Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 27.06.2018, Az.: L 7 AL 22/18 B ER
Summierung von kleinen Verstößen; Unzuverlässigkeit des Arbeitgebers; Widerruf der Genehmigung zum Arbeitnehmer; Überlassung
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 27.06.2018
- Aktenzeichen
- L 7 AL 22/18 B ER
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2018, 73959
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG - 26.01.2018 - AZ: S 7 AL 9/18 ER
Rechtsgrundlagen
- § 2 Abs 3 AÜG
- § 2 Abs 4 S 4 AÜG
- § 3 Abs 1 Nr 1 AÜG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Die Unzuverlässigkeit eines Entleihers im Rahmen der Verlängerung der Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung kann sich auch aus einer Summierung von Umständen und kleinen Verstößen gegen arbeitsrechtliche Vorschriften ergeben, die für sich allein keinen Versagungsgrund rechtfertigen könnten.
2. Die Möglichkeit einer Fortführung des Entleiherbetriebes mit den bisherigen Arbeitnehmern für die Dauer von einem Jahr nach Ablauf der Genehmigung (§ 2 Abs 4 Satz 4 AÜG) gilt nicht für Fälle, in denen die Behörde von einem vorbehaltenen Widerruf Gebrauch macht.
Tenor:
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Lüneburg vom 26. Januar 2018 aufgehoben und der Antrag der Antragstellerin auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer beim Sozialgericht Lüneburg erhobenen Klage (S 7 AL 6/18) gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 25. August 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1. Dezember 2017 abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen.
Die Gerichtskosten werden auf 5000,- € festgesetzt.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten im Rahmen eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens um die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 25. August 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1. Dezember 2017.
Die 1969 geborene Antragstellerin ist gelernte Altenpflegerin. Sie war Mitinhaberin der C., die bis zum 29. November 2016 für ca. ein Jahr im Besitz einer Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung war. Auf der Grundlage der mit Bescheid der Antragsgegnerin vom 1. September 2016 erteilten, bis zum 6. September 2017 befristeten Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung betreibt sie nunmehr eine Personalvermittlung für Altenpflegeeinrichtungen. Die Erlaubnis wurde von der Antragsgegnerin unter dem Vorbehalt des Widerrufs erteilt.
Am 22. Juni 2017 stellte die Antragstellerin bei der Antragsgegnerin den Antrag auf Verlängerung der Erlaubnis. Die Antragsgegnerin führte daraufhin am 7. August 2017 eine Betriebsprüfung bei der Antragstellerin durch. Dabei stellte die Antragsgegnerin zahlreiche Verstöße gegen Rechtsvorschriften und tarifliche Vorschriften fest.
Mit Schreiben vom 18. August 2017 hörte die Antragsgegnerin die Antragstellerin zu der beabsichtigten Versagung der beantragten Verlängerung der Erlaubnis sowie zum beabsichtigten Widerruf der Erlaubnis an. Die Antragstellerin habe entgegen § 615 Abs. 1 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) das ihr obliegende Beschäftigungsrisiko auf ihre Arbeitnehmer übertragen. Wenn ein Leiharbeitnehmer von der Antragstellerin nicht in dem Umfang eingesetzt werden könne, welcher der vertraglichen Arbeitszeit entspreche, seien die einsatzfreien Stunden dennoch von der Antragstellerin zu vergüten. Drei Arbeitnehmerinnen seien durch das Verhalten der Antragstellerin monetäre Schäden entstanden. Die Antragstellerin habe außerdem tarifliche Leistungen nicht gewährt. Sie habe die ihren Arbeitnehmern zustehenden Jahressonderzahlungen gem. § 8 des Manteltarifvertrages IGZ teilweise nicht, nicht rechtzeitig oder nicht vollständig gewährt. Einem Arbeitnehmer sei das Urlaubsgeld für 2017 nicht mit der Abrechnung für Juni 2017 gewährt worden. Die Antragstellerin habe zudem gegen das Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) verstoßen. Eine Arbeitnehmerin sei wiederholt ohne Vorlage eines sachlichen Grundes kalendermäßig befristet eingestellt worden. Des Weiteren sei ein Verstoß gegen § 2 Abs. 1 Satz 1 Nachweisgesetz (NachwG) festgestellt worden. Die Antragstellerin habe als Arbeitgeberin spätestens einen Monat nach dem vereinbarten Beginn des Arbeitsverhältnisses die wesentlichen Vertragsbedingungen schriftlich niederzulegen. Ein im Rahmen der Prüfung vorgelegter Arbeitsvertrag mit einem Arbeitnehmer sei jedoch durch diesen nicht unterzeichnet gewesen. Im Falle einer weiteren Arbeitnehmerin habe die Antragstellerin im Arbeitsvertrag gesetzeswidrig keine Angaben zur Erlaubnisbehörde sowie zum Ort und Datum der Erteilung der Erlaubnis gemacht. In anderen Arbeitsverträgen habe die Antragstellerin ein unzutreffendes Datum der Erlaubniserteilung angegeben. Im Falle einer weiteren Arbeitnehmerin hätten in der Niederschrift des Arbeitsvertrages Angaben zu Ort und Höhe der Leistungen für Zeiten gefehlt, in denen Leiharbeitnehmer nicht verliehen sind. Die Antragstellerin habe auch gegen § 11 Abs. 2 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) verstoßen, indem sie einer Arbeitnehmerin das Merkblatt der Antragsgegnerin für Leiharbeitnehmer nicht ausgehändigt habe. Die Probezeitvereinbarungen in den Arbeitsverträgen würden zum Teil der geltenden Rechtsprechung widersprechen. Mit einer Arbeitnehmerin sei unzulässig bei einem zweiten mit ihr eingegangenen Beschäftigungsverhältnis wie zuvor eine sechsmonatige Probezeit vereinbart worden. Der Betrieb der Antragstellerin weise zudem eine mangelhafte Organisation auf. Für zwei Arbeitnehmerinnen habe die Antragstellerin im Rahmen der Prüfung Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nicht vorlegen können. Sie seien erst nachgereicht worden. Einen Arbeitnehmer, der unter das Arbeitnehmer-Entsendegesetz falle, habe sie unzutreffend nicht in die Entgeltgruppe des von der Antragstellerin angewandten Entgeltrahmentarifvertrages IGZ eingruppiert und damit gegen dessen § 2 verstoßen. Die durch den IGZ zur Verfügung gestellten Musterverträge habe die Antragstellerin ferner verwendet, ohne bei jedem individuellen Vertragsabschluss notwendige Änderungen in hinreichendem Maße vorzunehmen. Zudem habe die Antragstellerin in einem mit einem Entleiher geschlossenen Arbeitnehmerüberlassungsvertrag einen Leiharbeitnehmer unzutreffend als Personaldienstleister bezeichnet. Die Verstöße würden zeigen, dass die Antragstellerin bei der Erstellung der Arbeits- und Arbeitnehmerüberlassungsverträge nicht mit der für Arbeitgeber notwendigen Sorgfalt vorgehe. Auf Nachfrage habe die Antragstellerin eingeräumt, dass sie die Notwendigkeit der Anpassung des IGZ-Vertragsmusters nicht erkannt und angenommen habe, dieses nicht ändern zu dürfen. Die Gesamtheit der Verstöße manifestiere ihre Unzuverlässigkeit im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AÜG.
Mit Schreiben vom 21. August 2017 nahm die Antragstellerin hierzu Stellung. Unter anderem teilte sie zu der § 615 Abs. 1 Satz 1 BGB entgegenstehenden Übertragung des Beschäftigungsrisikos auf ihre Arbeitnehmer mit, die betroffenen Arbeitnehmer seien darüber informiert worden, dass dem Steuerberater die nötigen Unterlagen nochmal zur Prüfung vorgelegt worden seien und gegebenenfalls eine Nachzahlung erfolgen werde. Der Steuerberater sei für die Zukunft angewiesen worden, das jeweilige Gehalt von den Arbeitnehmern nicht mehr nach den Stunden zu berechnen, sondern nach den Stunden, die in den jeweiligen Arbeitsverträgen festgehalten seien. Zu dem Verstoß gegen § 8 des Manteltarifvertrages IGZ durch nicht rechtzeitige Gewährung der Jahressonderzahlung trug die Antragstellerin vor, die Jahressonderzahlung sei auf eigenen Wunsch des Arbeitnehmers statt mit der Juni-Abrechnung erst mit der Juli-Abrechnung ausgezahlt worden. Dies sei von ihr und dem betroffenen Arbeitnehmer im Mai 2017 auch schriftlich festgehalten worden. Die Verstöße gegen das TzBfG seien sofort nach der Betriebsprüfung abgestellt worden. Die Befristung sei auf Wunsch der Arbeitnehmerin aufgenommen worden, weil diese zum 1. Juni 2017 eine Ausbildung anfangen wollte, die sich dann aber auf den 1. September 2017 verschoben habe. Die Probezeit bei der weiteren Arbeitnehmerin sei gestrichen worden. Hinsichtlich des Verstoßes gegen § 2 NachwG räumte die Antragstellerin ein, dass ihr tatsächlich ein Fehler unterlaufen sei. Es sei weder ihr noch dem betroffenen Arbeitnehmer aufgefallen, dass er nur einen von zwei Arbeitsverträgen unterschrieben hatte, den er für seine Unterlagen mitnahm. Sie habe den nicht von dem Arbeitnehmer unterschriebenen Arbeitsvertrag behalten. Mittlerweile habe der betroffene Arbeitnehmer die Unterschrift nachgeholt. Die gerügten Verstöße gegen § 2 NachwG iVm. § 11 AÜG seien ebenfalls mittlerweile beseitigt. Alle Arbeitsvertragsvorlagen seien nach der Betriebsprüfung an ihren Anwalt zur Überarbeitung übergeben worden und würden jetzt den gesetzlichen Vorschriften des AÜG entsprechen. Im Übrigen sei ihr von der IGZ für den Nachweis der verleihfreien Zeit eines Arbeitnehmers eine spezielle Software empfohlen worden, die es ermögliche, in der Zukunft solche Fehler zu vermeiden. Ein Verstoß gegen § 11 Abs. 2 AÜG - wie von der Antragsgegnerin behauptet - liege dagegen nicht vor. Selbstverständlich sei der Arbeitnehmerin das Merkblatt ausgehändigt worden. Dies habe die Arbeitsnehmerin auch schriftlich bestätigt, die Bestätigung sei lediglich bei einem anderen Arbeitnehmer abgeheftet worden. Eine fehlerhafte Büroorganisation könne ihr dennoch nicht vorgeworfen werden. Sie besitze ein ordentlich eingerichtetes Büro. Die fehlenden Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen seien sofort beim Steuerberater angefordert und nachgereicht worden. Die fehlerhafte Eingruppierung sei ebenfalls sofort nachgeholt worden.
Mit Bescheid vom 25. August 2017 widerrief die Antragsgegnerin ihre Erlaubniserteilung mit Wirkung für die Zukunft. Zugleich lehnte sie den Antrag der Antragstellerin auf Verlängerung der Erlaubnis ab. Im Rahmen der örtlichen Überprüfung der Geschäftsunterlagen seien Verstöße gegen tarifliche und gesetzliche Bestimmungen festgestellt worden. Auch unter Berücksichtigung der Stellungnahme der Antragstellerin vom 21. August 2017 hätten sich keine Gesichtspunkte ergeben, die gegen die Entscheidung des Widerrufs bzw. der Versagung sprechen würden. Von einem Verleiharbeitgeber könne erwartet werden, dass er sich das Wissen in Bezug auf die einschlägigen Grundsätze und Regelungen der Arbeitnehmerüberlassungen sowie der Tarifanwendung im eigenen Interesse verschaffe, zB. durch Selbststudium. In Anbetracht der massiven Verstöße gegen elementare Bestandteile der Arbeitnehmerüberlassung seien bloße Beanstandungen nicht ausreichend. Die Erteilung von Auflagen sei im vorliegenden Fall ebenso wenig zielführend, weil die Verstöße im Kern gesetzliche bzw. tarifliche Normen betreffen würden, deren Einhaltung auch ohne Erteilung einer Auflage ohnehin maßgeblich sei und eine Auflage somit nur gesetzeswiederholenden Charakter hätte. Der Widerruf der Erlaubnis sei zudem angemessen, weil das Schutzinteresse der Arbeitnehmer das Interesse der Antragstellerin an einer Betriebstätigkeit im Bereich der Arbeitnehmerüberlassung überwiege.
Hiergegen legte die – nunmehr anwaltlich vertretene - Antragstellerin am 1. September 2017 Widerspruch ein. Nunmehr trug sie hinsichtlich des Verstoßes gegen § 615 BGB vor, die betroffenen Arbeitnehmer hätten bereits im Rahmen der Dienstplanerstellung aus privaten Gründen den Wunsch geäußert, nicht für weitere Einsätze eingeplant zu werden. Diesem Wunsch habe die Antragstellerin entsprochen. Vom Arbeitnehmer gewünschte Arbeitsfreistellungen würden mangels Leistungswillen des Arbeitnehmers nicht zum Annahmeverzug führen, so dass die Antragstellerin nicht verpflichtet gewesen sei, die Differenz zwischen Ist- und Sollstunden nach § 615 BGB zu zahlen. Von einer Rückforderung der geleisteten Nachzahlung wolle sie aus Gründen des Betriebsfriedens voraussichtlich absehen. Die Geltendmachung von Amtshaftungsansprüchen behalte sie sich jedoch ausdrücklich vor. Die Jahressonderzahlung sei auf Wunsch des Arbeitnehmers nicht mit der Juni-Abrechnung, sondern erst mit der Juli-Abrechnung erfolgt, weil er sie als Zuschuss für seine Verlobungsfeier habe nutzen wollen. Die Zahlung sei sodann im Juli 2017 in bar erfolgt. Ein Verstoß gegen das TzBfG liege ebenfalls nicht vor. Die Befristung sei auf Wunsch der Arbeitnehmerin erfolgt, weil sie zum 1. September 2017 eine Ausbildung beginnen wollte. Dies stelle einen sachlichen Befristungsgrund nach § 14 Abs. 1 Nr. 6 TzBfG dar. Es liege auch kein Verstoß gegen § 2 Abs. 1 NachwG vor. Der betroffene Arbeitnehmer habe ein von der Antragstellerin und ihm unterzeichnetes Exemplar erhalten. Im Übrigen reiche zur Einhaltung des § 2 Abs. 1 NachwG die einseitige Unterschrift durch den Arbeitgeber aus. Hinsichtlich des geltend gemachten Verstoßes gegen § 2 Abs. 1 NachwG iVm. § 11 AÜG räumte die Antragstellerin zwar ein, dass ein Arbeitsvertrag keine Angaben zur Erlaubnisbehörde, dem Ort und Datum der Erteilung der Erlaubnis sowie des im Falle des Nichteinsatzes zu zahlenden Arbeitsentgeltes enthalten habe. Es habe sich bei diesem Arbeitsvertrag jedoch um einen der ersten von der Antragstellerin abgeschlossenen Arbeitsverträge gehandelt, bei dem die Antragstellerin noch einen Standardarbeitsvertrag verwendet habe, der zwar den Anforderungen des § 2 NachwG, nicht jedoch den besonderen Anforderungen des § 11 AÜG entsprochen habe. Dabei habe es sich jedoch um einen einmaligen Vorgang gehandelt. Sämtliche weiteren verwendeten Arbeitsverträge seien dagegen Musterverträge der IGZ gewesen, die die vorgeschriebenen Angaben enthalten hätten. Soweit teilweise ein unvollständiges oder fehlerhaftes Datum der Erteilung der Erlaubnis eingetragen gewesen sei, reiche dieser Fehler jedenfalls nicht aus, die Prognose der Unzuverlässigkeit der Antragstellerin zu stellen. Das Merkblatt der Antragsgegnerin sei an die betreffende Arbeitnehmerin ausgehändigt worden. Die Bescheinigung sei lediglich im falschen Ordner abgeheftet worden, was ein harmloses Büroversehen darstelle. Die gerügte zweite Probezeitvereinbarung sei gerechtfertigt gewesen. Bei dem ersten Arbeitsverhältnis habe es sich lediglich um ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis von 2 Wochen gehandelt, das nicht ausgereicht habe, um die Arbeitnehmerin kennenzulernen und zu erproben. Für das Vollzeitarbeitsverhältnis sei daher eine weitere Probezeit offensichtlich geboten gewesen. Die Büroorganisation sei nicht fehlerhaft. Es sei nicht zu beanstanden, dass für die Lohnabrechnungen benötigte Unterlagen wie Bescheinigungen beim Steuerberater verblieben, bis sie dort nicht mehr benötigt würden. Soweit die fehlerhafte Eingruppierung eines Arbeitnehmers gerügt worden sei, sei die Beanstandung völlig unverständlich. Der Arbeitnehmer sei stets richtig eingruppiert gewesen. Die Eingruppierung sei lediglich im Arbeitsvertrag nicht aufgeführt gewesen. Die Eingruppierung gehöre allerdings auch nicht zu den nach § 2 NachwG iVm § 11 AÜG aufzunehmenden Angaben.
Am 7. September 2017 beantragte die Antragstellerin beim Sozialgericht (SG) Lüneburg die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs (Az. S 7 AL 121/17 ER). Mit Beschluss vom 22. September 2017 ordnete das SG die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs bis zu einer Entscheidung über den Widerspruch an.
Mit Widerspruchsbescheid vom 1. Dezember 2017 wies die Antragsgegnerin den Widerspruch als unbegründet zurück. Die Betriebsprüfung habe zahlreiche und massive Gesetzesverstöße ergeben, u.a. gegen § 615 Abs. 1 Satz 1 BGB, Garantielohnverstöße, Verstöße gegen das Tarifvertragsgesetz (Vorenthalten von Tarifentgelt und Jahressonderzahlungen), gegen das TzBfG und das NachwG. Die Antragstellerin verfüge auch nicht über das für die Zuverlässigkeit iSd § 3 Abs. 1 Satz 1 AÜG zu fordernde Mindestmaß an Kenntnissen des Arbeits- und Sozialversicherungsrechts. Die Antragstellerin habe die festgestellten Verstöße und mangelndes Fachwissen auf dem Gebiet der Arbeitnehmerüberlassung gegenüber dem Prüfteam unumwunden eingeräumt. Aufgrund der fehlenden eigenen Kenntnisse sei die Antragstellerin auch nicht in der Lage zu beurteilen, ob von ihr beauftragten Dritte an ihrer statt die anfallenden Aufgaben ordnungsgemäß erfüllen würden. Es helfe daher der Antragstellerin hier nicht, ihr obliegende Aufgaben an Dritte abzugeben. Insbesondere vor dem Hintergrund des Schutzgedankens des AÜG sei die Versagung der Erlaubnis die einzige mögliche wirkungsvolle Maßnahme, Leiharbeiter vor unzuverlässigen Arbeitgebern zu schützen. Das Einzelinteresse der Antragstellerin habe dabei zurückzustehen. Eine Alternative zu dem veranlassten Erlaubniswiderruf hätte allein in einer Auflagenerteilung angenommen werden können. Allerdings scheide eine Auflagenerteilung aus, wenn die Auflage gesetzeswiederholenden Charakter habe. Dies wäre hier der Fall gewesen. Nicht überzeugen könne vor dem Gesamthintergrund des Falles und insbesondere unter Beachtung des bisherigen Fehlverhaltes die Behauptung der Antragstellerin, nun zukünftig alle Arbeitgeberpflichten und insbesondere bestehende Rechtsnormen auf jeden Fall beachten zu wollen. Der Prüfungsbericht sei in sich schlüssig und benenne konkret jeden einzelnen festgestellten Mangel. Die Nichtbeachtung rechtlicher Bestimmungen in einer Vielzahl festgestellter Fälle sei von der Antragstellerin im Wesentlichen auch nicht bestritten, sondern eingeräumt und mit fehlenden Rechtskenntnissen erklärt worden. Zahlreiche Rechtsverstöße aufgrund eingeräumter Rechtsunkenntnis würden schon an sich ganz erhebliche Zweifel an der Zuverlässigkeit der Antragstellerin begründen. Die Antragstellerin habe bis zu der Betriebsprüfung keine Bemühungen unternommen, sich die erforderlichen Fachkenntnisse für die gesetzeskonforme Durchführung ihrer Tätigkeit selbst anzueignen bzw. deren Beachtung durch Einholung von Rechtsauskünften oder Erteilung von Aufträgen an rechtskundige Stellen zu gewährleisten. Arbeitnehmerüberlassung ohne jedes Fachwissen auf dem Gebiet zu betreiben sei verantwortungslos und mit Blick auf die schutzwürdigen Interessen der Leiharbeitnehmer nicht hinnehmbar.
Hiergegen erhob die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 29. Dezember 2017 Klage beim SG Lüneburg (Az. S 7 AL 6/18).
Am 8. Januar hat die Antragstellerin beim SG Lüneburg die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage beantragt. Mit Beschluss vom 26. Januar 2018 hat das SG die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 25. August 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1. Dezember 2017 hinsichtlich der Ablehnung der Verlängerung der Erlaubnis nach § 1 AÜG bis zu einer Entscheidung über die Klage angeordnet. Im vorliegenden Fall richte sich die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nach § 86b Abs. 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG), weil die Versagung einer neuen befristeten Erlaubnis angegriffen werde. Es handele sich insoweit um die speziellere Regelung im Verhältnis zu § 86b Abs. 2 SGG, weil sich die Erlaubnis nach § 2 Abs. 4 Satz 3 AÜG kraft Gesetzes verlängere, wenn die Erlaubnisbehörde die Verlängerung nicht vor Ablauf des Jahres ablehne. Das Rechtsschutzinteresse der Antragstellerin sei daher ausschließlich auf die Aufhebung der Ablehnung gerichtet. Eine nach § 86b Abs. 2 SGG im Wege der einstweiligen Anordnung zu erreichende Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Erteilung einer neuen Erlaubnis sei nach dieser gesetzlichen Konstruktion zur Fortführung der Geschäftstätigkeit der Antragstellerin nicht erforderlich, denn das Rechtsschutzziel sei bereits allein durch die Anfechtung der Ablehnungsentscheidung zu erreichen. Die Interessenabwägung, ob die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet werde oder nicht, falle zu Gunsten der Antragstellerin aus. Dabei sei zu berücksichtigen, dass hier nicht nur eine rechtliche Bewertung möglicher Versagungsgründe nach § 3 AÜG im Streit stehe, sondern auch tatsächliche Umstände streitig seien. Es sei im Hauptsacheverfahren gegebenenfalls noch eine Beweisaufnahme durchzuführen, um einzelne Vorwürfe der Antragsgegnerin näher aufzuklären. Denn die Vorwürfe der Antragsgegnerin seien in weiten Teilen nicht offensichtlich bzw. von der Antragstellerin durchaus konkret angegriffen, von der Antragsgegnerin daraufhin jedoch nicht substantiiert verteidigt worden. Insgesamt seien insofern nur sehr wenige Rechtsverstöße belegt. Soweit sie unstreitig seien, habe die Antragstellerin zudem eine Besserung in Aussicht gestellt, etwa durch die Anschaffung einer Software bzw. durch die Inanspruchnahme von Schulungen. Das SG halte es für denkbar, dass die Antragstellerin beanstandete Mängel künftig abstellen werde. Die bereits von ihr getroffenen Maßnahmen würden zeigen, dass sie die arbeitsrechtlichen Vorschriften beachten wolle. Angesichts dessen und aufgrund der von der Antragstellerin getroffenen Maßnahmen zur Einhaltung der arbeitsrechtlichen Vorschriften gehe das SG nicht davon aus, dass das öffentliche Interesse am Vollzug des angegriffenen Verwaltungsaktes überwiege. Der Vollzug eines Verwaltungsaktes sei nämlich jedenfalls dann auszusetzen, wenn dem Antragsteller schwerwiegende und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden und nicht im Einzelfall überwiegende öffentliche Belange die Durchsetzung der Verwaltungsentscheidung erfordern würden. Die Antragstellerin habe glaubhaft vorgetragen, dass sie ohne Verlängerung der Erlaubnis in ihrer wirtschaftlichen Existenz gefährdet wäre, zumal ihr Ehemann nach ihrem unbestrittenen Vortrag kein Erwerbseinkommen erziele. Der Vortrag der Antragsgegnerin, es sei verantwortungslos eine Arbeitnehmerüberlassung ohne ausreichendes Fachwissen zu betreiben, möge zutreffend sein. Zu berücksichtigen sei allerdings, dass sich die Ausführungen der Antragsgegnerin auf das Verhalten und den Kenntnisstand der Antragstellerin in der Vergangenheit bezogen hätten. Erforderlich sei jedoch eine auf die Zukunft gerichtete Prognose, welche für das SG nach dem derzeitigen Stand nicht negativ ausfalle.
Gegen den am 31. Januar 2018 zugestellten Beschluss richtet sich die am 7. Februar 2018 eingelegte Beschwerde der Antragsgegnerin. Das SG habe zur Unrecht die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin angeordnet. Sie teile nicht die Auffassung des SG, dass hier die öffentlichen Belange gegenüber dem Einzelfallinteresse der Antragstellerin nicht überwiegen würden, weil nur ein Teil der festgestellten Mängel belegt und die Antragsgegnerin den Gegendarstellungen der Antragstellerin nicht schon im einstweiligen Rechtsschutzverfahren substantiiert entgegengetreten sei. Der Betriebsprüfungsbericht sei in sich schlüssig und benenne konkret jeden festgestellten Mangel. Die Nichtbeachtung rechtlicher Bestimmungen in einer Vielzahl festgestellter Fälle sei von der Antragstellerin im Wesentlichen auch nicht bestritten, sondern eingeräumt und mit fehlenden Rechtskenntnissen erklärt worden. Nach Auffassung der Antragsgegnerin begründe eine große Zahl von Rechtsverstößen in vielen Bereichen des Arbeits- und Erlaubnisrechts aufgrund eingestandener Rechtsunkenntnis schon an sich Zweifel an der Zuverlässigkeit. Die Antragstellerin habe bis zur Prüfung der Antragsgegnerin die Rechtsverstöße zumindest billigend in Kauf genommen. Unverständlich sei zudem, dass das SG selbst in einem Fall, in dem es „überraschend“ feststellen musste, dass die Erklärungen der Antragstellerin verfahrensangepasst erschienen, davon ausgegangen sei, dass es insoweit erst noch weiterer Prüfungen bedürfe und den Sachverhalt als offen angesehen habe. Das Landessozialgericht Baden-Württemberg habe mit Beschluss vom 11. März 2011 (L 13 AL 3438/10 ER-B) im Zusammenhang mit der erforderlichen Zuverlässigkeit gem. § 3 Abs. 1 AÜG entschieden, dass zugunsten der Behörde eine Beweiserleichterung bestehe, nach der nicht das Vorliegen des Versagungsgrundes selbst bewiesen werden müsse, sondern nur die Tatsachen, die diese Annahme rechtfertigen würden (Vermutungswirkung). Dies gelte im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes in größerem Maße. Es reiche dann aus, wenn während des Verfahrens berechtigte Zweifel an der Zuverlässigkeit hervortreten würden. Nach Auffassung der Antragsgegnerin werde die Entscheidung des SG diesen im Interesse der besonders schutzbedürftigen Leiharbeitnehmer geltenden Beweislastregeln für das einstweilige Rechtsschutzverfahren nicht gerecht.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Lüneburg vom 26. Januar 2018 aufzuheben und den Antrag der Antragstellerin auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage abzulehnen.
Die Antragstellerin beantragt,
die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Lüneburg vom 26. Januar 2018 zurückzuweisen.
Das SG habe völlig zutreffend dem Antrag der Antragstellerin stattgegeben, weil nur wenige Rechtsverstöße belegt seien, die Prognose gerechtfertigt sei, dass die Antragstellerin diese abstellen werde und die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung im deutlich überwiegenden Interesse der Antragstellerin geboten sei. Die Antragsgegnerin könne sich auch nicht auf eine sich aus dem Beschluss des LSG Baden-Württemberg ergebende Vermutungswirkung berufen. Zum einen verkenne die Antragsgegnerin den Verfahrensstand. Das Widerspruchsverfahren sei beendet, ohne dass sich die Antragsgegnerin mit den Einwendungen der Antragstellerin auseinandergesetzt hätte. Hierzu wäre sie jedoch nach dem Amtsermittlungsgrundsatz verpflichtet gewesen. Im Übrigen bestehe nach ihrer Auffassung nach dem derzeitigen Verfahrensstand eine Vermutungswirkung dahingehend, dass die Einwendungen der Antragstellerin zutreffend und die Beanstandungen der Antragsgegnerin widerlegt seien. Schließlich sei auch die Auslegung der Entscheidung des LSG rechtsirrig. Eine Vermutungswirkung für eine Unzuverlässigkeit bestehe auch nach der Entscheidung des LSG nur, wenn Tatsachen erwiesen seien, die den Rechtsschluss auf eine Unzuverlässigkeit zuließen. Das SG habe in dem angegriffenen Beschluss jedoch deutlich gemacht, dass schon die Tatsachengrundlage hier streitig sei. Streitige Tatsachen könnten aber keine Vermutungswirkung erzeugen.
Der Senat hat die Antragstellerin mit Verfügung vom 16. April 2018 um Mitteilung gebeten, bei wem die bei ihr beschäftigten Arbeitnehmer als Leiharbeiter im Zeitraum 25. August 2017 bis 26. Januar 2018 gearbeitet haben, ob die betreffenden Leiharbeiter durchgehend für die Entleiher gearbeitet haben und warum sie nach Erlass des Widerspruchsbescheids vom 1. Dezember 2017 bis zum 8. Januar 2018 gewartet habe, um erneut einstweiligen Rechtsschutz zu beantragen. Die Antragstellerin hat daraufhin mitgeteilt, dass sechs Arbeitnehmer in der Zeit vom 25. August 2017 bis zum 26. Januar 2018 durchgehend als Leiharbeiter tätig gewesen seien. Der Widerspruchsbescheid sei der Antragstellerin erst am 12. Dezember 2017 zugegangen. Die Erstellung der Klageschrift sei so zügig wie möglich erfolgt. Nur vier Tage nach Rechtshängigkeit der Klage sei der neue einstweilige Rechtsschutzantrag beim SG gestellt worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, die Verwaltungsakte der Antragsgegnerin und die Beiakte S 7 AL121/17 ER verwiesen.
II.
Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht erhobene Beschwerde der Antragsgegnerin ist begründet. Das SG hat mit Beschluss vom 26. Januar 2018 zu Unrecht die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 25. August 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1. Dezember 2017 angeordnet. Der Antrag der Antragstellerin ist abzulehnen. |
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