Verwaltungsgericht Göttingen
Beschl. v. 03.02.2023, Az.: 4 B 19/23

Physikum; Wiederholungsklausur; Vorläufige Zulassung zum Physikum

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
03.02.2023
Aktenzeichen
4 B 19/23
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2023, 10831
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGGOETT:2023:0203.4B19.23.00

Amtlicher Leitsatz

Nachdem die Antragsgegnerin im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet worden war, die Antragstellerin vorläufig zu einer weiteren Wiederholungsklausur zuzulassen, ist sie auch im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zu verpflichten, die Antragstellerin nach bestandener Klausur vorläufig zum Physik um zuzulassen.

Gründe

I.

Die Antragstellerin begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Verpflichtung der Antragsgegnerin sie vorläufig zum Physikum im Zahnmedizinstudium zuzulassen.

Die Antragstellerin ist bei der Antragsgegnerin seit dem Sommersemester 2019 im Studiengang Zahnmedizin eingeschrieben. Sie nahm am 29.09.2022 zum vierten Mal an einer Klausur im Fach "Praktikum der Physiologie" teil und bestand die Klausur vorläufig mit 27 Punkten. Dieser dritte Wiederholungsversuch war ihr vom erkennenden Gericht im einstweiligen Rechtsschutzverfahren 4 B 86/22 mit Beschluss vom 27.06.2022 vorläufig zugesprochen worden. Mit Urteil vom 13.01.2022 (4 A 32/22) hat das erkennende Gericht festgestellt, dass die Wiederholungsklausur der Antragstellerin vom 29.09.2022 im Fach "Praktikum der Physiologie" bestanden ist. Hiergegen hat die Antragsgegnerin einen Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt.

Die Antragstellerin beantragte bei der Antragsgegnerin ihre Zulassung zur zahnärztlichen Vorprüfung (im Folgenden: Physikum) am 27.02.2023. Die Antragsgegnerin lehnte die Zulassung ab, weil die Antragstellerin die Klausur im Fach "Praktikum der Physiologie" vom 29.09.2022 lediglich vorläufig und nicht endgültig bestanden habe.

Die Antragstellerin hat am 23.01.2022 einen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gestellt.

Sie erfülle aufgrund der bestandenen Klausur im Fach "Praktikum der Physiologie" alle Voraussetzungen für die Zulassung zum Physikum im Zahnmedizinstudium. Ihr sei nicht zuzumuten, die Rechtskraft der Entscheidung im Hauptsacheverfahren abzuwarten, da es bekanntlich Jahre dauern könne, bis das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht entscheide.

Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,

die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, sie vorläufig bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren zum Aktenzeichen 4 A 32/22 zum Physikum im Zahnmedizinstudium bei der Antragsgegnerin zum nächstmöglichen Zeitpunkt (27.02.2023) zuzulassen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Sie ist der Ansicht, der Antrag sei bereits unzulässig, da sie die falsche Antragsgegnerin sei. Darüber hinaus habe die Antragstellerin auch keinen Anspruch auf Zulassung zum Physikum, da sie die Klausur im Fach "Praktikum der Physiologie" mangels Rechtskraft des Urteils vom 13.01.2023 (4 A 32/22) noch nicht endgültig bestanden habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte zum vorliegenden, zum einstweiligen Rechtsschutzverfahren 4 B 86/22 und zum Klageverfahren 4 A 32/22 und auf den vom Gericht beigezogenen Verwaltungsvorgang der Antragsgegnerin Bezug genommen.

II.

Der Antrag hat Erfolg.

Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands treffen, wenn diese Regelung nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden. Die besondere Dringlichkeit (Anordnungsgrund) einer solchen Entscheidung sowie einen entsprechenden Regelungsanspruch (Anordnungsanspruch) hat der Antragsteller glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 ZPO).

Die Antragstellerin hat einen Anordnungsgrund dargelegt. Denn würde sie eine Entscheidung im Hauptsacheverfahren abwarten, könnte sie aller Voraussicht nach nicht am nächsten Prüfungstermin für das Physikum am 27.02.2023 teilnehmen. Dies würde sie dazu zwingen, das für das Physikum erforderliche Wissen möglicherweise mehrere Semester lang aktuell zu halten. Auch wäre sie in dieser Zeit daran gehindert, ihr Studium der Zahnmedizin planmäßig fortzusetzen. Dies ist ihr nicht zuzumuten.

Nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand und der im vorliegenden Verfahren erfolgenden summarischen Prüfung hat die Antragstellerin auch einen Anspruch auf die vorläufige Teilnahme am Physikum.

Zunächst ist die Antragsgegnerin für den geltend gemachten Anspruch passivlegitimiert. Einschlägige Rechtsnorm ist hier die bis zum 30.09.2020 gültige Approbationsordnung für Zahnärzte (ZÄPrO, alte Approbationsordnung) vom 26.01.1955 (BGBl. I S. 37) in der letzten Änderungsfassung vom 15.08.2019 (BGBl. I S. 1307), die mit Wirkung vom 01.10.2020 aufgehoben (BGBl. I S. 933) und durch die Approbationsordnung für Zahnärzte und Zahnärztinnen vom 08.07.2019 - ZApprO - (BGBl. I S. 933), zuletzt geändert am 22.09.2021 (BGBl. I S. 4335), ersetzt wurde. Nach § 133 Abs. 1 ZApprO ist die Approbationsordnung für Zahnärzte in der am 30.09.2020 geltenden Fassung vorbehaltlich des § 134 auf Studierende weiter anzuwenden, die vor dem 01.10.2021 ihr Studium der Zahnmedizin beginnen oder bereits begonnen haben. Demnach fällt die Antragstellerin unter den Anwendungsbereich der alten Approbationsordnung, da sie ihr Zahnmedizinstudium im Sommersemester 2019 bei der Antragsgegnerin aufgenommen hat. Es liegt auch kein Fall des § 134 ZApprO vor.

Nach der alten Approbationsordnung hat die Antragsgegnerin über die Zulassung der Antragstellerin zum Physikum zu entscheiden. Dies folgt aus § 8 i.V.m. § 4 und § 10 ZÄPrO. Nach § 8 Abs. 1 ZÄPrO ist das Gesuch um Zulassung zur Prüfung an den Vorsitzenden zu richten, der über die Zulassung entscheidet, soweit diese Verordnung nichts anderes bestimmt. Vorsitzender und dessen Stellvertreter sind nach § 4 Abs. 3, erster Halbsatz ZÄPrO in der Regel ordentliche Professoren der medizinischen Fakultät, die dem bei jeder Universität zu bildenden gemeinsamen Ausschuss für die naturwissenschaftliche und die zahnärztliche Vorprüfung vorsitzen (§ 4 Abs. 1 und Absatz 2 Satz 1 ZÄPrO). Nach dem Wortlaut der zitierten Vorschriften hat demnach ein ordentlicher Professor der medizinischen Fakultät der Antragsgegnerin über die Zulassung von Studenten/Studentinnen zum Physikum zu entscheiden. Hier liegt auch kein Ausnahmefall nach § 10 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 3 ZÄPrO vor. Danach entscheidet die zuständige Landesbehörde über die Zulassung zur Prüfung, wenn ein Grund vorliegt, der zur Versagung der Approbation als Zahnarzt wegen Fehlens einer der Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 Nr. 2 oder 3 des Gesetzes über die Ausübung der Zahnheilkunde führen würde. Ein solcher Fall liegt hier offensichtlich nicht vor.

An der Zuständigkeit der Antragsgegnerin für die Entscheidung über die Zulassung zum Physikum ändert auch nichts, dass gemäß § 4 Abs. 2 Satz 2 ZÄPrO der Vorsitzende und die Mitglieder der Ausschüsse für jedes Prüfungsjahr von der zuständigen Landesbehörde bestellt werden. Soweit die Antragsgegnerin meint, hieraus folge denknotwendig, dass die zuständige Landesbehörde und damit der Niedersächsische Zweckverband zur Approbationserteilung (NIZzA) auch über die Zulassung zum Physikum entscheiden müsse, hat der Verordnungsgeber der alten Approbationsordnung dies eindeutig anders geregelt.

Im Übrigen verfährt auch die Verwaltung der Antragsgegnerin entsprechend den vorgenannten Vorschriften und entscheidet selbst über die Zulassung zum Physikum. Dies hat Frau E., Teamleiterin in der Abteilung Prüfungsangelegenheiten im Studiendekanat der Universitätsmedizin A-Stadt, in einem Telefongespräch gegenüber der Berichterstatterin bestätigt. Insoweit wird auf den auch den Beteiligten zur Kenntnisnahme übersandten Gesprächsvermerk vom 30.01.2023 verwiesen. Aber auch dem Ausdruck einer vom Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin vorgelegten E-Mail von Frau E. an die Antragstellerin vom 21.10.2022 ist zu entnehmen, dass die Antragsgegnerin selbst über die Zulassung zum Physikum entscheidet. Denn in der E-Mail teilte Frau E. der Antragstellerin mit, dass sie diese nicht ohne Einverständnis der Rechtsabteilung und nicht vor Abschluss des Hauptsacheverfahrens zum Physikum zulassen dürfe. Die Antragstellerin könne erst am Physikum teilnehmen, wenn Frau E. das "ok" aus ihrer Rechtsabteilung bekommen habe. Aus der E-Mail geht somit nicht nur unzweifelhaft hervor, dass die Antragsgegnerin selbst über die Zulassung zum Physikum entscheidet, sondern darüber hinaus, dass die Rechtsabteilung der Antragsgegnerin in das Zulassungsverfahren der Antragstellerin involviert ist. Mit Blick hierauf ist aber nicht nachvollziehbar, warum die Antragsgegnerin im vorliegenden gerichtlichen Verfahren ihre Zuständigkeit für die Zulassung der Antragstellerin zum Physikum in Abrede stellt.

Die Antragstellerin hat gegenüber der Antragsgegnerin auch einen Anspruch auf vorläufige Zulassung zum Physikum zum nächstmöglichen Termin. Die alte Approbationsordnung regelt die Zulassung zum Physikum nicht ausdrücklich. Aus einem Umkehrschluss aus § 10 Abs. 1 Nr. 1 ZÄPrO, wonach die Zulassung zur Prüfung zu versagen ist, wenn der Prüfungsbewerber die vorgeschriebenen Nachweise nicht oder nicht vollständig vorlegt, folgt jedoch, dass ein Prüfungsbewerber grundsätzlich zum Physikum zuzulassen ist, wenn er fristgerecht die vorgeschriebenen Nachweise, darunter den Nachweis über die regelmäßige und erfolgreiche Teilnahme an einem physiologischen Praktikum (s. zu diesen Voraussetzungen: § 26 ZÄPrO) vorlegt. Laut telefonischer Auskunft von Frau E. an die Berichterstatterin am 30.01.2023 (s. Gesprächsvermerk vom 30.1.2023) hat die Antragstellerin alle notwendigen Nachweise fristgerecht vorgelegt, bis auf einen Nachweis über das Bestehen der Klausur im Fach "Praktikum der Physiologie". Einen solchen Nachweis konnte und kann die Antragstellerin auch nicht vorlegen, da sie die Klausur bisher lediglich vorläufig bestanden hat. Denn sie konnte die Klausur nur deshalb ein viertes Mal schreiben und bestehen, weil das erkennende Gericht ihr im einstweiligen Rechtsschutzverfahren 4 B 86/22 und im Klageverfahren 4 A 32/22 einen in der einschlägigen Prüfungsordnung nicht vorgesehenen dritten Wiederholungsversuch zugesprochen hat. Insoweit wird auf die Entscheidungsbegründungen in den vorgenannten Verfahren Bezug genommen, an denen die Kammer auch im vorliegenden Verfahren festhält. Nach Auffassung der Kammer hat die Antragstellerin deshalb zu Recht einen dritten Wiederholungsversuch erhalten. Der erfolgreiche dritte Wiederholungsversuch erlaubt ihr jedoch nicht den uneingeschränkten Zugang zum Physikum. Denn die Entscheidung im Klageverfahren 4 A 32/22 ist noch nicht rechtskräftig, weshalb das Bestehen der Klausur vom 22.09.2022, zu der die Antragstellerin im einstweiligen Rechtsschutzverfahren lediglich vorläufig zugelassen wurde, nach wie vor lediglich als vorläufiges Bestehen zu bewerten ist. Dennoch darf die Antragstellerin nicht vollständig von der Teilnahme am Physikum ausgeschlossen werden. Rechtsfolge des vorläufig erfolgreichen dritten Wiederholungsversuchs ist vielmehr, dass die Antragstellerin vorläufig zum Physikum zuzulassen ist. Dem steht auch kein weiterer Ausschlussgrund nach § 10 ZÄPrO entgegen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1, 39 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 36.1 und 1.5 Satz 1, erster Halbsatz, des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung vom 18.07.2013.