Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 20.04.2016, Az.: L 2 R 578/15
Rentenrechtliche Bewertung von Kinderziehungszeiten; Versäumung der Berufungsfrist; Übermittlung von Rechtsmittelschriften im elektronischen Rechtsverkehr; Verknüpfungsdatei; Anwaltliche Sorgfaltspflichten; Anforderungen an die Klarheit und Bestimmtheit von Rechtsmittelschriften im sozialgerichtlichen Verfahren; Keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach der Versäumung der Berufungsfrist im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs nach Übersendung einer Verknüpfungsdatei ohne lesbaren Inhalt
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 20.04.2016
- Aktenzeichen
- L 2 R 578/15
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2016, 21055
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2016:0420.L2R578.15.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Lüneburg - AZ: S 14 R 260/15
Rechtsgrundlagen
- § 151 Abs. 1 SGG
- § 202 S. 1 SGG
- § 65a SGG
- § 67 Abs. 1 SGG
- § 51 Abs. 2 ZPO
Redaktioneller Leitsatz
Zur Klarheit und Bestimmtheit der Rechtsmittelschrift muss aus der Berufungsschrift allein oder jedenfalls mit Hilfe weiterer Unterlagen, etwa dem beigefügten erstinstanzlichen Urteil, bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist eindeutig zu erkennen sein, wer Berufungskläger ist und wer Berufungsbeklagter sein soll. Eine erst nach Ablauf der Berufungsfrist nachträglich eingegangene - die Beteiligten konkret ausweisende - Berufungsschrift kann in diesem Zusammenhang nicht herangezogen werden.
Tenor:
Die Berufung wird verworfen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt eine bessere Bewertung der ihr rentenrechtlich für die Erziehung ihrer beiden Kinder zuerkannten Kinderziehungszeiten.
Die Beklagte bewilligte der am 27. März 1953 geborenen Klägerin dem Grunde nach antragsgemäß mit Bescheid vom 1. Oktober 2014 eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen. Bei der Ermittlung der dieser Rentenberechnung zugrunde liegenden 31,0213 Entgeltpunkte (zzgl. 0,0036 Punkte Zuschlag für Entgelt aus geringfügiger nicht versicherungspflichtiger Beschäftigung, vgl. Anlage 6 S. 1 des Bescheides) berücksichtigte die Beklagte zugunsten der Klägerin für die Erziehung ihrer beiden 1980 und 1984 geborenen Kinder in Anwendung des § 249 SGB VI (in der zum 1. Juli 2014 in Kraft getretenen Fassung des Gesetzes über Leistungsverbesserungen in der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Leistungsverbesserungsgesetz) vom 23. Juni 2014, BGBl. I, 787) jeweils 24 Kalendermonate Kinderziehungszeit, beginnend jeweils nach Ablauf des Monats der Geburt, und zwar für die Zeiträume Dezember 1980 bis November 1982 und August 1984 bis Juli 1986. Unter Berücksichtigung eines Zugangsfaktors von 0,925 wurden bei den weiteren Berechnungen 28,6980 Entgeltpunkte berücksichtigt. Es ergab sich ein anfänglicher monatlicher Rentenzahlbetrag von 736,90 EUR.
Für diese Kinderziehungszeiten berücksichtigte die Beklagte entsprechend den gesetzlichen Vorgaben des § 70 Abs. 2 SGB VI für jeden Kalendermonat 0,0833 Entgeltpunkte, wobei sie jedoch diese zusätzlichen Entgeltpunkte für Kindererziehungszeiten so begrenzt hat, dass auch unter Einbeziehung anderweitig bereits erfasster weiterer Entgeltpunkte für sonstige Beitragszeiten in dem jeweiligen Kalendermonat die Höchstwerte nach der Anlage 2b zum SGB VI, d.h. die sog. Beitragsbemessungsgrenze, nicht überschritten worden sind. Angesichts dessen, dass die Klägerin in Teilen der Kinderziehungszeiträume auch versicherungspflichtige Beschäftigungszeiten bzw. sonstige Beitragszeiten zurückgelegt hat, bezüglich derer die Entgeltpunkte die Differenz zwischen der jeweils maßgeblichen Beitragsbemessungsgrenze und dem o.g. Wert von 0,0833 Entgeltpunkten je Monat überschritten haben, wurden im Ergebnis für die o.g. insgesamt 4 Jahre ausmachenden Kindererziehungszeiten zusätzlich zu den aufgrund anderweitiger Beitragszahlungen bereits erfassten Entgeltpunkten in Anwendung der §§ 56, 249, 70 Abs. 2 SGB VI nicht insgesamt vier weitere, sondern lediglich weitere 2,6192 Entgeltpunkte zugunsten der Klägerin berücksichtigt (vgl. Anlage 6 S. 1 des Bescheides vom 1. September 2014, auf den wegen der weiteren Einzelheiten der Berechnung Bezug genommen wird).
Im September 2014 war die 1978 von der Klägerin und ihrem Ehemann geschlossene Ehe mit Beschluss des Amtsgerichts I. (13 F 1138/13 S) geschieden worden, im Rahmen des Versorgungsausgleichs wurde u.a. zugunsten der Klägerin ein Anrecht in Höhe von 23,4024 Entgeltpunkten auf deren Versicherungskonto bei der Beklagten übertragen, wobei zugleich zugunsten des Ehemanns und zulasten der Klägerin ein weiteres Anrecht von 11,4207 Entgeltpunkten übertragen wurde, so dass im Ergebnis eine Differenz von 11,9817 Entgeltpunkten zugunsten der Klägerin verblieb.
Dieser Beschluss wurde am 16. Oktober 2014 rechtskräftig. In Umsetzung dieses Beschlusses nahm die Beklagte zugunsten der Klägerin mit Bescheid vom 19. Dezember 2014 eine Neuberechnung der Rente vor. Die zuvor bereits ermittelte Entgeltpunktzahl von 31,0213 Entgeltpunkte (zzgl. 0,0036 Punkte Zuschlag für Entgelt aus geringfügiger nicht versicherungspflichtiger Beschäftigung, vgl. Anlage 6 S. 1 des Bescheides) wurde nunmehr um die im Rahmen des Versorgungsausgleichs zuerkannten weiteren 11,9817 Entgeltpunkte erhöht, so dass sich zugunsten der Klägerin im Ausgangspunkt 43,0066 Entgeltpunkte ergaben. Gemindert um den Zugangsfaktor (von 0,925 bezogen auf 31,0249 Entgeltpunkte und 0,928 bezogen auf 11,9817 Entgeltpunkte) verblieben 39,8170 Entgeltpunkte (von denen 2,6216 auf Kindererziehungszeiten entfielen), entsprechend einem monatlichen Rentenzahlbetrag von 1.018,98 EUR.
Mit ihrem Widerspruch vom 3. Januar 2015 hat die Klägerin gerügt, dass ihr für die Erziehung ihrer beiden Kinder insgesamt vier und nicht nur ca. 2,6 zusätzliche Entgeltpunkte gutgeschrieben werden müssten. Diesen Widerspruch wies die Beklagte mit Bescheid vom 29. April 2015 unter Erläuterung der gesetzlichen Vorgaben zurück.
Zur Begründung der am 1. Juni 2015 erhobenen Klage hat die Klägerin geltend gemacht, dass berufstätige Eltern einen doppelten Beitrag zur Rentenversicherung in Form einerseits der mit der Berufstätigkeit verbundenen Beitragsentrichtung und andererseits in Form der Erziehung der Kinder und damit der künftigen Beitragszahler aufbringen würden. Beide Beiträge seien auch dann vollumfänglich zu berücksichtigen, wenn in der Summe die Beitragsbemessungsgrenze für den jeweiligen Monat überschritten werde. Die sich aus den gesetzlichen Vorgaben ergebende Begrenzung stelle eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung dar.
Mit Gerichtsbescheid vom 12. November 2015, der Klägerin zugestellt am 17. November 2015, hat das Sozialgericht Lüneburg die Klage abgewiesen. Die gesetzlichen Vorgaben sähen vor, dass auch unter Einbeziehung der Beiträge für Kindererziehungszeiten die jeweils maßgebliche Beitragsbemessungsgrenze nicht überschritten werden dürfe; verfassungsrechtliche Bedenken seien diesbezüglich nicht festzustellen.
Am 17. Dezember 2015 nach Dienstschluss, und zwar um 17.25 Uhr, hat die Prozessbevollmächtigte der Klägerin im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs eine sog. Verknüpfungsdatei mit dem Dateinamen "J. DRV Berufung.pdf-Verknüpfung" übermittelt. Am frühen Morgen des Folgetages hat die Gerichtsverwaltung die Prozessbevollmächtigte davon in Kenntnis gesetzt, dass die übermittelte Nachricht nicht geöffnet werden könne. Daraufhin hat diese die Berufungsschrift am 18. Dezember 2015 um 8.27 Uhr per Telefax übermittelt.
Bezüglich der Versäumung der Berufungsfrist beantragt die Klägerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Ihre Bevollmächtigte habe bei der Signatur ohne eigenes Verschulden nicht erkannt, dass ein "Hinweis auf eine lediglich vorliegende Verknüpfung mit dem eigentlichen Schriftsatz" vorgelegen habe.
In der Sache ist die Klägerin weiterhin der Auffassung, dass die gesetzgeberischen Vorgaben über die Bewertung von Kinderziehungszeiten eine unangemessene Benachteiligung von erwerbstätigen Eltern beinhalteten. Eltern, die im Kinderziehungszeitraum gearbeitet hätten, würden im Vergleich zu solchen Eltern, die ihre Berufstätigkeit seinerzeit jedenfalls überwiegend aufgegeben hätten, benachteiligt.
Sie beantragt,
1. ihr wegen der Versäumung der Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, 2. den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Lüneburg vom 12. November 2015 und den Bescheid der Beklagten vom 19. Dezember 2014 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 29. April 2015 aufzuheben und 3. die Beklagte zur Neuberechnung der mit Bescheid vom 19. Dezember 2014 gewährten Altersrente unter Berücksichtigung weiterer 1,3784 Entgeltpunkte für die dem Grunde nach anerkannten Kindererziehungszeiten zu verpflichten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist zu verwerfen, da die Klägerin trotz ordnungsgemäßer Rechtsbehelfsbelehrung die einmonatige Berufungsfrist des § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nicht eingehalten hat.
Die angefochtene Entscheidung ist ihrer anwaltlichen Bevollmächtigten am 17. November 2015 gegen Empfangsbekenntnis zugestellt worden. Bis zum Ablauf der Monatsfrist am 17. Dezember 2015 um 24 Uhr ist beim hiesigen Gericht lediglich eine im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs übermittelte sog. Verknüpfungsdatei mit dem Dateinamen "J. DRV Berufung.pdf-Verknüpfung" eingegangen. Eine solche Verknüpfungsdatei ermöglicht auf dem Ursprungsrechner, hier also auf dem Computer der Prozessbevollmächtigten der Klägerin, einen Zugriff auf ein anderes Dokument. Sie enthält ihrerseits aber nicht dieses andere Dokument, sondern zeichnet lediglich für die EDV-Anlage den Speicherort des in Bezug genommenen weiteren Dokuments auf. Für Außenstehende, die an anderen EDV-Anlagen arbeiten, enthält eine solche Datei keinen lesbaren Inhalt.
Dementsprechend war auch bei Eingang der Datei am Abend des 17. Dezember 2015 auf der gerichtlichen EDV-Anlage lediglich der o.g. Dateiname, nicht jedoch ein darüber hinausgehender Dateiinhalt lesbar. Abgesehen davon, dass Verknüpfungsdateien als solche von vornherein keines der nach § 2 Abs. 3 der Niedersächsische Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr in der Justiz (Nds. ERVVO-Justiz vom 21. Oktober 2011, Nds. GVBl. 2011, 367) für die Übermittlung von Dateien im elektronischen Rechtsverkehrs nach § 65a SGG allein zulässigen Dateiformate aufweisen, enthalten sie abgesehen von ihrem eigenen Dateinamen überhaupt keinen für Außenstehende lesbaren Inhalt.
Insbesondere hat die Prozessbevollmächtigte der Klägerin die Berufungsschrift, wie sie dann nach dem Hinweis des Gerichts am Folgetag - und damit erst nach Ablauf der Berufungsfrist - per Telefax übermittelt worden ist, nicht bereits am Abend des 17. Dezember 2015 als elektronisches Dokument übermittelt. Die übermittelte Datei enthielt gar nicht diese Berufungsschrift, sondern lediglich einen (für die EDV-Anlage der Prozessbevollmächtigten) maschinenlesbaren Hinweis, an welchem Speicherort die Berufungsschrift auf dem eingesetzten PC im Büro der Bevollmächtigten gespeichert war.
Die Übermittlung des Dateinamens als des allein lesbaren Inhalts der noch fristgerecht am Abend des 17. Dezember 2015 vorgenommenen Datenübermittlung beinhaltete für sich allein noch keine rechtswirksame Berufungseinlegung. Rechtsmittelschriften müssen klar und bestimmt sein. Wesentlich ist insbesondere eine eindeutige Bezeichnung des Rechtsmittelklägers und des Rechtsmittelbeklagten. Die Pflicht, in einer Rechtsmittelschrift jedenfalls eindeutig festzulegen, wer der Rechtsmittelkläger ist, ergibt sich aus der Natur einer fristgebundenen Rechtsmitteleinlegung. Innerhalb der gesetzlichen Frist zur Einlegung des Rechtsmittels muss feststehen, ob sich die Beteiligten des Rechtsstreites mit der vorliegenden und anfechtbaren Entscheidung zufrieden geben oder sie anfechten wollen. Das Erfordernis der Bezeichnung jedenfalls des Rechtsmittelklägers ist deshalb unabhängig davon, ob das angefochtene Urteil näher zu bezeichnen ist oder nicht (BSG, Urteil vom 26. November 1987 - 2 RU 42/87 -, SozR 1500 § 151 Nr 11).
Klarheit und Bestimmtheit der Rechtsmittelschrift müssen sich aus ihr selbst - gegebenenfalls zusammen mit rechtzeitig innerhalb der Berufungsfrist eingehenden Akten und Urkunden - ergeben; und es reicht folglich nicht aus, wenn das Gericht sie durch eigene Ermittlungen zur Kenntnis bekommt (BSG, Urteil vom 26. November 1987, aaO.). Aus der Berufungsschrift allein oder jedenfalls mit Hilfe weiterer Unterlagen, etwa dem beigefügten erstinstanzlichen Urteil, muss bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist eindeutig zu erkennen sein, wer Berufungskläger ist und wer Berufungsbeklagter sein soll (BGH, Beschluss vom 13. März 2007 - XI ZB 13/06 -, Rn. 7, juris).
Im vorliegenden Fall lag bis zum Ablauf der Berufungsfrist lediglich die o.g. Dateibezeichnung vor, weitergehende Unterlagen oder Akten waren für den Senat seinerzeit nicht vorhanden. Auch wenn die vermittels des Dateinamens übermittelte Angabe "J. DRV Berufung" noch den Willen zur Einlegung einer Berufung zum Ausdruck brachte, so blieben doch die Personen von Berufungskläger und Berufungsbeklagter offen. Diese Angabe ließ zudem nicht einmal ansatzweise erkennen, auf welches erstinstanzliche Verfahren sich die Berufung beziehen sollte. Auch anderweitig waren dem Berufungsgericht bei Ablauf der Berufungsfrist keine näheren Anhaltspunkte erkennbar, die Rückschlüsse darauf ermöglicht hätten, welche konkrete Person mit dem - nicht ungebräuchlichen - Namen "Riemer" gemeint war. Auch der betroffene Rentenversicherungsträger war nicht hinreichend konkretisiert.
Die erst nach Ablauf der Berufungsfrist nachträglich eingegangene - die Beteiligten konkret ausweisende - Berufungsschrift kann nach den erläuterten höchstrichterlichen Vorgaben in diesem Zusammenhang nicht herangezogen werden. Ebenso wenig reicht die Möglichkeit aus, dass seinerzeit eine (angesichts der Ausschöpfung der Berufungsfrist bis zum Abend des letzten Tages vor Fristablauf erst nach Ablauf der Berufungsfrist einzuleitende) Rückfrage bei allen niedersächsischen Sozialgerichten nach dort jeweils in den vorausgegangenen Wochen entschiedenen Verfahren, in denen eine Person namens "Riemer" und ein Träger der deutschen Rentenversicherung beteiligt waren, möglicherweise nähere Aufschlüsse im Sinne einer Auffindung des vorliegenden Verfahrens hätte ergeben können.
Allein die Möglichkeit weiterer Ermittlungsmöglichkeiten trägt nicht dem sich aus der Natur einer fristgebundenen Rechtsmitteleinlegung ergebenden Erfordernis (vgl. BSG, aaO.) Rechnung, dass in der Rechtsmittelschrift als solcher (jedenfalls unter Einbeziehung bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist verfügbarer ergänzender Unterlagen) eindeutig festgelegt sein muss, welche konkrete Person der bzw. die Rechtsmittelkläger(in) ist.
Der Klägerin, die sich ein Verschulden ihrer Bevollmächtigten nach § 51 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 202 SGG zurechnen lassen muss, kann auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der versäumten Berufungsfrist in Anwendung des § 67 Abs. 1 SGG gewährt werden. Auch unter Berücksichtigung der Begründung des Wiedereinsetzungsantrages ist davon auszugehen, dass die Bevollmächtigte die Fristversäumnis verschuldet hat.
Diese räumt im Ergebnis ein, dass sie letztlich nicht die Datei mit der Berufungsschrift, sondern lediglich die o.g. Verknüpfungsdatei (also einen "Hinweis auf eine lediglich vorliegende Verknüpfung", wie in diesem Schriftsatz vorgetragen wird) signiert habe. Mangels eines näheren substantiierten Vortrages muss diesbezüglich davon ausgegangen werden, dass diese Verwechselung bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt hätte vermieden werden können.
Die Anfertigung einer Rechtsmittelschrift gehört wegen der Bedeutung dieser Tätigkeit und wegen der inhaltlichen Anforderungen an einen solchen Schriftsatz zu den Geschäften, die der Rechtsanwalt nicht seinem Büropersonal überlassen darf, ohne das Arbeitsergebnis auf Richtigkeit und Vollständigkeit selbst sorgfältig zu überprüfen. Von dieser Verpflichtung entbindet den Rechtsanwalt auch die Verwendung eines speziell für die Rechtsmitteleinlegung erarbeiteten Computer-Programms nicht. Dessen richtiges Funktionieren setzt im konkreten Fall voraus, dass die Daten zutreffend eingegeben und bei der jeweiligen Maßnahme die richtigen Befehle erteilt werden (BGH, Beschluss vom 20. Februar 1995 II ZB 16/94 -, NJW 1995, 1499).
Diese ihr persönlich obliegende Pflicht zur sorgfältigen Prüfung hat die Prozessbevollmächtigte der Klägerin augenscheinlich unterlassen. Ihrer Sorgfalt genügte sie insbesondere nicht bereits damit, dass sie sich davon, wie von ihr vorgetragen wird, davon vergewissert hat, dass auf dem Bildschirm des für die Signatur gebrauchten Computers die richtige Datei, d.h. die Berufungsschrift, angezeigt wurde. Übermittelt wird im elektronischen Rechtsverkehr nicht der Bildschirminhalt als solcher, sondern eine elektronische Datei. Die von der Bevollmächtigten zu erwartende Sorgfalt umfasste mithin auch die gewissenhafte Prüfung, ob der Name der auf dem Bildschirm angezeigten Datei mit dem Namen derjenigen Datei übereinstimmt, die sie signiert und damit zur Übermittlung an das Gericht freigibt. Gerade vor dem Hintergrund, dass EDV-Anlagen mehrere Programme und Dateien gleichzeitig bearbeiten können, muss ein gewissenhafter Bevollmächtigter die Möglichkeit einbeziehen, dass mehrere Programme bzw. Programmschritte (die gleichzeitig oder nacheinander in einem oder ggfs. auch mehreren Bildschirmfenstern ablaufen, Einzelheiten erschließen sich diesbezüglich anhand des ungeachtet der Aufklärungsverfügungen des Senates unsubstantiiert gebliebenen Vortrages der Klägerin und ihrer Bevollmächtigten nicht) auf unterschiedliche Dateien zugreifen.
Die Bevollmächtigte der Klägerin weist jedoch selbst darauf hin, dass sie den Namen der von ihr jeweils zu signierenden Dateien grundsätzlich nicht kontrolliere (vgl. S. 3 des Schriftsatzes vom 15. Februar 2016). Damit räumt sie letztlich selbst ein sorgfaltswidriges Verhalten ein.
Darüber hinaus ist ein weiteres Verschulden der Bevollmächtigten in der Form zu konstatieren, dass sie nicht für eine wirksame Ausgangskontrolle in ihrer Kanzlei Sorge getragen hat. Die von Rechts wegen gebotene wirksame Ausgangskontrolle erfordert insbesondere, dass Rechtsmittelfristen erst dann im Fristenkalender gelöscht werden, wenn das fristwahrende Schriftstück tatsächlich abgesandt worden ist oder zumindest sichere Vorsorge dafür getroffen ist, dass es tatsächlich rechtzeitig hinausgeht. Für die Übermittlung fristwahrender Schriftsätze per Telefax bedeutet dies, dass die Pflicht des Anwalts zur Ausgangskontrolle erst dann endet, wenn feststeht, dass der Schriftsatz wirklich übermittelt worden ist. Mit Rücksicht auf die Risiken beim Einsatz eines Telefaxgerätes kommt der Rechtsanwalt seiner Verpflichtung, für eine wirksame Ausgangskontrolle zu sorgen, nur dann nach, wenn er seinen dafür zuständigen Mitarbeitern die Weisung erteilt, sich einen Einzelnachweis ausdrucken zu lassen, auf dieser Grundlage die Vollständigkeit der Übermittlung zu prüfen und die Not- bzw. Rechtsmittelfrist erst nach Kontrolle des Sendeberichts zu löschen (BGH, Beschluss vom 19. November 1997 - VIII ZB 33/97 -, NJW 1998, 907).
Bezogen auf die Übermittlung von Rechtsmittelschriften im elektronischen Rechtsverkehr bedeutet dies, dass ein Bevollmächtigter seinen MitarbeiterInnen klar und unmissverständlich die Anweisung erteilen (und deren Einhaltung stichprobenartig auch zu überprüfen) hat, dass die Rechtsmittelfrist im Fristenkalender erst dann gelöscht wird, wenn das fristwahrende Schriftstück tatsächlich abgesandt worden ist. Dies darf erst dann angenommen werden, wenn sich der/die zuständige Mitarbeiter/in von der Vollständigkeit der Übermittlung anhand eines entsprechenden Ausdrucks des Sendeprotokolls jedenfalls in der Form vergewissert hat, dass gewissenhaft die Übereinstimmung des Namens der tatsächlich übermittelten Datei mit dem Dateinamen der (vollständigen) Rechtsmittelschrift überprüft worden ist. Nach dem eigenen Vortrag der Bevollmächtigten ist jedoch davon auszugehen, dass diese keine entsprechenden Dienstanweisungen erlassen hat. Da der vorgelegte sog. Screenshot verdeutlicht, dass auch die EDV-Anlage der Klägerin klar angezeigt hat, dass lediglich eine Verknüpfungsdatei (und gerade nicht die selbst die Rechtsmittelschrift beinhaltende Datei) übermittelt worden ist, wäre bei der gebotenen sachgerechten Vorgehensweise der Fehler noch rechtzeitig entdeckt worden.
Im Ergebnis verbleibt umso weniger Raum für die Annahme einer unverschuldeten Fristversäumnis, als ein Rechtsanwalt, der - wie im vorliegenden Fall - die Frist zur Einlegung oder Begründung eines Rechtsmittels bis zum letzten Tag ausschöpft, wegen des damit erfahrungsgemäß verbundenen Risikos sogar noch erhöhte Sorgfalt aufzuwenden hat, um die Einhaltung der Frist sicherzustellen (BGH, Beschluss vom 22. Oktober 2014 - XII ZB 257/14 -, NJW 2015, 171); im vorliegenden Fall hat die Bevollmächtigte aus den bereits aufgezeigten Gründen aber ohnehin bereits die allgemeine Sorgfalt missachtet.
Angesichts der damit zu konstatierenden Versäumung der Berufungsfrist ist nur ergänzend darauf hinzuweisen, dass materiell-rechtlich eine Anspruchsgrundlage für das Begehren der Klägerin nicht erkennbar ist. § 70 Abs. 2 Satz 2 SGB VI schreibt vor, dass für mit sonstigen Beitragszeiten zeitlich zusammentreffende Kindererziehungszeiten zusätzliche Entgeltpunkte mit der Maßgabe zu berücksichtigen sind, dass die Entgeltpunkte für sonstige Beitragszeiten um 0,0833 je Monat erhöht werden, höchstens jedoch um die Entgeltpunkte bis zum Erreichen der jeweiligen Beitragsbemessungsgrenze nach Anlage 2b zum SGB VI. Diesen Vorgaben hat die Beklagte in dem angefochtenen Bescheid, mit dem seinem verlautbarten Regelungsgehalt nach eine umfassende - wenngleich tatsächlich allein durch die Rechtskraft der Entscheidung über den Versorgungsausgleich veranlasste - Neuberechnung der Rente vorgenommen worden ist, korrekt umgesetzt. Auf die zutreffenden Begründungen der angefochtenen Bescheide wird Bezug genommen.
Verfassungsrechtliche Bedenken sind diesbezüglich nicht erkennbar. Die von § 70 Abs. 2 Satz 2 SGB VI in Bezug genommenen Höchstwerte nach Anlage 2b zum SGB VI stellen sicher, dass auch nach Hinzurechnung von Entgeltpunkten für Kindererziehungszeiten die Summe der Entgeltpunkte insgesamt auf die Zahl begrenzt wird, die bei einer Beitragszahlung bis zur Beitragsbemessungsgrenze höchstens erreichbar ist (vgl. BTDrucks 13/8011, S. 67). Die Begrenzung der Beitragspflicht gehörte von Beginn an zu den Grundprinzipien der gesetzlichen Rentenversicherung. Der Gesetzgeber hat mit der Heranziehung dieser Grenzen auch im vorliegend zu beurteilenden Zusammenhang die Grenzen seines nicht unerheblichen Gestaltungsrahmens nicht überschritten (BVerfG, Beschluss vom 29. August 2007 - 1 BvR 858/03 -).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), sind nicht gegeben.