Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 26.05.2010, Az.: 11 A 5039/08
Anfechtungsklage; Apotheke; Eichpflicht; Eichung; Entscheidung; Entscheidungserheblichkeit; Erheblichkeit; Europäisches Arzneibuch; Gerät; Rechtslage; Schmelzpunkt; Schmelzpunktbestimmer; Schmelzpunktbestimmung; Verbot ; Verwendung; Zeitpunkt; Änderung
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 26.05.2010
- Aktenzeichen
- 11 A 5039/08
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2010, 47981
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 55 AMG 1976
- § 11 Abs 1 ApoBetrO
- § 6 Abs 3 ApoBetrO
- § 6 Abs 1 ApoBetrO
- § 18 EichG
- § 2 Abs 3 EichG
- § 2 Abs 2 EichG
- § 2 Abs 1 EichG
- § 25 Abs 1 S 1 Nr 5 EichG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Automatische Schmelzpunktbestimmungsgeräte, die zur Identitätsprüfung von Stoffen dienen, dürfen seit dem 1. Februar 2009 bei der Herstellung von Arzneien in Apotheken verwendet werden. Mit Inkrafttreten des 1. Nachtrags zur 6. Ausgabe des Europäischen Arzneibuchs (Ph. Eur.), in der die automatische Schmelzpunktbestimmung beschrieben wird, liegt eine anderweitige Regelung im Sinne des § 2 Abs. 1 EichG vor, die dem Verbot des § 25 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 EichG vorgeht.
Tenor:
Die angefochtene Verfügung des Beklagten vom 05.11.2007 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 23.06.2008 und vom 03.09.2008 wird mit Wirkung zum 01.02.2009 aufgehoben.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Klägerin zu 2/3 und der Beklagte zu 1/3.
Das Urteil ist wegen der Kosten des Verfahrens vorläufig vollstreckbar. Der Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
Die Klägerin wendet sich gegen die Beanstandung eines Gerätes in ihrer Apotheke durch den Beklagten.
Die Klägerin ist Inhaberin einer Apotheke. Bei einer am 05.11.2007 durchgeführten eichtechnischen Prüfung in ihrer Apotheke beanstandete der Beklagte mit Verfügung vom selben Tag den Schmelzpunktbestimmer apotec QADS Nr. 9920-11935, weil dieser nicht eichfähig sei. Dies stelle einen Verstoß gegen § 25 Abs. 1 Nr. 5 des Gesetzes über das Mess- und Eichwesen (EichG) dar. Der Klägerin wurde aufgegeben, diesen Mangel bis zum 05.12.2007 zu beseitigen. Die Verfügung enthielt eine Rechtsbehelfsbelehrung, in der über die Möglichkeit, Widerspruch zu erheben, belehrt wird.
Die Klägerin erhob mit Schreiben vom 03.12.2007 Widerspruch gegen die Verfügung vom 05.11.2007 und führte zur Begründung aus, sie benutze zur Bestimmung des Schmelzpunktes, die für die Überprüfung der Identität von Ausgangsstoffen durchgeführt werde, nicht mehr wie zuvor die Anschütz-Thermometer, sondern ein vollautomatisches Schmelzpunktbestimmungsgerät. Ihre Anschütz-Thermometer seien noch geeicht und würden derzeit in Quarantäne aufbewahrt. Die Bestimmung des Schmelzpunktes mittels des Anschütz-Thermometers sei unwirtschaftlich und zeitaufwändig, weshalb eine sich in der Vorbereitung befindende Änderung des Europäischen Arzneibuchs (Ph. Eur.) die Bestimmung mittels eines vollautomatischen Schmelzpunktbestimmungsgerätes zulassen werde. Die Überwachungsbehörde verzichte seit Änderung der Apothekenbetriebsordnung auf die Forderung, ein Anschütz-Thermometer bereitzuhalten. Die ordnungsgemäße Funktionsweise des automatischen Gerätes werde durch die jährliche Kalibrierung mit geeichten Substanzen erreicht. Die Vorschrift des § 25 Abs. 1, S. 2 Nr. 1 EichG, die unter bestimmten Umständen die Verwendung nichtgeeichter Messgeräte selbst zur Durchführung öffentlicher Überwachungsaufgaben zulasse, müsse auch für die Messungen in Apotheken gelten.
Mit Widerspruchsbescheid vom 23.06.2008, der der Klägerin am 04.07.2008 zugestellt wurde, wies der Beklagte den Widerspruch gegen die Verfügung vom 05.11.2007 mit der Begründung zurück, die Klägerin habe kein Anschütz-Thermometer vorlegen können. Die Apothekenkammer habe in ihrem Mitteilungsblatt aus dem Oktober 2006 darauf hingewiesen, dass auf geeichte Anschütz-Thermometer nicht verzichtet werden könne. Die Regelung des § 25 Abs. 1 Satz 2 EichG beziehe sich eindeutig nur auf die Durchführung öffentlicher Überwachungsaufgaben. Zudem sei bis zur Änderung des europäischen Arzneibuchs die bisherige Rechtslage maßgeblich.
Am 29.08.2008 bat die Klägerin telefonisch bei dem Beklagten um einen neuen Widerspruchsbescheid, gegen den sie klagen könne, nachdem die Klagefrist inzwischen abgelaufen sei. Daraufhin erging unter dem 03.09.2008 ein neuer, nahezu inhaltsgleicher Widerspruchsbescheid, der der Klägerin am 05.09.2008 zugestellt wurde. Mit Schreiben vom 02.10.2008 teilte der Beklagte der Klägerin mit, das Beanstandungsverfahren werde bis zu endgültigen Klärung der Rechtslage ausgesetzt und ihr werde die Benutzung des Schmelzpunktbestimmungsgeräts einstweilen ausnahmsweise gestattet.
Am 02.10.2008 hat die Klägerin Klage erhoben. Sie ist der Ansicht, das Schreiben des Beklagten vom 02.10.2008 sei als Anerkenntnis ihres Klagebegehrens anzusehen. Sie vertieft ihr Vorbringen aus dem Vorverfahren dahingehend, dass sie zur Bestimmung des Schmelzpunktes von Ausgangsstoffen stets geeichte Anschütz-Thermometer und den erforderlichen Schmelzblock bereitgehalten habe, wie es die Apothekenbetriebsordnung gefordert habe. Nunmehr seien ihrer Ansicht nach aufgrund der Änderung der Apothekenbetriebsordnung jedoch andere Methoden zur Bestimmung des Schmelzpunktes zulässig. Unter Vorlage von Stellungnahmen der Apothekenaufsicht bei der Apothekerkammer Niedersachsen und der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände trägt sie vor, auf europäischer Ebene sei bei der Änderung des Europäischen Arzneibuchs die Zulassung von vollautomatischen Schmelzpunktgeräten vorgesehen. Sie ist der Ansicht, ein Verstoß gegen § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 EichG sei nicht gegeben, weil diese Regelung nach ihrem letzten Halbsatz nicht gelte, wenn die Bundesregierung in einer Rechtsverordnung nach § 2 EichG eine neue Regelung treffe. Eine solche Rechtsverordnung liege mit der Apothekenbetriebsordnung vor, deren § 4 Abs. 8 ihrer Ansicht nach die Verwendung eines vollautomatischen Schmelzpunktbestimmers zulasse. Sie sieht sich in ihrem Grundrecht aus Art. 3 des Grundgesetzes verletzt, da der Beklagte gegenüber anderen Apotheken, die ebenfalls zur Schmelzpunktbestimmung ein nicht eichfähiges Gerät benutzen, nicht einschreite.
Die Klägerin beantragt,
die Verfügung des Beklagten über beanstandete Messgeräte vom 05.11.2007 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 23.06.2008 und vom 03.09.2008 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er trägt zur Begründung vor, die angefochtene Beanstandung habe im Vorfeld weiterer Maßnahmen zur Klärung der Rechtslage dienen sollen und sei deshalb verhältnismäßig. In der Verwendung eines Schmelzpunktbestimmers liege ein Verstoß gegen § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 EichG, da dieser nicht eichfähig sei. Neuartige Geräte, die dem Stand der Technik entsprächen, müssten ein längeres Prüf- und Auswahlverfahren durchlaufen, damit ihre Eichfähigkeit festgestellt werden könne. Daraus folge eine im Interesse der Produktsicherheit hinzunehmende Verzögerung, mit der der Stand der Technik sich im Eichrecht niederschlage. Er ist der Ansicht, die Apothekenbetriebsordnung sei keine Verordnung im Sinne des § 2 EichG.
Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.
Entscheidungsgründe
Die Klage hat teilweise Erfolg.
Die Klage ist zulässig. Sie ist insbesondere fristgemäß erhoben worden, denn die hier maßgebliche Jahresfrist des § 58 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) war bei Erhebung der Klage gegen den Bescheid vom 05.11.2007 am 02.10.2008 noch nicht abgelaufen. Nach § 58 Abs. 2 VwGO ist die Einlegung eines Rechtsbehelfs innerhalb eines Jahres seit Zustellung zulässig, wenn die Belehrung unrichtig erteilt ist. So liegt der Fall hier, denn der angefochtene Bescheid vom 05.11.2007 enthielt eine fehlerhafte Belehrung über den Rechtsbehelf des Widerspruchs. Ein Widerspruchsverfahren gegen die Verfügung war aufgrund der Regelung des § 8a Abs. 1 des Niedersächsischen Ausführungsgesetzes zur Verwaltungsgerichtsordnung (Nds. AG VwGO) nicht statthaft. Danach bedarf es abweichend von § 68 Abs. 1 Satz 1 VwGO keiner Nachprüfung in einem Vorverfahren, wenn der Verwaltungsakt während des Zeitraums vom 1. Januar 2005 bis zum 31. Dezember 2009 bekannt gegeben worden ist. Die Bekanntgabe der angefochtenen Verfügung liegt in diesem Zeitraum. Richtigerweise hätte die Rechtsbehelfsbelehrung über die Möglichkeit, Klage zum Verwaltungsgericht zu erheben, belehren müssen.
Die Klage ist teilweise begründet. Der angefochtene Bescheid war bis zur Änderung der Rechtslage am 01.02.2009 rechtmäßig (I.), wurde durch das Inkrafttreten des 1. Nachtrags zur 6. Auflage des Europäischen Arzneibuchs (Ph. Eur.) rechtswidrig und verletzte ab diesem Zeitpunkt die Klägerin in ihren Rechten (II.).
I. Die angefochtene Verfügung über beanstandete Messgeräte vom 05.11.2007, mit der zum einen die Beanstandung ausgesprochen und zum anderen eine Frist zur Beseitigung des Mangels gesetzt wird, war zunächst rechtmäßig und stützte sich auf § 18 EichG in Verbindung mit § 11 des Niedersächsischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (Nds. SOG). Nach § 18 EichG haben die Beauftragten der zuständigen Behörden die Befugnisse von Polizeibeamten zur Unterbindung von Zuwiderhandlungen gegen dieses Gesetz oder gegen die auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen. § 11 Nds. SOG ermächtigt die Polizei, die notwendigen Maßnahmen zu treffen, um eine Gefahr abzuwehren. Diese Voraussetzungen lagen vor.
Die Klägerin handelte gegen das Eichgesetz, indem sie den Schmelzpunktbestimmer apotec QADS Nr. 9920-11935 ungeeicht verwendete und so bereithielt, dass er ohne besondere Vorbereitung in Gebrauch genommen werden konnte. Darin lag ein Verstoß gegen § 25 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 EichG, der das Verbot enthält, Messgeräte zur Bestimmung der Masse, des Volumens, des Drucks, der Temperatur, der Dichte oder des Gehalts bei der Herstellung von Arzneimitteln in Apotheken auf Grund ärztlicher Verschreibungen oder bei der Analyse in pharmazeutischen Laboratorien ungeeicht zu verwenden oder so bereitzuhalten, dass sie ohne besondere Vorbereitung in Gebrauch genommen werden können. Automatische Schmelzpunktbestimmer wie das in der angefochtenen Verfügung beanstandete Gerät dienen der Bestimmung des Schmelzpunktes eines Stoffes, also der Temperatur, bei der das letzte feste Teilchen einer Substanz flüssig wird. Anhand dieses Schmelzpunktes kann die Identität eines Stoffes festgestellt werden, da jede Substanz eine spezifische Schmelztemperatur hat. § 11 Abs. 1 S. 1 der Verordnung über den Betrieb von Apotheken (ApBetrO) bestimmt, dass zur Herstellung von Arzneimitteln nur Ausgangsstoffe verwendet werden, deren ordnungsgemäße Qualität festgestellt ist. Das erfordert eine Prüfung jeder Lieferung von Stoffen, die in der Apotheke weiterverarbeitet werden. Einen Bestandteil dieser Qualitätsprüfung stellt die Klärung der Identität des Stoffes durch die Bestimmung des Schmelzpunktes dar. Die Klägerin verwendete den Schmelzpunktbestimmer ungeeicht und hielt ihn ebenso bereit, da dieser unstreitig nicht eichfähig im Sinne des § 14a der Eichordnung ist.
Eine Zuwiderhandlung gegen das Eichgesetz ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil - wie die Klägerin meint - zum Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung das Verbot des § 25 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 EichG nicht mehr gegolten hätte. Der Anwendbarkeit des Verbots stand die Regelung des § 25 Abs. 1 S. 1, letzter Halbsatz EichG nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift gelten die Verbote des § 25 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 bis 5 EichG, soweit nicht die Bundesregierung in einer Rechtsverordnung nach § 2 eine neue Regelung trifft. In § 2 Abs. 2 EichG wird die Bundesregierung ermächtigt, zur Gewährleistung der Messsicherheit in den in Absatz 1 genannten Bereichen oder zur Umsetzung von Rechtsakten der Europäischen Gemeinschaften durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates zu bestimmen, welche Messgeräte nur in den Verkehr gebracht, in Betrieb genommen, bereitgehalten oder verwendet werden dürfen, wenn sie zugelassen und geeicht sind. Diese dynamische Verweisung wurde durch das Dritte Gesetz zur Änderung der Eichgesetzes vom 23.03.1992 (BGBl. I 1992, 706) eingefügt, das das Ziel verfolgte, angesichts der Harmonisierung der Vorschriften im Bereich der Messgeräte auf der Ebene der damaligen Europäischen Gemeinschaft die unmittelbar anwendbaren Vorschriften des Eichgesetzes weitgehend durch Ermächtigungen zu ersetzen (vgl. Gesetzesbegründung zum Dritten Gesetz zur Änderung des Eichgesetzes, BRDrs. 185/91). Dies wurde für erforderlich gehalten, damit für die weiteren Harmonisierungen nicht jeweils das Eichgesetz geändert werden musste, sondern die Änderungen durch Rechtsverordnungen umgesetzt werden konnten. Die bisherigen Eichpflichten wurden bis zu ihrer Ersetzung durch eine Rechtsverordnung in § 25 EichG zusammengefasst und aufrechterhalten.
Eine Umsetzung dieser Ermächtigung in Bezug auf automatische Schmelzpunktbestimmungsgeräte ist jedoch bisher nicht erfolgt.
Eine aufgrund der Ermächtigungen des Eichgesetzes erlassene Rechtsverordnung ist die Eichordnung (EichO), die jedoch keine Aussagen über automatische Geräte zur Bestimmung des Schmelzpunktes trifft. In § 1 zählt sie zwar medizinische Messgeräte auf (Messkolben, Büretten, Pipetten, Kolbenbüretten, Kolbenhubpipetten, Dispenser und Dilutoren). Damit hat der Verordnungsgeber von der Ermächtigung des § 2 Abs. 2 EichG aber nur teilweise Gebrauch gemacht (Schulz, Eichgesetz und Eichordnung, Konsolidierte Texte mit Kommentaren, 4. Aufl. 2007, § 2, Anm. 1). Der Schmelzpunktbestimmer fällt auch nicht unter die gemäß § 8 EichO von der Eichpflicht ausgenommenen Messgeräte, da er nicht in Anhang A zur Eichordnung aufgeführt ist.
Entgegen der Auffassung der Klägerin ist die Verordnung über den Betrieb von Apotheken keine Rechtsverordnung im Sinne des § 2 Abs. 2 EichG. Gemäß Art. 80 Abs. 1 S. 3 des Grundgesetzes ist das Gesetz, durch das die Bundesregierung, ein Bundesminister oder die Landesregierungen ermächtigt wurden, Rechtsverordnungen zu erlassen, in der Verordnung anzugeben. Die Verordnung über den Betrieb von Apotheken ist aufgrund der Ermächtigungen im Gesetz über das Apothekenwesen und im Arzneimittelgesetz erlassen worden und nennt nicht das Eichgesetz als Ermächtigung für ihren Erlass. Darüber hinaus enthält sie keine Regelungen, die der Ermächtigung des § 2 Abs. 2 EichG gemäß bestimmen würden, welche Messgeräte nur in den Verkehr gebracht, in Betrieb genommen, bereitgehalten oder verwendet werden dürfen, wenn sie zugelassen und geeicht sind. Die von der Klägerin ins Feld geführte Vorschrift des § 4 Abs. 8 ApBetrO regelt dies nicht. Nach der Vorschrift müssen in der Apotheke insbesondere die in Anlage 1 aufgeführten Geräte und Prüfmittel vorhanden sein. Diese können durch andere Geräte und Prüfmittel ersetzt werden unter der Voraussetzung, dass damit die gleichen Ergebnisse erzielt werden. Über Zulassung und Eichpflicht trifft die Norm keine Aussage, sondern orientiert sich nur an dem Ergebnis der Prüfung, das qualitativ gleichwertig sein muss. Damit setzt sie sich nur mit dem materiellen Ergebnis der Messung eines Gerätes auseinander, nicht aber mit den formellen Anforderungen an Zulassung und Eichung des Gerätes.
Die Verordnung über den Betrieb von Apotheken ist auch keine Rechtsverordnung im Sinne des § 2 Abs. 3 EichG. Darin wird die Bundesregierung ferner ermächtigt, zu den gleichen Zwecken (wie in Abs. 2) durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates andere Maßnahmen vorzuschreiben, durch die eine ausreichende Messsicherheit zu erwarten ist. Sie kann dabei insbesondere die Wartung von Messgeräten, die Vornahme von Kontrolluntersuchungen und die Teilnahme an Vergleichsmessungen vorschreiben. Das oben zum Zitiergebot Gesagte gilt auch hier. § 4 Abs. 8 ApBetrO schreibt außerdem keine anderen Maßnahmen vor, die eine ausreichende Messsicherheit erwarten lassen, sondern stellt einzig auf das Ergebnis der Messung ab.
Die Klägerin beruft sich auch nicht mit Erfolg auf die Vorschrift des § 25 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 EichG. Nach dieser Vorschrift steht Satz 1 Nr. 2 Buchstabe d der Verwendung nichtgeeichter Messgeräte zur Durchführung öffentlicher Überwachungsaufgaben nicht entgegen, wenn die Messgeräte ihrer Beschaffenheit nach nicht die Voraussetzungen der Eichfähigkeit erfüllen und in anderer Weise als durch Eichung sichergestellt ist, dass die Verwendung der Geräte zu einer genaueren Bestimmung von Messwerten führt, als sie nach dem Stand von Wissenschaft und Technik mit Hilfe geeichter Messgeräte erreicht werden kann. Nach dem klaren Wortlaut der Norm bezieht sie sich ausschließlich auf Messgeräte zur Durchführung öffentlicher Überwachungsaufgaben. Angesichts der in derselben Norm sich befindenden Vorschrift, die sich ausdrücklich mit Messgeräten beschäftigt, welche bei der Herstellung von Arzneimitteln in Apotheken verwendet werden, ist für eine planwidrige Regelungslücke, die durch eine Analogie geschlossen werden könnte, kein Raum.
Das aus § 25 Abs. 1. S. 1 Nr. 5 EichG sich ergebende Verbot der ungeeichten Verwendung und des ungeeichten Bereithaltens des Schmelzpunktbestimmers galt im Erlasszeitpunkt der angefochtenen Verfügung auch angesichts der Regelung des § 2 Abs. 1 EichG zur Eichpflicht. Nach dieser Vorschrift müssen Messgeräte, die im geschäftlichen oder amtlichen Verkehr, Arbeitsschutz, Umweltschutz oder Strahlenschutz oder im Verkehrswesen verwendet werden, zugelassen und geeicht sein, sofern dies zur Gewährleistung der Messsicherheit erforderlich ist. Das Gleiche gilt für Messgeräte im Gesundheitsschutz, soweit sie nicht in anderen Rechtsvorschriften geregelt sind. Satz 2 der Vorschrift eröffnet die Möglichkeit, in anderen Normen als dem Eichgesetz Bestimmungen hinsichtlich der Eichpflicht von Messgeräten im Gesundheitsschutz zu treffen. Der Schmelzpunktbestimmer ist als Messgerät im Gesundheitsschutz anzusehen. In der Gesetzesbegründung zum Dritten Gesetz zur Änderung des Eichgesetzes (BRDrs. 185/91) heißt es dazu in der Einzelbegründung zum ersten Abschnitt des Eichgesetzes (§§ 1 bis 5) unter anderem:
Zu den in § 2 Abs. 1 genannten Messgeräten im Gesundheitsschutz gehören neben den medizinischen Messgeräten auch Messgeräte, die bei der Herstellung und Prüfung von Arzneimitteln verwendet werden.
Wie bereits dargelegt, wird der Schmelzpunktbestimmer bei der Prüfung und Herstellung von Arzneimitteln verwendet. Es gab jedoch bis zum Inkrafttreten des 1. Nachtrags zur 6. Ausgabe des Europäischen Arzneibuchs (Ph. Eur.) keine Rechtsvorschrift, die den automatischen Schmelzpunktbestimmer betroffen hätte. Insbesondere das Europäische Arzneibuch enthielt zum Zeitpunkt der letzten behördlichen Entscheidung in der maßgeblichen deutschen Fassung noch keine Regelung der automatischen Schmelzpunktbestimmung. Grundsätzlich ist das Europäische Arzneibuch jedoch als Rechtsvorschrift im Sinne des § 2 Abs. 1 S. 2 EichG anzusehen, denn die bereits erwähnte Vorschrift des § 11 Abs. 1 ApBetrO, die die Verwendung von Ausgangsstoffen, deren ordnungsgemäße Qualität festgestellt ist, vorschreibt, nimmt in Satz 2 auf die Vorschriften des § 6 Abs. 1 und 3 ApBetrO Bezug und erklärt sie auf die Prüfung der Ausgangsstoffe für entsprechend anwendbar. Nach § 6 Abs. 1 S. 1 und 2 ApBetrO müssen Arzneimittel, die in der Apotheke hergestellt werden, die nach der pharmazeutischen Wissenschaft erforderliche Qualität aufweisen. Sie sind nach den anerkannten pharmazeutischen Regeln herzustellen und zu prüfen; enthält das Arzneibuch entsprechende Regeln, sind die Arzneimittel nach diesen Regeln herzustellen und zu prüfen. Das Arzneibuch, auf das im letzten Halbsatz Bezug genommen wird, besteht aus dem Europäischen, Deutschen und Homöopathischen Arzneibuch. Nach § 55 Abs. 1, 2 und 6 des Gesetzes über den Verkehr mit Arzneimitteln (AMG) ist das Arzneibuch eine vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte im Einvernehmen mit dem Paul-Ehrlich-Institut und dem Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit bekannt gemachte Sammlung anerkannter pharmazeutischer Regeln, die von der Europäischen Arzneibuch-Kommission, der Deutschen Arzneibuch-Kommission oder der Deutschen Homöopathischen Arzneibuchkommission beschlossen werden. Das Arzneibuch beinhaltet anerkannte pharmazeutische Regeln zur Qualität, Prüfung, Lagerung, Abgabe und Bezeichnung von Arzneimitteln und den bei ihrer Herstellung verwendeten Stoffen.
Zum Zeitpunkt der letzten behördlichen Entscheidung galt noch die 5. Ausgabe des Europäischen Arzneibuchs. Dabei kann dahinstehen, ob für den Zeitpunkt der letzten behördlichen Entscheidung auf den Erlass des Widerspruchsbescheids vom 23.06.2008 oder den Erlass des Widerspruchsbescheides vom 03.09.2008 abzustellen ist, denn die 6. Ausgabe des Europäischen Arzneibuchs, Grundwerk 2008 ist erst am 01.11.2008 und damit nach dem Erlass beider Widerspruchsbescheide in Kraft getreten. Die Ausgaben des Europäischen Arzneibuchs vor dem 1. Nachtrag zur 6. Ausgabe beschreiben lediglich das klassische (zeitaufwändige) Verfahren zur Bestimmung des Schmelzpunktes "Schmelztemperatur - Kapillarmethode (2.2.14). Erst der 1. Nachtrag zur 6. Ausgabe des Europäischen Arzneibuchs enthält eine Beschreibung der Messung der Schmelztemperatur mit einer instrumentellen Methode (2.2.60), von der der im Streit stehende Schmelzpunktbestimmer umfasst wird. Dieser 1. Nachtrag ist in Deutschland am 01.02.2009 und damit nach Erlass des Widerspruchsbescheides in Kraft getreten. Maßgeblich für die formelle Verbindlichkeit des Europäischen Arzneibuches in Deutschland ist die Bekanntmachung der deutschen Übersetzung. Deutschland ist mit Gesetz vom 04.07.1973 (BGBl.1973 II, S- 701) dem Übereinkommen über die Ausarbeitung eines Europäischen Arzneibuchs vom 22.07.1964 (ebenda), revidiert durch das Protokoll vom 16.11.1989 (BGBl. 1993 II, S. 15) beigetreten und hat sich damit verpflichtet, die Monographien und anderen Texte des Europäischen Arzneibuchs in geltende Normen zu überführen. Die Bekanntmachung zum Europäischen Arzneibuch, 6. Ausgabe, 1. Nachtrag vom 29.02.2008 (Bundesanzeiger 2008, Nr. 44, S. 999), mit der dieser 1. Nachtrag für in der Bundesrepublik Deutschland vorläufig anwendbar erklärt wurde, entfaltet noch keine Rechtswirkung. Erst die Bekanntmachung nach § 55 Abs. 7 AMG, die für den 1. Nachtrag zur 6. Ausgabe am 01.02.2009 erfolgt ist, führt dazu, dass der Nachtrag als geltende Norm in Kraft tritt.
Steht nach alldem fest, dass die Klägerin bei Zugrundelegung der Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten behördlichen Entscheidung dem Verbot des § 25 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 EichG zuwider handelte, indem sie den automatischen Schmelzpunktbestimmer ungeeicht verwendete und einsetzbar bereithielt, so durfte der Beklagte zur Abwehr dieser Zuwiderhandlung nach § 18 EichG i. V. m. § 11 Nds. SOG die notwendigen Maßnahmen treffen. Der Beklagte war hierfür zuständig gemäß 3.7 der Verordnung über Zuständigkeiten auf dem Gebiet des Wirtschaftsrechts sowie in anderen Rechtsgebieten (ZustVO-Wirtschaft).
Bei Erlass der angefochtenen Verfügung erfüllte der Beklagte die aus § 4 und 5 Nds. SOG sich ergebenden Anforderungen und traf eine ermessensfehlerfreie und insbesondere verhältnismäßige Entscheidung. Er wählte mit der Klägerin die richtige Verantwortliche als Besitzerin des Schmelzpunktbestimmers aus und verfolgte mit der Beanstandung und der Beseitigungsaufforderung den legitimen Zweck, gesetzeskonforme Zustände herzustellen. Die Verfügung war geeignet, dieses Ziel zu erreichen und stellte die mildeste Form der möglichen behördlichen Eingriffe dar. Sie war bei Abwägung der öffentlichen Interessen an der Herbeiführung gesetzmäßiger Zustände in Apotheken gegenüber dem Interesse der Klägerin an der Verwendung der technisch moderneren und weniger zeitintensiven Messmethode auch insbesondere verhältnismäßig, da dem überragenden öffentlichen Interesse des Gesundheitsschutzes der Vorrang einzuräumen war.
Nichts anderes ergibt sich aus dem Schreiben des Beklagten vom 01.10.2008, mit dem lediglich die Vollziehung der angefochtenen Verfügung außer Kraft gesetzt und der Klägerin einstweilen die Benutzung eines automatischen Schmelzpunktbestimmers gestattet, nicht aber die rechtliche Position der Klägerin anerkannt wurde.
Die Klägerin kann sich auch nicht mit Erfolg auf eine Verletzung von Art. 3 GG berufen, da sich im Hinblick auf die von der Verfassung angeordnete Bindung der Verwaltung an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 2 Abs. 2 NV) aus Art. 3 GG kein Anspruch des Bürgers auf ein rechtswidriges Handeln („keine Gleichbehandlung im Unrecht") ergibt.
II. Die Klage ist jedoch begründet, soweit die Aufhebung der angefochtenen Verfügung ab dem 01.02.2009 begehrt wird.
Vorliegend kommt es für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Beanstandung auf die Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, also der (letzten) mündlichen Verhandlung an. Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Urteil vom 31.03.2004 (Az.: 8 C 5/03, juris) zur Frage des für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes zugrundezulegenden Zeitpunktes folgendes ausgeführt:
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ergibt sich für die Frage des richtigen Zeitpunkts für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage aus dem Prozessrecht nur, dass ein Kläger im verwaltungsgerichtlichen Rechtsstreit ebenso mit einem Aufhebungsbegehren wie mit einem Verpflichtungsbegehren nur dann Erfolg haben kann, wenn er im Zeitpunkt der letzten gerichtlichen Entscheidung einen Anspruch auf die erstrebte Aufhebung des Verwaltungsakts bzw. auf die erstrebte Leistung hat. Ob ein solcher Anspruch jedoch besteht, d.h. ob ein belastender Verwaltungsakt den Kläger i.S. des § 113 Abs. 1 VwGO rechtswidrig in seinen Rechten verletzt oder die Ablehnung eines begehrten Verwaltungsakts i.S. des § 113 Abs. 5 VwGO rechtswidrig ist, beurteilt sich nach dem materiellen Recht, dem nicht nur die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Ermächtigungsgrundlage oder eines Anspruchs selbst, sondern auch die Antwort auf die Frage zu entnehmen ist, zu welchem Zeitpunkt diese Voraussetzungen erfüllt sein müssen (stRspr vgl. Urteil vom 30. Oktober 1969 - BVerwG 8 C 112.67/115.67 - BVerwGE 34, 155 <157 f.>; Urteil vom 21. Mai 1976 - BVerwG 4 C 80.74 - BVerwGE 51, 15 <24>; Urteil vom 3. November 1987 - BVerwG 9 C 254.86 - BVerwGE 78, 243 <244>; Urteil vom 17. Oktober 1989 - BVerwG 9 C 58.88 - NVwZ 1990, 654 f.).
Daraus folgt für den vorliegenden Fall, dass bei der Prüfung der Rechtslage auch die nach Erlass der letzten behördlichen Entscheidung eingetretenen Änderungen des materiellen Rechts für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Beanstandung Berücksichtigung finden. Mit dem Inkrafttreten des 1. Nachtrags zur 6. Ausgabe des Europäischen Arzneibuchs am 01.02.2009 hat sich das materielle Recht geändert, da damit nunmehr die automatische Schmelzpunktbestimmung in einer anderen Rechtsvorschrift im Sinne des § 2 Abs. 1 S. 2 EichG geregelt ist, die gemäß § 11 Abs. 1 S. 2 ApBetrO, § 6 Abs. 1 S. 1 und 2 ApBetrO, § 55 Abs. 2 und 7 AMG Anwendung findet. Seitdem besteht für Geräte zur automatischen Schmelzpunktbestimmung keine Eichpflicht mehr. Das Verbot des § 25 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 EichG ist auf diese Geräte nicht mehr anwendbar. Zur Gewährleistung eines sicheren Messergebnisses werden im Europäischen Arzneibuch (2.2.60) strenge Anforderungen an die Kalibrierung und die Eignungsprüfung gestellt.
Eine Abweisung der Klage im Ganzen würde hier zu dem unbilligen Ergebnis führen, dass die Beanstandung und die Verpflichtung, den Schmelzpunktbestimmer zu beseitigen, vollziehbar in der Welt wären, obwohl sie nach der nunmehr geltenden Rechtslage rechtswidrig sind. Die Klägerin wäre zu einer Handlung verpflichtet, die aktuell nicht mehr von ihr zu verlangen wäre.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 S. 1 VwGO. Die Teilung der Kosten ergibt sich aus der Tatsache, dass die Klage bei ihrer Erhebung unbegründet war, und daraus, dass der Beklagte nach Änderung der Rechtslage an dem nunmehr rechtswidrigen Bescheid festgehalten und diesen nicht von sich aus aufgehoben hat. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 ZPO.