Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 26.06.2018, Az.: L 8 SO 371/14

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
26.06.2018
Aktenzeichen
L 8 SO 371/14
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2018, 39982
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
SG Braunschweig - 19.09.2014 - AZ: S 32 SO 198/12

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Braunschweig vom 19. September 2014 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob es sich bei den Ansparungen der Klägerin aus Entschädigungsleistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) um bei der Gewährung von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII einzusetzendes Vermögen handelt, hier für die Zeit von Februar 2012 bis einschließlich April 2013.

Die 1989 geborene Klägerin beantragte am 12. April 1999 beim Versorgungsamt Braunschweig die Gewährung einer Beschädigtenversorgung nach dem OEG. Mit Bescheid vom 29. Juli 2004 erkannte das Versorgungsamt bei der Klägerin "psychoreaktive Störungen" als Schädigungsfolge einer Gewalttat an und gewährte ihr ab dem 1. April 1999 Beschädigtenversorgung nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 50. Ab September 2004 wurden die Versorgungsbezüge monatlich an die Klägerin ausgezahlt. Für den vorangegangenen Zeitraum vom 1. April 1999 bis zum 31. August 2004 erhielt die Klägerin eine Grundrentennachzahlung in Höhe von 13.728,00 EUR.

Die Klägerin lebte zunächst in G. (Kreis Hildesheim) und wurde sodann im Kinderhaus H. in I. aufgenommen, wo sie bis zum 31. Dezember 2011 stationär betreut wurde. Bereits seit dem 1. März 2010 besucht sie den Bildungsbereich der Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) der Lebenshilfe J. gGmbH. Seit dem 1. Januar 2012 wohnt sie in einer eigenen Wohnung in I. und wird dort ambulant betreut. Der Beklagte gewährte Leistungen im Rahmen der Eingliederungshilfe.

Am 27. Februar 2012 beantragte die Klägerin bei dem Beklagten die Gewährung von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII. In einer von dem Beklagten ausgehändigten Liste über Vermögenswerte trug sie unter Giro-/Bank-/Sparguthaben die Beträge 243,84 EUR und 19.559,50 EUR ein. Neben dem zweiten Betrag vermerkte sie, dass dieser aus Zahlungen der Opferentschädigung angespart sei. Die übersandten Auszüge von zwei Sparbüchern wiesen einen Betrag in Höhe von 3.912,31 EUR sowie in Höhe von 15.647,19 EUR aus.

Mit Bescheid vom 2. März 2012 lehnte der Beklagte den Antrag der Klägerin ab. Zur Begründung führte er aus, die Klägerin verfüge über einzusetzendes Vermögen in Höhe von 17.203,34 EUR. Damit könne sie ihren Lebensunterhalt bestreiten. Die Vermögensfreibetragsgrenze betrage 2.600,00 EUR. Den dagegen erhobenen Widerspruch der Klägerin vom 25. März 2012 wies der Beklagte nach Beteiligung sozial erfahrener Dritter gemäß § 116 SGB XII mit Widerspruchsbescheid vom 5. September 2012 als unbegründet zurück.

Dagegen hat die Klägerin am 8. Oktober 2012 beim Sozialgericht (SG) Hildesheim Klage erhoben, welches den Rechtsstreit mit Beschluss vom 26. Oktober 2012 an das örtlich zuständige SG Braunschweig verwiesen hat.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, dass eine Anrechnung des Vermögens nicht erfolgen dürfe, weil es sich um Leistungen handele, die ihr das OEG aufgrund einer persönlichen Schädigung zuerkannt habe. Ihre Sparsamkeit könne nicht zu ihren Lasten ausgelegt werden.

Mit Urteil vom 19. September 2014 hat das SG Braunschweig die Klage abgewiesen. Ein Härtefall im Sinne des § 90 Abs. 3 SGB XII liege nicht vor. Dies sei Folge der zum 1. Juli 2011 in Kraft getretenen Änderung des § 25 f Abs. 1 BVG durch das Gesetz zur Änderung des Bundesversorgungsgesetzes und anderer Vorschriften vom 20. Juni 2011, wonach Vermögenswerte aus Nachzahlungen von Renten nach diesem Gesetz nur für einen Zeitraum von einem Jahr unberücksichtigt bleiben. Der Gesetzgeber habe sich ausdrücklich auf die vorausgegangene diesbezügliche Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) bezogen und deutlich gemacht, dass diese nicht mehr der nunmehr geänderten Gesetzeslage entsprechen solle.

Gegen das ihr am 13. Oktober 2014 zugestellte Urteil richtet sich die am 13. November 2014 eingelegte Berufung der Klägerin. Sie ist weiterhin der Ansicht, ihr aus der Opferentschädigungsrente angespartes Vermögen sei nicht einzusetzen.

Die Klägerin beantragt schriftsätzlich,

  1. 1.

    das Urteil des Sozialgerichts Braunschweig vom 19. September 2014 aufzuheben und den Bescheid des Beklagten vom 2. März 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. September 2012 zu ändern,

  2. 2.

    den Beklagten zu verurteilen, ihr - der Klägerin - für die Zeit vom 1. Februar 2012 bis zum 30. April 2013 Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung ohne Anrechnung von Vermögen aus der Ansparung der Grundrente nach dem Opferentschädigungsgesetz zu zahlen.

Der Beklagte beantragt schriftsätzlich,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die Entscheidung des SG Braunschweig für zutreffend.

Die Beteiligten haben am 26. März 2018 bzw. am 13. April 2018 ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Der Landkreis Wolfenbüttel hat der Klägerin mit Bescheid vom 17. März 2014 Leistungen der Kriegsopferfürsorge in Form von ergänzender Hilfe zum Lebensunterhalt gemäß § 27a BVG für den Zeitraum vom 1. Januar bis zum 30. September 2013 gewährt. In den Monaten Januar bis einschließlich April 2013 hat der Landkreis einzusetzendes Vermögen berücksichtigt, soweit es den nach dem BVG geltenden Schonbetrag von 7.530,00 EUR überstiegen hat. Seit dem 1. Mai 2013 erhält die Klägerin ergänzende Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem BVG ohne Berücksichtigung von Vermögen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakten Bezug genommen. Diese Akten haben vorgelegen und sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 153 Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 SGG), ist ohne Zulassung statthaft (§§ 143, 144 Abs. 1 SGG) und auch im Übrigen zulässig. Sie ist aber unbegründet.

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid des Beklagten vom 2. März 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. September 2012 erweist sich als rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Gewährung von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII.

Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§§ 54 Abs. 1 und 4, 56 SGG) zulässig. Bereits im Klageverfahren hat die Klägerin ihr Begehr auf die Zeit bis zum 30. April 2013 beschränkt, da sie seit dem 1. Mai 2013 Hilfe zum Lebensunterhalt ohne Berücksichtigung von Vermögen nach dem BVG bezieht.

Anspruchsgrundlage für die begehrte Leistung ist § 41 Abs. 1 SGB XII in der Fassung vom 24. März 2011. Danach ist älteren und dauerhaft voll erwerbsgeminderten Personen mit gewöhnlichem Aufenthalt im Inland, die ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht aus Einkommen und Vermögen nach den §§ 82 bis 84 und 90 SGB XII bestreiten können, auf Antrag Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung zu leisten.

Der beklagte Landkreis ist der für die Entscheidung über Leistungen der Grundsicherung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII zuständige Sozialhilfeträger. Er ist im streitigen Zeitraum als örtlicher Träger der Sozialhilfe (§ 3 Abs. 2 Satz 1 SGB XII i.V.m. § 1 Abs. 2 - bis zum 31. Dezember 2012: § 1 Satz 1 - Niedersächsisches Gesetz zur Ausführung des SGB XII - Nds. AG SGB XII -) nach § 97 Abs. 1 SGB XII i.V.m § 6 Abs. 1 Nds. AG SGB XII sachlich zuständig gewesen.

Seine örtliche Zuständigkeit für Grundsicherungsleistungen an die Klägerin, die in der streitigen Zeit ihren tatsächlichen und gewöhnlichen Aufenthalt im Landkreis Helmstedt hatte, folgt aus § 98 Abs. 5 Satz 1 SGB XII (ab 1. Januar 2013 s. § 46b Abs. 3 Satz 3 SGB XII; vgl. auch § 6a Nds. AG SGB XII). Nach dieser Vorschrift ist für die Leistungen nach dem SGB XII an Personen, die Leistungen nach dem Sechsten bis Achten Kapitel in Formen ambulanter betreuter Wohnmöglichkeiten erhalten, der Träger der Sozialhilfe örtlich zuständig, der vor Eintritt in diese Wohnform zuletzt örtlich zuständig war oder gewesen wäre. Die sich aus § 98 Abs. 5 Satz 1 SGB XII ergebende Zuständigkeit erstreckt sich auf sämtliche Sozialhilfeleistungen (vgl. BSG, Urteil vom 25. August 2011 - B 8 SO 7/10 R - juris Rn. 13), also auch auf die hier streitigen Grundsicherungsleistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII.

Die Auslegung des gesetzlich nicht näher definierten Begriffs der betreuten Wohnmöglichkeiten hat sich an § 55 Abs. 2 Nr. 6 SGB IX in der bis 31. Dezember 2017 geltenden Fassung zu orientieren. Die Beurteilung, ob Leistungen in Formen ambulanter betreuter Wohnmöglichkeiten gewährt werden, hat in erster Linie anhand des Zwecks der Hilfen zu erfolgen, der nicht in der Zurverfügungstellung einer Wohnung, sondern in der Förderung der Selbstständigkeit und Selbstbestimmung bei Erledigung der alltäglichen Angelegenheiten im eigenen Wohn- und Lebensbereich besteht. Dementsprechend ist es unerheblich, ob eine konzeptionelle Verknüpfung von Wohnungsgewährung und ambulanter Betreuung vorliegt (grundlegend BSG, Urteil vom 25. August 2011 - B 8 SO 7/10 R - juris Rn. 15; zur Abgrenzung gegenüber einer stationären Leistung und der dort erforderlichen Übernahme der Gesamtverantwortung für die tägliche Lebensführung vgl. BSG, Urteil vom 23. Juli 2015 - B 8 SO 7/14 R - juris Rn. 18). § 98 Abs. 5 Satz 1 SGB XII dient dem Schutz der Sozialhilfeträger, in deren Zuständigkeitsbereich Formen des betreuten Wohnens angeboten werden und die ohne diese Regelung für die Leistungsgewährung örtlich zuständig wären (§ 98 Abs. 1 SGB XII) und damit finanziell durch hilfebedürftige Personen überproportional belastet würden (BSG, a.a.O., juris Rn. 17). § 98 Abs. 5 Satz 1 SGB XII kann aber nur eingreifen, wenn der Leistungsfall des Betreuten-Wohnens nach dem 1. Januar 2005 eingetreten ist (§ 98 Abs. 5 Satz 2 SGB XII; BSG, Urteil vom 25. April 2013 - B 8 SO 16/11 R - juris Rn. 17).

Die Klägerin hat vorliegend nach ihrem Einzug in eine eigene Wohnung in I. von dem Beklagten Leistungen der Eingliederungshilfe in Formen ambulanter betreuter Wohnmöglichkeiten erhalten. § 98 Abs. 5 Satz 1 SGB XII ist auch in zeitlicher Hinsicht anwendbar, weil der Leistungsfall des Betreuten-Wohnens erst 2012 eingetreten ist; bei den Leistungen, die die Klägerin bis 2011 erhalten hat, handelte es sich um keine Leistungen des betreuten Wohnens.

Die sich aus § 98 Abs. 5 Satz 1 SGB XII ergebende Rechtsfolge ist die örtliche Zuständigkeit des vor Eintritt des Leistungsberechtigten in die Wohnform des Betreuten-Wohnens zuständigen Sozialhilfeträgers. Dies ist vorliegend der Beklagte, weil er bis zum Verlassen der stationären Einrichtung durch die Klägerin am 31. Dezember 2011 als vom überörtlichen Sozialhilfeträger, dem Land Niedersachsen, herangezogener örtlicher Sozialhilfeträger wahrnehmungszuständig war bzw. - im Fall des Sozialhilfebezuges - gewesen wäre. Das Land Niedersachsen wäre nach § 97 Abs. 2 Satz 1 SGB XII i.V. mit § 6 Abs. 2 Nr. 1 a) Nds. AG SGB XII sachlich und nach § 98 Abs. 2 Satz 1 SGB XII örtlich zuständig gewesen. Die Heranziehung des Beklagten durch den überörtlichen Träger beruht auf § 99 Abs. 2 SGB XII i.V. mit § 8 Abs. 2 Satz 1 Nds. AG SGB XII, § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 DVO Nds. AG SGB XII. Im Rahmen der Heranziehung ergibt sich die örtliche Zuständigkeit des Beklagten daraus, dass die Klägerin ihren gewöhnlichen Aufenthalt vor Aufnahme in die stationäre Einrichtung zuletzt in seinem Zuständigkeitsbereich (in Alfeld) hatte (§ 98 Abs. 2 Satz 1 SGB XII i.V. mit § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 DVO Nds. AG SGB XII).

Die Klägerin konnte im streitgegenständlichen Zeitraum ihren notwendigen Lebensunterhalt aus ihrem Vermögen bestreiten.

Nach § 90 Abs. 1 SGB XII ist das gesamte verwertbare Vermögen mit Ausnahme der in § 90 Abs. 2 SGB XII genannten Vermögensgegenstände einzusetzen. § 90 Abs. 2 SGB XII enthält neun Gruppen von Vermögensgegenständen oder -werten, die entgegen dem Nachranggrundsatz der §§ 2, 19 SGB XII nicht vor dem Einsetzen der Sozialhilfe einzusetzen sind. Außerdem beinhaltet § 90 Abs. 3 SGB XII eine Härteregelung, mit der Fälle erfasst werden sollen, die wegen ihrer atypischen Ausgestaltung nicht bereits von den Regeltatbeständen des Schonvermögens nach Absatz 2 erfasst werden, diesen aber in Bezug auf den Regelungszweck grundsätzlich gleichwertig sind (Mecke in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 90 Rn. 6).

Die Klägerin hat im streitgegenständlichen Zeitraum über einzusetzendes Vermögen verfügt. Zum Zeitpunkt der Antragstellung im Februar 2012 verfügte sie über ein Vermögen in Höhe von 19.803,34 EUR. Dabei handelt es sich um verwertbares Vermögen, welches keiner der in § 90 Abs. 2 Nr. 1 bis 8 SGB XII genannten Gruppen zuzuordnen ist. Davon abzusetzen sind allein die in § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII geschützten "kleineren Barbeträge" in Höhe von insgesamt 2.600,00 EUR (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 1a der Verordnung zur Durchführung des § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII vom 1. Februar 1988 in der bis zum 31. März 2017 geltenden Fassung). Somit verbleibt ein einzusetzendes Vermögen in Höhe von 17.203,34 EUR. Die Klägerin verfügte auch während des gesamten streitgegenständlichen Zeitraumes über einzusetzendes Vermögen in anspruchsausschließender Höhe. Noch am 31. Mai 2013 wies ihr Sparbuch ein Guthaben in Höhe von 3.927,87 EUR aus.

Der Einsatz ihres Vermögens bedeutet für die Klägerin keine Härte i.S.v. § 90 Abs. 3 SGB XII.

Eine Verwertung des Vermögens darf gemäß § 90 Abs. 3 Satz 1 SGB XII dann nicht erfolgen, wenn dies für den, der das Vermögen einzusetzen hat, und für seine unterhaltsberechtigten Angehörigen eine Härte bedeuten würde. Dabei ist der Begriff der Härte im Sinne des § 90 Abs. 3 SGB XII im Zusammenhang mit den Vorschriften über das Schonvermögen nach § 90 Abs. 2 SGB XII zu sehen (vgl. BSG, Urteil vom 25. August 2011 - B 8 SO 19/10 R). Während die Vorschriften über das Schonvermögen typische Lebenssachverhalte regeln, bei denen es als unbillig erscheint, die Sozialhilfe vom Einsatz bestimmter Vermögensgegenstände abhängig zu machen, regelt § 90 Abs. 3 SGB XII atypische Fallgestaltungen, die mit den Regelbeispielen des § 90 Abs. 2 SGB XII vergleichbar sind und zu einem den Leitvorstellungen des § 90 Abs. 2 SGB XII entsprechenden Ergebnis führen. § 90 Abs. 3 SGB XII kommt deshalb nur dann zum Tragen, wenn eine typische Vermögenslage deshalb zu einer besonderen (atypischen) wird, weil die soziale Stellung des Hilfesuchenden aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls nachhaltig beeinträchtigt ist (vgl. BSG, Urteil vom 25. August 2011 - B 8 SO 19/10 R).

Der Einsatz des Vermögens der Klägerin stellt daher ohne das Hinzutreten weiterer, besonderer Umstände noch keine von § 90 Abs. 3 SGB XII erfasste atypische Fallgestaltung dar. Das Vermögen der Klägerin stammt weit überwiegend aus angesparter Grundrente, die ihr nach § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) gewährt wird (§ 31 BVG). Zwar sind Leistungen der Grundrente nach dem BVG und nach Gesetzen, die eine entsprechende Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes vorsehen, bei der Gewährung von Sozialhilfe nicht als Einkommen zu berücksichtigen (§ 82 Abs. 1 Satz 1 SGB XII). Dieser Umstand führt jedoch nicht dazu, dass auch Vermögen, das aus angesparter Grundrente stammt, grundsätzlich nicht einzusetzen wäre. Hätte der Gesetzgeber ein solches Vermögen von einer Verwertung grundsätzlich ausnehmen wollen, so wäre zu erwarten gewesen, dass er dies in § 90 Abs. 2 SGB XII, der typische Lebenssachverhalte erfasst, geregelt hätte. Eine derartige Regelung fehlt jedoch.

Etwas anderes folgt auch nicht aus dem Urteil des BVerwG vom 27. Mai 2010 (BVerwG, 5 C 7/09 - BVerwGE 137, 85-95). Das BVerwG hat in dieser Entscheidung ausgeführt, dass der Einsatz einer angesparten Grundrente nach dem OEG als Vermögen zur Deckung eines sozialhilferechtlichen Bedarfs grundsätzlich eine Härte (im Sinne der gleichlautenden Vorgängervorschrift in § 88 Abs. 3 Satz 1 Bundessozialhilfegesetz) bedeute und daher regelmäßig nicht verlangt werden könne. Die Herkunft des Vermögens, so das BVerwG, präge dieses ausnahmsweise derart, dass bereits dadurch seine Verwendung eine Härte darstelle (a.a.O. Rn. 20). An diese Rechtsprechung kann jedoch nach Änderung des § 25f Abs. 1 BVG nicht festgehalten werden. Mit Wirkung zum 1. Juli 2011 hat der Gesetzgeber eigens eine Novellierung vorgenommen, um klarzustellen, dass die Anrechnung angesparter Beschädigtengrundrente als Vermögen in Bezug auf Leistungen der Kriegsopferentschädigung im Grundsatz nicht (mehr) in Betracht kommen soll. Die Neuregelung in § 25f Abs. 1 Sätze 1 bis 3 BVG i.d.F. vom 20.6.2011 (BGBl I S. 1114) hat folgenden Wortlaut:

"Einzusetzen ist das gesamte verwertbare Vermögen. Dies gilt auch für Ansparungen aus Leistungen nach diesem Gesetz. Leistungen der Kriegsopferfürsorge dürfen nicht von dem Einsatz oder von der Verwertung eines Vermögens abhängig gemacht werden, soweit dies für die Leistungsberechtigten, die das Vermögen einzusetzen haben, und für ihre unterhaltsberechtigten Angehörigen eine Härte bedeuten würde." (Hervorhebung durch den Senat)

Mit dieser Neufassung von § 25f Abs. 1 BVG bestätigt der Gesetzgeber unter ausdrücklicher Verwerfung der gegenteiligen Rechtsauffassung des BVerwG in der Entscheidung vom 27. Mai 2010, dass Ansparungen aus Leistungen nach dem BVG zum verwertbaren und einzusetzenden Vermögen gehören (vgl. BT-Drs. 17/5311, S. 13). Der amtlichen Begründung sind im Hinblick auf die Neuregelung in § 25f Abs. 1 Satz 2 BVG folgende weitere Ausführungen (vgl. BT-Drs. 17/5311, S. 17) zu entnehmen:

"(§ 25 f Abs. 1) Satz 2 regelt, dass alle Ansparungen aus Leistungen nach dem BVG bei nicht ausschließlich schädigungsbedingten Bedarfen als verwertbares Vermögen oberhalb der Vermögensschongrenzen gelten. Dies gilt auch für Ansparungen aus der Grundrente. Diese Regelung entspricht dem in der bisherigen Praxis der Kriegsopferfürsorge und in der bisher langjährigen höchstrichterlichen Rechtsprechung geltenden Grundsatz, dass eine angesparte Grundrente verwertbares Vermögen in der Kriegsopferfürsorge darstellt. Die Klarstellung ist wegen der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Mai 2010 (BVerwG 5 C 7/09) erforderlich. [ ] Die in der Urteilsbegründung vorgenommene Auslegung des Bundesverwaltungsgerichts, dass Ansparungen aus Beschädigtengrundrenten in der Kriegsopferfürsorge als Vermögen stets anrechnungsfrei bleiben sollen, verkennt den Willen des Gesetzgebers. Die Grundrente soll Mehraufwendungen ersetzen, die ein gesunder Mensch nicht hätte. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass die monatlich gezahlte Grundrente zu diesem Zweck genutzt wird und dem Berechtigten entsprechend zugutekommt. Sie soll weder zur Bestreitung des Lebensunterhalts noch zur Begründung eines Sparvermögens verwendet werden."

Bezogen auf Leistungen der Kriegsopferentschädigung scheidet damit die regelhafte Annahme einer besonderen Härte ausdrücklich aus. Ein Verweis auf die besondere Prägung dieses Vermögens ist damit nicht (mehr) möglich. Dies steht nicht im Widerspruch zur Nichtberücksichtigung von Guthaben aus angespartem Blindengeld (dazu: BSG, Urteil vom 11. Dezember 2007 B 8/9b SO 20/06 R ) oder aus Schmerzensgeld (dazu: BSG, Urteil vom 15. August 2008 B 14/7b AS 6/07 R ). Denn anders als im BVG hat der Gesetzgeber für diese Leistungen nicht bestimmt, dass Ansparungen daraus grundsätzlich als verwertbares Vermögen einzusetzen sind.

Die Wertung des Gesetzgebers im Hinblick auf Ansparungen aus Leistungen nach dem BVG ist aufgrund der Parallelen der Leistungen der Kriegsopferfürsorge und der Leistungen der Sozialhilfe auch im Rahmen des § 90 Abs. 3 Satz 1 SGB XII anzuwenden. Eine Privilegierung von Ansparungen aus der Beschädigtengrundrente ist vom Gesetzgeber grundsätzlich nicht gewollt. Kriegsopferfürsorge und Sozialhilfe sind einkommens- und vermögensabhängige Fürsorgesysteme. Ziel der fürsorgerischen Leistungen der Kriegsopferfürsorge ist es nicht, einen Vermögensaufbau über die in der Kriegsopferfürsorge geltenden großzügigen Vermögensschonbeträge hinaus zu ermöglichen (vgl. dazu etwa Hessischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 13. Februar 2018, 10 A 312/17, Rn. 32). Für die Sozialhilfe, deren Vermögensschonbeträge im streitgegenständlichen Zeitraum niedriger waren, kann nichts Anderes gelten. Andernfalls käme die Klägerin, die grundsätzlich leistungsberechtigt nach den Vorschriften der Kriegsopferfürsorge ist, erst dann in den Genuss dieser Leistungen, wenn sie ihr Vermögen aus angesparter Grundrente (§ 25 f Abs. 1 Satz 2 BVG) trotz des Bezuges von Sozialhilfe verbraucht hat. Dies aber entspricht nicht dem Grundgedanken der Kriegsopferhilfe, bei der im Vergleich zu den Leistungen der Sozialhilfe durchgängig ein großzügigerer Maßstab angelegt wird (Grube in Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, 2012, Vorb. Zu §§ 25 ff BVG, Rn. 4). In der Kriegsopferfürsorge gilt seit jeher ein besonderer Begünstigungsgrundsatz, der in mehreren Vorschriften dadurch zum Ausdruck kommt, dass "die besondere Lage des Beschädigten" zu berücksichtigten ist (§§ 25b Abs. 5, 25c Abs. 3, 27a, 27d Abs. 3 BVG).

Im Ergebnis ist daher die angesparte Beschädigtengrundrente oberhalb der Vermögensschongrenze regelmäßig einzusetzen (so auch OVG Rheinland-Pfalz für den Fall des Aufeinandertreffens von Leistungen der Jugendhilfe mit solchen der Kriegsopferfürsorge, Urteil vom 6. Dezember 2016, 7 A 10344/16, Rn. 27ff).

Der Einsatz von Vermögen, das aus nach dem SGB XII nicht zum Einkommen gehörenden Einkünften wie der Grundrente nach dem OEG stammt, stellt mithin nicht generell eine Härte im Sinne des § 90 Abs. 3 SGB XII dar. Erforderlich ist vielmehr auch in diesem Fall, dass sich die Härte aus besonderen, bei anderen Hilfebedürftigen regelmäßig nicht anzutreffenden Umständen ergibt. Dafür aber sind vorliegend keine Anhaltspunkte erkennbar.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Der Senat lässt die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zu (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).