Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 07.06.2018, Az.: L 10 VE 26/14

Gewahrsam; radioaktive Strahlung; Semei; Semipalatinsk

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
07.06.2018
Aktenzeichen
L 10 VE 26/14
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2018, 73955
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
SG - 18.02.2014 - AZ: S 18 VE 52/10

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

§ 4 Abs. 1 HHG setzt eine gesundheitliche Schädigung "infolge" des Gewahrsams voraus. Es muss eine kausale Beziehung zwischen dem gesetzlich geschützten Umstand des Gewahrsams und der Gesundheitsstörung vorliegen. Das ist dann nicht der Fall, wenn es sich um Auswirkungen von Umständen handelt, denen nicht nur die in Gewahrsam Genommenen, sondern unterschiedslos die gesamte Wohnbevölkerung eines großen Gebietes ausgesetzt war (hier Auswirkungen der radioaktiven Strahlung durch die Atomtests in Semipalatinsk<jetzt Semei>). Dies gilt insbesondere, wenn die in Gewahrsam Genommene im Prinzip nicht gehindert war, das fragliche Gebiet zu verlassen.

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 28. Februar 2014 wird zurückgewiesen.

Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob bei der Klägerin weitere Gesundheitsstörungen als Schädigungsfolgen festzustellen und ihr deswegen Beschädigtenversorgung nach den Vorschriften des Häftlingshilfegesetzes (HHG) in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) zu gewähren ist.

Die im Gebiet der Ukraine geborenen Eltern der Klägerin deutscher Volkszugehörigkeit übersiedelten im Jahr 1944 in das Gebiet des Deutschen Reiches und erhielten Ende 1944 bzw. Anfang 1945 die deutsche Staatsbürgerschaft. Ende 1945 wurden sie mit Rücksicht auf ihre im Gebiet der ehemaligen UdSSR gelegenen Geburtsorte aus I. in eine sog. Sondersiedlung in der Nähe von J. /Sibirien verbracht. Dort standen sie unter Kommandanturaufsicht und mussten Zwangsarbeiten verrichten. Dort wurde im Dezember 1955 auch die Klägerin geboren. Nach dem Ende der Kommandanturaufsicht verzog die Familie der Klägerin im Jahr 1957 zu Verwandten nach K. /Kasachstan. Dort wohnte die Klägerin sich bis Mitte der 1970er Jahre auf und zog dann mit ihren Eltern nach Moldawien, von wo aus sie 1979 in die Bundesrepublik Deutschland ausreiste. Die Klägerin ist Inhaberin eines Vertriebenenausweises A und einer Bescheinigung des Landkreises Hannover vom 24. Juni 1981, in der festgestellt wird, dass die Gesamtzeit zwischen der Geburt der Klägerin und ihrer Ausreise aus der UdSSR politischer Gewahrsam im Sinn von § 1 Abs. 1 Nr. 1 HHG vorgelegen hat. Die Klägerin hat dann nach der Absolvierung von Deutschkursen in der Bundesrepublik gearbeitet. Seit 1998 bezieht sie Rente wegen Erwerbsunfähigkeit.

Im November 2007 beantragte die Klägerin bei dem Beklagten Beschädigtenversorgung nach dem BVG wegen gesundheitlicher Störungen, die sie insbesondere auf den Aufenthalt in K. zurückführte. In diesem Zusammenhang wies sie auf die in der Nähe dieses Ortes durchgeführten Atombombenversuche sowie auf eine erlittene Borellien-Infektion hin. Sie leide noch an Depressionen, Angst, Panikattacken, Schlafstörungen, Kopfschmerzen, Gelenk- und Rückenschmerzen, einer Autoimmunkrankheit der Schilddrüse und Magen-Darm-Beschwerden. 2005 sei ihre Gallenblase entfernt worden. Die Klägerin legte hierzu vielfältige medizinische Unterlagen vor, insbesondere ihrer behandelnden Ärzte, die ihre Auffassung stützten, die Gesundheitsstörungen seien auf die Einwirkungen in K. zurückzuführen. Nach Einholung von Gutachten auf nervenärztlichem Gebiet von dem Arzt L. und von Dr. M. sowie auf neurologischem Gebiet von Prof. Dr. N. lehnte der Beklagte Beschädigtenversorgung nach dem HHG mit Bescheid vom 17. April 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Oktober 2010 ab. Erst 16 Jahre nach der Übersiedlung sei sie infolge Überarbeitung und Überforderung zusammengebrochen. Wegen fehlender Brückensymptome ließen sich die bei ihr vorliegenden Gesundheitsstörungen nicht auf die Einflüsse der Internierung zurückführen.

Dagegen hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Hannover erhoben, mit der sie den geltend gemachten Anspruch weiterverfolgt hat. Unter Vorlage vielfältiger Unterlagen über die Bedingungen in Kasachstan sowie insbesondere die Auswirkungen der von den Atomversuchen ausgehenden Strahlungen hat die Klägerin darauf hingewiesen, dass ihr von der Republik Kasachstan eine Bescheinigung darüber ausgestellt worden sei, dass sie in der Zeit von Oktober 1957 bis Juli 1975 in der Zone mit erhöhtem radioaktivem Risiko gewohnt habe. Sie könne deshalb die Vergünstigungen des Gesetzes der Republik Kasachstan vom 18. Dezember 1992 in Anspruch nehmen.

Das Sozialgericht hat ein Gutachten von dem Strahlenbiologen Prof. Dr. O. eingeholt. Dieser hat in dem unter dem 25. Februar 2013 erstatteten Gutachten zusammenfassend die Auffassung vertreten, eine überwiegende Wahrscheinlichkeit des Zusammenhangs zwischen der am Wohnort empfangenen ionisierenden Strahlung und Herz-Kreislauf-Problemen der Klägerin sei nicht anzunehmen. Andererseits bestehe aber die Wahrscheinlichkeit eines Zusammenhangs zwischen der Strahlung und der bei der Klägerin vorliegenden Thyreoiditis. Weil diese Erkrankung aber gut behandelbar sei, bedinge sie keinen Grad der Schädigungsfolgen (GdS).

Nach Kenntnis von diesem Gutachten hat der Beklagte mit Schriftsatz vom 25. April 2013 ein Teilanerkenntnis dahingehend abgegeben, dass er bei der Klägerin als Schädigungsfolge

Schilddrüsenunterfunktion bei Hashimoto-Thyreoiditis infolge vermehrter Strahlenbelastung

anerkannt hat. Der dadurch bedingte GdS sei 0. Die Klägerin hat das Teilanerkenntnis als solches angenommen, im Übrigen aber an ihrem Begehren festgehalten.

Das Sozialgericht hat die insoweit fortgeführte Klage mit Urteil vom 18. Februar 2014 als unbegründet abgewiesen. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf die Feststellung weiterer Schädigungsfolgen und auch nicht auf Beschädigtenversorgung. Zwar sei davon auszugehen, dass sie unter einer erhöhten Strahlenbelastung und einer erhöhten Zeckenbissgefahr durch den Aufenthalt in K. gelitten habe. Mit Wahrscheinlichkeit seien darauf aber weitere Gesundheitsstörungen nicht zurückzuführen. Insoweit hat das Sozialgericht sich zur Begründung insbesondere auf das Gutachten von Prof. Dr. O., zudem aber auch auf die im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten bezogen.

Gegen das ihr am 9. April 2014 zugestellte Urteil wendet sich die am 7. Mai 2014 bei dem Landessozialgericht eingegangene Berufung der Klägerin, mit der sie ihren Anspruch unter Vorlage weiterer Unterlagen weiterverfolgt. Soweit der Beklagte sich nunmehr unter Hinweis auf eine Entscheidung des Landessozialgerichts Schleswig-Holstein (Urteil vom 6. Dezember 2016, Az.: L 2 VK 57/14) darauf berufe, etwaige Folgen der Strahlenbelastung in K. seien deshalb nicht durch die Internierung verursacht worden, weil die Strahlenbelastung sämtliche Bewohner in dem fraglichen Gebiet in gleicher Weise betroffen habe, verkenne der Beklagte, dass eine Internierung an sich nie mit gesundheitlichen Schädigungen oder dem Tod der Internierten verbunden sei. Dies setze vielmehr eine weitergehende Entscheidung der Machthaber voraus, die Bedingungen der Internierung besonders nachteilig zu gestalten. Insoweit habe es sich auch bei dem Aufenthalt der Klägerin in K. um eine Internierung gehandelt. Die in dem Gebiet wohnhaften Personen seien durch die Machthaber bewusst den Einwirkungen der von den Atomversuchen ausgehenden Strahlungen ausgesetzt worden, um diese Auswirkungen studieren zu können.

Die Klägerin beantragt,

1. das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 18. Februar 2014 aufzuheben und den Bescheid des Beklagten vom 17. April 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Oktober 2010 in der Fassung des Teilanerkenntnisses vom 25. April 2013 zu ändern,

2. den Beklagten zu verurteilen, bei der Klägerin weitere Gesundheitsstörungen als Schädigungsfolgen anzuerkennen und ihr Beschädigtenrente nach den Vorschriften des Häftlingshilfegesetzes in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 18. Februar 2014 zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil und seinen mit ihm überprüften Bescheid für zutreffend. Ergänzend verweist er darauf, dass für die Gewährung von Beschädigtenversorgung ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Internierung und den potenziell schädigenden Auswirkungen bestehen müsse. Ein solcher ursächlicher Zusammenhang könne dann nicht angenommen werden, wenn die schädigenden Einwirkungen nicht nur die internierten Personen, sondern alle in dem fraglichen Gebiet wohnhaften Personen betroffen hätten. Hierzu beruft der Beklagte sich auf die bereits genannte Entscheidung des Landessozialgerichts Schleswig-Holstein.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt. Sie ist jedoch nicht begründet.

Das Sozialgericht hat in seinem angegriffenen Urteil im Ergebnis zutreffend festgestellt, dass die angefochtenen Bescheide des Beklagten nicht rechtswidrig sind und die Klägerin demzufolge nicht in ihren Rechten verletzen. Die Klägerin hat auch nach Auffassung des Senats keinen Anspruch auf die Feststellung – weiterer – Schädigungsfolgen und auf die Gewährung von Beschädigtenrente.

Die Feststellung von Schädigungsfolgen setzt nach § 4 Abs. 1, Abs. 5 HHG voraus, dass die Klägerin infolge des Gewahrsams eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, die wiederum Ursache einer zum Zeitpunkt der Antragstellung bestehenden Gesundheitsstörung ist.

In der Zeit zwischen ihrer Geburt und ihrer Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1979 hat bei der Klägerin ein Gewahrsam im Sinn von § 1 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5 Satz 2 HHG allenfalls bei analoger Anwendung der Vorschriften vorgelegen. Die Klägerin ist nicht gegen ihren Willen in ein ausländisches Staatsgebiet verbracht worden. Sie in dem ausländischen Staatsgebiet der damaligen UdSSR geboren worden.

Allerdings scheidet ein Anspruch der Klägerin auf Feststellung von Schädigungsfolgen wegen solcher Gesundheitsstörungen, die womöglich auf der Einwirkung ionisierender Strahlungen infolge der Atomwaffenversuche in der Umgebung des früheren Wohnortes der Klägerin in K. /Kasachstan zurückzuführen sind, von vorneherein aus. Bereits nach dem Wortlaut von § 4 Abs. 1 HHG sind nicht alle Gesundheitsstörungen zu entschädigen, die ein Berechtigter nach § 1 Abs. 1 HHG innerhalb der Zeit seiner Gewahrsamnahme erlitten hat (vgl. insoweit auch bereits das Urteil des BSG vom 13. Februar 1964, Az.: 8 RV 1133/61, das für den Bereich des BVG allein das Bestehen einer Kriegsgefangenschaft zum Zeitpunkt des Todes des Gefangenen zur Begründung eines Hinterbliebenenrentenanspruches nicht hat ausreichen lassen). Vielmehr beschränkt sich der Schutz nach dem ausdrücklichen Wortlaut auf solche Gesundheitsstörungen, die „infolge“ des Gewahrsams eingetreten sind. Damit deutet der Gesetzgeber die Notwendigkeit einer kausalen Beziehung zwischen dem gesetzlich geschützten Umstand des Gewahrsams und der Gesundheitsstörung an. Er bekräftigt damit die im gesamten sozialen Entschädigungsrecht geltende kausale Orientierung, die ein Eintreten des Staates nur wegen solcher Gesundheitsstörungen vorsieht, für deren Eintritt oder Verschlimmerung der gesetzlich geschützte Umstand im Sinn der Theorie der rechtlich wesentlichen Bedingung (vgl. Rohr/Strässer/Dahm, Kommentar zum BVG, Anm. 10 zu § 1) von besonderer Bedeutung gewesen ist. Wegen des kausal orientierten sozialen Entschädigungsrechtes beschränkt sich der Ausgleich auf diejenigen Personen, bei denen sich der Schaden aus einer Gefahrensituation heraus verwirklicht hat, für den die Allgemeinheit eine besondere Verantwortung trägt (vgl. BSG, Urteil vom 8. Dezember 1982, Az.: 9a RV 18/82, SozR 3100 § 1 Nr. 29 zu der vergleichbaren Problematik hinsichtlich der Frage des Umfangs des Schutzes in Bezug auf § 1 BVG, in der das BSG im Rahmen der Auslegung der Vorschrift insbesondere auch anhand anderer Regelungen des sozialen Entschädigungsrechtes – auch des HHG – dessen Grundstruktur herausgearbeitet hat; das BVerfG hat in dem Dreierausschussbeschluss vom 11. Oktober 1983, Az.: 1 BvR 171/83, keine Veranlassung zu einer Korrektur dieser Rechtsprechung gesehen). Auch in dem Urteil vom 10. August 1993 (Az.: 9/9a RV 22/92, SozR 3-3100 § 1 Nr. 11) hat das Bundessozialgericht darauf hingewiesen, dass der Anspruch auf die Entschädigung wegen einer in zeitlichem Zusammenhang mit einer Internierung erlittenen Gesundheitsstörung davon abhängt, dass es „durch“ (vgl. insoweit die Formulierung des § 1 BVG) die Internierung zu dem schädigenden Vorgang gekommen ist.

Zwar weist die Klägerin zu Recht darauf hin, dass eine Gewahrsamnahme nicht in jedem Fall mit der Absicht der Gewahrsamsmacht verbunden ist, durch die Gestaltung der Lebens- und/oder Arbeitsbedingungen der Gewahrsamspersonen deren Gesundheit oder Leben in die Gefahr einer Schädigung zu bringen. Kerngehalt einer Gewahrsamnahme – insbesondere auch im Fall des Anschlussgewahrsams im Sinn von § 1 Abs. 5 Satz 2 HHG – ist jedoch der Umstand, dass den Gewahrsamspersonen die Freiheit zur Gestaltung ihrer Lebensbedingungen in gewissem Rahmen genommen ist und dass sie den sich daraus ergebenden Beschränkungen nicht auszuweichen in der Lage sind.

So ist es auch im Fall der Klägerin nach ihrem Vorbringen und den aktenkundigen Erkenntnissen gewesen: Der Familie der Klägerin war die Ausreise aus der UdSSR sowie die Ansiedlung im europäischen Teil der UdSSR oder in den ehemaligen Siedlungsgebieten verwehrt. Sie war mithin im Grunde darauf beschränkt, sich in den außereuropäischen Teilen der UdSSR anzusiedeln. Dass auch in diesen Gebieten die Ansiedlung von einer behördlichen Genehmigung und diese wiederum von Innehaben von Arbeit und Wohnung abhängig gewesen sein mag, war hingegen keine Folge der Gewahrsamnahme der deutschstämmigen Bevölkerung, sondern Folge der allgemeinen, gegenüber allen Bürgern der UdSSR geltenden Beschränkungen der Freizügigkeit. Soweit, was nach den Schilderungen der Klägerin jedenfalls möglich erscheint, die Familie aus wirtschaftlichen Gründen – jedenfalls zunächst im Jahr 1957 – gezwungen gewesen sein könnte, ihren Wohnsitz in der Nähe von Verwandten zu wählen, waren dies ebenfalls keine Folgen des Anschlussgewahrsams, sondern bestenfalls mittelbare Folgen der geringen Einkünfte in der davor liegenden Zeit der Kommandanturaufsicht bis Dezember 1955.

Daraus folgt, dass die Familie der Klägerin in der Zeit nach dem Ende der Kommandanturaufsicht durch die Gewahrsamnahme nicht gehindert gewesen ist, ihren Wohnsitz innerhalb des erlaubten Gebietes aber in sicherer Entfernung von dem Atomwaffentestgelände zu nehmen. Dass sie den Wohnsitz gleichwohl dort genommen hat, ist ebenso wie die daraus folgende Einwirkung ionisierender Strahlung nicht rechtlich wesentlich ursächlich durch den Gewahrsam bedingt. Die Einwirkung der Strahlung beruht vielmehr unmittelbar darauf, dass die Familie und damit die Klägerin an ihrem Wohnort denselben Gefährdungen ausgesetzt gewesen sind, wie die in diesem Bereich ansässige Wohnbevölkerung. Allein die Stadt K. (jetzt P.) hatte nach den dem Senat zur Verfügung stehenden Informationen im gesamten hier zu prüfenden Zeitraum immer weit über 100 000 Einwohne. Soweit die Klägerin in ihrem Vortrag zuweilen den Eindruck zu erwecken versucht, neben den dem Gewahrsam unterliegenden Personen seien nur noch einige wenige Hirten u.ä. von den Gefahren der Strahlung betroffen gewesen, trifft dies jedenfalls nicht zu.

Dabei geht der Senat durchaus zugunsten der Klägerin davon aus, dass ihre Familie der Klägerin ihren Wohnsitz nach Möglichkeit tatsächlich woanders gewählt hätte, wenn ihr die Gefährlichkeit der Strahlung bekannt gewesen wäre. Die – mögliche – Unkenntnis der Eltern der Klägerin war jedoch ebenfalls nicht auf Gewahrsam zurückzuführen. Der Senat hat keine Anhaltspunkte dafür, dass etwa eine gezielt gegen die Gewahrsamspersonen gerichtete Desinformationskampagne der Gewahrsamsmacht vorgelegen hätte. Nach dem Vorbringen der Klägerin selbst deutet vielmehr alles darauf hin, dass die Desinformation mit der daraus resultierenden Strahlenbelastung der Bewohner sich gegen die gesamte Wohnbevölkerung gerichtet hat. Somit besteht allenfalls ein mittelbarer Zusammenhang zu dem Gewahrsam. Die Frage muss nicht diskutiert werden, ab welchem Zeitpunkt (in Betracht zu ziehen ist etwa das Vorliegen der Ergebnisse der im Sommer 1957 eingesetzten Kommission, Bl. 347 ff. Gerichtsakte; wobei die Erkenntnislage wohl jedenfalls für das in 130 km Entfernung zu dem Testgelände liegende K. mindestens bis 1972 nicht wirklich eindeutig war, vgl. Bl. 368 Gerichtsakte) den Machthabern die Gefährlichkeit der ionisierenden Strahlung bekannt gewesen ist und ob erst die nach diesem Zeitpunkt von der Klägerin erhaltenen Strahlendosen die Gesundheitsstörungen verursacht haben könnten.

Der Senat verkennt nicht, dass sich der vorliegende Fall von demjenigen unterscheidet, der der Entscheidung des LSG Schleswig-Holstein (Urteil vom 06. Dezember 2016, Az.: L 2 VK 57/14; Verfahren gegenwärtig in der Revision anhängig bei BSG unter dem Aktenzeichen B 9 V 2/17 R), in dem wohl behauptet worden ist, dem dortigem Kläger sei auch nach dem Ende der Kommandanturaufsicht der Wegzug aus der Nähe des Atomwaffentestgeländes verboten gewesen. Zudem besteht ein Unterschied darin, dass der Kläger des in dem von dem LSG Schleswig-Holstein entschiedenen Falles in erheblich geringerem Abstand zu dem Atomtestgelände gelebt hat und dementsprechend der Strahlung in stärkerem Maß ausgesetzt gewesen ist. Beides gibt aber nach den vorstehenden Ausführungen keine Veranlassung zu einer für die Klägerin günstigeren Entscheidung des vorliegenden Falles.

Der Senat ist auch nicht durch das mit Schriftsatz vom 25. April 2013 abgegebene Teilanerkenntnis Beklagten gehalten, die Einwirkung ionisierender Strahlung auf die Klägerin in K. als von dem Schutzraum des § 4 HHG umfasst anzusehen. Dabei verkennt der Senat nicht, dass die Anerkennung der Schilddrüsenunterfunktion infolge vermehrter Strahlenbelastung als Schädigungsfolge denknotwendig voraussetzt, dass die Strahlung schädigendes Ereignis im Sinn von § 4 HHG gewesen ist, also infolge des Gewahrsams erfolgte. Dieses Teilanerkenntnis hat für den vorliegenden weitergeführten Rechtsstreit jedoch nur insoweit Bedeutung, dass damit eine den Beklagten und daraus folgend auch das Gericht bindende Feststellung erfolgt ist. Gemäß § 4 Abs. 5 HHG ist allerdings allein die Schädigungsfolge feststellbar. Damit sind – unabhängig von der Frage, ob einer derartige Elementenfeststellung überhaupt zulässig wäre, vgl. dazu auch BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014, Az.: B 9 V 1/13 R – nicht zugleich alle einzelnen tatbestandlichen Voraussetzungen des streitigen Anspruches bindend zwischen den Beteiligten festgestellt. Unerörtert bleiben kann in diesem Zusammenhang, ob sich der Beklagte insoweit in Ansehung von § 34 SGB X binden könnte. Jedenfalls enthält das Teilanerkenntnis eine etwa bindungsfähige Zusicherung nicht.

Auch etwa durch Borrelieneinwirkungen verursachte Gesundheitsstörungen der Klägerin sind nicht als Schädigungsfolgen festzustellen. Insoweit ist nach dem Vorbringen der Klägerin bereits zweifelhaft, ob sie wirklich ein für sie erhöhtes Zeckenbissrisiko für das Wohngebiet in K. geltend machen will oder ob sie stattdessen von einer Übertragung von Borrelien von ihrer Mutter während der Schwangerschaft ausgeht. Insoweit muss die Frage nicht abschließend geklärt werden, ob der bisher allein geführte Nachweis von Borrelienantikörpern im Körper der Klägerin überhaupt als Gesundheitsstörung anerkannt werden könnte (vgl. dazu BSG, Urteil vom 27. Juni 2017, Az.: B 2 U 17/15 R). Schon die Frage, wann denn die Klägerin Kontakt zu Zecken gehabt hat, ist nach ihrem Vorbringen nicht eindeutig zu klären. Möglicherweise könnte ein solcher Kontakt während ihres Aufenthaltes in der UdSSR stattgefunden haben, möglicherweise aber auch zu einem späteren Zeitpunkt, nach ihrer Übersiedlung in die Bundesrepublik Deutschland. Auch hier ist eine Infektion mit Borrelien durchaus möglich. Das bedarf letztlich aber keiner Aufklärung. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts ist für den Senat nicht nachvollziehbar, aus welchen Gründen für die Klägerin im Zusammenhang mit ihrem Leben in K. ein erhöhtes Zeckenbissrisiko bestanden haben sollte und zwar weder erhöht im Vergleich zu einem gedachten Leben in der Bundesrepublik noch erhöht gegenüber der übrigen Wohnbevölkerung in K.. Unter Berücksichtigung der vorstehenden Ausführungen wäre ein erhöhtes Zeckenbissrisiko deshalb jedenfalls nicht ursächlich auf den Gewahrsam zurückzuführen. Soweit die Klägerin eine Ansteckung durch ihre Mutter geltend machen will, würde es sich um eine bloß mittelbare Schädigung handeln, die einen Anspruch ebenfalls nicht zu begründen in der Lage ist (vgl. BSG, Urteil vom 08. Dezember 1982, Az.: 9a RV 18/82, SozR 3100 § 1 Nr. 29).

Unabhängig von der Frage eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen dem gesetzlich geschützten Gewahrsam und etwa gesundheitsschädlichen Einwirkungen steht der Klägerin nach Auffassung des Senats die Anerkennung von – weiteren – Schädigungsfolgen auch deshalb nicht zu, weil ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Einwirkung ionisierender Strahlung auf die Klägerin in der Zeit vor ihrer Umsiedlung nach Q. und den bei ihr in der Zeit seit der Antragstellung vorliegenden Gesundheitsstörungen nicht wahrscheinlich ist. Für die Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Schädigungsfolge müssen neben dem gesetzlich geschützten womöglich schädigenden Umstand auch der dadurch verursachte Gesundheitsschaden (vom Gesetz als Schädigung bezeichnet) und der darauf zurückzuführende – aktuelle – gesundheitliche Schaden, für den eine Entschädigung verlangt wird, im Sinn des sogenannten Vollbeweises nachgewiesen sein. Zudem muss ein ursächlicher Zusammenhang im Sinn der Theorie der rechtlich wesentlichen Bedingung (vgl. dazu vgl. Rohr/Strässer/Dahm, Kommentar zum BVG, Anm. 10 zu § 1) einerseits zwischen dem geschützten Umstand und der Schädigung und andererseits zwischen der der Schädigung und der zu entschädigenden Folge bestehen. Gemäß § 1 Abs. 3 BVG genügt für die Annahme einer solchen Verursachung die Wahrscheinlichkeit ursächlichen Zusammenhangs. Wahrscheinlichkeit in diesem Sinn liegt vor, wenn nach aktuell geltender medizinischer Lehrmeinung mehr für als gegen einen Ursachenzusammenhang spricht.

Ursache eines Körperschadens sind in dem hier erheblichen Sinn diejenigen Bedingungen (das sind die Umstände, die nicht hinweggedacht werden können, ohne dass der Eintritt der Gesundheitsstörung entfiele – conditio sine qua non), die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Haben zu einem Erfolg (dem Eintritt eines Körperschadens) mehrere Bedingungen beigetragen, so sind nur diejenigen Bedingungen Ursache im Rechtssinn, die von ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Schadens wenigstens der Bedeutung und Tragweite der Summe der anderen Bedingungen annähernd gleichwertig sind (vgl. BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014, Az.: B 9 V 6/13 R, SozR 4-7945 § 3 Nr. 1; insoweit unterscheidet sich die Bewertung von den im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung geltenden Grundsätzen: BSG, Urteil vom 9. Mai 2006, Az.: B 2 U 1/05 R, SozR 4-2700 § 8 Nr. 17). Kommt dagegen einem der Umstände gegenüber den anderen eine überragende Bedeutung zu, ist er allein Ursache im Rechtssinn (Theorie der rechtlich wesentlichen Bedingung, vgl. Rohr/Strässer/Dahm, Kommentar zum BVG, Anm. 10 zu § 1).

Insoweit kann und soll nicht in Abrede gestellt werden, dass dem Senat bekannt ist, dass die Einwirkung ionisierender Strahlung durchaus Gesundheitsstörungen auch in dem vorgenannten Sinn verursachen kann. Im Hinblick auf die im Fall der Klägerin vorliegenden Gesundheitsstörungen steht aber nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zur Überzeugung des Senates fest, dass ein ursächlicher Zusammenhang insbesondere in Betracht zu ziehen wäre, wenn und soweit organische Veränderungen durch die Strahlung nachzuweisen wären, was bei der Klägerin aber nicht der Fall ist. Eine darüber hinausgehende Verursachung psychischer Erkrankungen durch nichtkörperliche Strahlenschäden hat der Sachverständige Prof. Dr. O. für nicht wahrscheinlich zu machen gehalten. Soweit im Übrigen die Klägerin psychische Gesundheitsstörungen darauf zurückführt, dass sie nach Bekanntwerden der schädigenden Strahleneinwirkungen Anfang der 1990er Jahre aufgrund der nunmehr möglichen Beschäftigung mit dem ihr Angetanen erkrankt sei, so verkennt sie, dass etwa auf diese Weise verursachte Gesundheitsstörungen gerade nicht in dem vorgenannten Sinn rechtlich wesentlich unmittelbar durch die Einwirkungen am Gewahrsamsort verursacht worden wären.

Vor diesem Hintergrund besteht aus der Sicht des Senates keine Veranlassung zu einer weiteren Aufklärung des medizinischen Sachverhaltes durch Einholung eines weiteren Gutachtens. Insbesondere muss auch der Senat dem in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag nicht nachgehen. Zunächst kommt es wegen der vorstehenden rechtlichen Erwägungen auf medizinische Fragen nicht an, so dass sie einer weiteren Klärung nicht bedürfen. Aber auch hinsichtlich der die Entscheidung selbständig tragenden Hilfserwägungen zu der Frage eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen den von der Klägerin angeschuldigten Einwirkungen in Kasachstan und den bei ihr vorliegenden Gesundheitsstörungen bedarf es nach Auffassung des Senates keiner weiteren Beweisaufnahme. Die Kausalitätsfrage ist – zu Lasten der Klägerin – geklärt. Daran ändert der Umstand nichts, dass die behandelnden Ärzte die Frage – jedenfalls seit der Stellung ihres Antrages bei dem Beklagten – anders, nämlich zu Gunsten der Klägerin, beantwortet haben. Diese Einschätzungen sind den Sachverständigen und den von dem Beklagten im Verwaltungsverfahren gehörten Gutachtern bekannt gewesen. Rechtlich beachtliche Argumente für die Annahme eines ursächlichen Zusammenhangs haben die behandelnden Ärzte jedoch nicht benannt. Mit Rücksicht darauf, dass die Sachverständigen und die von dem Beklagten gehörten Gutachter demgegenüber die für die Beurteilung des Ursachenzusammenhangs im sozialen Entschädigungsrecht geltenden Grundsätze benannt und ihre Ergebnisse auf deren Grundlage gefunden haben, überzeugen allein diese Ergebnisse den Senat, während die Einschätzungen der behandelnden Ärzte keine Beachtung finden können.

Zu keinem für die Klägerin günstigeren Ergebnis führt schließlich ihre Überlegung, die Gesundheitsstörungen müssten doch durch die Strahlungseinwirkungen verursacht sein, weil andere Ursachen nicht benannt werden könnten. Eine Schädigungsfolge bereits dann anzuerkennen, wenn eine andere Ursache einer Gesundheitsstörung als die schädigende Einwirkung nicht benannt werden kann, würde die gesetzliche Beweislastverteilung umkehren (vgl. insoweit zum Recht der gesetzlichen Unfallversicherung: BSG, Urteil vom 7. September 2004, Az.: B 2 U 34/03 R, veröffentlicht in juris dort Rn. 22 USK 2004-107). Zudem erscheint es schon aus denklogischen Erwägungen heraus nicht angezeigt, eine Schädigungsfolge schon unter den genannten Voraussetzungen anzunehmen. Die Unbenennbarkeit einer anderen Ursache ist nicht per se identisch mit der Annahme, dass es eine andere Ursache nicht geben könne. Ein derartiger Schluss von der Unbenennbarkeit einer anderen Ursache auf das Fehlen einer anderen Ursache könnte nur in Betracht kommen, wenn alle Ursachen einer Gesundheitsstörung bekannt wären und das Vorliegen jeder einzelnen dieser Ursachen ausgeschlossen werden könnte. Dieser Ansatz scheitert aber bereits an der ersten Prämisse. Mit Rücksicht auf die – auch zukünftig zu erwartende – Fortentwicklung des Erkenntnisstandes der medizinischen Wissenschaft kann in Bezug auf keine Gesundheitsstörung abschließend verlässlich gesagt werden, dass alle möglichen Ursachen bereits zum gegenwärtigen Zeitpunkt bekannt sind. Eine derartige Annahme würde voraussetzen, dass man zugleich sicher ausschließen können müsste, dass es über den gegenwärtigen Erkenntnisstand der medizinischen Forschung hinaus weitere in Betracht zu ziehende Ursachen einer Gesundheitsstörung gibt. Seriös ist ein solcher Ausschluss etwaigen zukünftigen Erkenntnisgewinns allerdings nicht zu erklären.

Sind Schädigungsfolgen nicht festzustellen, so kann auch ein Anspruch auf die Gewährung von Versorgung nicht bestehen. Denn alle im vorliegenden Verfahren zu prüfenden etwa in Betracht kommenden Versorgungsansprüche setzen das Bestehen von als Schädigungsfolgen anzuerkennenden Gesundheitsstörungen voraus. Gemäß § 31 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 30 Abs. 1 Satz 2 BVG setzt die Gewährung einer Grundrente das Vorliegen eines GdS von wenigstens 25 für die anerkannten Schädigungsfolgen voraus. Sind nach den vorstehenden Erwägungen – weitere – Schädigungsfolgen nicht festzustellen und bedingt nach der auch von der Klägerin nicht in Zweifel gezogenen Bewertung des Beklagten die Schilddrüsenfunktionsstörung nur einen GdS von Null, so steht fest, dass ein GdS von 25 jedenfalls für die Zeit seit der Antragstellung nicht erreicht wird.

Wegen § 60 Abs. 1 BVG kann eine Versorgung der Klägerin allenfalls seit dem Antragsmonat November 2007 in Betracht kommen, so dass für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreites die Beantwortung der Fragen ohne Bedeutung ist, ob und gegebenenfalls welche Schädigungsfolgen in der Zeit vor der Antragstellung vorgelegen haben und wie stark diese in der Zeit vor der Antragstellung ausgeprägt gewesen sind.

Die Kostenentscheidung beruht auf der Anwendung der §§ 183, 193 SGG.

Der Senat hat gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG die Revision zugelassen, weil die Frage bisher höchstrichterlich womöglich nicht abschließend geklärt ist, wie weitgehend der Beschädigtenschutz für Gewahrsamspersonen geht, die im Übrigen unter denselben Bedingungen wie die Wohnbevölkerung des Wohngebietes leben.