Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 19.04.2018, Az.: 5 K 262/16

Streit über die Steuerfreiheit von Reisekostenerstattungen eines ins Ausland entsandten Arbeitnehmers im Rahmen des Progressionsvorbehalts

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
19.04.2018
Aktenzeichen
5 K 262/16
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2018, 73662
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

nachfolgend
BFH - AZ: VI R 21/18

Tatbestand

Streitig ist die Frage, ob Reisekostenerstattungen eines ins Ausland entsandten Arbeitnehmers im Rahmen des Progressionsvorbehalts als steuerfrei zu behandeln sind.

Die Kläger sind verheiratet und werden zur Einkommensteuer zusammen veranlagt. Sie unterhalten eine Wohnung in H.

Der Kläger ist Diplom-Chemiker und erzielt Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit aus einem Beschäftigungsverhältnis mit dem VW-Konzern. Nach dem Arbeitsvertrag vom 30. November 2000 wurde der Kläger zum 1. Dezember 2000 als außertariflicher Mitarbeiter in das Management der Volkswagen AG berufen und in der organisatorischen Einheit ... im Geschäftsbereich Konzern-Qualitätssicherung beschäftigt. In Ziffer 2 des Arbeitsvertrages heißt es unter der Überschrift "Tätigkeitsänderung/Versetzung", dass im Rahmen der Managementplanung und im Konzerninteresse es notwendig werden könne dem Mitarbeiter nach vorheriger Anhörung eine andere zumutbare gleichwertige Funktion oder Tätigkeit, die seinen Kenntnissen und Fähigkeiten entspricht, innerhalb der Volkswagen AG zu übertragen. Der Kläger war zunächst im VW-Werk in Wolfsburg beschäftigt.

Am 12. März 2013 schloss der Kläger mit der VW AG einen sogenannten "Global Assignment Vertrag". In der Präambel zu diesem Vertrag heißt es, dass der VW-Konzern im Rahmen seiner Globalisierungsstrategie den Auslandseinsatz seiner Mitarbeiter als normales Charakteristikum des Arbeitslebens ansehe und fördere. Dies vorausgeschickt, werde folgende Vereinbarung geschlossen, die unter anderem folgende Bestimmungen enthält:

1.1. Der Kläger wird mit Wirkung vom 1. Juli 2013 bei der Volkswagen Group of America die Funktion eines Manager Quality Assurance übernehmen.

1.2. Die Dauer des Auslandseinsatzes ist befristet bis zum 30. Juni 2016 und endet zu diesem Zeitpunkt, wenn nicht zuvor eine Verlängerung erfolgt ist.

2.1. Das Arbeitsverhältnis mit der Heimatgesellschaft wird mit Beginn des Auslandseinsatzes ruhend gestellt.

2.2. Mit Beginn des Auslandseinsatzes schließt der Kläger einen lokalen Arbeitsvertrag mit der Gastgesellschaft, der unter anderem Einzelheiten zu seinem Aufgabengebiet, Befugnissen und Verantwortlichkeiten regelt.

2.3. Die vorliegende Vereinbarung tritt ergänzend neben den ruhenden Arbeitsvertrag mit der Heimatgesellschaft und den lokalen Arbeitsvertrag mit der Gastgesellschaft.

4.4. Am Arbeitsplatz unterliegt der Kläger den Regeln der Gastgesellschaft und ist verpflichtet, die Unternehmenspolitik und die Prozesse der Gastgesellschaft zu befolgen.

6.1. Die Arbeitsbedingungen während des Auslandseinsatzes, insbesondere Arbeitszeiten, krankheitsbedingte Abwesenheiten, Feiertage und Freistellungen richten sich grundsätzlich nach den Regelungen des lokalen Arbeitsvertrages mit der Gastgesellschaft sowie den für die Gastgesellschaft geltenden betrieblichen, tariflichen und gesetzlichen Regelungen in ihrer jeweiligen Fassung.

6.4. Bei Dienstreisen vom Einsatzort aus gelten die Bestimmungen der Reisekostenregelung der Gastgesellschaft. Bei längeren Dienstreisen behält sich das Unternehmen das Recht vor, den Global Assignment Vertrag zu unterbrechen oder zu verändern.

Schließlich schloss der Kläger einen Arbeitsvertrag mit VW Group of America (Bl. 87 ff FG-Akte). Dieser Vertrag legt die Zusatzleistungen fest, auf die der Kläger Anspruch hat (Mietkostenzuschuss, Dienstwagen, Zuschuss für Flugkosten in das Heimatland, Versicherung in der amerikanischen Sozialversicherung, Anspruch für Sprachtraining der Familienangehörigen). Festgelegt sind ebenfalls die Feiertage, an denen arbeitsfrei ist. Die Regelung bestimmt, dass die Arbeitszeiten im Einklang mit jenen der amerikanischen Kollegen stehen müssen. Schließlich wird die Verpflichtung begründet, dem Unternehmen treu und sorgfältig zu dienen, sich jederzeit im Interesse des Unternehmens zu verhalten, keine weiteren bezahlten Tätigkeiten anzunehmen, Vertraulichkeit zu wahren und die Gesetze zu achten.

Entsprechend diesem Vertrag trat der Kläger die Stelle in den USA zum 1. Juli 2013 an. Seine Ehefrau, die Klägerin, begleitete ihn während des Auslandsaufenthaltes. Die Kläger bezogen eine Wohnung in Chattanooga/Tennessee; die Wohnung in H. blieb bestehen.

In der Einkommensteuererklärung 2014 gab der Kläger ausländischen Arbeitslohn in Höhe von 233.037,26 $ (=175.413,82 €) an. Dieser Betrag beinhaltet laut amerikanischer Gehaltsabrechnung (Bl. 16/2014 ESt-Akte) einen als Wohnungskostenzuschuss (Housing an Utilities Allowance) in Hohe von 27.720,- $ gewährten Betrag, ein Flugbudget in Höhe von 3.600,- $ sowie für Möbelmiete (furniture rental) einen Betrag von 100 $. Der Kläger ging davon aus, dass die Möbelmiete und das Flugbudget in voller Höhe 3.700,- $ (= 2.875,09 €) und der Wohnungskostenzuschuss in Höhe von 20.400,- $ (= 15.355,66 €, entspricht dem Zuschuss, den der VW-Konzern einem alleinstehenden Mitarbeiter erstatte, sog. Single-Mietbudget) als steuerfreie Werbungskostenerstattungen zu behandeln seien. Der dem Progressionsvorbehalt unterliegende ausländische Arbeitslohn betrage damit 157.273,07 €. Daneben erklärte er verschiedene - als solche unstreitige und für das Verfahren unerhebliche - weitere Einkünfte.

Der Beklagte wich in dem Einkommensteuerbescheid 2014 vom 9. Mai 2016 insoweit von der Steuererklärung ab, als er die ausländischen Einkünfte mit einem Betrag von 175.413,- € in die Berechnung des Steuersatzes nach § 32b EStG einbezog.

Im Rahmen des Einspruchs beantragte der Kläger, erstattete Unterkunftskosten in Höhe von 14.605,95 € als steuerfreien Arbeitslohn im Rahmen des Progressionsvorbehalts zu behandeln.

Der Beklagte wies den Einspruch mit Einspruchsbescheid vom 18. Oktober 2016 als unbegründet zurück.

Die Klägerin meint, dass es sich bei dem Auslandseinsatz des Klägers um eine beruflich bedingte Auswärtstätigkeit handele. Nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 EStG seien notwendige Mehraufwendungen eines Arbeitnehmers für beruflich veranlasste Übernachtungen an einer Tätigkeitsstätte, die nicht erste Tätigkeitsstätte sei, Werbungskosten bzw. könnten vom Arbeitgeber steuerfrei erstattet werden.

Das wesentliche Merkmal der Auswärtstätigkeit liege in der von vornherein gegebenen zeitlichen Befristung. Eine Auswärtstätigkeit sei nicht dauerhaft, wenn der Arbeitnehmer an seine erste Tätigkeitsstätte zurückkehren und dort seine berufliche Tätigkeit fortsetzen werde, wenn also keine dauerhafte Zuordnung getroffen werde. Dann stehe für den Arbeitnehmer von Anfang an fest, dass er nicht dauerhaft an einem anderen Arbeitsort tätig sein werde. Die dauerhafte Zuordnung werde insofern durch die dienst- oder arbeitsrechtlichen Festlegungen sowie die diese ausfüllenden Absprachen und Weisungen bestimmt.

Die Kläger meinen, dass nicht allein auf die für kurze Zeit geschlossene arbeitsrechtliche Vereinbarung mit der Gastgesellschaft abgestellt werden dürfe. Diese Vereinbarung würde nicht zu einer neuen ersten Tätigkeitsstätte führen. Vielmehr gebe es eine Hierarchie der Verträge, wobei vorrangig der Vertrag mit dem entsendenden Arbeitgeber sei, dann folge der Entsendevertrag und nachrangig sei die lokale arbeitsrechtliche Vereinbarung. Es handele sich insofern nicht um einen eigenständigen Arbeitsvertrag; ohne Arbeitsvertrag mit dem entsendenden Unternehmen und Entsendevertrag gäbe es die arbeitsrechtliche Vereinbarung mit der Gastgesellschaft nicht. Zudem hätten die Arbeitsverträge, die mit amerikanischen Arbeitnehmern geschlossen würden, einen anderen Inhalt.

Die Höhe der Vergütung und die Gehaltseingruppierung würden sich aus dem Entsendevertag ergeben. Dieser lege auch fest, dass im Krankheitsfall eine Entgeltsfortzahlung nach deutschen Regelungen erfolge. Gleiches gelte für den Urlaubsanspruch. Der Entsendevertrag bestimme auch das Kündigungsrecht.

Der Abschluss lokaler Arbeitsvereinbarungen mit der Gastgesellschaft erfolge, weil er Voraussetzung für den Erhalt eines Arbeitsvisums, nach örtlichen arbeitsrechtlichen Vorschriften erforderlich oder aus unternehmenssteuerlichen Gründen notwendig sei. Aus Sicht des Arbeitgebers sei er ein bloßer Formalismus. Ein eigenständiger Arbeitsvertrag, aus dem ein eigenständiges Dienstverhältnis abgeleitet werden könne, sei darin aber nicht zu sehen, da das Direktionsrecht weiterhin bei der VW AG verbleibe. Ohne den ruhenden Arbeitsvertrag mit dem inländischen Arbeitgeber wäre der Arbeitnehmer nicht zu einem Auslandseinsatz bereit, weil dieser ihm nach der Rückkehr die Fortsetzung seiner Tätigkeit zu den bisherigen Bedingungen garantiere.

Anders sei nur der Fall zu behandeln, wenn der Arbeitsvertrag mit dem entsendenden Unternehmen gekündigt und ein neuer Arbeitsvertrag mit der Gastgesellschaft geschlossen werde. Dieser Sachverhalt liege hier jedoch nicht vor.

Die Kläger beantragen,

unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 18. Oktober 2016 den Einkommensteuerbescheid vom 9. Mai 2016 dahingehend abzuändern, dass ein Betrag von insgesamt 19.568,45 € als steuerfrei zu behandelnde Erstattungen von Reisekosten im Rahmen einer anzuerkennenden vorübergehenden Auswärtstätigkeit berücksichtigt wird.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte meint, dass die Beschäftigungsstätte in den USA zur ersten Tätigkeitsstätte im Sinne des § 9 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2, Abs. 4 EStG geworden sei mit der Folge, dass die Aufwendungen für Wohnung und Flüge begrifflich keine Werbungskosten seien und die Erstattung dieser Kosten zum im Rahmen des Progressionsvorbehalts zu berücksichtigenden ausländischen Einkommen gehören würde.

Der Begriff der "ersten Tätigkeitsstätte" sei mit Wirkung ab dem 1.1.2014 in § 9 Abs. 4 EStG neu definiert worden. Darin werde geregelt, unter welchen Voraussetzungen die für das Vorliegen einer ersten Tätigkeitsstätte erforderliche dauerhafte Zuordnung zu einer ortsfesten betrieblichen Einrichtung durch den Arbeitgeber bzw. eine dauerhafte Tätigkeit an einer ortsfesten betrieblichen Einrichtung gegeben sei. Danach sei die vom Arbeitgeber vorgenommene Zuordnung des Arbeitnehmers zu einer ortsfesten betrieblichen Einrichtung dauerhaft, wenn der Arbeitnehmer über einen Zeitraum von mehr als 48 Monaten dort tätig werden solle. Werde der entsandte Arbeitnehmer im Rahmen eines eigenständigen Arbeitsvertrages beim aufnehmenden Unternehmen tätig, liege ein eigenständiges Dienstverhältnis vor. Im Rahmen dieses Dienstverhältnisses sei nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut des § 9 Abs. 4 EStG die erste Tätigkeitsstätte zu bestimmen. Folglich habe der entsandte Arbeitnehmer aufgrund des Arbeitsvertrages mit dem aufnehmenden Unternehmer eine erste Tätigkeitsstätte, wenn er von diesem einer ortsfesten betrieblichen Einrichtung dauerhaft zugeordnet werde.

Entscheidend sei, dass der Kläger mit der VW Group of America einen eigenständigen Arbeitsvertrag geschlossen habe, dessen Regeln der Kläger am Arbeitsplatz unterliege. Daran ändere das Bestehen des Global Assignment Vertrages nichts. Durch den lokalen Arbeitsvertrag mit VW Group of America werde der Arbeitsort, der im gesamten Zeitraum der Beschäftigung im Ausland vom Arbeitnehmer aufzusuchen sei, bestimmt. Insofern liege hier eine erste Tätigkeitsstätte vor.

Habe der Arbeitnehmer aber durch das Dienstverhältnis mit dem aufnehmenden Unternehmer eine erste Tätigkeitsstätte, könnten die Aufwendungen nur berücksichtigt werden, wenn die Voraussetzungen einer beruflich veranlassten doppelten Haushaltsführung vorliegen würden. Das sei hier ebenfalls nicht der Fall, da die Klägerin den Kläger in die USA begleitet habe, so dass der Lebensmittelpunkt der Familie in die USA verlagert worden sei.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist unbegründet.

Der Beklagte hat die Einkünfte der Kläger in dem Einkommensteuerbescheid 2014 vom 9. Mai 2016 zutreffend festgesetzt.

1. Die Kläger sind auch im Streitjahr 2014 in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig. Gem. § 1 Abs. 1 EStG sind natürliche Personen, die im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, unbeschränkt einkommensteuerpflichtig. Die Kläger haben ihren Wohnsitz in H. während der Zeit der Entsendung des Klägers in die USA beibehalten. Damit unterliegen die von ihnen erzielten Einkünfte grundsätzlich der deutschen Einkommensteuer (sog. Welteinkommensprinzip).

2. Soweit der Kläger aus dem nichtselbständigen Beschäftigungsverhältnis mit VW Group of America Einnahmen erzielt, unterliegen diese allerdings dem Besteuerungsrecht der Vereinigten Staaten. Gem. Art. 15 Abs. 1 DBA USA können Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen, die eine in einem Vertragsstaat ansässige Person aus unselbständiger Arbeit bezieht, nur in diesem Staat besteuert werden, es sei denn, die Arbeit wird im anderen Vertragsstaat ausgeübt. Wird die Arbeit dort ausgeübt, so können die dafür bezogenen Vergütungen im anderen Staat besteuert werden. Ungeachtet dieser Regelung können nach Art. 15 Abs. 2 a) DBA USA Vergütungen, die eine in einem Vertragsstaat ansässige Person für eine im anderen Vertragsstaat ausgeübte unselbständige Arbeit bezieht, nur im erstgenannten Staat besteuert werden, wenn der Empfänger sich im anderen Staat insgesamt nicht länger als 183 Tage während des betreffenden Kalenderjahres aufhält. Da sich der Kläger im Streitjahr mehr als 183 Tage in den USA aufgehalten hat, steht das Besteuerungsrecht für die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit aus der Beschäftigung in den USA nach Art. 15 Abs. 1 Satz 2 DBA USA den Vereinigten Staaten zu.

3. Berücksichtigung finden die ausländischen Einkünfte des Klägers jedoch bei der Ermittlung des Steuersatzes. Gem. § 32b Abs. 1 Nr. 3 EStG ist auf das nach § 32a Abs. 1 EStG zu versteuernde Einkommen ein besonderer Steuersatz anzuwenden, wenn ein unbeschränkt Steuerpflichtiger Einkünfte bezogen hat, die nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung steuerfrei sind. Das ist - wie oben dargelegt - bei den Einkünften aus der nichtselbständigen Berufstätigkeit in den USA der Fall.

4. Die ausländischen Einkünfte sind beim Progressionsvorbehalt in Höhe eines Betrages von 175.413,82 € zu berücksichtigen. Entgegen der Rechtsmeinung der Kläger stellt ein darin enthaltener Teilbetrag von 18.140,75 € keinen steuerfreien Werbungskostenersatz dar. Gem. § 3 Nr. 16 EStG sind steuerfrei die Vergütungen, die Arbeitnehmer außerhalb des öffentlichen Dienstes von ihrem Arbeitgeber zur Erstattung von Reisekosten, Umzugskosten und Mehraufwendungen bei doppelter Haushaltsführung erhalten, soweit sie die nach § 9 EStG als Werbungskosten abziehbaren Aufwendungen nicht übersteigen. Voraussetzung für die steuerfreie Erstattung ist mithin, dass die erstatteten Aufwendungen begrifflich Werbungskosten sind.

a) Werbungskosten sind nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4a und 5a EStG Aufwendungen des Arbeitnehmers für beruflich veranlasste Fahrten, die nicht Fahrten zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte im Sinne des § 9 Abs. 4 EStG sind bzw. notwendige Mehraufwendungen eines Arbeitnehmers für beruflich veranlasste Übernachtungen an einer Tätigkeitsstätte, die nicht erste Tätigkeitsstätte ist. Damit wären die Aufwendungen des Klägers für Reisen in die USA und für die Wohnung in Chattanooga nur dann als Werbungskosten abziehbar, wenn das VW-Werk in den USA nicht als erste Tätigkeitsstätte anzusehen wäre. Zur Überzeugung des Senats stellt diese Betriebsstätte für die Zeit des Aufenthaltes des Klägers in den Vereinigten Staaten jedoch eine erste Tätigkeitsstätte dar.

Nach § 9 Abs. 4 EStG in der ab dem 1.1.2014 geltenden Gesetzesfassung ist erste Tätigkeitsstätte die ortsfeste betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers, eines verbundenen Unternehmens (§ 15 des Aktiengesetzes) oder eines vom Arbeitgeber bestimmten Dritten, der der Arbeitnehmer dauerhaft zugeordnet ist. Die Zuordnung im Sinne des Satzes 1 wird durch die dienst- oder arbeitsrechtlichen Festlegungen sowie die diese ausfüllenden Absprachen und Weisungen bestimmt. Von einer dauerhaften Zuordnung ist insbesondere auszugehen, wenn der Arbeitnehmer unbefristet, für die Dauer des Dienstverhältnisses oder über einen Zeitraum von 48 Monaten hinaus an einer solchen Tätigkeitsstätte tätig werden soll. Fehlt eine solche dienst- oder arbeitsrechtliche Festlegung auf eine Tätigkeitsstätte oder ist sie nicht eindeutig, ist erste Tätigkeitsstätte die betriebliche Einrichtung, an der der Arbeitnehmer dauerhaft typischerweise arbeitstäglich tätig werden soll oder je Arbeitswoche zwei volle Arbeitstage oder mindestens ein Drittel seiner vereinbarten regelmäßigen Arbeitszeit tätig werden soll.

Das VW-Werk in Chattanooga ist eine ortsfeste betriebliche Einrichtung eines mit der VW AG verbundenen Unternehmens. Dieser Tätigkeitsstätte war der Kläger für die gesamte Dauer seiner Entsendung in die USA vom 1. Juli 2013 bis zum 30. Juni 2016 und damit dauerhaft zugeordnet. Die Zuordnung ergibt sich aus den beiden Verträgen, die der Kläger für den Zeitraum seiner Entsendung in die Vereinigten Staaten abgeschlossen hat (Global Assignment Vertrag und lokaler Arbeitsvertrag mit VW Group of America).

Entgegen der Rechtsansicht der Kläger hat der Kläger für die Zeit seiner Entsendung in die USA ein gesondertes arbeitsrechtliches Regelungswerk vereinbart, dass sich aus den Bestimmungen des Entsendevertrages und des lokalen Arbeitsvertrags zusammensetzt. In diesen Verträgen werden mit den Vertragspartnern, der Vertragsdauer, der zugewiesenen Aufgabe, den Arbeitszeiten und der Höhe der Vergütung einschließlich Zusatzleistungen alle vertragswesentlichen Bestandteile eines Arbeitsvertrages geregelt. Zudem wird der Kläger dem Direktionsrecht von VW Group of America unterstellt (Ziffer 4.4. des Entsendevertrages, Einleitung ("you will be considered an employee of Volkswagen Group of America") des lokalen Arbeitsvertrags). Hinsichtlich des bisherigen Arbeitsvertrages mit der Volkswagen AG wird demgegenüber ausdrücklich das Ruhen für die Zeit des Auslandseinsatzes angeordnet (Ziffer 2.1. des Entsendevertrages). Soweit die Kläger darauf hinweisen, dass Arbeitsverträge mit amerikanischen Arbeitnehmern einen anderen Inhalt aufweisen, mag dieses zwar zutreffen. Da Arbeitsverträge im Rahmen der Vertragsfreiheit unterschiedlich ausgestaltet sein können, ist dieses kein durchgreifendes Argument, weshalb die getroffenen vertraglichen Vereinbarungen nicht Bestandteil eines Arbeitsvertrages sein sollen.

Die Unterstellung des Klägers unter das Direktionsrecht der VW Group of America bewirkt eine dienst- oder arbeitsrechtliche Zuordnung zum VW-Werk in Chattonooga im Sinne des § 9 Abs. 4 Satz 2 EStG vor. Zudem liegt aufgrund des Abschlusses eines eigenständigen Arbeitsvertrages eine Zuordnung "für die Dauer des Dienstverhältnisses" im Sinne des zweiten Regelbeispiels in § 9 Abs. 4 Satz 3 EStG vor. Wegen der Suspendierung des Arbeitsvertrages mit der VW AG in Deutschland kann sich im Streitfall der Terminus "für die Dauer des Dienstverhältnisses" nur auf den im Entsendezeitraum geltenden lokalen Arbeitsvertrag und den Entsendevertrag, nicht aber auf den deutschen Arbeitsvertrag mit der VW AG beziehen. Da der Kläger für den gesamten Entsendezeitraum von drei Jahren der Betriebsstätte in Chattanooga zugeordnet war, erstreckte sich die Zuordnung über die gesamte Dauer des Bestehens des maßgeblichen Dienstverhältnisses (ähnlich - für Fälle des Leiharbeitsverhältnisses Hermann/Heuer/Raupach, Kommentar zum EStG, § 9 Rn. 547).

Soweit die Kläger meinen, dass eine erste Tätigkeitsstätte nur im Rahmen eines unbefristeten Dienstverhältnisses vorliegen könne, entspricht dieses nicht der Gesetzeslage, da nach § 9 Abs. 4 Satz 3 dritte Alternative EStG befristete Arbeitsverhältnisse von mindestens 48 Kalendermonaten zwingend ("ist ... auszugehen") zur Annahme einer dauerhaften Zuordnung führen. Zudem handelt es sich bei den drei Tatbestandsvarianten des § 9 Abs. 4 Satz 3 EStG nur um Regelbeispiele ("insbesondere davon auszugehen"), woraus im Umkehrschluss folgt, dass auch bei kürzeren Zeiträumen der Zuordnung eine "dauerhafte" Zuordnung im Sinne des Gesetzes vorliegen kann.

Für das gefundene Auslegungsergebnis streitet im Übrigen auch die Regelung des § 9 Abs. 4 Satz 4 EStG. Danach ist in Fällen fehlender dienst- oder arbeitsrechtlicher Festlegung auf eine Tätigkeitsstätte im Rahmen einer quantitativen Betrachtung eine Betriebsstätte bereits dann erste Tätigkeitsstätte im Sinne des Gesetzes, wenn der Arbeitnehmer an ihr je Arbeitswoche mindestens zwei volle Arbeitstage oder mindestens ein Drittel seiner vereinbarten regelmäßigen Arbeitszeit tätig werden soll. Es wäre nicht schlüssig, warum der Kläger, der für den gesamten Zeitraum seiner Entsendung ausschließlich an einer einzigen Betriebsstätte tätig geworden ist, dort keine erste Tätigkeitsstätte gehabt haben sollte, obwohl er dieser Betriebsstätte sogar ausdrücklich durch Arbeitsvertrag zugewiesen wurde.

b) Schließlich kann der Kläger die streitigen Aufwendungen auch nicht nach den Grundsätzen über eine beruflich veranlasste doppelte Haushaltsführung abziehen. Eine doppelte Haushaltsführung liegt nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 2 EStG nur vor, wenn der Arbeitnehmer außerhalb des Ortes seiner ersten Tätigkeitsstätte einen eigenen Hausstand unterhält und auch am Ort der ersten Tätigkeitsstätte wohnt. Hausstand in diesem Sinne ist der Haushalt, den der Arbeitnehmer am Lebensmittelpunkt führt, also sein Erst- oder Haupthaushalt (BFH Urteil vom 16. Januar 2013 VI R 46/12, BStBl. II 2013, 627). Bei einem verheirateten Arbeitnehmer liegt der Mittelpunkt der Lebensinteressen grundsätzlich an dem Ort, an dem er mit seinem Ehepartner wohnt (BFH Urteil vom 8. Oktober 2014 VI R 16/14, BStBl. II 2015, 511). Im Streitfall hat die Klägerin ihren Ehemann in die USA begleitet; von daher ist die Wohnung am Ort der ersten Tätigkeitsstätte - und nicht die Wohnung in Helmstedt - Lebensmittelpunktswohnung, so dass die Lebensführung nicht auf zwei verschiedene Haushalte aufgeteilt war und damit keine doppelte Haushaltsführung vorlag.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 135 Abs. 1 FGO.

Die Zulassung der Revision folgt aus § 115 Abs. 1 Nr. 1 FGO. Es liegt bislang noch keine höchstrichterliche Entscheidung zur der Frage vor, unter welchen Voraussetzungen in Entsendefällen von einer dauerhaften Zuordnung im Sinne des § 9 Abs. 4 EStG auszugehen ist.