Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 08.12.2010, Az.: 3 K 238/08
Wegen der vorzeitigen Beendigung der Altersteilzeit nachgezahlte Beträge sind als sonstige Bezüge i.S.v. § 38a Abs. 1 S. 3 EStG zu qualifizieren; Qualifizierung von wegen der vorzeitigen Beendigung der Altersteilzeit nachgezahlten Beträgen als sonstige Bezüge i.S.v. § 38a Abs. 1 S. 3 EStG
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 08.12.2010
- Aktenzeichen
- 3 K 238/08
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2010, 37177
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2010:1208.3K238.08.0A
Verfahrensgang
- nachfolgend
- BFH - 15.12.2011 - AZ: VI R 26/11
Rechtsgrundlagen
- § 11 Abs. 1 S. 4 EStG
- § 38a Abs. 1 S. 3 EStG
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhof werden von § 38a Abs. 1 Sätze 2 u. 3 EStG nur solche Lohnbestandteile erfasst, die zu Lohnzahlungszeiträumen "um den Jahreswechsel" gehören (BFH-Urteil vom 22. Juli 1993 VI R 104/92, BFHE 171, 555, BStBl II 1993, 795; ebenso FG Baden-Württemberg, Urteil vom 29. Juli 1994 6 K 22/94, EFG 1995, 169), was bedeutet, dass Lohnnachzahlungen für den im Altjahr abgeschlossenen Lohnzahlungszeitraum in den zeitlichen Grenzen des § 39b Abs. 5 Satz 2 EStG, also innerhalb von drei Wochen, geleistet werden müssen .
- 2.
Werden wegen der vorzeitigen Beendigung der Altersteilzeit Beträge für bereits abgelaufene Jahre erst nach Ablauf der gemäß § 39b Abs. 5 Satz 2 EStG vorgesehenen drei-Wochen-Frist nachgezahlt, sind diese Beträge als sonstige Bezüge im Sinne des § 38a Abs. 1 Satz 3 EStG zu qualifizieren und bei Zufluss im Veranlagungszeitraum des Auszahlungsjahres zu versteuern.
Einkommensteuer 2006
Die Fiktion des § 38a Abs. 1 Satz 2 EStG greift nur ein, wenn die Lohnnachzahlungen für den im Altjahr abgeschlossenen Lohnzahlungszeitraum in den zeitlichen Grenzen des§ 39b Abs. 5 Satz 2 EStG, also innerhalb von drei Wochen, geleistet werden.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, welchem Veranlagungszeitraum die Korrekturen des Bruttogehaltes für das Jahr 2006 aufgrund der vorzeitigen Beendigung des Altersteilzeitvertrages des Klägers zuzurechnen sind.
Die Kläger sind zusammenveranlagte Ehegatten.
Der Kläger befand sich seit dem 1. Oktober 2005 in Altersteilzeit in dem Geschäftsbereich "T." der Firma W. (im Folgenden:W. ), wo er zuvor bereits seit 1971 in Vollzeit gearbeitet hatte. Die Altersteilzeit war in Form des sog. Blockmodells bei halber Bezahlung bis zum 30. September 2011 geplant, wobei die Arbeitsphase vom 1. Oktober 2005 bis zum 30. September 2008 und die Freistellungsphase vom 1. Oktober 2008 bis 30. September 2011 laufen sollte.
Mit Vertrag vom 20. Dezember 2006 wurde der Geschäftsbereich "T." von W. mit Wirkung zum 30. November 2006 auf die Firma O. GmbH (im Folgenden: Erwerberin ) übertragen. In Punkt 1.9 des Vertrages wurde vereinbart, dass die Verbindlichkeiten aus der Altersteilzeit des Klägers nicht auf die Erwerberin übertragen, sondern im Dezember 2006 beendet und von W. mit dem Kläger abgerechnet werden sollten. Das Beschäftigungsverhältnis des Klägers wurde im Übrigen ab dem 1. Januar 2007 mit der Erwerberin fortgesetzt.
W. schloss die berichtigte Gehaltsabrechnung für den Zeitraum Oktober 2005 bis Dezember 2006 im Januar 2007 ab und teilte sie dem Kläger in Lohn-/Gehaltsabrechnungen für den Monat Januar 2007 vom 29. Januar 2007 mit. Außerdem stellte W. dem Kläger eine gesonderte Lohnsteuerbescheinigung für den Zeitraum 1. bis 31. Januar 2007 aus. Insgesamt wurde der Bruttoarbeitslohn des Kläger für den Zeitraum vom 1. Oktober 2005 bis 31. Dezember 2006 um einen Betrag von 52.773,15 EUR erhöht, davon entfiel ein Betrag von 9.906,78 EUR auf das Kalenderjahr 2005 und ein Betrag in Höhe von 42.866,37 EUR auf das Kalenderjahr 2006. Die Auszahlung des Netto-Gesamtbetrages erfolgte nach der Lohnabrechnung im Januar 2007.
Die Kläger erklärte die gesamte Lohnzahlung in Höhe von 52.773,15 EUR in der Einkommensteuererklärung 2006. Der Beklagte folgte dem nicht und vertrat unter Hinweis auf § 11 des Einkommensteuergesetzes (im Folgenden: EStG ) die Auffassung, der Zufluss sei im Jahr 2007 zu erfassen.
Nach erfolglosem Vorverfahren haben die Kläger Klage erhoben.
Sie sind der Auffassung, bei dem im Januar 2007 ausgezahlten Betrag handele es sich - jedenfalls soweit er auf den Zeitraum 2006 entfalle - um laufenden Arbeitslohn, dessen Versteuerung nach § 38a Abs. 1 Satz 2 EStG in dem Jahr zu erfolgen haben, in dem der Lohnzahlungszeitraum ende, also im Jahr 2006.
Die Kläger beantragen sinngemäß,
unter Aufhebung des Einspruchsbescheides vom 26. Mai 2008 den Einkommensteuerbescheid für 2006 vom 3. Januar 2008 dahingehend abzuändern, dass der auf das Kalenderjahr 2006 entfallende Betrag in Höhe von 42.866,37 EUR aus der Beendigung der Altersteilzeit der Bemessungsgrundlage hinzugerechnet wird.
Der Beklagte beantragt
die Klageabweisung.
Er ist der Meinung, bei der Zahlung handele es sich nicht um laufenden Arbeitslohn, sondern um einen sonstigen Bezug, der gem.§ 38a Abs. 1 Satz 3 EStG nach dem Zuflussprinzip zu besteuern sei.
Entscheidungsgründe
I.
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der aufgrund der vorzeitigen Beendigung der Altersteilzeit des Klägers (sog. "Störfall") im Januar 2007 ausgezahlte Betrag ist nach§§ 11 Abs. 1 Satz 4, 38a Abs. 1 Satz 3 EStG im Veranlagungszeitraum 2007 zu versteuern.
Nach § 11 Satz 1 EStG sind Einnahmen grundsätzlich innerhalb des Kalenderjahres bezogen, in dem sie dem Steuerpflichtigen zugeflossen sind. Für Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit gelten nach § 11 Abs. 1 Satz 4 EStG u.a. die Regelungen des § 38a Abs. 1 Satz 2 und 3 EStG. Danach gilt laufender Arbeitslohn als in dem Kalenderjahr bezogen, in dem der Lohnzahlungszeitraum endet. Arbeitslohn, der nicht als laufender Arbeitslohn gezahlt wird (sonstige Bezüge), wird dagegen in dem Kalenderjahr bezogen, in dem er dem Arbeitnehmer zufließt.
Bei den infolge des Störfalls erfolgten Nachzahlungen handelt es sich um sonstige Bezüge, die bei Zufluss im Veranlagungszeitraum 2007 zu erfassen sind.
Wann laufender Arbeitslohn oder sonstige Bezüge gegeben sind, wird im Gesetz nicht ausdrücklich bestimmt. Unter laufendem Arbeitslohn wird jedoch allgemein der dem Arbeitnehmer regelmäßig, also periodisch, in den jeweiligen Lohnzahlungszeiträumen zufließende Arbeitslohn verstanden (FG Münster, Urteil vom 14. November 1990 VII 3638/88 E, EFG 1991, 567; FG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 21. April 1999 II 365/97, EFG 2000, 326; Trzaskalik in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, Einkommensteuergesetz. Kommentar, § 38a EStG Rn. B 5; Thürmer in Blümich, EStG - KStG - GewStG. Kommentar, § 38a EStG Rz. 28; Drenseck in Schmidt, Einkommensteuergesetz. Kommentar, 29. Auflage 2010, § 38a EStG Rz. 2). Lohnzahlungszeitraum ist dabei der Zeitraum, für den der laufende Arbeitslohn gezahlt wird ( Drenseck in Schmidt, Einkommensteuergesetz. Kommentar, 29. Auflage 2010, § 38a EStG Rz. 3). Als solcher wurde im Streitfall in Absatz 3 des Anstellungsvertrages zwischen der W. und dem Kläger vom 29. Juli 2005 der Kalendermonat vereinbart (" Das Gehalt wird jeweils am Ende eines Kalendermonats bargeldlos unter Einbehaltung der gesetzlichen Abzüge bezahlt ").
Werden Nachzahlungen ganz oder teilweise für Lohnzahlungszeiträume erbracht, die in einem anderen Jahr als dem der Zahlung enden, ist umstritten, ob die Nachzahlung als laufender Arbeitslohn oder als sonstiger Bezug zu versteuern ist. Der Bundesfinanzhof geht davon aus, dass von § 38a Abs. 1 Sätze 2 u. 3 EStG jedenfalls nur solche Lohnbestandteile erfasst werden, die zu Lohnzahlungszeiträumen "um den Jahreswechsel" gehören (BFH-Urteil vom 22. Juli 1993 VI R 104/92, BFHE 171, 555, BStBl II 1993, 795; ebenso FG Baden-Württemberg, Urteil vom 29. Juli 1994 6 K 22/94, EFG 1995, 169). Nach den Ausführungen des Bundesfinanzhofs dient die Vorschrift der Vereinfachung des Lohnsteuerverfahrens. Sie soll den Arbeitgeber von der Pflicht entheben, bei Lohnzahlungen für kalenderjahrübergreifende Lohnzahlungszeiträume die Arbeitslöhne nach ihrem wirtschaftlichen Gehalt auf das abgelaufene und das neue Kalenderjahr aufzuteilen. Nach der überwiegenden Meinung im Schrifttum (Trzaskalik in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, Einkommensteuergesetz. Kommentar, § 38a EStG Rdnr. B 5; Hartz/Meeßen/Wolf, ABC-Führer Lohnsteuer, Stichwort: "Zufluss von Arbeitslohn" Rz. 2/1;Wermelskirchen in Lademann, EStG. Kommentar, § 38a EStG Anm.4; Barein in Littmann/Bitz/Meincke, Das Einkommensteuerrecht, § 38a EStG Rz. 6; Eisgruber in Kirchhof, EStG, 9. Auflage 2010, § 38a EStG Rz. 4; zustimmend auch FG Sachsen- Anhalt, Urteil vom 21. April 1999 II 365/97 EFG 2000, 326) greift die Fiktion des § 38a Abs. 1 Satz 2 EStG ein, wenn die Lohnnachzahlungen für den im Altjahr abgeschlossenen Lohnzahlungszeitraum in den zeitlichen Grenzen des § 39b Abs. 5 Satz 2 EStG, also innerhalb von drei Wochen, geleistet werden. Die Drei-Wochen-Frist soll insbesondere den Schwierigkeiten bei der Lohnabrechnung für den letzten Lohnzahlungszeitraum des Altjahres angemessen Rechnung tragen und gleichzeitig einen überschaubaren Zeitraum beinhalten, um den Abschluss des Lohnkontos gem. § 41b EStG (nebst Bescheinigungen auf der Lohnsteuerkarte) vornehmen zu können ( Trzaskalik in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, Einkommensteuergesetz. Kommentar, § 39b Rdnr. C 9). Auch die Finanzverwaltung wendet in Abschn. 115 Abs. 1 Nr. 7 und Abs. 2 Nr. 8 LStR (A 39b.2 Abs. 1 Nr. 7 und Abs. 2 Nr. 8 LStR n.F.) ausnahmsweise die Drei-Wochen-Frist an, wenn es um die Frage geht, welchem Zeitraum die Lohnzahlungen steuerlich zuzuordnen sind.
Das von den Klägern zitierte Finanzgericht Münster hält im Einzelfall eine Prüfung für erforderlich, ob nicht trotz verzögerter Auszahlung eines Gehalts laufender Arbeitslohns angenommen werden kann (FG Münster, Urteil vom 14. November 1990 VII 3638/88 E, EFG 1991, 567; zustimmend Thürmer in Blümich, EStG - KStG - GewStG. Kommentar, § 38a EStG Rz. 30). Es sieht diese Notwendigkeit aber nur im Falle einer verzögerten (erstmaligen) Lohnzahlung und grenzt diese ausdrücklich von einer Nachzahlung in dem Sinne ab, "daß zu einer bereits erfolgten Zahlung etwas zusätzlich, eben nachgezahlt worden ist und so die Regelmäßigkeit verneint werden könnte".
Nach den vorstehenden Grundsätzen sind die im Streitfall wegen der vorzeitigen Beendigung der Altersteilzeit nachgezahlten Beträge für den Zeitraum Oktober 2005 bis Dezember 2006 als sonstige Bezüge im Sinne des § 38a Abs. 1 Satz 3 EStG zu qualifizieren und bei Zufluss im Veranlagungszeitraum 2007 zu versteuern. Bei den Zahlungen handelt es sich zweifellos um Nachzahlungen, da infolge des Störfalls die von dem Kläger im Rahmen der Arbeitsphase vorgeleisteten Arbeitsleistungen ausgeglichen und die in diesem Zeitraum gezahlten niedrigeren Gehaltszahlungen aufgestockt werden müssen. Es liegt somit nicht bloß eine zufällig verzögerte (erstmalige) Lohnauszahlung vor. Eine von dem Zuflusszeitpunkt abweichende Besteuerung im Veranlagungszeitraum 2006 käme allenfalls für den nachgezahlten Arbeitslohn des Monats Dezember in Betracht, da nur für diesen bei einer Auszahlung im Januar des Folgejahres noch ein enger zeitlicher Zusammenhang mit dem Lohnzahlungszeitraum angenommen werden könnte. Allerdings sind die Nachzahlungsbeträge (frühestens) am 29. Januar 2007 geleistet worden und damit später als drei Wochen nach Ablauf des Lohnzahlungszeitraums, also des Dezembers 2006. Die zeitliche Begrenzung auf drei Wochen ist - angesichts des genannten Zweckes der Vorschrift und der im systematischen Zusammenhang stehenden Begrenzung in § 39b Abs. 5 EStG - nicht zu beanstanden (so auch FG Sachsen Anhalt, Urteil vom 21. April 1999 II 365/97 EFG 2000, 326; zur Vereinbarkeit dieser Begrenzung mit dem Leistungsfähigkeitsprinzip vgl. Lang, StuW 1975, 113 [124]).
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung.