Verwaltungsgericht Göttingen
Beschl. v. 02.02.2023, Az.: 3 B 246/22

Beamter auf Widerruf; Dienstvergehen; Kürzung der Dienstbezüge; Lehrer; Referendar; Sexuelles Fehlverhalten; Vorläufige Dienstenthebung; Vorläufige Dienstenthebung nach § 31 Abs. 3 NBG

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
02.02.2023
Aktenzeichen
3 B 246/22
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2023, 11608
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGGOETT:2023:0202.3B246.22.00

Amtlicher Leitsatz

Die Rechtmäßigkeit einer vorläufigen Dienstenthebung nach § 31 Abs. 3 Satz 2 NBG setzt die Rechtmäßigkeit der Einleitung des Entlassungsverfahrens nach Satz 1 der Vorschrift voraus.

[Gründe]

Der Antragsteller wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen seine vorläufige Dienstenthebung aus dem Beamtenverhältnis auf Widerruf.

Er wurde mit Wirkung vom 26.01.2022 in den Vorbereitungsdienst des Landes Niedersachsen für das Lehramt an Gymnasien mit den Ausbildungsfächern Latein und E. eingestellt und unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Widerruf zum Studienreferendar des Lehramtes an Gymnasien ernannt. Disziplinarisch ist er nicht vorbelastet.

Im November und Dezember 2022 hospitierte der zu dieser Zeit F.-jährige Antragsteller im Lateinunterricht im Prüfungsgrundkurs (Oberstufe) seiner Ausbildungsschule. In der Stunde am 28.11.2022 übernahm die Schülerin G.H. von der Lateinlehrerin freiwillig die Aufgabe einer Recherche zum Frauenbild in der Philosophie der Stoa. Beim Zusammenräumen der Sachen nach der Stunde wies der Antragsteller die Schülerin darauf hin, ebenso nach dem römischen "Vir" (dem römischen Mann) zu recherchieren. Im Unterricht am 08.12.2022 wurde die Recherche nicht thematisiert.

Nach dem Lateinunterricht am 08.12.2022 ereignete sich folgender Sachverhalt:

In der auf die Lateinstunde folgenden Pause war die Schülerin an einem Waffel- und Kuchenverkauf beteiligt. Der Antragsteller sprach sie in dessen Verlauf erneut persönlich an. Er fragte sie zunächst, ob sie recherchiert habe und von den Ergebnissen schockiert sei. Zu Beginn dieses Gesprächs war die Freundin der Schülerin, I.J., noch zugegen, da sie ebenfalls Waffeln und Kuchen verkauft sowie das Unterrichtsfach Latein als Prüfungsfach gewählt hatte. Später wandte sich die Freundin der Schülerin ab und nahm das Gespräch nur noch aus dem Hintergrund wahr. Der Antragsteller äußerte sich gegenüber der Schülerin Frau H. zu Kriterien, die ein damaliger römischer Mann habe erfüllen müssen. Er ging dabei auch auf Sexualpraktiken ein, die ungern gesehen worden seien und als unmännlich gegolten haben sollen. Im Einzelnen sagte der Antragsteller:

"Der Penis ist zunächst die Voraussetzung dafür gewesen, dass man als römischer"Vir"gelten konnte."

"Es ist damals ungern gesehen worden, wenn Männer Oralsex gehabt hätten, da dies als unmännlich betrachtet wurde."

"Ein römischer"Vir"sollte sich per Definition keinen blasen lassen, da er dann ja nicht penetriert."

"Es war gut, wenn Männer im hohen Alter sexuelle Unlust entwickelten, da sie dann vernünftiger wurden."

"Das sage ich jetzt mal ganz salopp, Frauen konnten aus damaliger Sicht eine solche Vernunft nicht erlangen, da sie als sexlüstern galten."

Am Ende des Schultages fragte der Antragsteller die Schülerin beim Verlassen des Schulgebäudes, ob sie bereits volljährig sei.

In einem Personalgespräch am 14.12.2022 bestätigte der Antragsteller den Vorfall und bedauerte ihn. Er wies darauf hin, dass er sich im Rahmen seines Studiums mit dem Thema auseinandergesetzt und deshalb in unüberlegter Weise geäußert habe. In dem Gespräch wurde ihm gegen Empfangsbekenntnis der auf denselben Tag datierte Bescheid zugestellt, mit dem der Antragsgegner gegen ihn ein Entlassungsverfahren einleitete und ihn unter Anordnung der sofortigen Vollziehung vorläufig des Dienstes enthob. Zur Begründung führte der Antragsgegner aus, der Antragsteller habe schwerwiegend gegen seine Dienstpflichten verstoßen, insbesondere die Pflichten des § 34 BeamtStG und die Erfüllung des Bildungs- und Erziehungsauftrags, zu dem auch die Ausfüllung einer Vorbildfunktion gehöre. Die Kommunikation mit der Schülerin sei in keiner Weise geeignet gewesen, sich mit der Schülerin über die Rechercheaufgabe auszutauschen oder sie zu unterstützen. Er habe für die Schülerin vielmehr unerwartet eine sehr unangenehme Gesprächssituation geschaffen, sie bloßgestellt und herabgewürdigt. Bemerkungen, die geeignet seien, als sexuelle Belästigung angesehen zu werden, stünden Lehrkräften nicht zu. Die Grenzüberschreitung sei nicht mit der pädagogischen Verantwortung und der Vorbildfunktion des Antragstellers zu vereinbaren. Schule solle die geistigen, seelischen und körperlichen Fähigkeiten der heranwachsenden, ihnen anvertrauten, jungen Menschen fördern und bei ihrer Persönlichkeitsentwicklung unterstützen. Damit der Erziehungsauftrag mit der notwendigen Überzeugung und Glaubwürdigkeit erfüllt werden könne, sei von Lehrkräften im Rahmen ihrer Vorbildfunktion eine besondere Zuverlässigkeit und Vertrauenswürdigkeit zu verlangen. Auch von Lehrkräften im Vorbereitungsdienst werde erwartet, sich verbal uneingeschränkt korrekt zu verhalten. Damit sei es nicht vereinbar, sich im Umgang mit Schülerinnen und Schülern einer Sprache zu bedienen, die Spielraum für Zweideutigkeiten, sexistische Anspielungen oder ehrverletzende Äußerungen biete. Durch ein solches Verhalten offenbare eine Lehrkraft gravierende Persönlichkeitsmängel und zerstöre regelmäßig nicht nur das Vertrauen des Dienstherrn, sondern auch der Schülerinnen und Schüler sowie ihrer Eltern unwiederbringlich. Bereits um den Schulfrieden potentiell beeinträchtigende Sorgen der Eltern zu vermeiden, sei jedes Verhalten zu unterlassen, das den berechtigten Verdacht von Grenzüberschreitungen begründe. Sollten sich die Vorwürfe als wahr herausstellen, werde der Antragsteller aus dem Beamtenverhältnis auf Widerruf entlassen. Ohne die vorläufige Dienstenthebung wäre der Dienstbetrieb gefährdet, weil sich ähnliche Kommunikation wiederholen könne. Darin bestehe auch das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung. Das Verhalten des Antragstellers begründe so starke Zweifel an seiner dienstlichen Zuverlässigkeit, dass eine Weiterbeschäftigung im Interesse und zum Schutz der Schülerinnen und Schüler sowie im Interesse der Allgemeinheit nicht zumutbar sei.

Gegen die vorläufige Dienstenthebung hat der Antragsteller am 19.12.2022 Klage erhoben (3 A 245/22) und um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht.

Zur Begründung trägt er vor, die vorläufige Dienstenthebung sei rechtswidrig, weil sein Verbleiben den Dienstbetrieb nicht gefährde - eine Wiederholung des Vorfalls drohe nicht - und seine Entlassung nicht erfolgen dürfe. Eine Entlassung wäre unverhältnismäßig, weil ihm kein sexuelles Fehlverhalten, sondern nur ein Verstoß gegen das allgemeine Schamgefühl vorzuwerfen sei. Er bedauere den Vorfall sehr. Er habe eine hohe Motivation in der Ausübung der Lehrerrolle und wolle auf die Interessen von Schülerinnen und Schüler eingehen, sei aber als "Fachidiot" aufgetreten. Das Frauen- und Männerbild der römischen Antike sei komplex und aus heutiger Sicht absurd. Er habe in diesem Bereich der römischen Kultur durch seine Abschlussarbeiten eine erweiterte Expertise (Bachelorarbeit: "K."; Masterarbeit: "L."). Er verstehe seinen Bildungsauftrag für das Fach Latein auch dahingehend, das Frauen- und Männerbild der Antike kritisch zu reflektieren. Eine solche kritische Reflexion habe er auch im Gespräch mit der Schülerin angestrebt. Er habe es bedauert, dass sie ihre Rechercheergebnisse in der Stunde am 08.12.2022 nicht habe präsentieren können. In der Situation habe er die Schülerin als an Informationen interessiert wahrgenommen und hätte erwartet, dass sie anderenfalls einen Abbruch des Gesprächs erwirkt hätte. Das Gespräch in der Pause habe er im direkten Anschluss daran selbst als unangemessen und auch für sich unangenehm empfunden, da er zu selbstverständlich und sprachlich unangemessen ein hochsensibles Thema besprochen habe, für das es mehr Zeit sowie einen inhaltlichen und geschützten schulischen Rahmen gebraucht hätte. Ihm sei bewusst, dass er die Schülerin verbal peinlich berührt und eine Schamgrenze verletzt habe. Weil ihm selbst bewusst gewesen sei, dass das Gespräch unangemessen gewesen sei, habe er die Schülerin auf ihrem Weg zum Auto nochmals angesprochen und gesagt, er hoffe, dass es nicht zu viel gewesen sei. Als sie geantwortet habe, dass "alles gut" sei, habe er erleichtert nach ihrer Volljährigkeit gefragt. Das sei ein Blackout gewesen. Er habe in der Zeit unter hohem Stress gestanden. Seine Idee, die Themen seiner Abschlussarbeiten im Unterricht zu behandeln, habe er schon vor langer Zeit aufgegeben, weil er wisse, dass sich dies nachteilig auf Betroffene von Vergewaltigung auswirken könne.

Der Antragsteller beantragt sinngemäß,

die aufschiebende Wirkung seiner Klage (3 A 245/22) anzuordnen.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Er hält den Antragsteller für persönlich ungeeignet. Er habe den Rechercheauftrag bewusst in eine von ihm präferierte Richtung gelenkt, die die Schülerin gar nicht interessiert habe. Soweit er sich als "Fachidiot" bezeichne oder die Schülerin als am Thema des römischen Mannes interessiert bezeichne, handele es sich um Schutzbehauptungen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und die Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners Bezug genommen.

II.

Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes hat Erfolg. Er ist zulässig und begründet.

Der wörtlich auf eine Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung gerichtete Eilantrag ist als ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO auszulegen und statthaft. Die vom Antragsgegner ausgesprochene vorläufige Dienstenthebung wurde mit der Zustellung wirksam und vollziehbar (§ 31 Abs. 3 Satz 4 NBG i.V.m. § 39 Abs. 1 Satz 1 NDiszG). Der Klage kommt damit kraft Gesetzes keine aufschiebende Wirkung zu (vgl. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO; Kümmel, Beamtenrecht, Stand: 12/2022, § 31 NBG Rn. 28; Gansen, Disziplinarrecht in Bund und Ländern, Stand: 11/2022, § 39 BDG Rn. 1, 24; VG Hannover, Beschluss vom 09.11.2022 - 2 B 4299/22 - V.n.b.). Die vom Antragsgegner ausgesprochene Anordnung der sofortigen Vollziehung geht ins Leere.

Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht in den Fällen des Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 die aufschiebende Wirkung der Klage anordnen. Die gerichtliche Entscheidung ergeht dabei auf der Grundlage einer umfassenden Interessenabwägung. Der Eilantrag hat Erfolg, wenn das Interesse des Antragstellers, von der Vollziehung einer Maßnahme vorläufig verschont zu bleiben, das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung überwiegt. Dies ist in der Regel der Fall, wenn sich der angefochtene Verwaltungsakt bei der im Eilverfahren allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung als (offensichtlich) rechtswidrig darstellt, denn an der Vollziehung eines rechtswidrigen Verwaltungsakts kann kein öffentliches Interesse bestehen. Ist der Verwaltungsakt bei summarischer Prüfung hingegen (offensichtlich) rechtmäßig, so überwiegt das Vollziehungsinteresse das Aussetzungsinteresse des Antragstellers nur dann, wenn zusätzlich ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts gegeben ist.

Ausgehend hiervon überwiegt das Aussetzungsinteresse des Antragstellers. Denn die vorläufige Dienstenthebung erweist sich nach der im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage als voraussichtlich rechtswidrig.

1. Sie lässt sich aller Voraussicht nach nicht auf die vom Antragsgegner herangezogene Rechtsgrundlage des § 31 Abs. 3 Satz 2 NBG stützen.

a) Nach § 31 Abs. 3 NBG ist vor der Entlassung einer Beamtin oder eines Beamten auf Widerruf wegen einer Handlung, die im Beamtenverhältnis auf Lebenszeit mindestens eine Kürzung der Dienstbezüge zur Folge hätte, der Sachverhalt in entsprechender Anwendung der §§ 21 bis 30 NDiszG aufzuklären (Satz 1). Die für die Entlassung einer Beamtin oder eines Beamten auf Widerruf zuständige Stelle kann die Beamtin oder den Beamten mit oder nach der Einleitung des Entlassungsverfahrens vorläufig des Dienstes entheben, wenn voraussichtlich eine Entlassung erfolgen wird oder durch ein Verbleiben im Dienst der Dienstbetrieb oder die Aufklärung des Sachverhalts wesentlich beeinträchtigt würde und die vorläufige Dienstenthebung zu der Bedeutung der Sache nicht außer Verhältnis steht (Satz 2).

§ 31 Abs. 3 Satz 2 NBG steht in einem Sinnzusammenhang mit Satz 1 der Vorschrift. Satz 2 knüpft nicht nur in zeitlicher Hinsicht an die Einleitung des Entlassungsverfahrens an ("mit oder nach"). Vielmehr setzt die Rechtmäßigkeit der vorläufigen Dienstenthebung nach § 31 Abs. 3 Satz 2 NBG die Rechtmäßigkeit der Einleitung des Entlassungsverfahrens nach § 31 Abs. 3 Satz 1 NBG voraus. Denn die Vorschrift ordnet für Entlassungen wegen mittelschwerer Dienstvergehen nicht nur eine Sachverhaltsermittlung nach disziplinarrechtlichen Maßstäben an, sondern schafft in diesen Fällen zugleich eine eigenständige Rechtsgrundlage für eine sofortige Suspendierung.

Für die Einleitung eines Entlassungsverfahrens wegen einer Handlung, die im Beamtenverhältnis auf Lebenszeit mindestens eine Kürzung der Dienstbezüge zur Folge hätte, bedarf es zureichender tatsächlicher Anhaltspunkte, die den Verdacht eines Dienstvergehens rechtfertigen (wie § 18 Abs. 1 Satz 1 NDiszG; vgl. Gansen, a.a.O., § 38 BDG Rn. 21), das so gewichtig ist, dass es im Beamtenverhältnis auf Lebenszeit voraussichtlich mindestens die Gehaltskürzung als mittlere Disziplinarmaßnahme (vgl. § 6 Abs. 1 Satz 1 NDiszG) nach sich ziehen würde. Dabei bleiben Disziplinarmaßnahmeverbote nach §§ 16 und 17 NDiszG außer Betracht. Ob tatsächlich ein Dienstvergehen vorliegt, das mit Sicherheit zu einer Gehaltskürzung führen würde, kann erst nach Abschluss der disziplinarischen Ermittlungen im Zusammenhang mit der Frage des Ergehens einer Entlassungsverfügung (hypothetisch) festgestellt werden (dazu: BVerwG, Urteil vom 22.06.1982 - 2 C 44.80 -, BVerwGE 66, 19 = juris Rn. 19 ff., Urteil vom 09.06.1981 - 2 C 24.79 -, BVerwGE 62, 280 = juris Rn. 24 ff.; Weichbrodt, in: BeckOK Beamtenrecht Niedersachsen, Stand: 01.11.2022, § 31 NBG Rn. 26; Kümmel, a.a.O., § 31 Rn. 24 f.).

b) Die Voraussetzungen des § 31 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. Satz 1 NBG liegen nach summarischer Prüfung nicht vor.

aa) Die im Tatbestand wiedergegebenen, unstreitig gefallenen Äußerungen des Antragstellers gegenüber der Oberstufenschülerin in der Pause am 08.12.2022 stellen voraussichtlich zwar ein Dienstvergehen dar. Dieses hätte im Beamtenverhältnis auf Lebenszeit jedoch nicht mindestens eine Kürzung der Dienstbezüge zur Folge.

aaa) Die feststehenden Äußerungen des Antragstellers gegenüber der Oberstufenschülerin in der Pause am 08.12.2022 sind als Dienstpflichtverletzung zu werten.

Ein Lehrer ist nach dem umfassenden Bildungsauftrag der Schule (§ 2 NSchG) nicht nur zur Vermittlung von Wissen, sondern auch unter Beachtung der Elternrechte zur Erziehung der seiner Obhut unterstehenden Kinder verpflichtet. Ein Lehrer soll die zu Unterrichtenden mit dem geltenden Wertesystem und den gesellschaftlichen Moralvorstellungen bekannt machen sowie sie zu deren Einhaltung anhalten. Damit der so beschriebene Erziehungsauftrag glaubwürdig und überzeugend erfüllt werden kann, müssen Lehrer namentlich auf sittlichem Gebiet besonders zuverlässig und vertrauenswürdig sein (vgl. BVerwG, Beschluss vom 01.03.2012 - 2 B 140.11 -, juris Rn. 9; OVG NRW, Urteil vom 02.12.2019 - 3d A 486/19.O -, juris Rn. 57). Schüler, Eltern und Öffentlichkeit müssen darauf vertrauen können, dass ein Lehrer seine Schüler nicht in verfängliche Situationen bringt, die es als fraglich erscheinen lassen, dass er die psychische und physische Integrität, die Intimsphäre sowie die sexuelle Selbstbestimmung der Schüler in der gebotenen Weise respektiert. Bereits um den Schulfrieden potentiell beeinträchtigende Sorgen der Schüler und Eltern zu vermeiden, ist daher jedes Verhalten zu unterlassen, das den Verdacht entsprechender Grenzüberschreitungen begründet (vgl. OVG NRW, Urteil vom 13.09.2017 - 3d A 2107/14.O -, juris Rn. 134 m.w.N.). Die Wahrung der Integrität der Schüler, die Pflicht zur Gewährleistung ihrer behutsamen Entwicklung sowie Anspruch und Vertrauen der Schüler und Eltern darauf, dass Lehrer das Obhuts- und Näheverhältnis zu den Schülern nicht zur Verfolgung eigener Bedürfnisse ausnutzen, verpflichten den Lehrer dazu, sich in sexueller Hinsicht uneingeschränkt korrekt - in Wort und Tat - zu verhalten. Körperliche Distanz hat daher das Verhältnis zwischen Lehrern und Schülern auch dann zu prägen, wenn der Schüler mit deren Aufgabe vordergründig einverstanden ist. Diese Verpflichtung gilt auch gegenüber volljährigen Schülern. Selbst bei volljährigen Schülern besteht gegenüber Lehrern allein schon aufgrund deren Status und des Altersunterschieds ein Ungleichverhältnis. Hinzu kommt regelmäßig ein Vertrauensverhältnis (Bay. VGH, Urteil vom 13.06.2012 - 16a D 10.1098 -, juris Rn. 41f. m.w.N.).

Diesen Dienstpflichten ist der Antragsteller nicht gerecht geworden. Nach den derzeit vorliegenden Erkenntnissen hat er die volljährige Oberstufenschülerin überraschend in einer unangemessenen Gesprächssituation mit Details zur Sexualmoral betreffend Männer im alten Rom behelligt. Diese Kenntnisse gehören angesichts seiner Abschlussarbeiten offenbar zu seinem besonderen Interessengebiet. Die Schülerin hatte daran jedoch kein Interesse, sondern im Unterricht einen freiwilligen Rechercheauftrag zum Frauenbild in der Philosophie der Stoa übernommen. Diesen freiwilligen Auftrag hatte sie nicht von dem Antragsteller erhalten, der in der Unterrichtsstunde lediglich hospitierte, sondern von der Lateinlehrerin. Der Antragsteller hatte als Hospitant versucht, diese Recherche nach Ende des Unterrichts auf sein eigenes Interessengebiet auszudehnen. Er konnte nicht erwarten, dass die Schülerin diese Anregung aufgreift. Ebenso wenig durfte er erwarten, dass sie sich im Rahmen einer Recherche zum römischen Mann gerade mit Fragen der Sexualmoral auseinandersetzen würde. Dass er die Schülerin am Rande des Kuchenverkaufs in der Pause mit Details zu diesem Thema überhäufte, ging an seinen Aufgaben als Referendar vorbei und offenbart einen für eine Lehrkraft im Dienst völlig unsensiblen Umgang mit dem Thema Sexualität. Die Äußerungen des Antragstellers waren dazu geeignet, die Schülerin ungewollt, überraschend und in einer unangemessenen Situation in ein den Unterricht nicht weiterführendes Gespräch über ein sensibles Thema zu verwickeln. Der Antragsteller stellte seine persönlichen Interessen zu Unrecht über die der Schülerin und zeigte nicht die von ihm geforderte besondere Vertrauenswürdigkeit im Umgang mit dem Thema Sexualität. Seine Erwartungshaltung, dass die Schülerin das Gespräch aus eigenem Entschluss abbrechen könnte, verkennt die Rollenverteilung in der Schule.

bbb) Der Antragsteller handelte auch schuldhaft.

ccc) Es ist bei summarischer Prüfung nicht hinreichend wahrscheinlich, dass dieses Dienstvergehen im Beamtenverhältnis auf Lebenszeit eine Kürzung der Dienstbezüge zur Folge hätte.

Die Entscheidung über eine Disziplinarmaßnahme ergeht nach pflichtgemäßem Ermessen. Die Disziplinarmaßnahme ist nach der Schwere des Dienstvergehens zu bemessen. Das Persönlichkeitsbild einschließlich des bisherigen dienstlichen Verhaltens ist angemessen zu berücksichtigen. Ferner soll berücksichtigt werden, in welchem Umfang die Beamtin oder der Beamte das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit beeinträchtigt hat (§ 14 Abs. 1 NDiszG). Die Kürzung der Dienstbezüge ist die "mittlere" der Disziplinarmaßnahmen, die vorbehaltlich der Umstände des Einzelfalls im Grundsatz bei Dienstvergehen mittleren Gewichts ausgesprochen wird (Gansen, a.a.O., § 8 BDG Rn. 1).

Dieses Gewicht erreicht die Verfehlung des Antragstellers bei summarischer Prüfung der zum Zeitpunkt der Verwaltungsentscheidung (und heute) bekannten Umstände nicht. Dem disziplinarisch nicht vorbelasteten Antragsteller ist ein einmaliges innerdienstliches verbales Fehlverhalten vorzuwerfen. Sein Umgang mit dem Thema Sexualität am 08.12.2022 war unsensibel, unreif und unangemessen. Es ist geeignet, das Vertrauen der Schüler, Eltern und des Dienstherrn in seine Vertrauenswürdigkeit zu beeinträchtigen. Es beseitigt dieses Vertrauen und die Eignung als Vorbildfunktion jedoch nicht vollständig. Für eine unlautere Motivation des Antragstellers - etwa dergestalt, dass er die Schülerin sexuell belästigen wollte, um zu sehen, wie sie reagiert, sie zu erniedrigen, bloßzustellen oder weil er sexuell an ihr interessiert war - bestanden weder zum Zeitpunkt der vorläufigen Dienstenthebung hinreichende Anhaltspunkte noch bestehen sie heute. Insbesondere ergibt sich aus der späteren Frage nach der Volljährigkeit der Schülerin nicht zwangsläufig eine solche Motivation. Die Einlassung des Antragstellers, er habe sich wie ein Fachidiot verhalten, lässt sich derzeit voraussichtlich nicht widerlegen. Er sah offenbar eine Gelegenheit, sein Spezialwissen darzustellen und zu teilen. All seine Äußerungen standen im Zusammenhang mit seiner Idee der Erweiterung des Rechercheauftrags. Nach derzeitiger Einschätzung liegt das vom Antragsteller begangene Dienstvergehen hinsichtlich des Gewichts der Verfehlung im unteren Bereich denkbarer Formen der Überschreitung der gebotenen Distanz. Es wird aller Voraussicht nach keine härtere Maßnahme als einen Verweis oder eine Geldbuße nach sich ziehen.

bb) Weitere Tatbestandsvoraussetzung des § 31 Abs. 3 Satz 2 NBG ist, dass voraussichtlich eine Entlassung erfolgen wird oder durch ein Verbleiben im Dienst der Dienstbetrieb oder die Aufklärung des Sachverhalts wesentlich beeinträchtigt würde und die vorläufige Dienstenthebung zu der Bedeutung der Sache nicht außer Verhältnis steht.

Die Sachverhaltsaufklärung würde durch ein Verbleiben des Antragstellers im Dienst nicht wesentlich beeinträchtigt, da die Schülerin bereits eine schriftliche Stellungnahme abgegeben und der Antragsteller den Vorfall am 08.12.2022 eingeräumt hat.

Nach summarischer Prüfung würde auch der Dienstbetrieb durch ein Verbleiben des Antragstellers im Dienst nicht wesentlich beeinträchtigt. Der Antragsgegner geht in seinem Bescheid von der Möglichkeit einer Wiederholung derartiger Kommunikationsvorgänge aus, obwohl der Antragsteller vor Aushändigung des Bescheids mündlich mitgeteilt hatte, dass er seinen Fehler einsehe und bedaure (vgl. Vermerk Bl. 4 Teilakte Entlassung). Damit setzt sich der angefochtene Bescheid nicht auseinander. Die Kammer hält es für bedenkenswert, dass der Antragsteller sein Fehlverhalten vor Erlass des Bescheids erkannt hatte und angesichts der von ihm geschilderten damaligen Unüberlegtheit nicht erneut versuchen wird, eine Schülerin in distanzlose Gespräche über sexuelle Themen zu verwickeln. Weitergehende Anhaltspunkte für eine wesentliche Beeinträchtigung des Dienstbetriebs sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

Ob voraussichtlich eine Entlassung droht, lässt die Kammer angesichts des unter aa) gefundenen Ergebnisses dahinstehen. Gleiches gilt für die die Verhältnismäßigkeit und fehlerfreie Ermessensausübung. Anzumerken ist allerdings, dass für eine Entlassung nach § 23 Abs. 4 BeamtStG aufgrund des Vorfalls am 08.12.2022 begründete Zweifel an der charakterlichen Eignung des Antragstellers bestehen müssten - insbesondere gemessen an den Anforderungen des angestrebten Berufes insgesamt (dazu: Nds. OVG, Beschluss vom 26.10.2020 - 5 ME 141/20 -, juris Rn. 26, 47 m.w.N.).

2. Die vorläufige Dienstenthebung kann auch nicht auf anderer Rechtsgrundlage aufrecht erhalten bleiben oder in eine rechtmäßige Verfügung umgedeutet werden. Der Antragsgegner hat sich ausdrücklich auf § 31 Abs. 3 NBG gestützt und die Voraussetzungen anderer Rechtsgrundlagen liegen nicht vor.

a) Das Verbot der Führung der Dienstgeschäfte nach § 39 Satz 1 BeamtStG ist terminologisch etwas anderes als eine vorläufige Dienstenthebung und vom Antragsgegner nicht angeordnet. Es kann anders als vom Antragsgegner beabsichtigt keine Einbehaltung der Dienstbezüge nach sich ziehen und bedarf zur sofortigen Vollziehbarkeit einer Anordnung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO. Der Zweck des Verbots der Führung der Dienstgeschäfte nach § 39 Satz 1 BeamtStG besteht in erster Linie in der Abwehr von Gefahren für den Dienstbetrieb (Nds. OVG, Beschluss vom 20.04.2010 - 5 ME 282/09 -, juris Rn. 17; zum Verhältnis § 38 NDiszG zu § 39 BeamtStG: Nds. OVG, Beschluss vom 20.04.2010 - 5 ME 282/09 -, juris Rn. 22).

Nach § 39 Satz 1 BeamtStG kann einem Beamten aus zwingenden dienstlichen Gründen die Führung der Dienstgeschäfte verboten werden. Zwingende dienstliche Gründe sind gegeben, wenn bei weiterer Ausübung des Dienstes durch den Beamten auf seinem bisherigen Dienstposten der Dienstbetrieb erheblich beeinträchtigt würde oder andere gewichtige dienstliche Nachteile ernsthaft zu besorgen wären. Die zu befürchtenden Nachteile müssen so gewichtig sein, dass dem Dienstherrn die Führung der Dienstgeschäfte durch den Beamten bis zur abschließenden Klärung und Entscheidung nicht zugemutet werden kann. Das Verbot der Führung der Dienstgeschäfte gemäß § 39 Satz 1 BeamtStG dient der dienstrechtlichen Gefahrenabwehr; die Maßnahme trägt nur vorläufigen Charakter. Mit ihr sollen durch eine sofortige oder wenigstens eine sehr rasche Entscheidung des Dienstherrn gravierende Nachteile durch die aktuelle Dienstausübung des Beamten für den Dienstherrn vermieden werden. Maßgebend ist die Prognose, dass die Aufgabenerfüllung der Verwaltung durch die vorerst weitere Amtsführung des Beamten objektiv gefährdet ist. Demnach ist nicht erforderlich, dass bereits Klarheit über den Grund für die Beeinträchtigung der dienstlichen Belange oder die weitere Verwendung und Behandlung des Beamten besteht; vielmehr eröffnet das Amtsführungsverbot dem Dienstherrn die Möglichkeit, ohne Gefährdung der dienstlichen Interessen Ermittlungen anzustellen und eine solidere Grundlage für weitere dauerhafte Entscheidungen zu gewinnen. Entsprechend dem Zweck des Verbots genügt insoweit der auf hinreichenden Anhaltspunkten beruhende Verdacht einer Gefahrenlage. Die endgültige Aufklärung ist den in § 39 Satz 2 BeamtStG aufgeführten weiteren Verfahren vorbehalten. Daraus folgt, dass für das Verbot der Führung der Dienstgeschäfte weder eine erschöpfende Aufklärung bzw. ein "Beweis" noch erforderlich ist, dass Beeinträchtigungen des Dienstbetriebs bereits eingetreten sind oder das Verhalten des Beamten sich letztlich als strafrechtlich relevant erweist (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 17.06.2013 - 6 A 2586/12 -, juris Rn. 11 ff.). Das Verbot der Führung der Dienstgeschäfte kann sich auch gegen einen Beamten auf Widerruf richten und sich auf die Teilnahme an der Ausbildung beziehen. Da § 39 BeamtStG grundsätzlich alle Beamtinnen und Beamten betrifft, ist der Begriff der Dienstgeschäfte weit auszulegen (vgl. VG Wiesbaden, Beschluss vom 01.02.2019 - 3 L 1141/18.WI -, juris Rn. 33).

Eine erhebliche Beeinträchtigung des Dienstbetriebs liegt bei summarischer Prüfung nicht vor (vgl. unter 1.b)bb)). Für eine ernsthafte Besorgnis anderer gewichtiger dienstlicher Nachteile ist vom Antragsgegner nichts vorgetragen noch sonst für die Kammer ersichtlich.

b) Auf § 38 Abs. 1 NDiszG lässt sich die vorläufige Dienstenthebung schon mangels Einleitung eines Disziplinarverfahrens nicht stützen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2 in Verbindung mit § 52 Abs. 2 GKG. Eine Reduzierung des Auffangstreitwerts gemäß der Empfehlung in Ziffer 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (NVwZ-Beilage 2/2013, S. 57) erfolgt nicht, da die Hauptsache vorweggenommen wird (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 05.11.2019 - 5 ME 100/19 - V.n.b.; Beschluss der Kammer vom 28.05.2020 - 3 B 92/20 -, n.v.).