Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 17.09.2001, Az.: 9 L 829/00

Abwasser; Abwasserbehandlungsanlage; Abwasserbeseitigung; abwasserfreies Haus; Anschlusszwang; Befreiung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
17.09.2001
Aktenzeichen
9 L 829/00
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2001, 40356
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 24.11.1999 - AZ: 8 A 8715/98

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Abwasser (Schmutzwasser) ist Wasser, das durch häuslichen, gewerblichen, landwirtschaftlichen oder sonstigen Gebrauch verunreinigt oder sonst in seinen Eigenschaften verändert ist.

2. Abwasser fällt in dem Augenblick an, in dem das in seinen Eigenschaften veränderte Wasser im Rohrleitungssystem gesammelt wird, um es zum Abwasserkanal oder zur grundstückseigenen Abwasserbehandlungsanlage zu leiten. Ein "abwasserfreies Haus" gibt es nicht.

3. Dem Grundstückseigentümer ist keine Wahlmöglichkeit eingeräumt, ob er sein Grundstück an den öffentlichen Schmutzwasserkanal anschließen oder das anfallende Abwasser einer grundstückseigenen Abwasserbehandlungsanlage zuführen will.

Gründe

1

Der Zulassungsantrag des Klägers hat keinen Erfolg. Der Kläger bezweifelt die Richtigkeit der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts, dass sein Grundstück dem in § 7 Abs. 1 der Abwasseranschluss- und Benutzungssatzung der Beklagten normierten Anschluss- und Benutzungszwang für den Schmutzwasserkanal unterliege. Er meint, auf seinem Grundstück entstehe kein Abwasser, weil das in der MUTEC-Kleinkläranlage gereinigte Wasser nach Abschluss des Klärvorgangs in einer abflusslosen Grube als Brauchwasser gesammelt und in der Wachstumsphase vollständig zur Berieselung landwirtschaftlich genutzter Flächen oder zur Verdünnung bei der Aufbringung von Pflanzenschutzmitteln verwendet werde. In der Anlage finde eine stoffliche Verwertung von Abfällen im Sinne von § 3 Abs. 1 Satz 2 KrW-/AbfG statt. Denn es werde eine naturnahe und ganzheitliche Schmutzwasserreinigung mit integrierter Kompostierung nach Hygienisierung der Dickstoffe vorgenommen. Der entstehende Bio-Dünger werde landwirtschaftlich verwertet. Auf seine Anlage seien deshalb anstelle der wasserrechtlichen Regelungen ausschließlich die Vorschriften des KrW-/AbfG anwendbar.

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Dieser Beurteilung folgt der Senat nicht.

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Zwar enthält das Wasserhaushaltsgesetz (WHG) in seinen §§ 7a, 18a, 18b und anderen Vorschriften keine Definition des Begriffs des Abwassers. Doch ist in der wasserrechtlichen Literatur unstreitig, dass der Gesetzgeber den vorgefundenen historischen Abwasserbegriff beibehalten wollte, wonach unter Abwasser zu verstehen ist sämtliches verunreinigte oder sonst in seinen Eigenschaften veränderte Wasser sowie sämtliche abgehenden Wassergemische ohne Rücksicht auf die Ursache, das Ausmaß und die Schädlichkeit der Veränderungen oder Beimischungen (vgl. Berendes, Das Abwasserabgabengesetz, 3. Aufl. 1995, S. 37f.; Breuer, Öffentliches und privates Wasserrecht, 2. Aufl. 1987, RdNr. 289; Fluck, Zum Begriff des Abwassers, ZfW 1996 S. 491; Nisipeanu, Abwasserrecht, 1991, S. 142; ders., Abwasserabgabenrecht, 1997, S. 26). Soweit in den Wassergesetzen der Länder eine Regelung erfolgt ist, wird Abwasser definiert als "Wasser, das durch häuslichen, gewerblichen, landwirtschaftlichen oder sonstigen Gebrauch verunreinigt oder sonst in seinen Eigenschaften verändert ist (Schmutzwasser) und das von Niederschlägen aus dem Bereich von bebauten oder befestigten Grundstücken abfließt (Niederschlagswasser)" (so: § 45a Abs. 2 HessWG und § 132 Abs. 3 BremWG), wobei die meisten dieser Länder auf die klarstellenden Klammerzusätze verzichtet haben (so: § 45a Abs. 3 WG-B-W; Art. 41 Abs. 1 BayWG; § 34 Abs. 1 WG S-H; ähnlich: § 51 Abs. 1 WG-N-W; § 51 Abs. 1 WG Rh-Pf; § 49 Abs. 1 SaarlWG). Die §§ 148ff. NWG enthalten keine Legaldefinition, legen aber denselben Abwasserbegriff zugrunde (vgl. Haupt/Reffken/Rohde, Nds. Wassergesetz, Stand: April 2000, § 148 RdNr. 2). Der abgabenrechtliche Abwasserbegriff in § 2 Abs. 1 AbwAG stimmt mit den Vorschriften der erwähnten Landeswassergesetze weitestgehend überein. Danach ist Abwasser "das durch häuslichen, gewerblichen, landwirtschaftlichen oder sonstigen Gebrauch in seinen Eigenschaften veränderte und das bei Trockenwetter damit zusammen abfließende Wasser (Schmutzwasser) sowie das von Niederschlägen aus dem Bereich von bebauten oder befestigten Flächen abfließende Wasser (Niederschlagswasser)".

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Die Fragen, ob der abgabenrechtliche Abwasserbegriff und der bewirtschaftungsrechtliche Abwasserbegriff des Bundesrechts identisch sein müssen und die Länder befugt sind, einen gegenüber dem weiten historischen Abwasserbegriff des WHG engeren, auf den Ursprung abgestellten Abwasserbegriff zu verwenden (vgl. dazu: Breuer, a.a.O., RdNrn. 292 und 294; Czychowski, WHG, 7. Aufl. 1998, § 7a RdNr. 4 S. 324; Nisipeanu, Abwasserrecht, S. 144) bedürfen in diesem Verfahren keiner Klärung. Auch bei Zugrundelegung des engeren abgabenrechtlichen Abwasserbegriffs und des damit übereinstimmenden bewirtschaftungsrechtlichen Abwasserbegriffs in den Wassergesetzen der Länder steht fest, dass in der heutigen Zeit in jedem Wohnhaus Abwasser (Schmutzwasser) anfällt. Denn unter häuslichem Gebrauch des Wassers, der zu einer Veränderung von dessen Eigenschaften führt, ist jede bewusste Verwendung von Wasser innerhalb der privaten Haushaltungen zu verstehen. Diese Verwendung umfasst somit das Kochen, Waschen, Spülen, Baden sowie den Wassergebrauch durch die WC-Spülung. Dementsprechend ist auch Kaffee, der nicht getrunken, sondern weggegossen wird, Abwasser (Beschl. d. Sen. v. 9.3.2000 -- 9 M 465/00 --).

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Mit dem Einwand, dass das in seinem Hause anfallende Schmutzwasser nicht als Abwasser abfließe, sondern nach der mechanischen Vorreinigung und der Endreinigung in einem Pflanzenbeet in einer abflusslosen Grube gesammelt und in der Wachstumsphase vollständig verwendet werde, übersieht der Kläger, dass die Merkmale des Abwasserbegriffs bereits dann verwirklicht werden, wenn Abwasser erstmals anfällt. Dabei ist abzustellen auf den Anfall beim Erzeuger oder Besitzer, nicht hingegen auf den Anfall bei der entsorgungspflichtigen Körperschaft (vgl. Fluck, a.a.O., S. 499). Der maßgebliche Zeitpunkt ist mithin der Augenblick, in dem das in seinen Eigenschaften veränderte Wasser im Rohrsystem gesammelt wird, um es zum Abwasserkanal oder zur grundstückseigenen Abwasserbehandlungsanlage zu leiten. Sammelleitungen, die flüssige, wasserhaltige Stoffe z.B. unmittelbar aus einem Produktionsprozess in Richtung einer Abwasserbehandlungsanlage oder des anlagenexternen Abwasserkanals ableiten, führen Abwasser. Nichts anderes gilt für das Rohrleitungssystem, über welches das im Haus des Klägers entstandene Schmutzwasser der MUTEC-Kleinkläranlage zugeführt wird. Denn auch das nach einer Vorbehandlung noch zur Weiterverwendung als Brauchwasser bestimmte Schmutzwasser ist Abwasser. Ein subjektiver Wille des Abwassererzeugers, sich des Abwassers endgültig zu entledigen, ist nicht erforderlich, um Wasser als Abwasser zu bestimmen (Urteile d. Sen. v. 25.9.1996 -- 9 L 3405/95 -- u. v. 29.11.1969 -- 9 L 3406/95 --; Berendes, a.a.O.; Fluck, a.a.O., S. 497; a.A.: Czychowski, a.a.O., § 7a RdNr. 4 S. 325). Mit dem Begriff Abwasseranlage wird jede im Haus befindliche Einrichtung erfasst, die gebrauchtes Wasser aufnimmt mit dem Ziel es abzuleiten, und nur eine Anlage, die dazu dient, eine Entstehung von Abwasser vollständig zu verhindern, ist keine Abwasseranlage. Auch bei der vom Kläger betriebenen Kleinkläranlage wird der Abwasserbegriff nicht erst ab der Ableitungsstelle aus der abflusslosen Sammelgrube erfüllt. Vielmehr fällt auch in einem solchen System Abwasser bereits in dem Augenblick an, in dem das durch den häuslichen Gebrauch in seinen Eigenschaften veränderte Wasser in das zur Aufbereitungsanlage führende Rohrleitungssystem oder einen der Anlage vorgeschalteten Sammelbehälter gelangt. Ein "abwasserfreies Grundstück" in dem Sinne, dass auf diesem kein Abwasser anfällt, gibt es nach alledem nicht.

6

Das Verwaltungsgericht hat des Weiteren zutreffend festgestellt, dass auch die Ermessensentscheidung der Beklagten, den Kläger nicht gemäß § 8 Abs. 1 ABS vom Anschluss- und Benutzungszwang für den Schmutzwasserkanal zu befreien, rechtmäßig ist. Hierzu hat es unter Zugrundelegung der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. Urt. v. 25.9.1996 -- 9 L 3405/95 --; Beschlüsse v. 14.6.1999 -- 9 L 1160/99 -- KStZ 1999, 195 = NVwZ-RR 1999, 678 = NdsVBl. 1999, 248 = NSt-N 1999, 271 = dng 1999, 126; v. 13.3.2001 -- 9 LA 873/01 -- NSt-N 2001, 187 = ZKF 2001, 208 u. v. 3.8.2001 -- 9 LA 1670/01 --) dargelegt, Tatsachen, die nicht gerade den Einzelfall kennzeichneten, sondern allgemein oder wenigstens in einer größeren Anzahl von Fällen gegeben seien, könnten eine Befreiung vom Anschluss- und Benutzungszwang nicht rechtfertigen. Auch die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Anschlusspflichtigen müssten bei der Beurteilung der Zumutbarkeit außer Betracht bleiben, weil die mit dem Anschluss- und Benutzungszwang verbundenen Zielsetzungen davon unabhängig seien und der Anschluss seiner Natur nach grundstücks- und nicht personenbezogen sei. Folglich könnten allein objektive und grundstücksbezogene Gründe, die sich aus einer besonderen und außergewöhnlichen Lage oder Situation des Grundstücks ergäben und den Einzelfall daher untypisch erscheinen ließen, eine Befreiung wegen Unzumutbarkeit rechtfertigen. Die Leistungsfähigkeit der MUTEC-Kleinkläranlage auf dem Grundstück des Klägers sei keine ausreichende grundstücksbezogene Besonderheit, weil auch andere Grundstückseigentümer Kleinkläranlagen hätten, die den DIN-Bestimmungen entsprächen und unter ökologischen Gesichtspunkten sinnvoll sein könnten. Die von der Beklagten unter Berücksichtigung auch der wirtschaftlichen und ökologischen Gesichtspunkte getroffene grundsätzliche Entscheidung für die zentrale Entsorgung könne der Kläger nicht im Rahmen eines Antrags auf Befreiung vom Anschluss- und Benutzungszwang korrigieren.

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Die hiergegen gerichteten Einwände des Klägers sind unbegründet. Zwar trifft es zu, dass moderne grundstückseigene Abwasserbehandlungsanlagen bei ordnungsgemäßem Betrieb Reinigungsleistungen erzielen können, die denen kommunaler Kläranlagen zumindest ebenbürtig sind. Diese Erkenntnis hat den Bundesgesetzgeber veranlasst, durch das 6. Gesetz zur Änderung des Wasserhaushaltsgesetzes (WHG) vom 11. November 1996 (BGBl. I S. 1690) einen neuen Satz 2 des § 18a Abs. 1 WHG einzufügen, wonach dem Wohl der Allgemeinheit auch die Beseitigung von häuslichem Abwasser durch dezentrale Anlagen entsprechen kann. Der Landesgesetzgeber hat dieser Erkenntnis dadurch Rechnung getragen, dass er von der in § 18a Abs. 2 Satz 1WHG enthaltenen Ermächtigung Gebrauch gemacht hat, Regelungen darüber zu treffen, unter welchen Voraussetzungen eine öffentlich-rechtliche Körperschaft ihre Abwasserbeseitigungspflicht auf einen Dritten übertragen kann. Durch Änderungsgesetz vom 16. November 1995 (Nds. GVBl. 1995 S. 425) wurde es den Gemeinden erleichtert, die ihnen obliegende Abwasserbeseitigungspflicht auf die Nutzungsberechtigten der Grundstücke zu übertragen, falls diese eine Kleinkläranlage für häusliche Abwässer betreiben. Die wesentliche Änderung in § 149 Abs. 4 NWG besteht darin, dass die Übertragung der Abwasserbeseitigungspflicht auf die Nutzungsberechtigten der Grundstücke nicht mehr -- wie bis dahin -- nur befristet und widerruflich zulässig ist, sondern die dezentrale Abwasserbeseitigung durch Kleinkläranlagen auch auf Dauer erfolgen kann. Der Grund für diesen "Kurswechsel" ist gerade darin zu sehen, dass der Landesgesetzgeber von einer Gleichwertigkeit der Abwasserreinigung durch Kleinkläranlagen mit einer Reinigung in zentralen Anlagen ausgeht (vgl. dazu: Nds. OVG, Urt: v. 13.8.1998 -- 3 K 3398/97 -- NST-N 1998, 262). Der Landesgesetzgeber hat dies indes nicht zum Anlass genommen, dem Grundstückseigentümer eine Wahlmöglichkeit einzuräumen, ob er sein Grundstück an den öffentlichen Schmutzwasserkanal anschließen oder das anfallende Abwasser einer grundstückseigenen Abwasserbehandlungsanlage zuführen will. Durch § 149 Abs. 4 Satz 1 NWG wird vielmehr ausschließlich der Gemeinde die Entscheidung eröffnet, in welchen Teilen ihres Gebietes die Nutzungsberechtigten der Grundstücke das häusliche Abwasser durch Kleinkläranlagen zu beseitigen haben. Der Nutzungsberechtigte, dessen Grundstück in einem Teil des Gemeindegebietes liegt, für das die Gemeinde nicht durch Satzung die Abwasserbeseitigungspflicht auf die Nutzungsberechtigten der Grundstücke übertragen hat, hat sein Grundstück an den öffentlichen Schmutzwasserkanal anzuschließen. Eine Befreiung vom Anschluss- und Benutzungszwang kann er nach der zitierten Rechtsprechung des Senats und des Bundesverwaltungsgerichts (Beschl. v. 19.12.1997 -- 8 B 234.97 -- DVBl 1998, 1222 = NVwZ 1998, 1080 = NuR 1998, 483 = BayVBl 1998, 602; u. v. 22.12.1997 -- 8 B 250.97 -- Buchholz 415.1 Allg KommR Nr. 143) selbst dann nicht erwirken, wenn die auf seinem Grundstück mit durchaus nennenswertem Kostenaufwand errichtete bzw. ausgebaute oder erweiterte Abwasserbehandlungsanlage einwandfrei arbeitet und die umweltrechtlichen Anforderungen erfüllt.