Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 08.12.2016, Az.: 6 A 173/15
Anscheinsbeweis; Gliederung; Prüfervermerk; Repetitor; Subsumtion; Übereinstimmung
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 08.12.2016
- Aktenzeichen
- 6 A 173/15
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2016, 43405
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
Rechtsgrundlagen
- § 15 Abs 1 S 3 JAG ND
- § 15 Abs 2 JAG ND
Tatbestand:
Die Klägerin wendet sich gegen einen Bescheid des Beklagten, mit dem dieser die von ihr abgelegte zweite juristische Staatsprüfung für nicht bestanden erklärt und sie zur Rückgabe des Zeugnisses aufgefordert hat.
Die Klägerin bestand die erste juristische Staatsprüfung am 18. Januar 2011 in Bremen mit der Note „ausreichend“ (4,68 Punkte).
Ab dem 1. Juni 2011 wurde sie als Referendarin im Bezirk des Oberlandesgerichtes Celle ausgebildet. Ihre Leistungen in den Referendararbeitsgemeinschaften wurden dreimal mit „befriedigend“ (9 Punkte) und einmal mit „vollbefriedigend“ (10 Punkte) bewertet. Die von ihr im Januar 2013 geschriebenen Examensklausuren wurden mit 14, 11, 6, 9, 12, 11, 12 und nochmals 12 Punkten bewertet. In der mündlichen Prüfung am 20. Juni 2013 erhielt sie für den Kurzvortrag 9 Punkte, für die weiteren mündlichen Prüfungsleistungen 10, 12, 12 und 13 Punkte. Die Prüfungsgesamtnote wurde mit vollbefriedigend (10,89 Punkte) festgesetzt.
Nach einem Vermerk der Staatsanwaltschaft Verden vom 17. November 2014 haben in einem Ermittlungsverfahren gegen den Beschuldigten D., der das Repetitorium „A.“ betreibt, die Zeuginnen E. und F. Angaben dazu gemacht, dass dieser ihnen Prüfungsinhalte zum zweiten juristischen Staatsexamen aus Oktober 2012 bzw. Oktober 2013 angeboten habe.
Nach einer schriftlichen Vereinbarung nahm die Klägerin ab April 2012 bei Rechtsanwalt G. Einzelunterricht und leistete am 4. April 2012 eine Vorauszahlung von 2.550 EUR.
Bei einer Wohnungsdurchsuchung bei der Klägerin wurden Rechnungen des Repetitoriums „A.“ aufgefunden, nach denen der Klägerin jeweils für Einzelunterricht zum Preis von 85 EUR die Stunde für August 2012 16 Stunden (ÖR) zu 1.360 EUR, für September 2012 12,5 Stunden (ÖR) zu 1.062,50 EUR, für Oktober 2012 25,5 Stunden (13,5 St. ÖR, 6 St. ZR, 6 St. STR) zu 2.167,50 EUR, für November 2012 36 Stunden (14,5 St. ÖR, 11,5 St. ZR, 10 St. STR) zu 3.060 EUR, für Dezember 2012 34 Stunden (19 St. ÖR, 6 St. ZR, 9 St. STR) zu 2.890 EUR, für Januar 2013 4 Stunden ÖR zu 340 EUR sowie für April 2013 1,5 Stunden zu 127,50 EUR, für Mai 2013 17,25 Stunden zu 1.466,25 EUR und für Juni 2013 21 Stunden zu 1.785 EUR in Rechnung gestellt und diese per Bankeinzug beglichen wurden.
Mit Schreiben vom 9. Februar 2015 hörte der Beklagte die Klägerin zu der beabsichtigten Aberkennung ihres 2. Staatsexamens an und erklärte dazu, nach Erkenntnissen aus der Fallakte 22 des Strafverfahrens gegen den Mitarbeiter des Justizprüfungsamtes H. habe die Klägerin vor ihrem Examen beim Repetitorium A. Einzelunterricht genommen und dafür einen fünfstelligen Betrag gezahlt. Herr H. habe vor seiner Tätigkeit beim Justizprüfungsamt ca. 10 Jahre für dieses Repetitorium gearbeitet und die Absicht gehabt, dort auch später wieder tätig zu werden. Im Strafverfahren vor dem Landgericht Lüneburg habe Herr H. erklärt, er habe dem Leiter des Repetitoriums, Rechtsanwalt D., angeboten, ihm einzelne Klausuren zu geben. Er vermute, dass diese Aussage unvollständig sei und Herr H. Herrn D. zwischen September 2011 und März 2014 Aufgabentexte von Examensklausuren nebst amtlichen Prüferhinweisen oder von ihm selbst gefertigten Lösungsskizzen zur Verfügung gestellt habe, die Herr D. gegen Entgelt u.a. an die Klägerin weiter gegeben habe. Indiz dafür sei, dass die Klägerin im ersten Staatsexamen und während der Referendarausbildung nur durchschnittliche Noten erzielt, im schriftlichen zweiten Staatsexamen aber fünf zweistellige Noten erhalten habe, was in hohem Maße ungewöhnlich und nur ganz besonders begabten Kandidaten vorbehalten sei. Ferner gebe es bei vier ihrer Klausuren ganz erhebliche Übereinstimmungen zwischen der Lösung der Klägerin und dem Prüfervermerk, so dass er den Anscheinsbeweis führen könne, dass die Klägerin einen schweren Täuschungsversuch begangen habe, da sie sowohl die jeweiligen Klausuraufgaben als auch entweder die amtlichen Prüferhinweise oder von Herrn H. verfasste Lösungsmuster gekannt und verwendet habe. Er beabsichtige, das ihm in § 15 Abs. 2 NJAG eingeräumte Ermessen im Fall der Klägerin und in allen vergleichbaren Fällen dahingehend auszuüben, dass die getroffene Staatsprüfung für nicht bestanden erklärt werde. Die Klägerin hätte allerdings die Möglichkeit, die Prüfung nach § 17 Abs. 1 NJAG einmal zu wiederholen.
Mit anwaltlichem Schreiben vom 16. März 2015 stellte die Klägerin die erhobenen Vorwürfe in Abrede und verwies darauf, dass sie sich unter Einsatz erheblicher finanzieller Mittel durch den Einzelunterricht intensiv auf das zweite Staatsexamen habe vorbereiten können und auch in der mündlichen Prüfung eine deutlich Steigerung ihres Leistungsvermögens nachgewiesen habe, die auch keineswegs ungewöhnlich sei.
Mit Bescheid vom 21. April 2015 erklärte der Beklagte die von der Klägerin am 20. Juni 2013 abgelegte zweite juristische Staatsprüfung für nicht bestanden, forderte die Klägerin unter Zwangsgeldandrohung zur Rückgabe oder Hinterlegung ihres Zeugnisses auf und ordnete die sofortige Vollziehung dieser Regelungen an.
Die Hanseatische Rechtsanwaltskammer Bremen nahm mit Bescheid vom 5. Mai 2015 unter Anordnung der sofortigen Vollziehung die Zulassung der Klägerin zur Rechtsanwaltschaft zurück. Dagegen hat die Klägerin Widerspruch eingelegt.
Am 19. Mai 2015 hat die Klägerin gegen den Bescheid des Beklagten vom 21. April 2015 sowohl eine Klage erhoben als auch einen Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung dieser Klage gestellt (6 B 51/15).
Sie trägt vor, die von dem Beklagten vorgetragenen Anknüpfungstatsachen genügten weder für sich genommen noch in ihrer Gesamtschau für die Annahme eines Täuschungsversuches. Ihre Verbesserungen im Vergleich zum ersten Staatsexamen seien auf den intensiven Einzelunterricht zurückzuführen, den sie sich dank der Unterstützung ihrer Eltern habe leisten können. Der Einzelunterricht sei auch nicht nur von Herrn D., sondern von zwei weiteren Repetitoren von „A.“ durchgeführt worden. Im gegen ihn gerichteten Strafverfahren habe Herr H., der im Übrigen alle gegen ihn gerichteten Vorwürfe eingeräumt habe, erklärt, dass er Herrn D. nur angeboten habe, ihm einzelne Klausuren zu geben. Von einem Verkauf sei nicht die Rede gewesen. Die statistischen Zahlen des Beklagten über durchschnittliche Noten und Aussichten seien nicht geeignet, im Einzelfall konkrete Schlüsse zu ziehen.
Ferner trägt sie zu den einzelnen Klausuren vor.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 21. April 2015 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Ferner stellt er einen Hilfsbeweisantrag; insoweit wird auf die Anlage zum Sitzungsprotokoll vom 8. Dezember 2016 Bezug genommen.
Mit Beschluss vom 3. Juni 2015 (6 B 51/15) hat die Kammer den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes abgelehnt.
Dagegen hat die Klägerin am 22. Juni 2015 Beschwerde eingelegt.
Am 23. Juni 2015 wurde der Kammer in einem Parallelverfahren ein Vernehmungsprotokoll der Staatsanwaltschaft Verden vom 17. Juni 2015 übermittelt. Danach erklärte der Zeuge H. ergänzend zu den von ihm in der Hauptverhandlung in Lüneburg bereits gemachten Angaben unter anderem folgendes:
„Frau I. kenne ich nicht.
Ich gehe davon aus, dass sie die Kenntnisse über die 8 Klausuren über Herrn D. erlangt hat. Dazu muss ich sagen, dass wir (Herr D. und ich) eine grundsätzliche Vereinbarung hatten, dass in geeigneten Fällen Prüfungsgegenstände preisgegeben werden. Diese Vereinbarung war im Jahr 2012 geschlossen worden. Im Zweifel bin ich auf die Idee gekommen. Er war an der Sache interessiert. Unsere Vereinbarung lautete sinngemäß, dass bei einem Verkauf von Examensaufgaben wir den Erlös hälftig aufteilen wollten.
In dem fraglichen Durchgang ist nur Frau I. auffällig. Im Herbst 2012 hatte mich Herr D. angesprochen, dass es einen Interessenten bzw. eine Interessentin gebe. Das Geschlecht hat er nicht klargestellt. Und er hat gefragt, ob es möglich sei, die Klausuren zu bekommen. Das habe ich grundsätzlich bejaht. Die Interessentin bzw. der Interessent sei jedoch misstrauisch gewesen und habe Belege gefordert. Allerdings waren die Klausuren zu diesem Zeitpunkt noch nicht fertig. Ich konnte allerdings als vertrauensbildende Maßnahme Grobentwürfe übergeben, und zwar waren die Grobentwürfe 2 Strafrechtsklausuren schon fertig, das hatte Frau J. immer als 1. erledigt. Eine öffentlich-rechtliche Klausur war schon fertig und eine zivilrechtliche Klausur war fertig, jeweils im Stadium „Grobentwurf“. Darüber hinaus hatten wir im Plenum erörtert, was Prüfungsgegenstände sein sollte im Hinblick auf die anderen Klausuren. Denn der gleiche Prüfungsgegenstand soll ja nicht etwa in einer Anwalts- und Urteilsklausur zweimal abgeprüft werden.
Ich habe deshalb bei einem Treffen, das frühestens Ende Oktober 2012, gegebenenfalls auch Anfang November 2012, im Hotel K. in Hamburg stattfand, ihm in Papierform die im Grobentwurf vorliegenden Klausuren übergeben und ihm mündlich den Grobinhalt der anderen zu erwartenden Klausuren geschildert.
Ich habe daraufhin später einmal nachgefragt, aber er hat mir mitgeteilt, dass sich die Sache im Sande verlaufen habe. Nunmehr muss ich anhand des Akteninhalts davon ausgehen, dass D. seinerzeit die Klausuren weitergegeben hat, ohne mich zu informieren. Insofern fühle ich mich auch hintergangen.
Frage: Gab es weitere Anfragen von Herrn D. an Sie in Bezug auf Ihre grundsätzliche Vereinbarung, dass ggf. Klausuren weitergegeben werden?
Ja, es gab weitere Anfragen, insgesamt waren es 3 Fälle. Ein Fall muss der Fall E. gewesen sein, ein anderer der Fall I. und ein Dritter, den ich allerdings nicht zuordnen kann. Auch der Name E. war mir nicht bekannt. Der wurde mir erst später von Herrn D. mitgeteilt.“
Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 2. Juli 2015 hat die Klägerin ihre Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht zurückgenommen und dazu ausgeführt, eine Beschwerdebegründung ohne eigene Einlassung zum tatsächlichen Geschehen sei ihr nicht möglich. Eine solche Einlassung könne sie aber erst abgeben, wenn ihr Strafverteidiger im gegen sie gerichteten Ermittlungsverfahren Akteneinsicht genommen habe.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstand wird auf den Inhalt der beigezogenen Akten des Beklagten, die sämtliche Klausuren mit Prüfervermerk, die Fallakte 22 der Staatsanwaltschaft Verden, die Referendarpersonalakte der Klägerin sowie das Sonderheft „Verfahren gemäß § 15 Abs. 2 NJAG“ umfassen, sowie auf den Inhalt der Gerichtsakten Bezug genommen.
Ferner hat der Kammer das rechtskräftige Urteil des Landgerichts Lüneburg (Verfahren 6 A 276/14, Bl. 243 ff.) vom 26. Februar 2015 in der Strafsache gegen L. (33 KLs/760 Js 44594/14 (20/14)) vorgelegen.
In der mündlichen Verhandlung hat die Kammer durch die Vernehmung der Zeugen H. und D. Beweis erhoben über die Frage, ob die Klägerin sich auf diesem Wege Kenntnis von Examensklausuren und Prüfervermerken verschafft hat. Insoweit wird auf das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage hat keinen Erfolg.
Der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 21. April 2015, mit dem sie das 2. Staatsexamen der Klägerin für nicht bestanden erklärt und die Klägerin zur Rückgabe ihres Zeugnisses aufgefordert hat, ist rechtmäßig.
Rechtsgrundlage für den angefochtenen Bescheid ist § 15 Abs. 1 des Niedersächsischen Gesetzes zur Ausbildung der Juristinnen und Juristen (NJAG) in der Fassung vom 15. Januar 2004 (Nds. GVBl. S. 7), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 27.8.2009 (Nds. GVBL. s. 348). Nach dieser Regelung ist die betroffene Prüfungsleistung in der Regel mit der Note „ungenügend“ zu bewerten, wenn ein Prüfling versucht, das Ergebnis der Staatsprüfung durch Benutzung nicht zugelassener Hilfsmittel, unzulässiger Hilfe Dritter oder sonstige Täuschung zu beeinflussen. In leichten Fällen kann Nachsicht gewährt werden. Im Fall eines schweren Täuschungsversuchs ist die gesamte Staatsprüfung für nicht bestanden zu erklären; der wiederholte Täuschungsversuch steht in der Regel einem schweren Täuschungsversuch gleich. Nach § 15 Abs. 2 NJAG kann die betroffene Staatsprüfung innerhalb einer Frist von fünf Jahren seit dem Tag der mündlichen Prüfung für nicht bestanden erklärt werden, wenn ein schwerer Täuschungsversuch nach der Verkündung der Prüfungsgesamtnote bekannt wird.
Die Prüfungsbehörde trägt die materielle Beweislast dafür, dass die von ihr angenommenen Voraussetzungen einer Täuschung vorliegen.
Hier liegen die Voraussetzungen für die Annahme eines schweren Täuschungsversuches vor, denn nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist die Kammer davon überzeugt, dass die Klägerin sich vor ihren Klausurterminen Kenntnis über die Aufgabenstellung und die Musterlösung mehrerer von ihr zu schreibender Klausuren verschafft hat.
Zunächst ist nach den vom Beklagten zusammengetragenen Erkenntnissen davon auszugehen, dass die Klägerin durch ihren Kontakt zum Repetitor D., der nach Zeugenaussagen anderen Referendarinnen Examensklausuren angeboten haben soll, die Möglichkeit zur Tatbegehung hatte. Nach den im Ermittlungsverfahren bei ihr sichergestellten Belegen hat sie an das von dem Zeugen D. geleitete Repetitorium „A.“ mindestens 14.000 EUR gezahlt und zählte damit sicherlich zu den besten Kunden des Repetitoriums. Darüber hinaus dürfte sie dem Zeugen D. durch die zahlreichen Einzelstunden persönlich gut bekannt gewesen sein. Angesichts ihrer persönlichen Lage, die zum einen durch einen erheblichen Druck angesichts des nur sehr knapp bestandenen 1. Staatsexamens, zum anderen durch die Möglichkeit und Bereitschaft, ganz erhebliche finanzielle Mittel zur Examensvorbereitung aufzuwenden, gekennzeichnet war, dürfte sie für den Zeugen D. die ideale Interessentin für den Erwerb von Klausuren und Musterlösungen gewesen sein. Der Umstand, dass sie derart erhebliche Mittel für eine so umfangreiche Vorbereitung durch das Repetitorium aufgewandt hatte, zeigt eine deutliche Verunsicherung über das eigene Leistungsvermögen und die eigenen Fähigkeiten, sich selbständig und eigenverantwortlich auf das Examen vorzubereiten, wie dies der großen Mehrheit der Referendare gelingt. Offenbar hat sie auch zu keinem Zeitpunkt seitens ihrer Repetitoren die Rückmeldung bekommen, dass sie nunmehr gut vorbereitet sei, sondern ist stets bestärkt worden, noch weitere Einzelstunden zu nehmen. Ihre Examensvorbereitung zeichnete sich besonders durch die mangelnde Fähigkeit, Angebote des Repetitoriums abzulehnen, aus.
Nach der Aussage des in der mündlichen Verhandlung vernommenen Zeugen H. hat dieser dem Repetitor D. auf dessen gezielte Nachfrage im Oktober 2012 Grobentwürfe der beiden Strafrechtsklausuren sowie einer zivil- und einer öffentlich-rechtlichen Klausur schriftlich ausgehändigt und ihm mündlich die Inhalte der anderen Klausuren beschrieben. Die Kammer erachtet die – allerdings bei seiner staatsanwaltschaftlichen Vernehmung am 17. Juni 2015 wesentlich detailliertere - Aussage des vom Landgericht Lüneburg bereits rechtskräftig verurteilten Zeugen H. für glaubhaft, da sie zum einen mit den Verhaltensmustern des Zeugen in den weiteren Fällen, in denen es jeweils zu „Verkaufsgesprächen“ in Hotels und Gaststätten kam, übereinstimmen, zum anderen der Zeuge H. engen Kontakt zum Repetitorium stand, bei dem er wieder arbeiten wollte. Bei der Motivation des Zeugen ist allerdings zu berücksichtigen, dass er sich offenbar gegenüber der Staatsanwaltschaft zur Mitwirkung bei der Aufklärung der von ihm ermöglichten Täuschungsversuche verpflichtet hat, um im Gegenzug Erleichterungen im Strafvollzug zu erhalten. Diese Vereinbarung dürfte aber kein Anlass für ihn sein, etwa weitere Täuschungsfälle zu erfinden, zumal weitere Vorteile als die schon gewährten nicht im Raum stehen und die Staatsanwaltschaft über die dem Zeugen nicht bekannten Prüfungsakten jeweils die Richtigkeit seiner Aussagen kontrollieren kann. Auch im vorliegenden Fall ist kein Grund für eine Falschaussage ersichtlich; die Kammer erachtet den Zeugen H., der in der mündlichen Verhandlung den ihm bekannten Geschehensablauf weitgehend schlüssig und widerspruchsfrei schildern konnte, für glaubhaft. Der Zeuge hat dabei durchaus eingeräumt, bestimmte Details wie etwa die konkreten Daten der Treffen mit dem Zeugen D. nicht mehr zu erinnern. Bereits diese Erkenntnisse legen die Annahme nahe, dass es die Klägerin war, die vom Zeugen D. im Herbst 2012 gegenüber dem Zeugen H. als „Interessentin“ bezeichnet wurde, und der dann auch die Klausuraufgaben und Lösungsskizzen übermittelt wurden. Der Repetitor D. hat nach aller Wahrscheinlichkeit unter seinen Examenskandidaten kaum eine andere Person gehabt, die einerseits so stark verunsichert war, andererseits aber bereit war, so viel Geld zur Examensvorbereitung anzubieten.
Nach den Regeln des Anscheinsbeweises kann – auch ohne Klärung der Frage, wie Musterlösungen beschafft wurden – ein Täuschungsversuch durch den Beweis des ersten Anscheins nachgewiesen werden, wenn die Prüfungsarbeit und das vom Prüfer erarbeitete, allein zur Verwendung durch die Prüfungskommission bestimmte Lösungsmuster teilweise wörtlich und im Übrigen in Gliederung und Gedankenführung übereinstimmen (grundlegend BVerwG, B. v. 20.02.1984 – 7 B 109/83 –, BayVBl 1984, 503 [BVerwG 17.02.1984 - BVerwG 7 C 67/82], juris Rn. 5; dem folgend VG Karlsruhe U. v. 24.03.2010 – 7 K 1873/09 –, juris Rn. 14 ff., OVG Rheinland-Pfalz, U. v. 03.02.2012 – 10 A 11083/11 –, NVwZ-RR 2012, 476 ff., juris Rn. 26 ff. m.w.N.): „Typisch ist hier … die – vom menschlichen Willen unabhängige – Verknüpfung von Grund und Folge eines Geschehens: Die in erheblichem Umfang wörtliche und im Übrigen sinngemäße Wiedergabe der schriftlichen Ausarbeitung einer anderen Person setzt typischerweise voraus, dass der Wiedergebende von dieser Ausarbeitung zuvor Kenntnis erhalten hat. Ist diese Ausarbeitung aber … ein nur zur Verwendung der Prüfungskommission bestimmtes Lösungsmuster, so ist mangels einer anderen hinreichenden Erklärung für die Übereinstimmung die Schlussfolgerung zwingend, dass der Prüfling eine Täuschungshandlung begeht, wenn er eine in Kenntnis des Lösungsmusters erstellte Prüfungsarbeit als eigene Prüfungsleistung ausgibt“ (BVerwG, B. v. 20.02.1984, a.a.O., juris Rn. 5). Spricht der erste Anschein für das Vorliegen der objektiven und subjektiven Voraussetzungen einer Täuschungshandlung, so ist es Sache des Prüfungsteilnehmers, die Schlussfolgerung, auf der dieser Anschein beruht, zu entkräften. Hierfür reicht es nicht aus, die Denkmöglichkeiten eines dem Anschein nicht entsprechenden Ablaufs aufzuzeigen. Vielmehr muss der Prüfungsteilnehmer nachvollziehbar und in sich stimmig die Tatsachen schildern und gegebenenfalls beweisen, aus denen sich die ernsthafte Möglichkeit eines vom Regelfall abweichenden Verlaufs ergibt. Gelingt dies, so obliegt der Prüfungsbehörde der sogenannte Vollbeweis (s. VG Karlsruhe, U. v. 24.03.2010, a.a.O., juris Rn. 14 unter Hinweis auf OVG Bautzen, B. v. 30.04.2003 – 4 B 40/03 – juris).
Hier ist dem Beklagten der Beweis des ersten Anscheins gelungen, denn bei den von ihm benannten vier Klausuren gibt es derartig weitgehende Übereinstimmungen mit dem jeweiligen amtlichen Prüfervermerk, dass davon auszugehen ist, dass die Klägerin diese Prüfervermerke vor der Prüfung gekannt haben muss.
1. In der VA-Klausur, bei der die Klägerin aus anwaltlicher Sicht das Vorgehen der Polizei bei einer Demonstration begutachten sollte, weist das Gutachten (Teil A) des amtlichen Prüfervermerkes folgende Gliederung auf:
I Maßnahmen am äußeren Ring
1. § 1 BORA
2. § 3 Abs. 2 BRAO
a) iVm Art. 19 Abs. 4 GG
b) iVm Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG
c) iVm Nds. SOG
3. Art. 12 Abs. 1 GG
4. Nds. SOG
a) § 12 Nds SOG
b) § 17 Abs. 4 Nds. SOG
c) § 17 Abs. 1 Nds. SOG
d) keine Rückgriff auf § 11 Nds. SOG
5. Zwischenergebnis
II. Maßnahmen am inneren Ring ab ca. 23.00
1. Verweis der Rechtsanwälte aus dem inneren Ring ab ca. 23.00 Uhr
a) anderweitige Auslegung des § 17 Abs. 1 Nds. SOG
b) Verfassungsrecht
aa) nicht anders abwendbare Gefahr
bb) besondere Gefahr rechtswidriger polizeilicher Eingriffe
2. Vollzug des Platzverweises gegenüber Rechtsanwältin Linden
III. Die Kontaktverhinderung von 0.45 Uhr bis 1.15 Uhr
Demgegenüber hat die Klägerin ihr A-Gutachten wie folgt gegliedert:
I. Maßnahmen am äußeren Ring
1. § 12 II NSOG
2. § 12 IV NSOG
3. § 17 IV NSOG
4. § 17 I NSOG
5. § 11 NSOG
II. Maßnahmen am inneren Ring ab ca. 23.00 Uhr
1. § 17 I NSOG
a) § 1 BORA
b) § 3 II BRAO
c) Art. 12 I GG
c) Art. 19 IV GG
d) Art. 2 II GG
2. Körperliche Gewalt gegen RA Linden
a) formelle Rechtmäßigkeit
III. Kontaktsperre bis zum Abtransport ins Krankenhaus
§ 17 I NSOG
Dazu hat die Beklagte vermerkt, die Kandidatin prüfe alle Punkte dieser schwierigen polizeirechtlichen Klausur durch, die auch im Prüfervermerk verwendet werden, wobei sie weitgehend dieselben Überschriften verwende, zum Teil allerdings die Prüfungsreihenfolge abändere. Sie komme durchweg zu denselben Ergebnissen und setze diese prozessual so um, wie es im Prüfervermerk geraten werde. An dieser Stelle enthalte der Prüfervermerk eine Schwäche, welche die Kandidatin übernehme: Sie gehe ohne weiteres von der Statthaftigkeit der Fortsetzungsfeststellungsklage aus, ohne zum einen diese zuvor gegen die allgemeine Feststellungsklage (die gegeben wäre, wenn eine Realakt und kein Verwaltungsakt in Rede gestanden hätte) abzugrenzen und ohne zu problematisieren, dass sich die polizeilichen Maßnahmen schon mit ihrer Durchführung und nicht erst während eines gerichtlichen Verfahrens erledigt habe. Von einem Kandidaten, der in der Lage sei, eine derart schwierige Klausur im Hinblick auf das materiell-rechtliche geradezu vorbildlich zu lösen, wären Ausführungen zu diesen Problemen, die Gegenstand der Referendarausbildung sind, zu erwarten gewesen. Schließlich erfolge – ohne nähere Begründung – wie im Prüfervermerk die Benennung der Polizeidirektion Hannover als richtiger Klagegegner, wobei lediglich § 78 Abs. 1 Nr. 2 VwGO, aber nicht die einschlägigen polizeirechtlichen Bestimmungen genannt würden.
Die Klägerin hat darauf im anwaltlichen Schriftsatz vom 16. März 2015 erwidert, es sei bei einer Prüfung, für die nur wenige Rechtsgrundlagen in Betracht kämen, nicht weiter verwunderlich, dass diese alle genannt und geprüft würden, zumal es sich um solche aus dem anwaltlichen Berufsrecht handele sowie solche aus dem SOG und dem Grundgesetz. Es sei auch nicht ungewöhnlich, dass sie ohne weiteres von einer Statthaftigkeit der Fortsetzungsfeststellungsklage ausgegangen sei, da sie lediglich eine, wenn auch umstrittene, Rechtauffassung zugrunde gelegt habe; die Rechtsprechung habe ebenfalls ohne erschöpfende Begründung die Erledigung vor Klageerhebung mit der nach Klageerhebung vergleichbar gehalten. Worauf es beruhe, dass die Klägerindie Zuständigkeitsnorm nach dem SOG nicht genannt habe, sei Spekulation. Nach den Hinweisen des Prüfungsamtes solle man sich nicht mit der Suche nach versteckten Zuständigkeitsnormen aufhalten, sondern einfach die zuständige Behörde benennen, wenn sie bekannt sei.
Nach Überzeugung der Kammer begründet die starke Übereinstimmung der Überschriften, Prüfungsschritte und Ergebnisse bei der VA- Klausur den Anschein eines Täuschungsversuches; für diesen Anschein spricht, dass die Klägerin – genau wie der amtliche Prüfervermerk – auch die eher fernliegende Regelung des § 1 BORA geprüft und dabei, wie bei anderen Prüfungspunkten, ohne überzeugende eigene Prüfung zum gleichen Ergebnis wie der Prüfervermerk gekommen ist. Ohne Auffinden der einschlägigen Norm aus dem NSOG kann der Prüfling den richtigen Beklagten nicht benennen. Wer die Norm aber aufgefunden hat, wird sie auch in seine Lösung schreiben, schon um dafür Punkte zu erhalten. Schließlich teilt die Kammer die Einschätzung des Beklagten, dass die Prüfung der Zulässigkeit von Klagen einen Schwerpunkt der Ausbildung im Referendariat bildet, weshalb es ungewöhnlich ist, wenn in einer besonders gelungenen, schwierigen Klausur ausgerechnet gängige Zulässigkeitsfragen unvollständig bearbeitet werden – wie im amtlichen Prüfervermerk. Gerade die Prüfung der Zulässigkeit einer Fortsetzungsfeststellungsklage gehört zum klassischen Ausbildungsinhalt; üblicherweise befassen sich Referendare eher zu intensiv mit – ihnen vertrauten – Zulässigkeitsfragen als zu wenig. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die Klägerin der Arbeitsgemeinschaft bei Nds. Ministerium für Inneres und Sport eine Ausbildungsnote von 9 Punkten erhielt, derartige Ausbildungsnoten aber in der Regel deutlich besser als die späteren Examensnoten ausfallen.
2. Bei der VR-Klausur vom 15. Januar 2013 sollte die Klägerin einen Widerspruchsbescheid zu einem Widerspruch fertigen, der gegen eine sofort vollziehbare Nutzungsuntersagung nach Baurecht eingelegt worden war; der Widerspruchsführerin wurde vorgeworfen, sie nutze ein Wohnhaus als Bordell. Die Beklagte vertritt dazu, für einen schweren Täuschungsversuch sprächen folgende Umstände:
Die Klägerin wähle bei der Tenorierung im Widerspruchsbescheid nahezu die gleiche Formulierung wie der Prüfervermerk und übernehme damit einen Fehler aus derselben, nämlich die fehlende Kostenquotelung. Im Prüfervermerk werde vorgeschlagen, den angefochtenen Bescheid lediglich in Bezug auf die Zwangsmittelandrohung zu ändern und statt der Androhung der Versiegelung ein Zwangsgeld (in Höhe von 5000 €) anzudrohen; das übernehme die Klägerin eins zu eins, ohne jedoch eine tragfähige Begründung für diesen Sinneswandel zum einen und für die Höhe von 5.000 € zum anderen zu liefern. Diese Verfahrensweise sei ferner keineswegs naheliegend, weil die Vorschrift des § 89 Abs. 4 S. 2 NBauO, in der ausdrücklich die Versiegelung erwähnt wird, völlig außer Acht gelassen werde. Die Klägerin übernehme weitere Schwächen des Prüfervermerks: Fehlende Bezeichnung einer Rechtsgrundlage, zu knappe Behandlung der formellen Baurechtswidrigkeit, schlanke Einbeziehung eines Verstoßes gegen die Sperrbezirksverordnung unter dem Stichwort „Bauordnungsrecht“.
Soweit die Klägerin dagegen einwendet, einzige Ähnlichkeit mit dem Tenor aus dem Vermerk sei die Teilstattgabe, trifft dies nicht zu. Die Klägerin tenoriert “Soweit zurückgewiesen haben Sie die Kosten des Verfahrens zu tragen.“, der Prüfervermerk: „Die Kosten des Verfahrens haben Sie zu tragen, soweit Ihr Widerspruch keinen Erfolg hatte.“ Beiden Tenören gemeinsam ist der Fehler, dass sie keine Kostenquote enthalten und für das nachfolgende Kostenfestsetzungsverfahren unbrauchbar sind.
Soweit die Klägerin zur Erläuterung vorträgt, sie habe auf ihr wohl eher vertraute Zwangsmittel zurückgegriffen, überzeugt dies nicht; vielmehr folgt sie – offenbar in Kenntnis des Prüfervermerks - der dort vertretenen falschen Ansicht, die Versiegelung sei eine Form der Ersatzvornahme, und hält diese – ebenso wie der Prüfervermerk – für unzulässig, da es um eine nicht vertretbare Handlung gehe. Damit übernimmt sie in wichtigen Teilen der Klausur, nämlich im Tenor mit der Teilaufhebung, der Zwangsgeldandrohung und der fehlenden Kostenquote sowie in der Begründung so markante Fehler des Prüfervermerks, dass eine solche Übereinstimmung die vorherige Kenntnis des Vermerks mit hoher Wahrscheinlichkeit annehmen lässt. Darüber hinaus übersieht sie ebenso wie der Prüfervermerk, dass für eine sofort vollziehbare Nutzungsuntersagung bereits eine formelle Illegalität ausreicht, wenn das Bauvorhaben nicht offensichtlich genehmigungsfähig ist. Die Kernfrage, ob und wann eine genehmigungspflichtige Nutzungsänderung vorliegt, wird daher wie im Prüfervermerk auch in der Klausur nicht problematisiert. Auch diese Übernahme eines Fehlers zu einer Standardfrage aus dem Bauordnungsrecht weist auf eine Kenntnis des Prüfervermerkes hin. Der von ihr vorgetragene Umstand, der Repetitor D. sei ein exzellenter Jurist und hätte derartige Fehler sicher bemerkt und nicht an sie weiter geleitet, vermag nicht zu überzeugen; vielmehr hält die Kammer es für hochgradig unwahrscheinlich, dass der Repetitor D. die Lösungsskizzen nach niedersächsischem Baurecht noch selbst überarbeitete. Schließlich weist auch der Umstand, dass die Klägerin begründungslos genau wie der amtliche Prüfervermerk ein Zwangsgeld genau in Höhe von 5.000,- EUR angedroht hat, auf die Kenntnis des Prüfervermerkes hin. Angesichts des Rahmens zwischen 5,- und 50.000,- EUR (§ 67 NSOG) ist eine solche Übereinstimmung kaum anders erklärlich; davon abgesehen sind in der Verwaltungspraxis deutlich niedrigere Zwangsgelder üblich.
3. Bei der am 14. Januar 2013 von der Klägerin geschriebenen Klausur SR (Überfall auf ein Lebensmittelgeschäft mit drei Tatverdächtigen) weist ihre Lösung folgende Gliederung auf:
A. Materiellrechtliches Gutachten
1. Teilabschnitt: Die Butter
I. §§ 252, 249 I, 250 I Nr. 1 a, 2 StGB
1. Vortat § 249 StGB
a) Tatobjekt
b) Wegnahme
c) Vorsatz
2. Nötigungsmittel zur Beutebehaltung
II. §§ 242 I, 243 Nr. 1, Nr. 2, 25 II StGB
1. Wegnahme
2. Gemeinsamer Tatplan
3. Vorsatz
§ 243 I Nr. 1 StGB
§ 243 I Nr. 2 StGB
§ 243 II StGB
III.§§ 242, 244 I Nr. 1 a, Nr. 2, 25 II StGB
Gefährliches Werkzeug
Bande
III. Hausfriedensbruch
IV. Sachbeschädigung
2. Abschnitt: Tasche
I. Versuchter schwerer gemeinschaftlicher Raub
II. Versuchter gemeinschaftlicher Diebstahl
3. Teilabschnitt : Das Werfen mit den Nüssen
I. Gefährliche Körperverletzung in Mittäterschaft
II. Gefährliche Körperverletzung des R
III. § 226 I Nr. 3 StGB durch R
IV. Diebstahl durch R
Demgegenüber sieht der Prüfervermerk folgenden Aufbau des Gutachtens vor:
I. Mitnahme der Butterpäckchen
1. Gemeinschaftlicher schwerer räuberischer Diebstahl
2. Gemeinschaftlicher Diebstahl in einem besonders schweren Fall, § 243 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB
3. Gemeinschaftlicher Bandendiebstahl mit Waffen
a) Eisenstange
b) Kokosnüsse
c) Bandendiebstahl
4. Gemeinschaftliche Sachbeschädigung
5. Gemeinschaftlicher Hausfriedenbruch
II. Bereitstellen der in der Tragetasche deponierten Lebensmittel
1. Versuchter schwerer gemeinschaftlicher Raub
2. Versuchter gemeinschaftlicher Diebstahl
III Mitnahme und Werfen der Kokosnüsse
1. Gemeinschaftliche schwere Körperverletzung
2. Gefährliche Körperverletzung des R
3. Schwere Körperverletzung des R
4. Versuchter Diebstahl des R
Dazu trägt der Beklagte vor, die Klägerin habe das Handlungsgeschehen wie im Prüfervermerk in drei Tatkomplexe aufgeteilt und innerhalb dieser Tatkomplexe exakt alle Straftatbestände erwähnt, die im Prüfervermerk genannt worden seien mit nur zwei Veränderungen in der Prüfungsreihenfolge. Wie im Prüfervermerk vorgegeben habe die Klägerin den räuberischen Diebstahl vor der rechtswidrigen Vortat behandelt, obwohl auf diese Weise die chronologische Reihenfolge durchbrochen werde und an zwei Stellen Ausführungen zum Diebstahl selbst erforderlich würden. Ebenfalls nicht naheliegend sei es, wie im Prüfervermerk den schweren Diebstahl vor dem Bandendiebstahl mit Waffen zu prüfen, der das schwerere Delikt sei. Die Begriffe „qualifiziertes Nötigungsmittel“ und „Beutesicherungsabsicht“ würden wie im Prüfervermerk verwendet, der erste Begriff ohne Subsumtion oder Erläuterung, was auf einen Kenntnismangel hinweise. Auch werde wie im Prüfervermerk der Begriff „Exzess“ verwendet, allerdings ohne Begründung abgelehnt. Obwohl alle relevanten Tatbestände angeprüft würden, fehle es regelmäßig an einer vertiefenden Darstellung oder sogar überhaupt an einer Subsumtion.
Die Klägerin trägt dazu vor, die Prüfungsreihenfolge sei nicht auffällig und es gebe keine weitgehende Übereinstimmung mit dem Prüfervermerk; der Erstbeurteiler habe keine Auffälligkeiten festgestellt und sogar darauf hingewiesen, dass die Problemstellungen geläufig sein sollten. Die fehlende Subsumtion sei auf Zeitprobleme zurückzuführen, die gerade bei Kenntnis des Prüfervermerks doch nicht zu erwarten seien. Schließlich sei sie beim Begriff „Exzess“ gerade zu einem abweichenden Ergebnis gekommen.
Demgegenüber hält die Kammer auch bei dieser Klausur den Anschein einer Täuschung für gegeben; dafür sprechen die identische Gliederung in drei Tatkomplexe, die Prüfung aller im Prüfervermerk genannten Tatbestände und insbesondere der Aufbau der Prüfungsreihenfolge, nämlich das Abweichen von der (üblichen) chronologischen Reihenfolge im 1. Abschnitt sowie im 3. Abschnitt die Reihenfolge, erst eine gemeinschaftliche Tat aller und dann Einzeltaten des R zu prüfen. Ferner spricht für einen Täuschungsversuch, dass bestimmte Schlagwörter aus dem Prüfervermerk auftauchen, die dann aber nicht verständlich geprüft werden können. Ein starkes Indiz für die Kenntnis des Prüfervermerkes ist, dass die Verfasserin zwar die richtigen Vorschriften – wie dem Vermerk entnehmbar – nennt, aber „nicht darlegt, welches Geschehen aufgrund welcher Anknüpfungstatsachen einer entsprechenden Prüfung unterworfenen wird. Zudem fehlt eine ordentliche Beweiswürdigung nahezu vollständig.“ (so der Vermerk des Erstprüfers M.). Genau das wären aber Prüfungsleistungen, die nur durch eigenständige Gedankenführung und nicht durch das Niederschreiben eines auswendig gelernten Vermerks zu erbringen gewesen wären. So beginnt die Klausur bereits mit der Prüfung der §§ 252, 249 I, 250 I StGB, ohne dass die Klägerin auch nur ansatzweise erläutert, mit welchem tatsächlichen Geschehen sie sich befasst. Auch ihr Konzeptpapier weist nur eine Auflistung der von ihr geprüften Paragraphen auf, ohne dass eine tatsächliche Befassung mit dem Sachverhalt erkennbar wird. Inhaltlich stellt die Klausur an zahlreichen Stellen nur (richtige) Ergebnisse dar, ohne dass tatsächlich eine Prüfung und Subsumtion vorgenommen wird. Dies ist allein durch den Zeitdruck nicht zu erklären. Besonders auffällig sind etwa die Ausführungen auf Seite 13 der Klausur:
„ Es ist nicht ersichtlich, dass eine mögliche Körperverletzung von einem gemeinsamen Tatplan gedeckt war. Anhaltspunkte für einen Exzess liegen nicht vor.“
Dem ist zu entnehmen, dass sich die Klägerin offenbar bestimmter Stichwörter wie Exzess (ebenso: „qualifiziertes Nötigungsmittel“ S. 5 ohne jegliche Erklärung) bedient, ohne deren inhaltliche Bedeutung zu kennen. Auch dies weist auf eine Kenntnis des Prüfervermerkes hin.
4. Die von der Klägerin am 17. Januar 2013 geschriebene Klausur WSR, bei der ein strafrechtliches und strafprozessuales Gutachten im Hinblick auf Tötungs- und Körperverletzungsdelikte in einem Fall mit drei Opfern zu erstellen war, wies das Gutachten der Klägerin folgende Gliederung auf:
1. Tatkomplex: Die Maschseeleiche
I. §§ 211,212 StGB
II. § 227 StGB
1. Tatbestand
a) Körperverletzung
b) Todesfolge
c) gefahrenspezifischer Zusammenhang
2. Rechtswidrigkeit und Schuld
2. Tatkomplex: Die Ereignisse in der Wohnung
I. Schwere Körperverletzung, § 226 I Nr. 2, 3 StGB durch Abschneiden der Daumenkuppe
1. Körperverletzung nach § 223 I StGB
2. Schwere Folge
a) Nr. 2
b) Nr. 3
II. Gefährliche Körperverletzung, §§ 223 I, 224 I Nr. 2 StGB
1. Vorsätzliche Körperverletzung
2. Gefährliches Werkzeug
3. Rechtswidrigkeit und Schuld
III. Versuchter Totschlag an B
1. Vorprüfung
2. Tatentschluss
3. Unmittelbares Ansetzen
4. Rechtswidrigkeit und Schuld
5. Strafbefreiender Rücktritt
IV. § 226 I Nr. 3 StGB
1. Vorsätzliche Körperverletzung
2. Dauerhafte Entstellung
V. Gefährliche Körperverletzung
Demgegenüber sieht der Prüfervermerk für das materiell-rechtliche Gutachten folgende Gliederung vor:
I. Erster Tatkomplex: Tötung des Polizeibeamten Dennis Decker (D) am 30.11.2012
1. Körperverletzung mit Todesfolge, § 227 Abs. 1 StGB
a) Nachweis der Tathandlung
b) Körperverletzung
c) Tod, Kausalität
d) gefahrspezifischer Zusammenhang
e) Fahrlässigkeit in Bezug auf die Todesfolge
f) Ergebnis
2. Vorsätzliches Tötungsdelikt
3. Aussetzung mit Todesfolge, § 221 StGB
4. Konkurrenzen und Zwischenergebnis
II. Zweiter Tatkomplex: Geschehen in der Wohnung der Cornelia Cordes am 1.12.2012
1. Schwere Körperverletzung zum Nachteil der C, § 226 Abs. 1 Nr.2, Nr. 3 Alt. 1 StGB
a) Körperverletzung
b) Verlust eines Körpergliedes
c) in erheblicher Weise dauernd entstellt
d) Ergebnis
2. Gefährliche Körperverletzung zum Nachteil der C
3. Versuchter Totschlag zum Nachteil der B
a) Tatentschluss
b) Unmittelbares Ansetzen
c) Rücktritt
(1) Beendet ?
(2) Freiwilligkeit
d) Ergebnis
4. Schwere Körperverletzung zum Nachteil der B
a) Körperverletzung
b) in erheblicher Weise dauernd entstellt
c) Ergebnis
5. Gefährliche Körperverletzung zum Nachteil der B, §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 StGB
a) körperliche Misshandlung/Gesundheitsschädigung
b) anderes gefährliches Werkzeug
c) mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung
d) Vorsatz
e) Ergebnis
6. Konkurrenzen und Gesamtergebnis
Dazu trägt der Beklagte vor, die Klägerin baue das A-Gutachten exakt so auf wie der Prüfervermerk, indem sie es lediglich in zwei Abschnitte unterteile (und nicht in drei Abschnitte nach der Zahl der Geschädigten), prüfe alle im Prüfervermerk genannten Straftatbestände in derselben Reihenfolge und komme exakt zu denselben Ergebnissen, obwohl im Prüfervermerk an mehreren Stellen ein anderes Ergebnis für vertretbar gehalten werde. Im ersten Tatkomplex lehne sie mit wenigen Worten einen hinreichenden Tatverdacht bezüglich der §§ 211 und 212 StGB ab; auch der Prüfervermerk begnüge sich insoweit (allerdings an anderer Stelle) mit drei Zeilen, obwohl durchaus eine tiefergehende Begründung angebracht gewesen sei. Hingegen werde – wie im Prüfervermerk - § 227 StGB ausgiebig behandelt, wobei die Klägerin zwar einige Prüfungspunkte vertausche, aber in jeder Hinsicht zu mit dem Prüfervermerk konformen Ergebnissen komme. Im zweiten Tatkomplex werde erstaunlicherweise zunächst die schwere Körperverletzung zum Nachteil der C. geprüft und anschließend erst das (schwerere) Delikt des versuchten Totschlages zum Nachteil des B.; insoweit falle zusätzlich auf, dass – wie im Prüfervermerk – kein Wort darauf verwendet werde, ob die Voraussetzungen des § 211 StGB vorliegen. Besonders auffällig sei die Verwendung des Begriffs „gefahrenspezifischer Zusammenhang“, der auch im Prüfervermerk vorkomme. In Bezug auf das B-Gutachten werde die versteckte Vorschrift des § 74 Abs. 2 Nr. 8 GVG gesehen (wiederum wie im Prüfervermerk); die Vorschrift des § 74 Abs. 1 S. 2 GVG scheine die Klägerin andererseits nicht zu kennen, denn sie stelle zusätzlich zu der Annahme einer Katalogtat auf eine Straferwartung von mehr als zwei Jahren ab, obwohl in der genannten Norm für die Zuständigkeit des Schwurgerichts eine Straferwartung von mindestens vier Jahren Freiheitsstrafe genannt werde.
Dazu trägt die Klägerin vor, ihre Gliederung habe sich ergeben, weil sich nach der Klausur die Tatkomplexe auf zwei Tage, nämlich den 30. November 2012 und den 1. Dezember 2012, verteilten. Es sei deswegen durchaus naheliegend, die Prüfung chronologisch vorzunehmen. Im Übrigen habe der Beklagte zu der weiteren Strafrechtsklausur gerügt, dass sie gerade nicht chronologisch aufgebaut worden sei. Dies zeige, wie auswechselbar die Argumentation sei. Die Reihenfolge der Prüfung habe sich aus dem Umstand ergeben, dass Körperverletzungs- und Tötungsdelikte zu prüfen gewesen seien. Weder aus den identischen Ergebnissen noch darauf, dass nach dem Vermerk andere Ergebnisse für vertretbar gehalten würden, lasse sich auf eine Täuschung schließen. Der Beklagte verschweige, dass sich die von ihr gewählten Überschriften von denen des Vermerkes unterschieden, sie abweichend vom Vermerk zu Beginn der Klausur erst Tötungsdelikte prüfe und sie auch nicht die „Aussetzung mit Todesfolge“ prüfe. Der Begriff „Gefahrenspezifischer Zusammenhang“ sei auch dem zugelassenen Kommentar zu entnehmen. Die Reihenfolge im zweiten Tatkomplex sei streng chronologisch. Mehr als zufällige Übereinstimmungen ließen sich nicht finden.
Auch insoweit folgt die Kammer der Begründung des angefochtenen Bescheides, dass nämlich die – erneute – fast vollständige Übereinstimmung mit Aufbau, geprüften Vorschriften (nur die Aussetzung fehlt) und Prüfungsergebnissen mit dem Prüfervermerk den Anschein der Kenntnis dieses Vermerks begründet. Schwächen des Vermerks im Bereich der Tötungsdelikte werden ebenso übernommen wie auffällige Schlagworte. So ist es etwa besonders auffällig, dass die Klägerin im zweiten Handlungsabschnitt, als D. mehrfach mit dem Messer aus Eifersucht auf B. einsticht, einen versuchten Mord nicht einmal prüft, obwohl die Mordmerkmale “grausam“ sowie sonstige niedrige Beweggründe durchaus in Frage kämen. Der Klägerin ist einzuräumen, dass der Begriff „gefahrenspezifischer Zusammenhang“ der Kommentarliteratur entnommen werden kann; wer ihn dort allerdings entnimmt, kann unschwer auch dort entnehmen, was inhaltlich zu prüfen ist. Tatsächlich erfolgt aber keinerlei Definition, was der Begriff bedeuten soll; vielmehr prüft die Klägerin dann die Kausalität.
Bei einer Gesamtschau der untersuchten Klausuren verstärkt sich der Eindruck, dass die Klägerin Kenntnis von den Prüfervermerken gehabt haben muss, denn insbesondere die mehrfache fast vollständige Übereinstimmung in Aufbau, Lösung und Ergebnis bei den strafrechtlichen Klausuren mit mehreren Tatkomplexen und Beteiligten und die besonders auffällige Übernahme von gravierenden Fehlern in der VR-Klausur lassen keine andere Erklärung zu. Der Vortrag der Klägerin dazu vermag den Anschein nicht zu widerlegen; zweifellos kann es insbesondere bei der Prüfung gängiger Delikte auch zu zufälligen Übereinstimmungen kommen, nicht aber in einer derart massiven Form und nicht bei Fehlern in Tenor und Begründung wie in der VR-Klausur.
Das Verhalten der Klägerin im vorliegenden Fall stellt sich damit als ein grobes Täuschungsmanöver (vgl. Niehues/Fischer, Prüfungsrecht, 5. Aufl. 2010, Rn. 244) dar, das in besonders hohem Maße die Spielregeln des fairen Wettbewerbs und die Chancengleichheit der anderen, sich korrekt verhaltenden Prüflinge verletzt. Die Klägerin hat sich nicht etwa bloß eines unzulässigen Hilfsmittels bedient und auf dieser Grundlage eine zwar unzulässig erleichterte, aber doch im Wesentlichen eigenständige geistige Leistung erbracht, wie dies etwa der Fall sein könnte, wenn ein Prüfling bei einer Klausur einen „Spickzettel“ verwendet oder bei der Anfertigung einer Hausarbeit zu einzelnen Gesichtspunkten kundigen Rat einholt, er aber den Gedankengang bzw. die Lösung im Wesentlichen selbst entwickelt und formuliert. Das Einreichen eines (mittelbar von Herrn H.) erhaltenen Vollplagiats bedeutet demgegenüber, dass der Prüfling nicht einmal ansatzweise eine eigenständige Leistung vorlegt und darauf setzt, aufgrund der bereits erstellten Leistung eines Anderen die Prüfung (möglichst gut) zu bestehen. Geht diese Rechnung auf, so gelangt er ohne jegliche fachliche Grundlage in dieselbe Position wie - oder je nach der Qualität des gekauften Plagiats sogar in eine bessere Position als - diejenigen Prüfungskandidaten, die ohne unzulässige Hilfsmittel mit Erfolg eine vollständig eigene Leistung abliefern. Dies führt im Ergebnis zu einem besonders krassen Verstoß gegen die Chancengleichheit der Prüflinge und rechtfertigt die tatbestandliche Einstufung als besonders schweren Fall der Täuschung (vgl. OVG Hamburg, Beschluss v. 19.11.2013 - 3 Bs 274/13 - in juris).
Der Beklagte hat mit den Erwägungen im Bescheid vom 21. April 2015 seine Ermessensentscheidung hinreichend und tragfähig begründet. Er hat im Rahmen der gebotenen Verhältnismäßigkeitsprüfung die erhebliche Eingriffswirkung des Ausschlusses erkannt, diesen Eingriff aber angesichts des Ausmaßes der Täuschungshandlung und der damit verbundenen Verletzung der Chancengleichheit für erforderlich und angemessen gehalten. Das ist rechtlich nicht zu beanstanden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.
Gründe für die Zulassung der Berufung gemäß § 124 a Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder 4 VwGO durch das Verwaltungsgericht liegen nicht vor.