesen Rechtsgrundlagen über die beantragte Teilhabeleistung zu entscheiden hat (s.o).
Anders als bei einer möglichen Zäsur bei der Abschaffung einer Sozialleistung und der Einführung einer anderen (zur Ablösung der Alhi durch das SGB II vgl. etwa BSG, Urteile vom 23.11.2006 - B 11b AS 1/06 R - juris Rn. 18 und - B 11b AS 3/06 R - juris Rn. 13 f.) bewirkt § 14 SGB IX im Recht der Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen zugunsten des Menschen mit Behinderung eine Kontinuität (im rechtlichen Sinn) durch die verbindlich festgelegte Zuständigkeit des Rehabilitationsträgers (im Ergebnis ebenso Groth, a.a.O.). Ob bei einem Wechsel der (sachlichen) Zuständigkeit des Rechtsträgers in seiner neuen Eigenschaft als Träger der Eingliederungshilfe durch das Inkrafttreten von Teil 2 des SGB IX (die Einführung einer "neuen" Leistung) bzw. den landesrechtlichen Zuständigkeitsregelungen (§ 94 SGB IX) zum 1.1.2020 zumindest bei einem Verlängerungs- oder Folgeantrag nicht (mehr) von einem einheitlichen Rehabilitationsgeschehen auszugehen ist, mit der möglichen Folge einer erneuten Zuständigkeitsprüfung nach § 14 SGB IX (vgl. dazu BSG, Urteil vom 28.11.2019 - B 8 SO 8/18 R - juris Rn. 15; dazu Schaumberg, DVfR Forum A, A11-2020), muss hier nicht beantwortet werden. Aus Sicht des Senats spricht aber Überwiegendes dafür, in diesen Fällen eine Ausnahme des Grundsatzes der Leistungskontinuität anzunehmen (vgl. dazu Ulrich in jurisPK-SGB IX, 3. Aufl. 2018, § 14 Rn. 56 ff., 60).
Die im Hauptsacheverfahren angefochtene Ablehnungsentscheidung hat sich auch nicht durch eine erneute Sachentscheidung - hier etwa für die Zeit ab Mitte März 2020 durch Bescheid des Antragsgegners vom 17.3.2020 - auf andere Weise erledigt (§ 39 Abs. 2 SGB X; vgl. dazu BSG, Urteil vom 11.12.2007 - B 8/9b SO 12/06 R - juris Rn. 8). Diesem Bescheid ist nach allgemeinen Auslegungsregeln (noch) mit hinreichender Eindeutigkeit zu entnehmen, dass er bloß in Ausführung des Senatsbeschlusses vom 27.1.2020 (- L 8 SO 199/19 B ER -) ergangen ist (vgl. S. 2 der Begründung) und keine unbedingte Bewilligung enthält (sog. Ausführungsbescheid, vgl. dazu Burkiczak in jurisPK-SGG, 1. Aufl. 2017, § 86b Rn. 462). Da der Antragsteller die entsprechend der einstweiligen Anordnung befristet bis Ende Juli 2020 bewilligten Leistungen nicht in Anspruch genommen hat, ist dieser Bescheid ohnehin gegenstandslos geworden.
Wie auch im Hauptsacheverfahren ist der Antragsgegner der richtige Beteiligte i.S. der §§ 69, 70 SGG. Auf die Frage einer Rechts- oder Funktionsnachfolge (vgl. dazu Schink, Rechtsnachfolge bei Zuständigkeitsveränderungen in der öffentlichen Verwaltung, 1984, S. 54 ff.) des (sachlich und örtlich zuständigen) Trägers der Eingliederungshilfe anstelle des bis Ende 2019 für die sozialhilferechtliche Eingliederungshilfe nach dem ehemaligen 6. Kapitel des SGB XII zuständigen Trägers der Sozialhilfe (vgl. § 241 Abs. 8 SGB IX in der Fassung vom 17.7.2017, BGBl. I 2541) kommt es hier im Ergebnis nicht an, weil der Antragsgegner auch nach neuem Recht für die Leistung sachlich und örtlich zuständig ist (Trägeridentität; vgl. dazu auch Groth, a.a.O.). In Niedersachsen sind die Landkreise als örtliche Träger der Eingliederungshilfe sachlich zuständig für Leistungen der Eingliederungshilfe an Leistungsberechtigte, die - wie der Antragsteller - das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben (vgl. § 94 Abs. 1 SGB IX i.V.m. § 2 Abs. 1 und 2, § 3 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 des Niedersächsischen Gesetzes zur Ausführung des SGB IX und SGB XII (Nds. AG SGB IX/XII) vom 24.10.2019 (Nds. GVBl. S. 300); die örtliche Zuständigkeit ergibt sich aus § 98 Abs. 1 Satz 1 SGB IX, weil sich der Antragsteller zum Zeitpunkt der Antragstellung (und bis heute) im Haushalt seiner Eltern und damit im Kreisgebiet des Antragsgegners gewöhnlich aufhält. Aufgrund der Trägeridentität ist auch eine (echte) notwendige Beiladung des Trägers der Eingliederungshilfe nach § 75 Abs. 2 Alt. 1 SGG, weil die Entscheidung auch gegenüber dem (im Innenverhältnis) nunmehr mutmaßlich endgültig zuständigen Rehabilitationsträger nur einheitlich ergehen kann (vgl. nur BSG, Urteil vom 26.10.2004 - B 7 AL 16/04 R - juris Rn. 13 ff.), nicht angezeigt.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist nicht begründet und daher abzulehnen.
Einstweilige Anordnungen sind nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist, dass ein geltend gemachtes Recht gegenüber dem Antragsgegner besteht (Anordnungsanspruch) und der Antragsteller ohne den Erlass der begehrten Anordnung wesentliche Nachteile erleiden würde (Anordnungsgrund). Sowohl die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines in der Sache gegebenen materiellen Leistungsanspruchs als auch die Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).
Nach diesen Maßgaben hat der Antragsteller die besondere Eilbedürftigkeit der Sache (Anordnungsgrund) nicht glaubhaft gemacht, weil es ihm einstweilen zuzumuten ist, einen Hausgebärdensprachkurs durch die Dozentin J. in Anspruch zu nehmen. Der Antragsgegner hat sich zu einer entsprechenden Kostenübernahme jedenfalls während der Covid-19- Pandemie bereit erklärt, so dass der Erlass einer einstweiligen Anordnung - auch insoweit - nicht geboten ist.
Gegenstand der form- und fristgerecht (§ 151 SGG) eingelegten und auch im Übrigen zulässigen, insbesondere statthaften (§§ 143, 144 Abs. 1 Satz 2 SGG) Berufung ist der Gerichtsbescheid des SG vom 7.5.2020, durch den die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§§ 54 Abs. 1, 56 SGG) auf Übernahme der Kosten für einen Hausgebärdensprachkurs aus Mitteln der Eingliederungshilfe abgelehnt worden ist (zum Streitgegenstand vgl. auch oben). Aus den angekündigten Anträgen im Hauptsache- und Eilverfahren ergibt sich eindeutig, dass der Antragsteller bzw. seine ihn vertretenen Eltern den ursprünglich geltend gemachten Anspruch in Form eines PB nach § 105 Abs. 3 Satz 1 SGB IX i.V.m. § 29 SGB IX (bis 31.12.2019 nach §§ 53, 57 Satz 1 und 2 SGB XII i.V.m. § 29 SGB IX) nicht mehr geltend machen.
Dem geltend gemachten Anspruch kann nicht entgegengehalten werden, dass der Antragsgegner über eine Hilfegewährung noch eine Ermessensentscheidung nach § 100 Abs. 1 Satz 1 SGB XII (für die Gewährung von Eingliederungshilfe an Ausländer nach der Rechtslage bis 31.12.2019 gemäß § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII) zu treffen hat, ob dem Antragsteller im Hinblick auf den geltend gemachten Anspruch überhaupt Eingliederungshilfe zu gewähren ist. Danach können Ausländer, die sich im Inland tatsächlich aufhalten, Leistungen nach Teil 2 des SGB IX (Eingliederungshilfe) erhalten, soweit dies im Einzelfall gerechtfertigt ist. Der Antragsgegner hat in den gerichtlichen Verfahren den Bedarf des Antragstellers an einer zusätzlichen Förderung in Gebärdensprache dem Grunde nach anerkannt (vgl. etwa den Schriftsatz im vorliegenden Verfahren vom 8.7.2020) und damit die Entscheidung über das Entschließungsermessen ("ob") bereits zu Gunsten des Antragstellers getroffen. Ob hier ausnahmsweise ohnehin ein Rechtsanspruch nach § 100 Abs. 1 Satz 2 SGB IX (bis 31.12.2019: § 23 Abs. 1 Satz 4 SGB XII) wegen eines prognostisch dauerhaften Aufenthalts des Antragstellers in Deutschland besteht, muss daher nicht beantwortet werden.
Der Antragsteller erfüllt die personenbezogenen Voraussetzungen für die Gewährung von Eingliederungshilfe als Rechtsanspruch nach § 99 Abs. 1 SGB IX i.V.m. § 53 Abs. 1 SGB XII und den §§ 1 bis 3 der Eingliederungshilfe-VO, jeweils in der bis zum 31.12.2019 geltenden Fassung, weil er aufgrund der beidseitigen hochgradigen, an Taubheit grenzenden Innenohrschwerhörigkeit wesentlich behindert ist (vgl. § 1 Nr. 5 Eingliederungshilfe-VO).
Der Anspruch auf Übernahme von Kosten einer zusätzlichen Förderung der Gebärdensprache kann sich hier als Leistung zur Teilhabe an Bildung, konkret als Hilfe zu einer Schulbildung im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht, nach § 112 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 3 SGB IX (bzw. für die Zeit bis zum 31.12.2019 nach §§ 53, 54 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII i.V.m. § 12 Eingliederungshilfe-VO) oder als Leistung zur sozialen Teilhabe nach § 113 Abs. 1 und 2 Nr. 6 SGB IX i.V.m. § 82 Satz 1 SGB IX (bzw. für die Zeit bis 31.12.2019 nach §§ 53, 54 Abs. 1 SGB XII i.V.m. § 55 Abs. 2 Nr. 4 SGB IX a.F. und § 16 Nr. 2 Eingliederungshilfe-VO) ergeben. Die Anspruchsvoraussetzungen für eine Förderung liegen insoweit vor; dies ist zwischen den Beteiligten auch unstreitig. Nach Aktenlage steht aufgrund der medizinischen Befunde, insbesondere der Dr. phil. K., Bremen, vom 3.2.2017, des Facharztes für HNO-Heilkunde G., L., vom 16.3.2018 und der Dr. M. und Dipl. Pädagogin N. des O. P. Centrum "Q.", R., vom 13.9.2018 fest, dass der Antragsteller dringend auf einen Gebärdensprachkurs als zusätzliche Förderung - neben dem Angebot der Schule an der D. E. - angewiesen ist.
Der Senat stellt klarstellend fest, dass der Antragsteller - entgegen der Auffassung des Antragsgegners - bereits im ersten Eilverfahren glaubhaft gemacht hat, dass sein Bedarf an zusätzlicher Sprachförderung unabhängig von den gegenwärtigen Bedingungen während der Covid-19-Pandemie in hinreichender Weise nur durch einen Hausgebärdensprachkurs gedeckt werden kann. An dieser Beurteilung hält der Senat aufgrund der Stellungnahmen der den Antragsteller behandelnden Stellen, die die Durchführung eines Hausgebärdensprachkurses ausdrücklich empfohlen haben (vgl. die Berichte des Herrn G. vom 16.3.2018 sowie von Frau Dr. M. und Frau N. vom 13.9.2018), sowie der Klassenlehrerin des Antragstellers, Frau S., und des Schulleiters, Herrn T., vom 1. und 25.11.2019 fest (vgl. im Einzelnen den Senatsbeschluss vom 27.1.2020 - L 8 SO 199/19 B ER - S. 5, 6). Zu diesen fachlichen Empfehlungen kommen noch die glaubhaft gemachten Schwierigkeiten des Antragstellers in tatsächlicher Hinsicht hinzu, die Sprachschule in Bremen selbstständig zu erreichen (vgl. die Darlegungen in den Schriftsätzen seines Prozessbevollmächtigten vom 4. und 23.9.2020).
Die (Auswahl-)Entscheidung des Antragsgegners über die (konkrete) Lehrkraft, die Dozentin J., ist aber nach den besonderen Umständen des Einzelfalles nicht offensichtlich (ermessens-)fehlerhaft. Nach § 104 SGB IX bestimmen sich die Leistungen der Eingliederungshilfe nach der Besonderheit des Einzelfalles, insbesondere nach der Art des Bedarfes, den persönlichen Verhältnissen, dem Sozialraum und den eigenen Kräften und Mitteln; dabei ist auch die Wohnform zu würdigen (Abs. 1 Satz 1). Wünschen der Leistungsberechtigten, die sich auf die Gestaltung der Leistung richten, ist zu entsprechen, soweit sie angemessen sind (Abs. 2 Satz 1). Die Wünsche der Leistungsberechtigten gelten nicht als angemessen, wenn und soweit die Höhe der Kosten der gewünschten Leistung die Höhe der Kosten für eine vergleichbare Leistung von Leistungserbringern, mit denen eine Vereinbarung nach Kapitel 8 besteht, unverhältnismäßig übersteigt und wenn der Bedarf nach der Besonderheit des Einzelfalles durch die vergleichbare Leistung gedeckt werden kann (Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 und 2). Bei der Entscheidung nach § 104 Abs. 2 SGB IX ist zunächst die Zumutbarkeit einer von den Wünschen des Leistungsberechtigten abweichenden Leistung zu prüfen (Abs. 3 Satz 1). Dabei sind die persönlichen, familiären und örtlichen Umstände einschließlich der gewünschten Wohnform angemessen zu berücksichtigen (Abs. 3 Satz 2). Bei Unzumutbarkeit einer abweichenden Leistungsgestaltung ist ein Kostenvergleich nicht vorzunehmen (Abs. 3 Satz 5).
Nach diesen Vorgaben spricht nach dem gegenwärtigen Stand des Verfahrens Überwiegendes dafür, dass die hier in Betracht kommenden Dozentinnen, Frau F. und Frau J., in vergleichbarer Weise den Hausgebärdensprachkurs durchführen können, der Wunsch des Antragstellers, nach dem allein die Dozentin F. den Kurs übernehmen soll, aber wegen unverhältnismäßiger Mehrkosten nicht angemessen i.S. des § 104 Abs. 2 Satz 1 und 2 SGB IX ist. Die Leistungserbringung durch die Dozentin J. erscheint auch - jedenfalls einstweilen - zumutbar.
Nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage verfügen die Dozentinnen J. und F. jeweils über eine hinreichende Qualifikation für den Unterricht in Gebärdensprache und auch über praktische Erfahrungen mit Einzelkursen im häuslichen Bereich. Beide sind auf einer einschlägigen Dozentenliste für Hausgebärdensprachkurse aufgeführt https://www.kestner.de/n/elternhilfe/liste/gebaerdensprachkurs-liste1.htm; abgerufen am 9.11.2020). Nach der im ersten Eilverfahren vom Senat eingeholten Stellungnahme der Klassenlehrerin des Antragstellers, Frau S., und des Schulleiters, Herrn T., vom 25.11.2019 sollen die Lehrkräfte der Gebärdensprachschule, also auch die Dozentin J., in ihren Hausgebärdensprachkursen nach den gleichen Richtlinien arbeiten und "sicherlich" die gleichen Inhalte im Hausgebärdensprachkurs anbieten wie die Dozentin F ... Für letztere spreche jedoch, dass sie den Antragsteller aus ihrer früheren Tätigkeit an der Schule D. kenne und diese Beziehung ein günstiger Aspekt sei, um den Unterricht beginnen zu können. Die persönliche Beziehung des Antragstellers zu der Dozentin F. gebietet es aber nicht, bei der Entscheidung über die Wahl des Leistungserbringers etwaige Mehrkosten unberücksichtigt zu lassen. Insoweit hat der Antragsgegner glaubhaft gemacht, dass die Kosten für einen Hausgebärdensprachkurs durch die Dozentin F. wegen der Abrechnung nach den Bestimmungen des JVEG (in monatlicher Höhe von etwa 2.600,00 EUR) deutlich über diejenigen hinausgehen, die von der Dozentin J. in Rechnung gestellt werden würden (in Höhe von etwa 1.200,00 EUR je Monat). Dabei kommt es nicht entscheidend darauf an, dass beide Dozentinnen keine Vereinbarungen nach Kapitel 8 von Teil 2 des SGB IX abgeschlossen haben (vgl. § 104 Abs. 2 Satz 2 SGB IX; zum Wunsch- und Wahlrecht nach § 9 SGB XII betreffend vereinbarungsgebundene Leistungserbringer vgl. BSG, Urteil vom 5.7.2018 - B 8 SO 30/16 R - juris Rn. 20). Der Frage, ob Gesichtspunkte wie die Qualität der Leistung und die Wahrscheinlichkeit, das Teilhabeziel - das Erlernen der deutschen Gebärdensprache - zu erreichen, den Einsatz der im Vergleich über doppelt so hohen Kosten des Hausgebärdensprachkurses durch die Dozentin F. rechtfertigt, muss ggf. im Hauptsacheverfahren nachgegangen werden, also auch dem Einwand des Antragstellers, die Dozentin J. verfüge in formaler Hinsicht nicht über die gleiche Qualifikation wie Frau F. und sei wegen ihrer Ausrichtung auf Erwachsenenbildung nicht in gleicher Weise in der Lage, den Hausgebärdensprachkurs kindgerecht zu gestalten. Der Senat stellt insoweit eine zeitnahe Beweisaufnahme in Aussicht. Einstweilen ist es dem Antragsteller hingegen zuzumuten, den Sprachunterricht im häuslichen Bereich mit der Dozentin J. zu beginnen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.