Verwaltungsgericht Braunschweig
Beschl. v. 13.07.2023, Az.: 8 B 286/23

COVID-19; Georgien; Interner Schutz in Georgien; Ombudsperson; Schutzfähigkeit; Schutzwilligkeit; Asylrecht (Georgien); Zur Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit des georgischen Staates

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
13.07.2023
Aktenzeichen
8 B 286/23
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2023, 29977
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGBRAUN:2023:0713.8B286.23.00

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Der georgische Staat ist bei Verfolgungs- oder Gefährdungshandlungen nichtstaatlicher Dritter grundsätzlich schutzwillig und schutzfähig (§ 3d AsylG).

  2. 2.

    Die Schutzwilligkeit im konkreten Fall entfällt nicht bereits deshalb, weil auf mehrere Anzeigen bei einer Polizeibehörde hin keine Schutzmaßnahmen ergehen. Regelmäßig ist es erforderlich und zumutbar, übergeordnete Stellen um Hilfe zu bitten.

  3. 3.

    Interner Schutz gemäß § 3e Abs. 1 AsylG ist nicht bereits deshalb unzumutbar, wenn sich der Ausländer in einem Landesteil niederlassen muss, in dem er keine familiären und/oder sozialen Bindungen hat.

  4. 4.

    Auch unter humanitären Gesichtspunkten und Blick auf die Covid-19-Pandemie ist interner Schutz in Georgien nicht ohne weiteres unzumutbar.

Tenor:

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.

Die Antragsteller tragen die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Gründe

Der (sinngemäße) Antrag der georgischen Antragsteller,

die aufschiebende Wirkung der am 28. Juni 2023 erhobenen Klage gegen die in dem Bescheid der Antragsgegnerin vom 16. Juni 2023 verfügte Abschiebungsandrohung anzuordnen,

bleibt ohne Erfolg.

I. Der Antrag ist gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Var. 1 VwGO statthaft, da die angegriffene Abschiebungsandrohung ein belastender Verwaltungsakt i. S. d. §§ 1 NVwVfG, 35 Satz 1 VwVfG ist, gegen den der Klage keine aufschiebende Wirkung zukommt (§§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, 75 Abs. 1 AsylG). Er ist auch sonst wohl zulässig, weil er voraussichtlich innerhalb der einwöchigen Frist (§ 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG) erhoben worden ist.

II. Der Antrag ist allerdings zum insoweit entscheidungserheblichen Zeitpunkt (§ 77 Abs. 1 Satz 1, 2. Halbsatz AsylG) unbegründet. Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung (§ 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG). Ernstliche Zweifel liegen nur dann vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Abschiebungsandrohung einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (vgl. BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 - 2 BvR 1516/93 -, juris Rn. 99). Müssen - wie hier - nach dem Tatbestand, auf den die Antragsgegnerin ihre Entscheidung über den Asylantrag und daran anknüpfend die Abschiebungsandrohung stützt, bestimmte Voraussetzungen "offensichtlich" vorliegen, hat das angerufene Verwaltungsgericht auch darüber zu befinden, ob gerade das Offensichtlichkeitsurteil der Antragsgegnerin ernstlichen Rechtmäßigkeitszweifeln unterliegt (vgl. BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 - 2 BvR 1516/93 -, juris Rn. 93 f.). Offensichtliche Unbegründetheit im Sinne des § 30 Abs. 1 AsylG besteht, "wenn im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen des Gerichts vernünftigerweise kein Zweifel bestehen kann und sich bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung (nach dem Stand von Rspr. und Lehre) die Abweisung der Klage geradezu aufdrängt" (BVerfG, Beschluss vom 21. Juli 2000 - 2 BvR 1429/98 -, juris Rn. 3).

In Anwendung dieser Maßstäbe konnte die Antragsgegnerin die Schutzanträge als offensichtlich unbegründet ablehnen und die Abschiebungsandrohung verfügen.

1. Die Abschiebungsandrohung findet ihre Rechtsgrundlage in §§ 34 Abs. 1 Satz 1 AsylG, 59 AufenthG. Danach erlässt das Bundesamt eine schriftliche Abschiebungsandrohung, wenn der Ausländer nicht als Asylberechtigter anerkannt wird, ihm nicht die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wird, ihm kein subsidiärer Schutz gewährt wird, die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht vorliegen und er keinen Aufenthaltstitel besitzt.

Ernstliche Zweifel an dem Vorliegen dieser Voraussetzungen bestehen nach Aktenlage unter Berücksichtigung der Klage- und Antragsbegründung nicht. Insoweit verweist das Gericht zunächst in analoger Anwendung von § 77 Abs. 3 AsylG auf die zutreffenden Ausführungen in dem streitgegenständlichen Bescheid der Antragsgegnerin (S. 3 - 8) und stellt fest, dass es diesen vollumfänglich folgt.

2. Auch die Antragsbegründung rechtfertigt keine andere Entscheidung.

a) Die Antragsteller äußern darin zunächst sinngemäß die Rechtsauffassung, der georgische Staat sei kein tauglicher Schutzakteur gemäß § 3d Abs. 1 AsylG und stützen dies auf die bereits in der Anhörung getätigte Angabe, die Antragstellerin zu 1) habe sich insgesamt dreimal an die örtliche Polizeibehörde gewandt und um Schutz vor Bedrohungen durch Bekannte bzw. Geschäftspartners ihres Ex-Ehemanns gebeten. Dieser sei ihr aber versagt worden sei. Selbst wenn man diesen Vortrag als zutreffend unterstellt, folgt aus ihm nicht, dass der georgische Staat kein tauglicher Schutzakteur im Sinne des § 3d AsylG ist.

aa) Es entspricht der aktuellen ständigen Kammerrechtsprechung sowie der weit überwiegenden veröffentlichten (VG Hannover, Urteil vom 13. Januar 2022 - 1 A 7272/17 -, juris; VG Göttingen, Urteil vom 20. Juni 2022 - 2 A 116/18 -, juris; VG Ansbach, Urteil vom 22. Juli 2021 - AN 4 K 19.30253 -, juris ) und nicht veröffentlichten (VG Hannover, Beschluss vom 11. Mai 2023 - 1 B 5308/22 - S. 5 f. - n. v.; VG Stade, Beschluss vom 7. November 2022 - 3 B 1543/22 - S. 4 ff. UA, n. v.; VG Göttingen, Beschluss vom 16. November 2022 - 2 B 237/22- S. 3 f. UA, n. v.; VG Oldenburg, Beschluss vom 26. Januar 2023 - 7 B 4054/22- S. 6 f. UA, n. v.) verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung, dass der georgische Staat bei Verfolgungs- oder Gefährdungshandlungen nichtstaatlicher Dritter grundsätzlich schutzwillig und schutzfähig im Sinne des § 3d AsylG ist, womit die Regelungen aus §§ 3c Nr. 3, 3d Abs. 1 AsylG der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 Abs. 4 und 1 AsylG) und der subsidiären Schutzeigenschaft (§ 4 Abs. 1 AsylG) entgegenstehen.

Nach den zur Verfügung stehenden Erkenntnismitteln sind die georgischen Behörden grundsätzlich bereit und auch in der Lage, gegen kriminelles Unrecht vorzugehen. Es gibt im georgischen Staat wirksame Rechtsvorschriften gegen Kapitalverbrechen, Bedrohung und Körperverletzungsdelikte. Zwar werden die Sicherheitsbehörden in der Öffentlichkeit oft als zurückhaltend oder wenig effektiv wahrgenommen, allerdings ist eine Untätigkeit infolge von Bestechung allgemein nicht mehr zu verzeichnen (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Georgien, Stand: 26. Mai 2023, S. 6). Georgien hat bei der Bekämpfung von Korruption zudem erhebliche Fortschritte gemacht (vgl. Österreichisches Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Länderinformation der Staatendokumentation, Georgien, Stand 1. Dezember 2020, S. 18). Allein der Umstand, dass die staatlichen Organe trotz prinzipieller Schutzbereitschaft nicht immer in der Lage sind, die Betroffenen vor Übergriffen wirkungsvoll zu schützen, führt nicht dazu, die generelle Schutzfähigkeit und Schutzwürdigkeit in Zweifel zu ziehen (so auch VG Hannover, Urteil vom 13. Januar 2022 - 1 A 7272/17 -, juris S. 7 UA). Kein Staat vermag einen nahezu lückenlosen Schutz zu gewährleisten. Die grundsätzliche Schutzbereitschaft eines Staates ist zu bejahen, wenn die zum Schutze der Bevölkerung bestellten Polizeibehörden bei Übergriffen Privater zur Schutzgewährung ohne Ansehen der Person verpflichtet und auch landesweit angehalten sind (so auch VG Stade, Beschluss vom 7. November 2022 - 3 B 1543/22 - S. 5 UA, n. v). Zu einem solchen Verhalten verpflichten die georgischen Gesetze, wie auch schon die Antragsgegnerin in ihrem Bescheid zutreffend dargestellt hat (dort S. 3 f.). Den einschlägigen Erkenntnismitteln ist ferner nicht zu entnehmen, dass es überhaupt oder gar in signifikanter Anzahl Fälle gibt, in denen georgische Sicherheitsbehörden Schutzgesuche ohne Prüfung kategorisch verneint haben. Im Gegenteil liegt es so, dass Georgien über starke nationale und verfassungsrechtlich garantierte Menschenrechtsinstitutionen verfügt. Das Innenministerium mit der nachgeordneten nationalen Polizei trägt die Hauptverantwortung für den Gesetzesvollzug und die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung. Vorfälle von Gewaltanwendung scheinen auf Einzelfälle reduziert, ein systematischer Charakter ist nicht mehr feststellbar (vgl. Österreichisches Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformation der Staatendokumentation, Georgien, Stand 13. Dezember 2022, S. 13 f.). Eine Ombudsperson, die mit einem Mitarbeiterstab von bis zu 140 Personen ausgestattet ist (vgl. Österreichisches Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformation der Staatendokumentation, Georgien, Stand 13. Dezember 2022, S. 22) und dementsprechend über eine hinreichende Wirkungsmacht verfügen dürfte, greift Einzelfälle auf und spricht Missstände aller Art regelmäßig öffentlich an (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Georgien, Stand: 26. Mai 2023, S. 4, 7 f.). Diese Person ist auch befugt, die Staatsanwaltschaft aufzufordern, Untersuchungen einzuleiten (vgl. Österreichisches Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformation der Staatendokumentation, Georgien, Stand 13. Dezember 2022, S. 18). Damit rechtfertigt die Erkenntnismittellage den Schluss, dass sich der weit überwiegende Großteil der georgischen staatlichen Akteure rechtstreu verhält und der georgische Staat in ausreichendem Maße Strukturen implementiert hat, staatliches Fehlverhalten präventiv zu verhindern bzw. nötigenfalls dagegen vorzugehen.

bb) Auch im konkreten Fall hat sich der georgische Staat nicht als schutzunwillig oder schutzunfähig erwiesen. Für eine konkrete Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit spricht zunächst, dass der Ex-Ehemann bzw. Vater der Antragsteller - wenn auch nicht wegen Bedrohungen gegenüber den Antragstellern - von der georgischen Justiz zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt worden ist. Allein aus dem - als wahr unterstellten - Umstand, dass in einer Polizeibehörde auf insgesamt drei Bitten um Schutz vor einer geschilderten Bedrohungslage keine Schutzmaßnahmen ergriffen worden sind, folgt nicht, dass sich der georgische Staat insgesamt im Fall der Antragsteller als konkret schutzunwillig dargestellt hätte.

So ist es bereits nicht auszuschließen, dass die Antragstellerin zu 1) die Bedrohungslage nur vage und unspezifisch geschildert hat, und es den georgischen Behörden folglich nicht möglich war, konkrete Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Auch im Rahmen ihrer Anhörung bei der Antragsgegnerin hat es die Antragstellerin zu 1) nicht vermocht, detailliert und nachvollziehbar darzulegen, von wem sie sich wie in Georgien bedroht gefühlt habe. Sie hat lediglich pauschal angegeben, seit der Verhaftung ihres Ex-Ehemanns werde die Familie bedroht. Ihr Ex-Ehemann habe verlangt, ihr gemeinsamer Sohn - der damals zwölfjährige Antragsteller zu 1) - solle "seine Sache" fortführen, sonst würden "die Leute" ihn (den Ex-Ehemann, Anm. des Gerichts) umbringen. Daraufhin seien "sie" - gemeint sind vermutlich "die Leute", also Bekannte bzw. Geschäftspartner des Ex-Ehemanns der Antragstellerin zu 1) - zu dem Antragsteller zu 2) in die Schule gekommen und hätten auch bei dem Arbeitgeber der Antragstellerin zu 1) angerufen. Sie hätten die Antragsteller gezwungen, "die Sache" von dem Ex-Ehemann der Antragstellerin zu 1) "weiterzuführen" (S. 3 des Anhörungsprotokolls). Diese Angaben schildern eine etwaige Bedrohungslage nur sehr ungenau und vage und bieten mangels zureichender tatsächlicher Anhaltspunkte wenig Anlass und Raum für Schutzmaßnahmen. Weder sind konkrete Bedrohungsakteure noch spezifische Bedrohungshandlungen geschildert worden. Sollte sich die Antragstellerin zu 1) in ähnlicher Weise gegenüber den aufgesuchten georgischen Polizeibeamten geäußert haben, wäre es aus Sicht des beschließenden Gerichts jedenfalls nachvollziehbar, wenn daraufhin mangels konkretem Vortrag keine weiteren Maßnahmen zum Schutz der Antragsteller eingeleitet worden wären.

Aber auch wenn die Angaben der Antragsteller gegenüber der georgischen Polizei aussagekräftiger und detailreicher gewesen waren, so würde die Versagung von Schutzmaßnahmen durch die eine Polizeibehörde, an die sich die Antragsteller gewendet haben, nicht dazu führen, dass sich der georgische Staat im Falle der Antragsteller als insgesamt nicht schutzwillig und -fähig erwiesen hätte. Denn es wäre den Antragstellern möglich und zumutbar gewesen, mit ihrem Anliegen an eine übergeordnete staatliche Stelle, wie etwa die vorgesetzte Dienststelle, die Staatsanwaltschaft oder das Innenministerium, heranzutreten und diese um Hilfe zu bitten (so auch VG Dresden, Beschluss vom 15. Februar 2021 - 7 L 21/21.A - juris S. 7 UA). Dies haben die Antragsteller aber offenbar nicht in Erwägung gezogen. Die in der Anhörung von der Antragstellerin zu 1) geäußerte Vermutung, die Polizei "mache selbst mit", weshalb weitere Schritte erkennbar ohne Erfolg gewesen wären (S. 4 des Anhörungsprotokolls), entbehrt jedem tatsächlichen Substrat. Sie findet auch keinen Niederschlag in den einschlägigen Erkenntnismitteln.

Nichts Anderes folgt aus der von den Antragstellern zitierten Entscheidung des Verwaltungsgerichts Halle (Saale) vom 15. Mai 2023 (5 A 22/22 HAL), die dem beschließenden Gericht im Volltext vorliegt. Dort führt das Verwaltungsgericht Halle (Saale) auf Seite 10 des Urteilsabdrucks aus:

"Wirksamer und nicht nur vorübergehender Schutz im Sinne von § 4 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. § 3d Abs. 2 Satz 1 AsylG steht den Klägern im Herkunftsland nicht zur Verfügung. Der georgische Staat ist zwar nach der Erkenntnislage weder schutzunwillig noch schutzunfähig und die staatlichen Sicherheitsbehörden stehen insbesondere auch bei innerfamiliären Konflikten grundsätzlich zur Verfügung und schreiten tatsächlich ein. Die Wirksamkeit staatlicher Mechanismen zur Untersuchung und Bestrafung missbräuchliche Handlung durch Gesetzesvollzugsbehörden und Sicherheitskräfte ist jedoch begrenzt und Straffreiheit in Fällen missbräuchlicher Handlungen bleibt ein anhaltendes Problem (vgl. Bundesamt für fremden Wesen und Asyl, Länderinformation der Staatendokumentation, Georgien, vom 22. März 2022, Seite 20 m. w. N.). Das Gericht ist im vorliegenden konkreten Einzelfall, in dem sich die Klägerin zu 2. wiederholt Male in verschiedenen georgischen Städten ohne merkliche Erfolge schutzsuchend an die Polizeibehörden gewendet hat, davon überzeugt, dass kein wirksamer Schutz vor dem den Klägern hier drohenden ernsthaften Schaden zur Verfügung steht. Ein solcher Schutz ist nach § 3d Abs. 2 Satz 2 AsylG lediglich dann generell gewährleistet, wenn die in Abs. 1 genannten Akteure geeignete Schritte einleiten, um die Gefahr eines ernsthaften Schadens zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zu Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Gefahr eines ernsthaften Schadens darstellen, und wenn der Ausländer Zugang zu diesem Schutz hat. Dies lässt sich im vorliegenden Fall nicht annehmen, in dem sich nach dem aus dem Inbegriff der mündlichen Verhandlung gewonnenen Überzeugung des Gerichts lediglich eine grundsätzliche, aber eben im konkreten Einzelfall versagende Schutzbereitschaft der Schutzakteure zu konstatieren ist. Die Kläger vollzogen in der Vergangenheit verschiedene Ortswechsel, ohne dass dies die mit dem Exmann der Klägerin zu 2. geschilderten Probleme gelöst hätte."

Diese Erwägungen lassen sich zum einen nicht auf den hier zur Entscheidung anstehenden Sachverhalt übertragen, zum anderen teilt das beschließende Gericht die auszugsweise dargestellten rechtlichen Einschätzungen nicht.

Zunächst geht auch das Verwaltungsgericht Halle (Saale) - anders als die Antragsteller in ihrer Antragsbegründung suggerieren - davon aus, dass der georgische Staat nach der Erkenntnislage weder generell schutzunwillig noch schutzunfähig ist. Weiter unterscheidet sich der dortige Sachverhalt von dem hiesigen. Wie aus dem Auszug der Entscheidungsgründe ersichtlich wird, haben sich die dortigen Kläger wiederholt in verschiedenen georgischen Städten schutzsuchend an unterschiedliche Polizeibehörden gewendet. Weiter sind mehrere Ortswechsel ohne Erfolg geblieben waren, um die Gefährdung von den Klägern abzuwenden. All diese Bemühungen haben die hiesigen Antragsteller selbst nach eigenen Angaben nicht angestrengt, sodass aus der zitierten Entscheidung keine Rückschlüsse für das hier zur Entscheidung anstehende Verfahren gezogen werden können.

Im Übrigen dürfte die von dem Verwaltungsgericht Halle (Saale) gezogene Folgerung, deshalb sei der georgische Staat im konkreten Fall schutzunwillig und schutzunfähig gewesen, jedenfalls nach Einschätzung des beschließenden Gerichts keinesfalls zwingend sein.

Dies folgt bereits daraus, dass das Verwaltungsgericht von einer Grundannahme ausgeht, die sich den einschlägigen Erkenntnismitteln und auch dem zitierten Erkenntnismittel nicht entnehmen lässt. Für die Annahme, die Wirksamkeit staatlicher Mechanismen zur Untersuchung und Bestrafung missbräuchlicher Handlungen durch Gesetzesvollzugsbehörden und Sicherheitskräfte sei begrenzt und Straffreiheit bleibe ein anhaltendes Problem, hat sich das Verwaltungsgericht auf die Länderinformation der Staatendokumentation Georgien des österreichischen Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 22. März 2022 (dort Seite 20) bezogen. Das beschließende Gericht vermag der zitierten Seite dieses Dokuments eine solche Aussage jedoch nicht zu entnehmen. Vielmehr wird auf Seite 20 allgemein zur Rolle der Ombudsperson als Beschwerdeeinrichtung und Aufsichtsperson zur Einhaltung der Menschenrechte ausgeführt. Auf den Seiten davor und danach finden sich Ausführungen zu NGOs und Menschenrechtsaktivisten sowie zum Wehrdienst und zur Rekrutierung.

Auch hat sich das Verwaltungsgericht Halle nicht mit der Fragestellung befasst, ob es den Klägern möglich und zumutbar gewesen wäre, eine übergeordnete Stelle um Hilfe zu bitten, obschon es sich dabei um eine regelmäßig von den Instanzgerichten für erforderlich gehaltene Maßnahme handelt (vgl. VG Ansbach, Urteil vom 22. Juli 2021 - AN 4 K 19.30253 -, juris S. 14 UA; VG Dresden, Beschluss vom 15. Februar 2021 - 7 L 21/21.A - juris S. 7 UA; im Übrigen auch VG Halle (Saale), Urteil vom 27. August 2021 - 5 A 161/20 HAL -, juris S. 14 UA).

b) Daneben - und insoweit rechtlich selbstständig tragend - wären die Antragsteller auf die vorrangige Möglichkeit des internen Schutzes zu verweisen (§§ 4 Abs. 3 Satz 1, 3e Abs. 1 AsylG). Danach steht es der Zuerkennung von internationalem Schutz entgegen, wenn der Ausländer in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung bzw. Gefährdung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und er sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt. Diese Voraussetzungen liegen im Fall der Antragsteller vor.

Anders als sie in ihrer Antragsbegründung meinen, wäre den Antragstellern die Inanspruchnahme von internem Schutz nicht unzumutbar. Die Antragstellerin zu 1) hat bereits in ihrer persönlichen Anhörung auf die Frage, warum sie nicht in einen anderen Landesteil umgezogen sind, die Zumutbarkeit dieser Maßnahme mit der Begründung verneint, sie habe nicht zu ihrer Tochter ziehen können. Diese sei bereits verheiratet und volljährig. Zudem habe die Antragstellerin zu 1) ihrer Tochter keine Probleme bereiten wollen, weil sie davon ausgehe, dass sie und ihr Sohn - der Antragsteller zu 2) - überall gefunden werden könnten (S. 5 des Anhörungsprotokolls). Dieser in der Antragsbegründung lediglich sinngemäß wiederholte Vortrag ist nicht geeignet, eine Unzumutbarkeit im Sinne des § 3e Abs. 1 AsylG zu begründen. Zunächst wäre es den Antragstellern rechtlich möglich, in einen anderen Teil Georgiens zu reisen. Anhaltspunkte dafür, dass eine Reise dorthin nicht sicher wäre, bestehen nicht. Weiter verengen die Antragsteller in ihrer Argumentation die Möglichkeiten von internem Schutz zu Unrecht alleine auf eine Niederlassung an dem Aufenthaltsort der Tochter der Antragstellerin zu 1). Interner Schutz ist nicht bereits dann unzumutbar, wenn der Ausländer sich in einem Landesteil niederlassen muss, in dem er keine bestehenden familiären und/oder sozialen Bindungen und Strukturen hat. Auch bestünde wegen der generellen Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit der georgischen Behörden landesweit Zugang zu einem tauglichen Schutzakteur gemäß § 3d AsylG. Zwar sind bei der Zumutbarkeit der Niederlassung an einem alternativen Aufenthaltsort neben den allgemeinen auch die persönlichen Umstände des Ausländers zu berücksichtigen (vgl. BeckOK AuslR/Kluth, 37. Ed. 1.1.2023, AsylG § 3e Rn. 7), jedoch bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass im konkreten Einzelfall der Antragsteller landesweit eine besondere Gefährdung droht. Soweit die Antragsteller auf eine etwaige Gefährdung durch "die Leute" des Ex-Ehemanns bzw. Vaters abstellen, ist nicht ersichtlich, dass diese über die erforderlichen Ressourcen oder das erforderliche Interesse verfügen würden, die Antragsteller auch in anderen Teilen Georgiens aufzuspüren. Den Angaben der Antragstellerin zu 1) kann insgesamt nicht schlüssig entnommen werden, warum die Bekannten bzw. Geschäftspartner ihres Ex Ehemannes ein solches Interesse daran haben sollten, den noch minderjährigen Antragsteller zu 2) zur Mitarbeit in einem kriminellen Netzwerk zu bewegen.

Soweit die Antragsteller eine Bedrohung durch ihren (sich derzeit in Haft befindlichen) Ex-Ehemann bzw. Vater befürchten, ist auch hier nicht zu erkennen, wie dieser die Antragsteller nach seiner Entlassung aus der Haft in einem anderen Landesteil aufspüren soll. In Georgien gibt es kein dem deutschen System vergleichbares Meldewesen (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Georgien, Stand: 26. Mai 2023, S. 18). Zwar existiert ein auskunftsfähiges Personenregister, es ist aber nicht ersichtlich, auf welcher Grundlage der Ex-Ehemann bzw. Vater der Antragsteller aus diesem eine Auskunft über den neuen Wohnort der Antragsteller erlangen können soll. Weiter wären die Antragsteller erneut darauf zu verweisen, sich auch in einem anderen Landesteil Georgiens an die dortigen Sicherheitsbehörden zu wenden, um Maßnahmen gegen eine (familiäre) Gefährdungslage zu ergreifen.

Den Antragstellern wäre es schließlich auch unter dem Gesichtspunkt der Existenzsicherung zuzumuten, in einem anderen Landesteil ihren Aufenthalt zu nehmen. Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist sichergestellt und georgische Rückkehrer können bei Bedürftigkeit die allgemeinen Sozialleistungen in Anspruch nehmen (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die Asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Georgien, Stand April 2023, S. 16). Eine von den allgemeinen Umständen erheblich negativ abweichende individuelle humanitäre Notlage droht den Antragstellern voraussichtlich nicht. Die Antragstellerin zu 1) ist ausgebildete Krankenschwester, die auch zuletzt in diesem Beruf tätig war, bei dem Antragsteller zu 2) handelt es sich um einen gesunden 15-jährigen Jugendlichen. Dafür, dass insgesamt die Grundversorgung der Antragsteller gesichert wäre, spricht weiter, dass der Lebensunterhalt vor der Ausreise eigenen Angaben zufolge gesichert war und die Ausreise nicht aus wirtschaftlichen Gründen erfolgt ist.

Soweit die Antragsbegründung anführt, das Verwaltungsgericht Halle (Saale) habe in seiner Entscheidung vom 15. Mai 2023 (5 A 22/22 HAL) festgestellt, dass in Georgien kein interner Schutz gemäß § 3e AsylG zur Verfügung stehe, verhilft dieses Vorbringen dem Antrag nicht zum Erfolg. Wie bereits ausgeführt, betrifft die zitierte Entscheidung einen anderen Sachverhalt. Weiter ist den Entscheidungsgründen keine allgemeingültige Aussage zu einem (fehlenden) internen Schutz in Georgien entnehmen. Das Verwaltungsgericht Halle (Saale) hat auf S. 10 f. des Urteilsabdrucks ausgeführt:

"Eine inländische Fluchtalternative im Sinne des § 3e AsylG i. V. m. § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG steht den Klägern nicht zur Verfügung. Gemäß § 3e AsylG wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d hat (Nr. 1) und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (Nr. 2). Diese Voraussetzungen sind im Fall der Kläger nicht gegeben; eine inländische Fluchtalternative steht ihnen nicht zur Verfügung. [...] Gegen die Annahme, dass für die Kläger in einem anderen Teil Georgiens keine begründete Furcht vor Verfolgung droht oder sie dort Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG haben, spricht bereits der Umstand, dass dies den glaubhaften Schilderungen der Kläger zu 1. und 2. zufolge in der Vergangenheit weder in Tiflis, noch in Kobuleti, noch in Batumi, noch in Gori gewährleistet war und der Ex-Mann der Klägerin zu 2. gegenüber signalisierte, dass sie schon irgendwann wieder zurück nach Georgien kämen und er sie dann kriegen werde.

Unbeschadet dessen erscheint den Klägern angesichts der verheerenden Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf die georgische Wirtschaft (vgl. Bundesamt für fremden Wesen und Asyl, Länderinformationsdienst der Staatendokumentation, vom 15. Oktober 2021, S. 47) eine innerstaatliche Fluchtalternative auch unter humanitären Gesichtspunkten nicht zumutbar, zumal die Kläger ihren ebenfalls glaubhaften Angaben zufolge im Herkunftsland nicht mehr über eine Unterkunft verfügen."

Aus diesen Ausführungen wird ersichtlich, dass das Verwaltungsgericht Halle (Saale) nur im konkreten Einzelfall den fehlenden internen Schutz verneint hat. Zudem teilt das beschließende Gericht die obenstehenden rechtlichen Ausführungen nicht.

Das Verwaltungsgericht hat den fehlenden internen Schutz zum einen darauf gestützt, dass der Ex-Ehemann der Klägerin zu 2) diese an verschiedenen Orten aufgespürt und ihr signalisiert habe, er werde "sie dann kriegen" (S. 11 UA). Soweit hieraus der Schluss gezogen wird, es bestünde deshalb kein interner Schutz, ist fraglich, warum aus dem Umstand, dass die Klägerin an vier Orten aufgespürt worden sei, zwingend folgen soll, dass für die Kläger im gesamten Landesgebiet keine Möglichkeit zum Untertauchen bestehe. Auch befassen sich die Entscheidungsgründe nicht mit der Frage, ob den Klägern in keinem Landesteil Zugang zu schutzwilligen staatlichen Behörden zustehen würde, was aber ebenfalls gemäß § 3e Abs. 1 Nr. 1 AsylG der Zuerkennung von internationalem Schutz entgegenstehen würde.

Zum anderen hat das Verwaltungsgericht den fehlenden internen Schutz damit begründet, eine innerstaatliche Fluchtalternative sei unter humanitären Gesichtspunkten angesichts der Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf die georgische Wirtschaft nicht zumutbar (S. 11 UA). Diese Behauptung lässt sich nach Einschätzung des beschließenden Gerichts in ihrer Absolutheit und Pauschalität den einschlägigen Erkenntnismitteln nicht entnehmen. Zwar findet sich in dem hierzu angeführten Erkenntnismittel die Aussage, die Covid-19-Pandemie habe verheerende Auswirkungen auf die Wirtschaft gehabt, und es sei zu einem Anstieg von Arbeitslosigkeit und Armut gekommen (vgl. Österreichisches Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformation der Staatendokumentation, Georgien, Stand 15. Oktober 2021, S. 47). Eine allgemeine humanitäre Notlage, die einen Aufenthalt in Georgien als unzumutbar erscheinen lassen, ist dieser Feststellung nach Ansicht des beschließenden Gerichts aber nicht zu entnehmen. Vielmehr ist es nach aktueller Erkenntnislage so, dass die Grundversorgung der Bevölkerung landesweit gewährleistet ist. Die wirtschaftlichen Auswirkungen der Covid-19-Pandemie sind durch staatliche Maßnahmen jedenfalls abgemildert worden. So hat die georgische Regierung als Reaktion auf die Covid-19-Pandemie ein Hilfspaket im Ausmaß von ca. 563 Mio. € verabschiedet. Auch im Jahr 2021 hat die georgische Regierung weitere Unterstützungsmaßnahmen angekündigt (vgl. Österreichisches Bundesamt für Asyl und Fremdenwesen, Länderinformation der Staatendokumentation, Georgien, Stand 13. Dezember 2022, S. 41 f.). Der Staat übernimmt schließlich auch die Kosten der medizinischen Behandlung bei einer Covid-19-Erkrankung und etwaigen Impfkomplikationen (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Georgien, Stand: 26. Mai 2023, S. 16). Es bestehen in der Summe keine Anhaltspunkte dafür, dass die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie zu einer unzureichenden Grundversorgung oder humanitären Notsituation geführt haben.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83b AsylG.