Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 09.02.2006, Az.: 2 A 351/04
Bibliographie
- Gericht
- VG Göttingen
- Datum
- 09.02.2006
- Aktenzeichen
- 2 A 351/04
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2006, 44419
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGGOETT:2006:0209.2A351.04.0A
Tatbestand
Der am XX.XX.XXXX geborene Kläger begehrt vom Beklagten Leistungen für eine Autismustherapie.
Im Alter von ca. 2 Jahren wurde der Kläger ärztlich untersucht, da er weder ein passives noch ein aktives Sprachverständnis entwickelt hatte. Erstmals im Dezember 2002 diagnostizierte der den Kläger behandelnde Kinderarzt P. beim Kläger Autismus. Weitere Untersuchungen im Dezember 2002, Januar und Februar 2003 in Spezialkliniken bestätigten diesen Befund. Schriftliche Unterlagen hierüber befinden sich nicht in den Akten. Ausweislich des Kinder- und Jugendpsychiatrischen und -psychologischen Berichts des Direktors der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie des Klinikums der Q., R., der den Kläger am 11. Oktober 2004 untersuchte, liegen beim Kläger eine rezeptive und expressive Sprachstörung sowie autistische Verhaltensweisen vor, die nicht dem Vollbild des frühkindlichen Autismus, sondern allenfalls dem eines atypischen Autismus entsprächen. Das Ausmaß des tiefgreifenden Entwicklungsrückstandes des Klägers entspreche einer geistigen Behinderung.
Am 29. Januar 2003 stellten die Eltern des Klägers erstmals für diesen einen Antrag auf Gewährung von Eingliederungshilfe.
Am 3. April 2003 untersuchte daraufhin der Amtsarzt des Beklagten, auf dessen Feststellungen die obigen Angaben zu den Gutachten aus den Jahren 2002 und 2003 beruhen, den Kläger. Er gelangte in seiner sozialmedizinischen Stellungnahme zu den Voraussetzungen von Eingliederungshilfe bei jungen Menschen vom 4. April 2003 zusammenfassend zu der Beurteilung, dass die gestörte Kommunikation sowie die sicherlich eingeschränkten Fähigkeiten, Sozialkontakte aufzubauen und soziale Signale wahrzunehmen in Verbindung mit den diagnostizierten Körperwahrnehmungsstörungen an das Vorliegen eines autistischen Syndroms im Sinne einer tiefgreifenden Entwicklungsstörung denken ließen. Die Fähigkeit zur Eingliederung in die Gesellschaft sei anhaltend beeinträchtigt bzw. müsse dies aufgrund der vorhandenen Erkenntnisse befürchtet werden. Eine körperliche Behinderung sei nachgewiesen, eine geistige sowie seelische Behinderung drohe. Der Amtsarzt befürwortete die Förderung des Klägers durch den Verein "Hilfe für das autistische Kind" e. V. im Umfang von zwei Wochenstunden bis zur Aufnahme in den heilpädagogischen Kindergarten.
Daraufhin bewilligte die in Sozialhilfeangelegenheiten namens und im Auftrag des Beklagten handelnde Stadt F. dem Kläger mit Bescheid vom 16. Juli 2003 zunächst Eingliederungshilfeleistungen für die Kosten einer ambulanten Förderung des Klägers durch den Verein "Hilfe für das autistische Kind" im Umfang von zwei Stunden pro Woche in der Zeit vom 28. Januar bis 30. September 2003. Diese Therapie endete im August 2003 auf Wunsch der Eltern des Klägers.
Mit Schreiben vom 22. Juli 2003 beantragten die Eltern des Klägers bei der Stadt F. die Kostenübernahme für eine Verhaltenstherapie möglichst nach Lovaas, die in Amerika starten und ab Januar 2004 in F. fortgeführt werden sollte. Diese Therapie ist von dem amerikanischen Wissenschaftler Dr. Ivar Lovaas seit dem Jahre 1987 entwickelt worden und gilt in den USA gemäß einer Weisung des US-Gesundheitsministeriums als Methode der Wahl bei der Behinderung in Folge von Autismus. In Europa ist diese Therapie nur in Norwegen, England und Spanien weit verbreitet, wo mehrere hundert Familien sie mit ihren Kindern durchführen. In Deutschland, der Schweiz und in Österreich sind dies nur wenige Familien (zitiert nach Früh, Autismus-Heft Oktober 2002). Erfolgreiches Lernen nach der Lovaas-Therapie baut nach übereinstimmender Einschätzung in der dem Gericht vorliegenden Fachliteratur auf mehreren Faktoren auf, die für einen Erfolg absolut notwendig sind. Es sind dies:
- eine hohe zeitliche Intensität von ca. 40 Wochenstunden über zwei bis drei Jahre,
- ein individuelles Lernprogramm,
- die Beachtung der Prinzipien der Verhaltensmodifikationen,
- das Sammeln von Daten,
- Teamarbeit,
- Supervision und
- Einbindung der Eltern in die Therapie.
Die Eltern des Klägers wollten sich während eines beruflichen USA-Aufenthaltes des Vaters des Klägers in der Zeit vom 8. September 2003 bis 15. Januar 2004 dort über die Therapieform informieren lassen. Das ursprüngliche Begehren, auch die in den USA entstandenen Kosten vom Beklagten ersetzt zu bekommen, verfolgt der Kläger mit der Klage nicht weiter.
Mit weiterem Schreiben vom 31. August 2003 beantragten die Eltern des Klägers nochmals die Kostenübernahme für die genannte Therapieform sowie erstmals auch für die sog. TEACCH-Verhaltenstherapie (Treatment and Education of Autistic and related Communication handicaped Children). Diese, mit vorgesehenen ca. 25 Stunden pro Woche ebenfalls sehr zeitintensive Therapie beruht auf einem lerntheoretisch fundierten Ansatz. Durch individuelle Strukturierung der räumlichen und zeitlichen Umwelt, der Aufgabenstellung und Handlungsplanung werden die Schwächen der autismusspezifischen Wahrnehmungsverarbeitung kompensiert und die Kommunikation wird mit gezieltem Einbezug alternativer Kommunikationsmittel (Bilder, Fotos, Gebärden, Symbole) unterstützt. Diese Therapie ist 1996 ebenfalls in den Vereinigten Staaten von den Wissenschaftlern Schopler und Mesibov entwickelt worden. Der Zeitraum der Behandlung beträgt mind. mehrere Monate (zitiert nach Poustka u.a., Leitfaden Kinder- und Jugendpsychotherapie, 5. Aufl., Autistische Störungen und Kusch/Petermann, Klinische Kinderpsychologie, Band 5, Entwicklung autistischer Störungen). Beide Therapien sind in den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie (www.AWMF-online.de) als geeignete Autismustherapien anerkannt.
Der Amtsarzt des Beklagten lehnte diese Therapie mit Stellungnahme vom 2. September 2003 im wesentlichen mit der Begründung ab, die Verhaltenstherapie nach Lovaas versuche unerwünschte Verhaltensweisen durch Bestrafungsformen abzubauen. Verhaltenstherapeutische Ansätze, die ohne Bestrafungscharakter auskämen, seien jedoch bei der Förderung von Kindern mit tiefgreifenden Entwicklungsstörungen erfolgversprechender. Zudem wende das Autismustherapiezentrum in F. verhaltenstherapeutische Elemente an, so dass eine spezielle Verhaltenstherapie nach Lovaas begleitend zur Unterstützung durch das Autismustherapiezentrum in F. nicht erforderlich sei. Er ging dabei davon aus, dass diese Einrichtung beratend in die heilpädagogische Arbeit des Kindergartens eingebunden werden könne. Seinerzeit war noch beabsichtigt, den Kläger im Sonderkindergarten S. unterzubringen. Der Kläger besuchte jedoch zu keiner Zeit diesen Kindergarten.
Mit Bescheid vom 15. Januar 2004 lehnte der Beklagte den Antrag auf Übernahme der Kosten für die Verhaltenstherapie nach Lovaas im wesentlichen unter Wiederholung der Argumente seines Amtsarztes ab. Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben vom 10. Februar 2004 Widerspruch ein. Er bemängelte, der Bescheid treffe zu der Verhaltenstherapie nach TEACCH keine Aussagen. Ferner beanstandete er, dass die Therapie nach Lovaas in ihrer von ihm selbst modifizierten Form keine Bestrafungs-, sondern nur noch Belohnungselemente enthalte. Ein Autismustherapiezentrum sei demgegenüber für die Verhaltenstherapie nicht geeignet, weil die Lovaas-Therapie einer qualifizierten Supervision bedürfe, um erfolgreich zu sein. Abschließend verwies er auf einen Vergleichsfall, der vom Beklagten aus Mitteln der Sozialhilfe unterstützt würde. Die Eltern des Klägers teilten mit, ihr Sohn solle nach der Lovaas-Therapie gefördert werden, und es sei nicht beabsichtigt, ihn den Sonderkindergarten besuchen zu lassen.
Zu diesem Widerspruch nahm der Amtsarzt des Beklagten unter dem 24. März 2004 ergänzend Stellung. Er führte aus, sowohl die Lovaas-Therapie als auch das TEACCH-Konzept gehörten zum therapeutischen Interventionsspektrum bei der hier vorliegenden Entwicklungsstörung. Seiner Ansicht nach würden beide Therapieprinzipien von den Autismustherapiezentren in T. und U. angewandt, die sich dem Bundesverband "Hilfe für das autistische Kind" angeschlossen hätten. Er schlug für die Konzeption der Eingliederungshilfe des Klägers folgendes vor:
1. Den Besuch einer heilpädagogischen, möglichst integrativen Kindergartengruppe, da nur so die soziale Interaktionsfähigkeit des Klägers mit Gleichaltrigen gestärkt werden könne,
2. eine Verhaltenstherapie nach modifizierten Lovaas-Konzepten sowie eine Förderung nach dem TEACCH-Prinzip sowie schließlich
3. für die erfolgversprechende Umsetzung dieser Therapieprinzipien die Behandlung durch ein Autismustherapiezentrum im Umfang von zunächst zwei Wochenstunden.
Seit Ende April 2004 erhält der Kläger eine Autismustherapie. Nach Aussage seiner Mutter in der mündlichen Verhandlung erfolgte zunächst für ein halbes Jahr die Behandlung nach TEACCH im Umfang von 25 Wochenstunden und anschließend die Behandlung nach dem Lovaas-Konzept im Umfang von 35 Wochenstunden. Die Therapieleistungen werden einerseits von Studentinnen, die von den Eltern des Klägers angestellt und bezahlt werden, und andererseits von den Eltern des Klägers wahrgenommen. Etwa vierteljährlich finden in der elterlichen Wohnung des Klägers sog. Workshops statt, bei denen in Anwesenheit der in der Therapie eingesetzten Personen durch eine Supervisorin bzw. einen Supervisor die Therapieerfolge sowie das weitere Vorgehen besprochen werden. Ein solcher Workshop geht jeweils über zwei Tage. Zunächst ist diese Supervision durch eine speziell ausgebildete Fachkraft aus London durchgeführt worden. In jüngster Zeit hat diese Aufgabe eine Fachkraft aus Norwegen übernommen, die auch in dem vom Kläger angeführten Vergleichsfall tätig gewesen ist. R. empfahl in seinem bereits zitierten Bericht vom 28. Oktober 2004 die Fortsetzung der Therapie. Es müsse aber auch bedacht werden, dass 32 Wochenstunden (Anm. des Gerichts: Mittlerweile ist zwischen den Beteiligten unstreitig, dass der Umfang 35 Wochenstunden beträgt) zu einer Überforderung des Klägers und damit einhergehendem Widerstand gegen die Therapie führen könnten. Gleichzeitig wies R. die Eltern des Klägers darauf hin, dass dieser auch Kontakt mit anderen Kindern haben sollte. Ausweislich der ärztlichen Stellungnahmen des Chefarztes des Sozialpädiatrischen Zentrums U., V., vom 22. Dezember 2004 und 13. Juli 2005 macht der Kläger unter der Therapie kleine, aber kontinuierliche Fortschritte.
Auf die amtsärztliche Stellungnahme vom 24. März 2004 hin bewilligte die Stadt F. dem Kläger mit Bescheid vom 23. April 2004 Eingliederungshilfe hinsichtlich der Kosten einer ambulanten Behandlung durch das Autismustherapieinstitut in T. im Umfang von zwei Stunden pro Woche in der Zeit vom 15. Januar 2004 bis längstens 31. Januar 2005.
Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben vom 29. April 2004 Widerspruch ein. Die Gewährung von Therapiestunden sei nur für eine Übergangszeit bis zum Beginn der Lovaas-Therapie angestrebt worden. Ihm gehe es darum, die Verhaltenstherapie nach Lovaas bzw. TEACCH aus Mitteln der Eingliederungshilfe ersetzt zu bekommen.
Daraufhin hob die Stadt F. ihren Bescheid vom 15. Januar 2004 mit Bescheid vom 6. Mai 2004 auf und bezeichnete die Regelungen in diesem Bescheid als Abhilfe. Sie erklärte sich bereit, für den Kläger die Kosten einer ambulanten Verhaltenstherapie nach Lovaas und TEACCH im Umfang von max. 10 Stunden pro Woche in der Zeit vom 15. Januar 2004 bis längstens 31. Januar 2005 zu übernehmen. Eine Begründung für die Begrenzung der Leistungen auf max. 10 Stunden pro Woche enthält der Bescheid nicht. Der Umfang beruht offenbar auf einer telefonischen Auskunft des Amtsarztes des Beklagten.
Hiergegen legte der Kläger unter dem 26. Mai 2004 Widerspruch ein. Diesen begründete er im wesentlichen damit, er benötige bei der Verhaltenstherapie nach Lovaas 35 Wochenstunden, wenn diese erfolgreich sein solle. Einer anderen Familie sei für ein vergleichbares Kind zudem im Umfang von 20 Therapiestunden Eingliederungshilfe gewährt worden. Ferner seien die Kosten für Schulung und Workshops ebenso wie sämtliche Reisekosten der Therapeuten übernommen worden. Insoweit entstünden ihnen Kosten für Unterkunft, Flug- und Bahnfahrt der Leiterin des Workshops, die aus London komme. Auch hierzu nahm der Amtsarzt der Beklagten unter dem 24. Juni 2004 Stellung. Die Einbindung ausländischer Fachleute sei nicht erforderlich. F. verfüge selbst über ein Autismustherapiezentrum, zu dessen Konzeption auch verhaltenstherapeutische Behandlungsansätze im Sinne von Lovaas und nach dem TEACCH-Konzept gehörten. Den vom Kläger geltend gemachten Stundenumfang hielt er unter Bezugnahme auf eine Äußerung von W. von der Universität X. nicht für erforderlich. Nach dessen Feststellungen lasse sich kein Zusammenhang zwischen dem nach verschiedenen Therapieansätzen erforderlichen Therapieaufwand und Erfolg finden. Trainingsmaßnahmen nach Lovaas hätten mit einem Gesamtaufwand von 1500 bis 4000 Stunden ähnliche Effekte erreicht wie Therapiekonzepte mit einem gesamten Förderumfang von 400 bzw. 50 bis 150 Stunden. Von daher erschienen zehn Wochenstunden für Therapie und Elternberatung angemessen zu sein.
Daraufhin erließ der Beklagte am 27. September 2004 zwei Widerspruchsbescheide. Mit einem wies er den Widerspruch des Klägers vom 26. Mai 2004 gegen den Bescheid der Stadt F. vom 6. Mai 2004 im wesentlichen unter Bezugnahme auf die Ausführungen im Ausgangsbescheid sowie die Stellungnahme seines Amtsarztes zurück. Nur dieser Widerspruchsbescheid ist streitgegenständlich.
Hiergegen hat der Kläger am 22. Oktober 2004 Klage erhoben.
Zur Begründung trägt der Kläger vor, er werde seit Ende April 2004 nach dem Lovaas-Konzept therapiert. Dieses sei geeignet und erforderlich, um ihm den Schulbesuch zu ermöglichen. Diese Therapie arbeite nicht mit Bestrafung, sondern mit Belohnungselementen. Er könne nicht auf die Autismustherapiezentren in U. oder T. verwiesen werden, weil diese nicht mit der unbedingt erforderlichen Supervision arbeiteten. Die diversen Stellungnahmen des Amtsarztes des Beklagten seien unbeachtlich. Zum einen sei er nicht auf Behandlung autistischer Kinder spezialisiert und infolgedessen nicht qualifiziert, zum anderen habe er ihn, den Kläger, zuletzt im März 2003 persönlich begutachtet. Bis heute seien Kosten in Höhe von etwa 31.000,00 Euro angefallen. Hätte er, wie vom Beklagten empfohlen, den heilpädagogischen Sonderkindergarten "S." besucht, wären im selben Zeitraum etwa 60.000,00 Euro Kosten entstanden.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten unter entsprechender Abänderung des Bescheides der Stadt F. vom 6. Mai 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Beklagten vom 27. September 2004 zu verpflichten, dem Kläger im Rahmen der Eingliederungshilfe Kosten für Therapiestunden in einem Umfang von 35 Stunden pro Woche in Höhe von bis zu 17,49 Euro pro Stunde sowie Kosten für Workshops von bis zu 4 Stück pro Jahr in Höhe von jeweils bis zu 1.500,00 Euro pro Workshop, dies jeweils ab April 2004 zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er nimmt Bezug auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden. Zudem meint er, der Kläger mache jedenfalls teilweise vergangenen Bedarf geltend, so dass der Leistungsgewährung der Grundsatz, keine Hilfe für die Vergangenheit nach § 5 Abs. 1 BSHG entgegenstehe. Ferner bestreitet er einen Bezug der Therapie zur Schulbildung des Klägers. Insgesamt stünden dem Kläger nach Ansicht seines, fachlich hinreichend qualifizierten Amtsarztes keine höheren Leistungen als im Umfang von 10 Wochenstunden zu. Für die Kosten des heilpädagogischen Kindergartens "S." wäre nicht er, sondern das Land Niedersachsen Kostenträger gewesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten sowie die Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist im tenorierten Umfang begründet.
Der Kläger hat einen Anspruch auf Gewährung von Eingliederungshilfe gegen den Beklagten im Umfang von mehr als 10 Wochenstunden. Die Bescheide der Stadt F. vom 6. Mai 2004 und der Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 27. September 2004 sind rechtswidrig, soweit sie im ersten halben Jahr der Therapie nicht Eingliederungshilfeleistungen für 25 Therapiewochenstunden und danach für 35 Therapiewochenstunden sowie für die im Zusammenhang mit den Workshops anfallende Kosten gewähren. Dabei erstreckt sich der streitgegenständliche Zeitraum in Sozialhilfeangelegenheiten grundsätzlich nur bis zum Zeitpunkt des Widerspruchsbescheides. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz ist hier insoweit geboten, als die namens und im Auftrage des Beklagten handelnde Stadt F. mit dem angefochtenen Bescheid vom 6. Mai 2004 eine Regelung bis zum 31. Januar 2005 getroffen hat, so dass dieses Datum die gerichtliche Überprüfung begrenzt.
Soweit es um Maßnahmen geht, die noch im Jahre 2004 erfolgt sind, sind Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch die §§ 39, 40 Abs. 1 S. 1 Nr. 4, 47 BSHG i.V.m. 12 Nr. 1 der Eingliederungshilfe-Verordnung. Soweit es um Maßnahmen ab dem 1. Januar 2005 geht, ergibt sich der Anspruch aus den inhaltsgleichen §§ 53 Abs. 1, 54 Abs. 1 Nr. 1, 60 SGB XII i.V.m. 12 Nr. 1 Eingliederungshilfe-VO.
Diese Vorschriften gehen bei, wie hier in Rede stehenden, heilpädagogischen Maßnahmen für autistische Kinder den Regelungen des SGB VIII vor (BVerwG, Urteil vom 23.09.1999 - 5 C 26.98 -, BVerwGE 109, 325, 329; OVG Lüneburg, Beschluss vom 17.12.2002 - 12 ME 657/02 -, FEVS 55, 80; Beschluss vom 19.04.2004 - 12 ME 78/04 -, zitiert nach der Rechtsprechungsdatenbank des Nds. Oberverwaltungsgerichts).
Der Kläger gehört zum berechtigten Personenkreis des § 39 Abs. 1 BSHG bzw. § 53 Abs. 1 SGB XII.
Er ist einerseits erheblich sprachgestört im Sinne von § 1 Nr. 6 Eingliederungshilfe-VO und andererseits infolge der Schwäche seiner geistigen Kräfte in erheblichem Umfange in seiner Fähigkeit zur Teilhabe am Leben in der Gesellschaft eingeschränkt und damit geistig wesentlich behindert im Sinne von § 2 Eingliederungshilfe-VO. Insgesamt liegt beim Kläger eine Mehrfachbehinderung vor, die nach den vorliegenden ärztlichen Attesten als atypischer Autismus zu bezeichnen ist. Diese Beurteilung wird vom Beklagten unter Hinweis darauf, dass im Vordergrund erhebliche Sprachstörungen stünden, zu Unrecht bestritten. Für die Frage, welche Behinderung zu diagnostizieren ist, stellt die Kammer auf die internationale Klassifikation der WHO (ICD-10) ab (vgl. Urteil vom 26. Januar 2006 - 2 A 161/05 zur Frage der seelischen Behinderung). Dies entspricht auch der Vorstellung des Gesetzgebers (vgl. Regierungsbegründung des SGB IX, BT-DS 14/5074/2001, S. 121).
In Abschnitt V F 84.1 der ICD-10 wird der atypische Autismus definiert. Es handelt sich danach zunächst, wie bei allen anderen Formen tiefgreifender Entwicklungsstörungen, um eine Störung, die gekennzeichnet ist durch qualitative Abweichungen in den wechselseitigen sozialen Interaktionen und Kommunikationsmustern sowie durch ein eingeschränktes, stereotypes, sich wiederholendes Repertoire von Interessen und Aktivitäten. Der atypische Autismus unterscheidet sich vom frühkindlichen Autismus entweder durch das Alter bei Krankheitsbeginn oder dadurch, dass die diagnostischen Kriterien nicht in allen genannten Bereichen erfüllt werden. Diese Subkategorie soll nach den ICD-10-Kriterien immer dann verwendet werden, wenn die abnorme oder beeinträchtigte Entwicklung erst nach dem dritten Lebensjahr manifest wird oder wenn nicht in allen für die Diagnose Autismus geforderten psychopathologischen Bereichen (nämlich wechselseitige soziale Interaktionen, Kommunikation und eingeschränktes, stereotyp repetitives Verhalten) Auffälligkeiten nachweisbar sind. Atypischer Autismus tritt dabei sehr häufig bei schwer retardierten bzw. unter einer schweren rezeptiven Störung der Sprachentwicklung leidenden Patienten auf. Die schwere rezeptive Sprachstörung ist damit wesentlicher Bestandteil des atypischen Autismus. Entsprechend ist nach Abschnitt F 80.1 und F 80.2 die Diagnose einer expressiven bzw. rezeptiven Sprachstörung im Falle tiefgreifender Entwicklungsstörungen nach Abschnitt F 84, insbesondere Autismus, ausgeschlossen. Die Atypik des Autismus, unter dem der Kläger leidet, ergibt sich daraus, dass er nicht in allen psychopathologischen Bereichen Auffälligkeiten aufweist. So ergibt sich aus der ärztlichen Stellungnahme von R. vom 28. Oktober 2004, dass der Kläger Körperkontakt nicht scheut.
Die vom Kläger begehrten Leistungen stellen Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung im Sinne von § 40 Abs. 1 Nr. 4 BSHG bzw. § 54 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII dar. Danach gehört zu den Leistungen der Eingliederungshilfe Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung, vor allem im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht und zum Besuch weiterführender Schulen einschließlich der Vorbereitung hierzu.
Das Leben des zum Zeitpunkt des Therapiebeginns Ende April 2004 3 ?-jährigen Klägers wird maßgeblich durch seine Familie einerseits wie andererseits durch die zu erwartende Einschulung bestimmt. Die begehrte Autismustherapie soll eindeutig auch und wesentlich die Grundlage dafür schaffen, dass der Kläger trotz seiner erheblichen Behinderungen in die Lage versetzt wird, bei Eintritt der Schulpflicht dieser genügen zu können. Die Autismustherapie nach Lovaas bzw. TEACCH erleichtert den zu erwartenden Schulbesuch des Klägers damit in erheblichem Umfange, weshalb es sich um eine Leistung im Sinne von § 40 Abs. 1 Nr. 4 BSHG und nicht lediglich um eine Leistung zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft nach § 40 Abs. 1 Nr. 8 handelt (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 17.12.2002, a.a.O.).
Gemäß § 12 S. 1 Nr. 1 Eingliederungshilfe-VO umfasst die Hilfe im Sinne von § 40 Abs. 1 Nr. 4 BSHG auch heilpädagogische sowie sonstige Maßnahmen zugunsten körperlich und geistig behinderter Kinder und Jugendlicher, wenn die Maßnahmen erforderlich und geeignet sind, dem behinderten Menschen den Schulbesuch im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht zu ermöglichen oder zu erleichtern. Dies setzt nicht ein prognostisches Urteil über die Eignung einer heilpädagogischen Maßnahme nach dem Maßstab allgemeiner ärztlicher oder sonstiger fachlicher Erkenntnis voraus, nach dem zu erwarten wäre, dass durch die heilpädagogische Maßnahme eine drohende Behinderung oder eine bereits vorhandene Behinderung im Sinne des § 39 Abs. 1 BSHG verhütet werden kann oder die Folgen einer solchen Behinderung beseitigt oder abgemildert werden könnten. Es geht allein um die Frage, ob die Maßnahme erforderlich und geeignet ist, dem Behinderten den Schulbesuch im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht zu ermöglichen oder zu erleichtern. Die von § 40 Abs. 1 Nr. 4 BSHG ermöglichte Eingliederungshilfe setzt vor Beginn der allgemeinen Schulpflicht ein und soll heilpädagogische Eingliederungsmaßnahmen im frühen Kindesalter sowie in den Fällen ermöglichen, in denen von vornherein ein späterer Schulbesuch oder eine spätere berufliche Ausbildung als ausgeschlossen angesehen werden müssen (BVerwG, Urteil vom 30.05.2002 - 5 C 36.01 -, FEVS 53, 499, 501 f.).
Sowohl die Therapie nach Lovaas als auch die Betreuung nach dem TEACCH-Konzept sind nach allgemeiner fachlicher Einschätzung (vgl. die im Tatbestand zitierten Äußerungen) sowohl geeignet als auch erforderlich. Insbesondere sehen die Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie diese Behandlungsformen im Fall einer Autismuserkrankung vor. Diese Leitlinien drücken, worauf die Kammer schon im Urteil vom 26. Januar 2006, a.a.O., hingewiesen hat, die allgemeinen anerkannten fachlichen Standards nicht nur der Diagnose von Kinderkrankheiten, sondern auch für deren Behandlung aus.
Dem Grunde nach hat dies auch der Beklagte anerkannt, weil er mit Bescheid vom 6. Mai 2004 die Kosten für die Lovaas/TEACCH-Therapie im Umfang von 10 Wochenstunden aus Mitteln der Sozialhilfe übernommen hat. Soweit der Beklagte unter Berufung auf die Stellungnahme des Amtsarztes vom 26. Oktober 2005 bezweifelt, dass die positive Entwicklung des Klägers auf der durchgeführten Therapie beruht und meint, dass diese Entwicklung möglicherweise unabhängig oder trotz der Therapie eingetreten sei, verkennt er den rechtlichen Ausgangspunkt für die im Rahmen von § 12 S. 1 Nr. 1 Eingliederungshilfe-VO anzustellende Eignungsprognose. Es kommt eben nicht auf einen fachwissenschaftlichen Zusammenhang zwischen Heilbehandlungsmaßnahme und Besserung des Gesundheitszustands an. Maßgeblich ist vielmehr allein, ob der im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht anstehende Schulbesuch erleichtert werden kann. Dies ist nach dem oben Gesagten der Fall. Abgesehen davon lassen sich die geäußerten Zweifel an der Effektivität der Lovaas/TEACCH Therapie kaum in Einklang mit der von der Kammer ausgewerteten Fachliteratur bringen.
Der eingliederungshilfeberechtigte Kläger hat einen gesetzlichen Anspruch auf die Übernahme der Kosten für eine geeignete Therapie. Es handelt sich um eine Mussleistung (OVG Lüneburg, Beschluss vom 17.12.2002, a.a.O.; Beschluss vom 19.04.2004, a.a.O.).
Allerdings darf der Sozialhilfeträger gem. § 4 Abs. 2 über Form und Maß der Sozialhilfe nach pflichtgemäßem Ermessen entscheiden, soweit das BSHG das Ermessen nicht ausschließt. Gemäß § 39 Abs. 1 SGB I hat der Sozialhilfeträger dieses Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten. Insoweit setzt die Geeignetheit der Maßnahme ihrer Art und ihres Umfanges nach dem Ermessen des Sozialhilfeträgers die Grenze. Es verhält sich insoweit ähnlich wie im Leistungsrecht der Jugendhilfe, in dem die Art der Hilfeleistung nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbar ist. Diese Art der Hilfeleistung erhebt nicht den Anspruch objektiver Richtigkeit, muss jedoch eine angemessene Lösung zur Bewältigung der festgestellten Belastungssituation enthalten, die fachlich vertretbar und nachvollziehbar sein muss. Insofern beschränkt sich die verwaltungsgerichtliche Überprüfung darauf, ob allgemeingültige fachliche Maßstäbe beachtet worden sind, ob keine sachfremden Erwägungen eingeflossen und die Leistungsadressaten in umfassender Weise beteiligte worden sind (BVerwG, Urteil vom 24.06.1999 - 5 C 24.98 -, BVerwGE 109, 155, 167 f.; OVG Lüneburg, Beschluss vom 18.08.2005 - 4 ME 45/05).
Gemessen hieran ist die Entscheidung des Beklagten, die Kosten für die Lovaas/ TEACCH-Therapie lediglich im Umfang von 10 Wochenstunden zu übernehmen, fachlich nicht vertretbar und deshalb ermessensfehlerhaft. Ermessensgerecht ist allein die Gewährung von Eingliederungshilfe für die tatsächlich in Anspruch genommenen Therapieleistungen.
Die genannten Therapien sind nach allen dem Gericht vorliegenden Unterlagen nur erfolgreich, wenn sie über einen längeren Zeitraum mit einer hohen zeitlichen Intensität durchgeführt werden. Insoweit liegen die vom Kläger geltend gemachten und in Anspruch genommenen 25 Wochenstunden für die TEACCH-Therapie und 35 Wochenstunden für die Lovaas-Therapie im Rahmen des fachwissenschaftlich Vertretbaren. Die Klage hat jedoch insoweit keinen Erfolg, als der Kläger nach den aufgrund der mündlichen Verhandlung gewonnenen Erkenntnissen im ersten halben Jahr der Therapie, das heißt bis Ende Oktober 2004, nur im Umfang von 25 Wochenstunden und nicht wie begehrt im Umfang von 35 Wochenstunden nach dem TEACCH-Konzept unterwiesen wurde.
Demgegenüber verfängt der Einwand des Amtsarztes des Beklagten vom 24. Juni 2004, den sich der Beklagte für die Begrenzung auf 10 Wochenstunden zu eigen macht, nicht. Er weist unter Bezugnahme auf die fachwissenschaftliche Äußerung des W. aus X. darauf hin, es gebe keinen Zusammenhang zwischen verschiedenen Therapieansätzen, der sich durch einen hohen Therapieumfang begründen ließe. Konkret hätten Therapie- und Trainingsmaßnahmen nach Lovaas mit einem Gesamtaufwand von 1500 bis 4000 Stunden ähnliche Effekte erreicht wie Therapiekonzept mit einem gesamten Förderumfang von 400 bzw. 50 bis 150 Stunden. Dieser Einwand hält fachlichen Kriterien nicht Stand.
Dies entgegen der Annahme des Klägers allerdings nicht allein deshalb, weil W. die fachliche Qualität für eine derartige Aussage abgesprochen werden könnte. Er ist seit 1980 Professor am psychologischen Institut II der Universität X. (klinische Psychologie, psychologische Interventionsmethoden) und seit 1999 approbierter psychologischer Psychotherapeut. Seine Lehrschwerpunkte liegen im Bereich klinische Kinderpsychologie, Kinderrehabilitation, psychische Interventionsmethoden und Geschichte der Psychologie. Seine Forschungsschwerpunkte sind familienbezogene Rehabilitation von Kindern mit tiefgreifenden Entwicklungsstörungen und anderen Entwicklungsbehinderungen sowie Entwicklung und Evaluation von Training für Eltern- und Pädagogen-Mediatoren (Autismus, geistige Behinderung, Aufmerksamkeitsstörung). Er ist durch vielfältige einschlägige Veröffentlichungen in Erscheinung getreten (vgl. zum Ganzen: www.rrz.uni-hamburg.de/psych-II/homepages/probst/html).
Fachlich nicht vertretbar ist die Ansicht des Beklagten indes deshalb, weil er die Stellungnahmen des W. fehlinterpretiert. In der Tat hat W. verschiedene Behandlungsansätze mit Elterntrainings-Komponenten auf ihre Effektivität hinsichtlich der Behandlung von Autismuspatienten untersucht. Richtig ist ferner, dass die von ihm vorgenommene "konservative" Interpretation der Befunde seiner Ansicht nach den Schluss nahe lege, dass beim derzeitigen Forschungsstand die Behandlungsansätze aller untersuchten Wissenschaftlergemeinschaften bzw. Behandlungsansätze eine empirisch begründete Behandlungsoption darstellten, dass sich aber eine differenziellen Aussage des Inhalts, "Lovaas-Ansatz effektiver als..." nicht ableiten ließe (Probst, Revue: Elterntrainings im Rahmen der Rehabilitation autistischer Kinder: Konzepte und Ergebnisse, Zeitschrift für klinische Psychologie, Psychiatrie und Psychotherapie 49 (2002), 1 bis 32; ders. Wie effektiv sind Elterntrainings bei der Behandlung von Kindern bei Autismus und verwandten tiefgreifenden Entwicklungsstörungen: eine meta-analytische-Studie, Vortrag anlässlich des zweiten Workshop-Kongresses für klinische Psychologie und Psychotherapie vom 24. bis 26. Mai 2001 in Bern).
Es ist indes fachlich unvertretbar, hieraus den Schluss zu ziehen, dass die Lovaas-Therapie auch mit einem geringeren Stundenumfang als dem vom Kläger begehrten erfolgreich durchgeführt werden kann. Die entgegenstehende Ansicht des Beklagten verkennt, dass die Lovaas-Therapie nach fachlich anerkannten Maßstäben die vom Kläger geltend gemachte hohe Intensität für den Behandlungserfolg unbedingt erfordert. Ein geringerer Stundenumfang der Betreuung zieht folglich eine höhere Misserfolgsquote zwangsläufig nach sich, wenn sie nicht sogar dazu führt, dass die Therapie von vornherein zum Scheitern verurteilt ist. Möglicherweise rechtfertigten die Untersuchungsergebnisse von W. die Bewilligung einer anderen, alternativen und zeitlich weniger intensiven Therapie, wie sie von W. vergleichend beurteilt worden ist. Ein derartiges Alternativangebot hat der Beklagte dem Kläger indes nicht gemacht. Vielmehr hat er mit Bescheid vom 6. Mai 2004 die Kostenübernahme für die Lovaas-Therapie erklärt. Hieran muss sich der Beklagte festhalten lassen. Wenn dem Kläger aber Eingliederungshilfe für eine Therapie nach Lovaas bewilligt werden soll und die Kosten hierfür aus Mitteln der Sozialhilfe übernommen werden sollen, muss dies auch in dem fachwissenschaftlich erforderlichen Umfang erfolgen. Hierzu gehören neben Therapiestunden im Umfang von 35 Wochenstunden dem Grunde nach auch Kosten für die anlässlich der Therapie durchgeführten Workshops sowie der Supervisionsmaßnahmen einschließlich der hierbei entstehenden Fahrt- und Unterbringungskosten der durchführenden Personen. Denn sie sind notwendiger Therapiebestandteil.
Der Kläger kann schließlich auch nicht auf eine Förderung durch ein Autismustherapiezentrum verwiesen werden. Denn diese Zentren wenden die Lovaas/TEACCH-Therapie nach dem eigenen Vortrag des Beklagten lediglich in Ansätzen an. Sie stellen damit keine gleich geeignete Maßnahme für den Kläger dar.
Da der Kläger die Durchführung einer Therapie nach Lovaas bzw. TEACCH wünscht, soll der Sozialhilfeträger, hier der Beklagte, gem. § 3 Abs. 2 S. 1 BSHG (entsprechend § 9 Abs. 2 Satz 1 SGB XII) diesem Wunsch entsprechen, soweit er angemessen ist. Anhaltspunkte für eine Unangemessenheit dieses Wunsches hat das Gericht nicht. Der Beklagte kann auch nicht einwenden, er brauche diesem Wunsch gem. § 3 Abs. 2 S. 3 BSHG (entsprechend § 9 Abs. 2 Satz 3 SGB XII) nicht zu entsprechen, weil dessen Erfüllung mit unverhältnismäßigen Mehrkosten verbunden wäre. Die Voraussetzungen für diese Norm liegen nicht vor.
Es ist schon fraglich, ob überhaupt Mehrkosten durch die vom Kläger gewünschte Therapie entstehen. Wenn die alternative, gleich geeignete Maßnahme der Besuch des Sonderkindergartens "S." wäre, bestünden hieran nach dem unwidersprochen gebliebenen Vortrag des Klägers jedenfalls Zweifel. Denn diese Maßnahme wäre teurer gewesen als die vom Kläger gewünschte. Die unterschiedliche Kostenträgerschaft dürfte jedenfalls keine rechtlich beachtliche Rolle spielen, weil es in beiden Fällen um Maßnahmen im Sozialhilfebereich geht (vgl. BVerwG, Urteil vom 22.1.1987, -5 C 10.85-, BVerwGE 75, 343, 348). Die Kammer lässt diese Frage offen, denn selbst wenn die vom Kläger gewünschte Therapie Mehrkosten verursachen würde, trüge der Einwand aus § 3 Abs. 2 Satz 3 BSHG nicht.
Der Einwand unverhältnismäßiger Mehrkosten ist dem Sozialhilfeträger dann verwehrt, wenn es keine Alternative der Bedarfsdeckung gibt (BVerwG, Beschluss vom 2.9.2004 -5 B 18.04-, FEVS 57, 54, 55; Urteil vom 02.09.1993 - 5 C 50.91 -, BVerwGE 94, 127, 130; Urteil vom 22.10.1992 - 5 C 11.89 -, BVerwGE 91, 114, 116, letztere zu Autismustherapien). Eine dem Lovaas-Konzept gleich erfolgversprechende Therapie existiert zwar möglicherweise, wie W. nachgewiesen hat. Maßgeblich ist jedoch, dass eine solche Alternative dem Kläger vom Beklagten nicht vorgeschlagen worden ist, der vielmehr Leistungen für Maßnahmen nach der Lovaas/TEACCH-Therapie bewilligt. Solange der Sozialhilfeträger dem Leistungsberechtigten eine gleichgeeignete Eingliederungshilfemaßnahme nicht anbietet, kann er sich nicht auf § 3 Abs. 2 S. 3 BSHG berufen.
Dieser Einwand ist hier auch ferner deshalb abgeschnitten, weil die Mehrkosten jedenfalls nicht unverhältnismäßig im Sinne der Vorschrift sind. Unverhältnismäßig im Sinne von § 3 Abs. 2 S. 3 BSHG sind Mehrkosten, wenn die hieraus folgende Mehrbelastung des Sozialhilfehaushalts zum Gewicht der vom Hilfebedürftigen angeführten Gründe für die von ihm getroffene Wahl der Hilfemaßnahme nicht mehr im rechten Verhältnis steht, so dass sich die Frage nach der (Un-)Verhältnismäßigkeit wunschbedingter Mehrkosten nicht in einem rein rechnerischen Kostenvergleich erschöpft, sondern eine wertende Betrachtungsweise verlangt (BVerwG, Urteil vom 17.11.1994 -5 C 11.93 -, BVerwGE 97, 110, 116; Beschluss vom 18.08.2003 - 5 B 14.03 -, zitiert nach juris).
Bei dieser wertenden Betrachtung ist die Tatsache, dass dem Sozialhilfehaushalt Mehrkosten entstehen, abzuwägen gegenüber der Schwere der Behinderung des Klägers und dessen Wunsch sowie dem Wunsch seiner Eltern, diese Behinderung durch eine fachwissenschaftlich anerkannt effektive und erfolgversprechende Behandlungsmethode zu mildern oder gar zu beseitigen. Diese Abwägung ergibt, dass dem Wunsch des Klägers nach der Durchführung einer Lovaas-Therapie der Vorrang gegenüber dem Gesichtspunkt der sparsamen Verwendung öffentlicher Mittel gebührt. Denn sein und seiner Eltern Wunsch, die autistische Entwicklungsstörung, die bis in die 80iger Jahre des letzten Jahrhunderts hinein als nicht behandelbar galt, bis zum Eintritt der allgemeinen Schulpflicht soweit abzumildern oder gar ganz zu beseitigen, damit der Kläger wie alle anderen Kinder auch am gesellschaftlichen Leben teilnehmen kann, entspringt dem Bedürfnis nach Achtung der Menschenwürde. Diese zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt (Artikel 1 Abs. 1 GG).
Dass der Aspekt der finanziellen Belastung des Sozialhilfehaushalts bei heilpädagogischen Maßnahmen für Kinder, die noch nicht eingeschult sind, hinter dem Wunsch nach und dem Bedarf an ihr zurückzustehen hat, folgt auch aus der Regelung in § 43 Abs. 2 Nr. 1 BSHG (jetzt: § 92 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII). Danach ist dem Empfänger von Hilfe in besonderen Lebenslagen und dessen Eltern die Aufbringung finanzieller Mittel - anders als bei Maßnahmen nach Abs. 1 der Vorschrift - nicht für die erforderlichen und geeigneten Maßnahmen, sondern nur für die Kosten des Lebensunterhalts zuzumuten. Der Nachrang der Eingliederungshilfe wird dadurch eingeschränkt. Diese gesetzgeberische Wertung muss auch bei der Frage Berücksichtigung finden, ob einstehende Mehrkosten im Sinne von § 3 Abs. 2 Satz 3 BSHG unverhältnismäßig sind.
Nicht gerechtfertigt ist der Einwand unverhältnismäßiger Mehrkosten auch hinsichtlich der durch ausländische Supervisoren entstehenden Reise- und Übernachtungskosten. Der Kläger hat in Einklang mit der dem Gericht vorliegenden Fachliteratur schlüssig dargelegt, dass die Heranziehung dieser Personen wegen ihrer vertieften Kenntnisse der Therapie erforderlich gewesen ist und diese Leistung nicht durch in Deutschland oder gar in F. ansässige Fachkräfte hätte erbracht werden können. Dem ist der Beklagte inhaltlich nicht entgegengetreten.
Schließlich hält der Beklagte dem klägerischen Begehren zu Unrecht den aus § 5 Abs. 1 BSHG abzuleitenden Grundsatz, "keine Sozialhilfe für die Vergangenheit" entgegen. Dieser Einwand verfängt nicht, wenn der Sozialhilfeträger die Hilfegewährung rechtswidrig ablehnt, denn dann darf sich der Hilfesuchende um der Effektivität des Rechtsschutzeswillen selbst helfen und vom Sozialhilfeträger die Übernahme der hierdurch entstandenen Kosten verlangen. Folglich darf der Umstand, dass ein Dritter den Bedarf des Hilfebedürftigen tatsächlich gedeckt hat, dies dem Sozialhilfeanspruch dann nicht entgegen gehalten werden, wenn der Dritte die Hilfeleistung nur deshalb erbracht hat, weil der Träger der Sozialhilfe nicht rechtzeitig eingegriffen oder ein Eingreifen abgelehnt hat (st. Rspr. des Bundesverwaltungsgerichts, vgl. nur Urteil vom 02.09.1993, a.a.O.). So liegt der Fall hier, denn der Kläger hatte mit Schreiben vom 22. Juli und 31. August 2003 die Förderung der Lovaas-Therapie und des TEACCH-Konzeptes beantragt, was der Beklagte zunächst mit Bescheiden vom 15. Januar und 23. April 2004 vollumfänglich sowie mit Bescheid vom 6. Mai 2004 insoweit abgelehnt hatte, als der Förderumfang 10 Wochenstunden überstieg. Dies war nach dem Gesagten rechtswidrig. In diesem Fall war der Kläger daher berechtigt, seinen Eingliederungshilfebedarf, der die gesamten erforderlichen Therapiemaßnahmen, und damit auch die Kosten der Workshops, umfasst, selbst zu decken.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 155 Abs. 1, 188 S. 2 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.