Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 06.02.2023, Az.: 3 A 81/22

Anerkannten-Folgeantrag; Anhörung; Drittstaatenbescheid; Erlöschen; Malta; Schutzberechtigter; Umdeutung; Wiederaufgreifen; Folgeantrag eines auf Malta ehemals anerkannt Schutzberechtigten

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
06.02.2023
Aktenzeichen
3 A 81/22
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2023, 10948
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGGOETT:2023:0206.3A81.22.00

Amtlicher Leitsatz

In den Fällen der bestandskräftigen Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG liegt eine unanfechtbare Ablehnung des früheren Asylantrags i.S.d. § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG vor und es ist keine teleologische Reduktion der Vorschrift vorzunehmen. Zum Vorliegen eines Wiederaufgreifensgrundes nach Verlust des Schutzstatus auf Malta (hier bejaht).

[Tatbestand]

Der Kläger wendet sich gegen die Ablehnung seines weiteren Asylantrags als unzulässig.

Der 38-Kläger ist sudanesischer Staatsangehöriger. Er stellte am 29.04.2011 auf Malta einen Asylantrag. Am 24.12.2011 erkannte der maltesische Staat ihm den subsidiären Schutzstatus zu. Der Kläger besaß dort einen Ausweis und eine Aufenthaltserlaubnis, die jeweils bis zum 23.08.2020 gültig waren.

Nach eigenen Angaben verließ der Kläger Malta am 29.03.2018 und reiste über Italien und Frankreich auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein. Hier stellte er erstmals am 10.04.2018 einen Asylantrag. Diesen Asylantrag lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) durch Bescheid vom 15.05.2018 wegen der Schutzgewährung auf Malta als unzulässig ab (§ 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG). Es stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG bezogen auf Malta nicht vorliegen (Ziffer 2), forderte den Kläger auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen, wobei es für den Fall der Nichtbefolgung die Abschiebung nach Malta androhte (Ziffer 3 Satz 1-3). Es wurde festgestellt, dass der Kläger nicht in den Sudan abgeschoben werden dürfe (Ziffer 3 Satz 4). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot befristete das Bundesamt auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung. Die gegen diesen Bescheid erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht Osnabrück mit Urteil vom 08.10.2019 (5 A 547/18, rechtskräftig seit dem 19.11.2019) ab. In den Entscheidungsgründen wurde ausgeführt, dass dem Kläger auf Malta als anerkannt Schutzberechtigtem keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung drohe.

Der zuständigen Ausländerbehörde teilten die maltesischen Behörden am 18.11.2021 auf ein Rücknahmeersuchen mit, dass der maltesische Staat den Kläger nicht wiederaufnehmen werde, da sein subsidiärer Schutzstatus seit dem 23.08.2020 abgelaufen sei und nicht wieder erneuert wurde. Hierüber informierte die Ausländerbehörde das Bundesamt.

In Absprache mit der Ausländerbehörde stellte der Kläger am 19.01.2022 erneut einen Asylantrag. In seiner schriftlichen Begründung gab er keine neuen Gründe an. Diesen Asylantrag stufte das Bundesamt als Folgeantrag ein und lehnte ihn durch Bescheid vom 08.02.2022, zugestellt am 15.02.2022, als unzulässig ab (Ziffer 1). Ferner lehnte es den Antrag auf Abänderung des Bescheids vom 15.05.2018 bezüglich der Feststellung zu § 60 Abs. 5 und 7 des AufenthG ab (Ziffer 2). Zur Begründung führte es aus, die Unzulässigkeitsentscheidung stütze sich auf § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG. Die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens lägen nicht vor. Es gebe keinen Grund, das Asylverfahren wiederaufzugreifen. Insbesondere habe sich die Sach- und Rechtslage nicht geändert. Wegen des auf Malta gewährten Schutzes könne der Kläger keine weitere Schutzgewährung verlangen. Auch sein erneuter Asylantrag wäre wieder nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG als unzulässig abzuweisen. Für eine Abänderung der bisherigen Entscheidung zu § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG im Wege einer Ermessensentscheidung über das Wiederaufgreifen liege kein Grund vor. Einer erneuten Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung bedürfe es nicht, weil die frühere weiterhin gültig und vollziehbar sei.

Dagegen hat der Kläger am 21.02.2022 Klage erhoben. Zur Begründung trägt er vor, die Unzulässigkeitsentscheidung sei rechtswidrig. Die Sachlage habe sich durch das Erlöschen des Schutzstatus auf Malta geändert. Es bestehe zumindest die Möglichkeit, dass die Voraussetzungen für den erneuten Erlass eines Drittstaatenbescheids (§ 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG) nicht mehr vorlägen. Zweifel bestünden am Vorliegen der geschriebenen Voraussetzungen der Vorschrift, der Vereinbarkeit ihrer Anwendung in Fällen wie dem vorliegenden mit Art. 33 Abs. 2 der Asylverfahrensrichtlinie (Richtlinie 2013/32/EU) sowie am Ausschluss einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung. Er sei nach Deutschland weitergereist, weil er auf Malta seine Arbeit und nach dem Wegzug seines Onkels auch seine Wohnung verloren habe und zwei Jahre obdachlos gewesen sei. Eine Umdeutung der Unzulässigkeitsentscheidung sei vorliegend unzulässig.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 08.02.2022 aufzuheben,

hilfsweise, die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des Bescheids vom 08.02.2022 zu verpflichten, in Abänderung des Bescheids vom 15.05.2018 Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG bezogen auf Malta festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung bezieht sie sich auf ihren Bescheid.

Die Beteiligten haben mit Schriftsätzen vom 20.01. und 06.02.2023 auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie den Inhalt der Akten der Beklagten und der Ausländerakten des Landkreises B-Stadt Bezug genommen. Diese Unterlagen sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage, über die die Einzelrichterin im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 101 Abs. 2 VwGO) entscheidet, hat Erfolg. Der Bescheid der Beklagten vom 08.02.2022 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Einzelrichterin legt gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 AsylG die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung zugrunde.

I. Die Unzulässigkeitsentscheidung in Ziffer 1 des Bescheids ist rechtswidrig.

1. Die Unzulässigkeitsentscheidung erfüllt die geschriebenen Voraussetzungen der herangezogenen Ermächtigungsgrundlage des § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG. Danach ist ein Asylantrag unzulässig, wenn im Falle eines Folgeantrags nach § 71 AsylG ein weiteres Asylverfahren nicht durchzuführen ist. Stellt ein Ausländer einen Folgeantrag, so ist ein weiteres Asylverfahren gem. § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG nur durchzuführen, wenn die Voraussetzungen "des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG" vorliegen.

Gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 VwVfG liegen Wiederaufgreifensgründe nur dann vor, wenn sich die dem Verwaltungsakt zugrundeliegende Sach- oder Rechtslage nachträglich - nach Abschluss des früheren Asylverfahrens - zugunsten des Betroffenen geändert hat (Nr. 1), neue Beweismittel vorliegen, die eine für den Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden (Nr. 2), oder Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 der Zivilprozessordnung gegeben sind (Nr. 3).

Ein Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 VwVfG erfordert einen schlüssigen Sachvortrag, der nicht von vornherein nach jeder vertretbaren Betrachtung ungeeignet sein darf, zu einer Asylberechtigung (Art. 16a GG) oder zu einer Zuerkennung des internationalen Schutzes (§§ 3 ff., 4 AsylG) zu verhelfen. Es genügt schon die Möglichkeit einer günstigeren Entscheidung aufgrund der geltend gemachten Wiederaufnahmegründe (BVerfG, Beschluss vom 03.03.2000 - 2 BvR 39/98 -, juris Rn. 32 m.w.N.).

Außerdem ist der Antrag gemäß § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG i.V.m. § 51 Abs. 2 VwVfG nur zulässig, wenn der Betroffene ohne grobes Verschulden außerstande war, den Grund für das Wiederaufgreifen im früheren Verfahren geltend zu machen.

Nach § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG i.V.m. § 51 Abs. 3 VwVfG muss der Antrag binnen drei Monaten nach Kenntnis des Grundes für das Wiederaufgreifen gestellt werden. Diese formelle Präklusionsvorschrift ist auch nach Auffassung der Beklagten mangels Unionsrechtskonformität im asylrechtlichen Folgeverfahren nicht mehr anzuwenden (vgl. EuGH, Urteil vom 09.09.2021 - C-18/20 -, juris Rn 54 ff. mit Anm. Dietz, NVwZ 2022, 53 ff.; VG Schleswig, Urteil vom 23.09.2021 - 13 A 196/21 -, juris Rn. 32; VG Saarland, Urteil vom 16.02.2022 - 3 K 1639/21 -, juris Rn. 14; von Auer, InfAuslR 2020, 90 [91]).

Die Voraussetzungen des § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG i.V.m. § 51 Abs. 1 und 2 VwVfG liegen vor.

a) Der aktuelle Asylantrag des Klägers vom 19.01.2022 ist ein Folgeantrag.

Ein Folgeantrag ist ein erneuter Asylantrag, den der Ausländer nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrags stellt (vgl. Legaldefinition in § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG).

Es ist umstritten, ob zur Fallgruppe der unanfechtbaren Ablehnung eines früheren Asylantrags nur Fälle zählen, in denen eine bestands- oder rechtskräftige Ablehnung aufgrund einer uneingeschränkten sachlichen Erstprüfung erfolgt ist, oder auch solche, in denen eine Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 AsylG getroffen wurde. Das Gericht schließt sich der Auffassung an, dass jedenfalls in den Fällen der bestandskräftigen Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG eine unanfechtbare Ablehnung des früheren Asylantrags i.S.d. § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG vorliegt und keine teleologische Reduktion der Vorschrift vorzunehmen ist. Das nationale Asylverfahren i.S.d. § 13 wurde mit einer für den Antragsteller negativen Entscheidung endgültig abgeschlossen und kann nur unter den besonderen Regelungen des § 71 wiederaufgenommen werden (i.E. wie: Dickten, in: BeckOK Ausländerrecht, Stand: 01.10.2022, AsylG § 71 Rn. 5 m.w.N., zu § 29 Abs. 1; Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 14. Auflage 2022, § 71 AsylG Rn. 7 zu § 29 Abs. 1 AsylG a.F.; wohl auch: VG Sigmaringen, Urteil vom 16.02.2021 - A 13 K 3481/18 -, juris Rn. 32; Funke-Kaiser, GK-AsylG, Stand: Dezember 2022, § 71 AsylG Rn. 48-51; a.A.: VG Ansbach, Beschluss vom 28.09.2022 - AN 17 E 22.50308 -, juris Rn. 23 ff.). Wenn ein bestandskräftiger Drittstaatenbescheid nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG vorliegt, hatte der Antragsteller die Möglichkeit, seine Asylgründe in einem Mitgliedstaat im Rahmen einer uneingeschränkten sachlichen Erstprüfung vorzutragen, sein Schutzgesuch wurde in einem Mitgliedstaat inhaltlich geprüft und er konnte den zustehenden Schutz in Anspruch nehmen. Ein weitergehender Anspruch besteht nicht (vgl. VG Sigmaringen, a.a.O., m.w.N.; Funke-Kaiser, a.a.O.). Die bereits in einem Mitgliedstaat gewährte Möglichkeit der umfassenden Sachprüfung unterscheidet die Fälle bestandskräftiger Drittstaatenbescheide (§ 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG) von denen bestandskräftiger Dublin-Bescheide (§ 29 Abs. 1 Nr. 1a AsylG), in denen eine teleologische Reduktion des § 71 AsylG von mehreren Stimmen befürwortet wird (dazu auch: VG München, Beschluss vom 15.04.2019 - M 9 E 19.50335 -, juris Rn. 20).

b) Es liegt ein Wiederaufgreifensgrund nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG vor.

Die dem Drittstaatenbescheid vom 15.05.2018 zugrundeliegende Sachlage hat sich nachträglich zugunsten des Klägers geändert. Es steht fest, dass der Kläger seinen subsidiären Schutzstatus auf Malta verloren hat, nachdem der Bundesamtsbescheid vom 15.05.2018 am 19.11.2019 bestandskräftig geworden ist. Mit dem Statusverlust auf Malta liegt ein schlüssiger Sachvortrag vor, der eine dem Kläger günstigere Entscheidung zumindest möglich erscheinen lässt. Dies genügt für die Annahme eines Wiederaufgreifensgrundes.

aa) Am Vorliegen der geschriebenen Voraussetzungen des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG hat sich durch den Verlust des Schutzstatus auf Malta nichts geändert.

Das Verwaltungsgericht Bremen hat zu einem vergleichbaren Fall betreffend Bulgarien unter Verweis auf ober- und höchstgerichtliche Rechtsprechung ausgeführt (Urteil vom 07.05.2021 - 2 K 879/18 -, juris Rn. 25 - 27):

"b) Vorliegend ist jedoch nicht entscheidungserheblich, ob der dem Kläger gewährte subsidiäre Schutzstatus aufgrund der vorgenannten Praxis der bulgarischen Asylbehörde nicht mehr besteht. Denn der Kläger hat Bulgarien unmittelbar nach der Schutzgewähr freiwillig und auf Dauer wieder verlassen. In der nicht erzwungenen Ausreise aus dem Gebiet des ihm Schutz gewährenden Mitgliedstaates ist der freiwillige Verzicht auf den gewährten Schutzstatus zu erblicken, der ebenso behandelt wird wie der Fortbestand des Schutzes. Die Voraussetzungen des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG sind daher trotz eines möglichen - letztlich ausreisebedingten - Entzugs des Schutzstatus durch die SAR erfüllt.

Gemäß Art. 33 Abs. 2 lit. a) der Asylverfahrensrichtlinie (Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes) können die Mitgliedstaaten einen Antrag auf internationalen Schutz dann als unzulässig betrachten, wenn ein anderer Mitgliedstaat internationalen Schutz gewährt hat. Darin kommt das zentrale Anliegen des gemeinsamen Europäischen Asylsystems zum Ausdruck, Sekundärmigration nach erfolgter Schutzgewährung zu vermeiden (vgl. Erwägungsgründe Nr. 13 und 43 ff. zur Asylverfahrensrichtlinie). Die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz erfolgt nur durch einen einzigen Mitgliedstaat (Art. 3 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO). Der Unionsgesetzgeber hat in Art. 33 Abs. 2 lit. a) Asylverfahrensrichtlinie die zuvor bereits in Art. 25 Abs. 2 lit. a) Richtlinie 2005/85/EG geregelte Möglichkeit, einen Asylantrag als unzulässig abzulehnen, wenn ein anderer Mitgliedstaat die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt hat, dahin erweitert, dass die Mitgliedstaaten einen Asylantrag nunmehr auch bei Gewährung subsidiären Schutzes durch einen anderen Mitgliedstaat als unzulässig behandeln dürfen (BVerwG, EuGH-Vorlage vom 01. Juni.2017 - 1 C 22/16 - juris Rn. 13).

Dieser Gesetzeszweck, unerwünschte Sekundärmigration zu vermeiden, liegt der Vorschrift des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG in Übereinstimmung mit Art. 33 Abs. 2 lit. a) Asylverfahrensrichtlinie zugrunde (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. November 2017 - 1 C 39/16 -, juris Rn. 39; EuGH-Vorlage vom 01. Juni.2017 - 1 C 22/16 - juris Rn. 13 jeweils m. w. N.). Dem wird nur die Auslegung des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gerecht, dass der freiwillige Verzicht des Betroffenen auf einen ihm bereits in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union gewährten Flüchtlingsschutz ebenso zu behandeln ist wie der Fortbestand des Schutzes (vgl. Bayerischer VGH, Beschluss vom 21. Mai 2019 - 21 ZB 16.50029 -, juris Rn. 13, in Bezug auf die Vorgängerregelung: BVerwG, Urteil vom 04. September 2012 - 10 C 13/11 -, juris Rn. 13; Urteil vom 06. April 1992 - 9 C 143/90 -, juris Rn. 20; Urteil vom 02. Dezember 1986 - 9 C 105/85 -, juris Rn. 12). Der Gesetzeszweck würde verfehlt, wenn ein Asylantragssteller es in der Hand hätte, durch freiwilligen Verzicht auf seinen ihm von einem anderen Mitgliedstaat zuerkannten Flüchtlingsstatus herbeiführen zu können, dass er in der Bundesrepublik Deutschland erneut einen Anspruch auf internationalen Schutz geltend machen kann, möglicherweise allein mit dem Ziel, seine wirtschaftliche und persönliche Situation zu verbessern (vgl. BVerwG Urteil vom 02. Dezember 1986 - 9 C 105/85 -, juris Rn. 12)."

Diese vom Wortlaut des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gedeckte Einschätzung teilt das Gericht (wie Hessischer VGH, Urteil vom 26.10.2021 - 8 A 1852/20.A -, juris Rn. 29; auch: Günther, in: BeckOK AuslR, Stand: 01.10.2021, AsylG § 29 Rn. 76; a.A. Funke-Kaiser, a.a.O., § 29 Rn. 17, § 35 Rn. 10 a.E.). Der Asylverfahrensrichtlinie ist es nicht fremd, dass der internationale Schutz m Falle eines eindeutigen Verzichts von Rechts wegen erlischt (vgl. Art. 45 Abs. 5). Im Fall des Klägers liegt durch seine Ausreise ein freiwilliger Verzicht auf seinen Schutzstatus vor. Der Kläger trägt zwar vor, im Malta zuletzt zwei Jahre lang obdachlos gewesen zu sein. Das rechtskräftige Urteil des Verwaltungsgerichts Osnabrück hat jedoch bestätigt, dass dem Kläger zum dortigen Beurteilungszeitpunkt der mündlichen Verhandlung (08.10.2019) in Malta keine unmenschliche und erniedrigende Behandlung drohte. Dass dies an einer entscheidenden Verbesserung der allgemeinen Umstände oder der individuellen Situation des Klägers lag, die zwischen seinem Wegzug von Malta im Frühjahr 2018 und dem Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung am 08.10.2019 eingetreten sein müsste, ist nicht ersichtlich.

Einer Befassung des Europäischen Gerichtshofs mit der Frage, ob es mit Art. 33 Abs. 2 der Asylverfahrensrichtlinie vereinbar ist, § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG auf Fälle anzuwenden, in denen der zunächst zuerkannte internationale Schutzstatus nachträglich entfallen ist, bedarf es vorliegend nicht. Diese Frage ist aus den unter bb) dargestellten Gründen letztlich nicht entscheidungserheblich, so dass das Gericht keinen Anlass zu der vom Kläger angeregten (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 28. Aufl. 2022, § 94 Rn. 22) Vorlage an den EuGH zur Vorabentscheidung hat.

Wegen des Statusverlusts in Malta ist die Abschiebung dorthin tatsächlich unmöglich. Diese Problematik ist im Rahmen des § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG von der Ausländerbehörde zu behandeln (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 25.10.2022 - 4 LA 225/20 -, juris Rn. 6).

bb) Es ist nicht von vornherein ausgeschlossen, dass eine erneute Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG im vorliegenden Fall zum jetzigen Zeitpunkt dem Verbot einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK bzw. von Art. 4 der Europäischen Grundrechtecharta (GRC) widersprechen würde.

Wenn die Lebensverhältnisse, die den anerkannten Schutzberechtigten in dem anderen Mitgliedstaat erwarten würden, ihn der ernsthaften Gefahr aussetzen würden, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 4 GRC zu erfahren, ist die Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG aus Gründen vorrangigen Unionsrechts ausnahmsweise ausgeschlossen (BVerwG, Urteil vom 20.05.2020 - 1 C 34.19 -, nach Durchführung eines Vorabentscheidungsverfahrens (Urteil des EuGH vom 13.11.2019 - C-540/17 und C 541/17 -, Hamed u.a., Rn. 34 ff.); vgl. auch BVerwG, Urteil vom 21.04.2020 - 1 C 4.19 -, Rn. 36 ff.; Urteil vom 17.06.2020 - 1 C 35.19 -, jeweils juris).

Nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnissen ist es derzeit nicht völlig ausgeschlossen, dass ehemals Schutzberechtigten auf Malta eine Inhaftierung unter menschenunwürdigen Bedingungen droht. Es kann derzeit nicht davon ausgegangen werden, dass Personen, deren Schutzstatus in Malta erloschen ist, dort genauso wie (weiterhin) anerkannt Schutzberechtigte behandelt werden. Die Lage in Malta stellt sich vielmehr folgendermaßen dar:

In Art. 13 A Abs. 1 der maltesischen Verfahrensvorschriften (Procedural Standards for Granting and Withdrawing International Protection Regulations; https://legislation.mt/eli/sl/420.7/eng/pdf) wurde in den Jahren 2020 und 2021 (ursprünglich; Änderung des Art. 13 mit dem Gesetz XL aus dem Jahr 2020) die Möglichkeit für die Internationale Schutzorganisation (International Protection Agency, IPA) geschaffen, zu entscheiden, dass der internationale Schutz erloschen ist, wenn die Person, die internationalen Schutz genießt, eindeutig auf ihren Schutz verzichtet hat oder maltesischer Staatsangehöriger geworden ist. Ein unmissverständlicher Verzicht auf den Schutz (unequivocal renunciation of protection) umfasst unter anderem (a) eine schriftliche Erklärung der begünstigten Person, in der sie bestätigt, dass sie auf ihren Schutzstatus verzichtet; oder (b) die Nichtverlängerung des internationalen Schutzes innerhalb einer Frist von zwölf Monaten nach Ablauf der Gültigkeit des Schutzes oder seiner Verlängerung. Art. 13A Abs. 2 sieht vor, dass Begünstigte, die eindeutig auf ihren Schutz verzichtet haben, in der Folge persönlich bei der IPA einen Antrag auf Wiederherstellung ihres internationalen Schutzstatus stellen müssen. Die IPA prüft den Antrag, um festzustellen, ob der internationale Schutz erneut gewährt werden sollte, sofern die betreffende Person weiterhin die Voraussetzungen erfüllt und nicht vom internationalen Schutz ausgeschlossen ist. In der Praxis behandelt die IPA diesen Antrag als einen neuen Antrag auf internationalen Schutz, wodurch diese Personen erneut das langwierige maltesische Asylverfahren zu durchlaufen haben (aditus/ecre, AIDA Country Report: Malta - Update 2021, Mai 2022, S. 126 f.).

Weitere Erkenntnisse über die Behandlung speziell der Personen, deren vormals zuerkannter Schutzstatus erloschen ist, liegen dem Gericht nicht vor. Zugleich ist bekannt, dass (zumindest volljährige, nicht vulnerable) Asylerstantragsteller in Malta häufig verhaftet werden, wobei es de facto wenig Rechtsschutzmöglichkeiten gibt (wie vor, S. 93 ff.). Für Dublin-Rückkehrer wurden von einigen Gerichten aufgrund der Inhaftierungspraxis, der eingeschränkten Rechtsschutzmöglichkeiten und der Haftbedingungen in Malta systemische Mängel angenommen (VG Magdeburg, Urteil vom 12.07.2022 - 5 A 253/20 MD -, juris; VG Berlin, Urteil vom 05.05.2022 - 34 K 581.18 A -; VG Düsseldorf, Beschluss vom 10.12.2021 - 12 L 2456/21.A -, jeweils juris).

Bei dieser Erkenntnislage ist es nach dem im Rahmen des § 51 Abs. 1 VwVfG geltenden Maßstabs nicht völlig ausgeschlossen, dass dem Kläger auf Malta im Fall seiner Rückkehr die ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung droht. Zur Vermeidung weiterer Rechtsstreitigkeiten weist das Gericht darauf hin, dass das Bundesamt nach einem Wiederaufgreifens des Verfahrens vor einer erneuten Sachentscheidung die Frage einer drohenden unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung weiter aufklären muss, wenn es erneut eine Entscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG zu erlassen beabsichtigt.

c) Die Voraussetzungen des § 51 Abs. 2 VwVfG liegen vor. Der Kläger war ohne grobes Verschulden außerstande, den Grund für das Wiederaufgreifen im früheren Verfahren geltend zu machen. Denn sein Schutzstatus in Malta ist erst nach der rechtskräftigen Entscheidung über seinen ersten Asylantrag in Deutschland erloschen.

2. Die Unzulässigkeitsentscheidung in Ziffer 1 des Bescheids vom 08.02.2022 kann nicht auf anderer Rechtsgrundlage aufrechterhalten oder in eine andere Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 AsylG umgedeutet werden.

Vor der Aufhebung einer rechtswidrigen Unzulässigkeitsentscheidung hat das Gericht zu prüfen, ob die Entscheidung auf der Grundlage eines anderen, auf gleicher Stufe stehenden Unzulässigkeitstatbestandes aufrechterhalten bleiben kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 14.12.2016 - 1 C 4.16 -, juris Rn. 21). Denn bei Anfechtungsklagen nach § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO haben die Verwaltungsgerichte alle einschlägigen Rechtsvorschriften und - nach Maßgabe der Sachaufklärungspflicht gemäß § 86 Abs. 1 VwGO - alle rechtserheblichen Tatsachen zu berücksichtigen, gleichgültig, ob die Normen und Tatsachen von der erlassenden Behörde zur Begründung des Verwaltungsaktes angeführt worden sind oder nicht. Dies gilt aber nur, wenn und soweit der angefochtene Verwaltungsakt hierdurch nicht in seinem Wesen verändert wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 16.11.2015 - 1 C 4.15 -, juris Rn. 28). Diese Grenze wird überschritten, wenn durch einen Austausch der Rechtsgrundlage prozessual der Streitgegenstand verändert würde. Zudem unterliegt eine rechtswidrige Unzulässigkeitsentscheidung im gerichtlichen Verfahren nicht der Aufhebung, wenn sie im Wege der Umdeutung nach § 47 VwVfG durch eine andere - rechtmäßige - Regelung ersetzt werden kann (BVerwG, Urteil vom 30.03.2021 - 1 C 41.20 -, BVerwGE 172, 125 = juris Rn. 15; Urteil vom 21.04.2020 - 1 C 4.19 -, juris Rn. 24).

Vorliegend kommt als weiterer Unzulässigkeitstatbestand nur § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG in Betracht. Ob die formell- und materiell-rechtlichen Voraussetzungen dieser Vorschrift vorliegen, wie es für das Aufrechterhalten des streitgegenständlichen Bescheids erforderlich wäre, lässt sich jedoch derzeit nicht feststellen, sondern bedarf weiterer Handlung und Aufklärung des Bundesamts. Zum einen setzt eine (erneute) Entscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG eine (erneute) Anhörung des Klägers zur Zulässigkeit voraus (§§ 25, 29 Abs. 2 Satz 1 AsylG). Dieser Verfahrensmangel einer Entscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG ist bisher weder geheilt worden (vgl. § 45 VwVfG) noch kann das Unterbleiben einer persönlichen Anhörung als unbeachtlich nach § 46 VwVfG angesehen werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 30.03.2021 - 1 C 41.20 -, BVerwGE 172, 125 = juris Rn. 18 ff.). Zum anderen wird das Bundesamt versuchen müssen, die Frage einer drohenden unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung des Klägers als ehemals Schutzberechtigtem auf Malta weiter aufzuklären.

Durch eine Aufrechterhaltung der Unzulässigkeitsentscheidung auf Grundlage von § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG würde der streitgegenständliche Bescheid zudem wohl in seinem Wesen verändert. Denn er basiert gerade nicht auf einer Sachprüfung, sondern lediglich auf einer Prüfung von Wiederaufgreifensgründen.

II. Wird die Unzulässigkeitsentscheidung auf die Anfechtungsklage hin aufgehoben, ist auch eine ergangene Feststellung aufzuheben, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 2 des angefochtenen Bescheids), da diese Entscheidung jedenfalls verfrüht ergangen ist und ihr die Grundlage entzogen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 14.12.2016 - 1 C 4.16 -, juris Rn. 21; Urteil vom 25.04.2019 - 1 C 51.18 -, juris Rn. 20).

Einer Entscheidung über den Hilfsantrag bedarf es nicht mehr, da die Klage mit dem Hauptantrag Erfolg hat.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO und § 83b AsylG.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.