Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 30.08.2023, Az.: 8 A 206/21
Abwasserabgabe; Einleiterüberwachung; Erhöhungsfaktor; Kläranlage; Probenahmeprotokoll; Schadeinheiten; Störfall; Treu und Glauben; Überwachungswert; Abwasserabgabe: Überschreiten des Überwachungswertes; Störfall; Treu und Glauben; Beweiskraft Probenahmeprotokoll
Bibliographie
- Gericht
- VG Braunschweig
- Datum
- 30.08.2023
- Aktenzeichen
- 8 A 206/21
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2023, 43041
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGBRAUN:2023:0830.8A206.21.00
Rechtsgrundlagen
- BGB § 242
- AbwAG § 4 Abs. 1 Satz 1
- AbwV § 4 Abs. 1 Satz 1
- AbwAG § 4 Abs. 4
- VwGO § 98 iVm ZPO §§ 415, 418
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Die Regelung aus § 4 Abs. 4 Satz 2 AbwAG, wonach bei Überschreitungen der Überwachungswerte die Zahl der Schadeinheiten erhöht wird, ist verfassungsgemäß. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangt weder eine Sonderregelung für Störfälle noch eine gesetzliche Höchstgrenze für die Abwasserabgabe (vgl. bereits BVerwG, Beschluss vom 20. August 1997 8 B 170/97 juris Rn. 22).
- 2.
Auch die während eines Störfalls entnomme Probe darf von der zuständigen Behörde analysiert und ihr Ergebnis der Berechnung der Abwasserabgabe zugrunde gelegt werden. Dabei kommt es nicht darauf an, ob es sich um einen einmaligen Störfall gehandelt hat und ob ein Gewässerschaden eingetreten ist. Der Grundsatz von Treu und Glauben rechtfertigt keine außertatbestandliche Korrektur.
- 3.
Eine erhöhte Abwasserabgabe darf nur gefordert werden, wenn die Nichteinhaltung der Überwachungswerte unter Beachtung des zwingend anzuwendenden Verfahrens nachgewiesen wird. Beachtet die zuständige Behörde im Analyse- und Messverfahren die Anforderungen aus § 4 Abs. 1 Satz 1 AbwV und der Anlage 1 zur AbwV, kommt dem Probenahmeprotokoll die Wirkung einer öffentlichen Urkunde i. S. v. § 98 VwGO i. V. m. §§ 415, 418 ZPO zu. Der Gegenbeweis ist nur geführt, wenn der Abgabenpflichtige das Gegenteil des Urkundeninhalts nachweist (hier verneint).
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, soweit nicht zuvor der Beklagte Sicherheiten in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 144.494,23 € festgesetzt.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen die Festsetzung der Abwasserabgabe für das Veranlagungsjahr 2020.
Die Klägerin ist Betreiberin der Kläranlage H., die in ihrem Gemeindegebiet das Schmutzwasser aufbereitet. Mit Bescheid vom 5. Dezember 2018 erteilte der Beklagte auf einen entsprechenden Antrag hin die Erlaubnis gemäß § 8 Abs. 1 Wasserhaushaltsgesetz (WHG), aus der Anlage bis zu 36 l/s, 130m3/h, 2.500 m3/d, 480.000 m3/a gereinigtes Abwasser in den I. (Gewässer II. Ordnung), Gemarkung H., Flur J., Flurstück K., einzuleiten. Die Jahreswassermenge wurde zunächst mit 234.065 m3 festgesetzt, später mit Änderungsbescheid vom 29. Dezember 2020 mit Wirkung zum 1. Januar 2021 auf 299.765 m3 erhöht. Der Erlaubnisbescheid enthält als Ziff. IV unter anderem die folgenden, auf §§ 13, 57 WHG gestützten Benutzungsbedingungen und Auflagen:
Nr. 1: An der Einleitstelle in das Gewässer sind aus der qualifizierten Stichprobe oder aus der 2 Stunden-Mischprobe folgende Überwachungswerte einzuhalten:
Parameter Überwachungswert Chemischer Sauerstoffbedarf (CSB) 70 mg/l Biochemischer Sauerstoffbedarf in 5 Tagen 15 mg/l Ammoniumstickstoff 8 mg/l Stickstoff (Nges) als Summe der Einzelbestimmungen des Ammoniumstickstoffs, des Nitratstickstoffs und des Nitritstickstoffs 11 mg/l Phosphor gesamt (Pges) 2 mg/l Nr. 3: Die vorstehenden Überwachungswerte gelten auch als eingehalten, wenn die Ergebnisse der letzten fünf im Rahmen der behördlichen Überwachung durchgeführten Überprüfungen in vier Fällen diesen Wert nicht überschreiten und kein Ergebnis diesen Wert um mehr als 100 v. H. übersteigt. Überprüfungen, die länger als drei Jahre zurückliegen, bleiben unberücksichtigt.
Nr. 4: Die Probenahmestelle für die behördliche Überwachung (Gütemessstelle) befindet sich an der Einleitungsstelle in den I.. Die Koordinaten der Probenahmestelle lauten [...].
Nr. 8: Für die Herrichtung der Probenahmestelle, die Probenahme und die Bestimmungsverfahren gelten die in der Abwasserverordnung festgesetzten Vorschriften bzw. die als gleichwertig anerkannten Analysen- und Messverfahren, die eingeführten DIN-Vorschriften, die Regelungen des Abwasserabgabengesetzes und der Verordnung über die Behandlung von kommunalen Abwasser.
Ein Reinigungszyklus in der Kläranlage H. dauert insgesamt acht Stunden und funktioniert im Wesentlichen wie folgt: Schmutzwasser gelangt über das Zulaufpumpwerk 1 in den Mechanischen Vorreiniger, in welchem eine erste grobe Reinigung des Schmutzwassers stattfindet. Anschließend wird das Schmutzwasser über den Misch- und Ausgleichsbehälter in sogenannte Sequencing Batch Reaktoren geleitet. Dabei handelt es sich um eine Form des Belebtschlammverfahrens, wobei die einzelnen Phasen des Belebungsverfahrens - anders als in anderen Verfahren - zeitlich hintereinander lediglich in einem Becken stattfinden, hier im Sequencing Batch Reaktor 1. In diesem folgen wechselweise belüftete und nicht belüftete Phasen, in denen die noch im Schmutzwasser enthaltenen Schadstoffe biologisch abgebaut werden. Anschließend setzt sich in der Sedimentationsphase der Belebtschlamm ab und sinkt zu Boden. Über den Schlammsedimenten bildet sich eine Klarwasserphase. Diese zieht ein Dekanter über dem abgesetzten Klärschlamm ab. Den Dekanter steuert eine Sonde, welche die Einfallstiefe in das Klärwasser bestimmt. Das gereinigte und abgesogene Klarwasser läuft daraufhin in einen Auslaufpuffer, von dem es in den Vorfluter gelangt. Von dort wird es in den I. eingeleitet, wo sich auch die im Erlaubnisbescheid bestimmte Probenahmestelle befindet.
Die behördlichen Probenahmen erfolgten durch den Niedersächsischen Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN). Im Veranlagungsjahr 2020 stellten sich die Ergebnisse der staatlichen Einleiterüberwachung ausweislich der jeweiligen Probenahmeberichte und der Übersicht des Beklagten über die Abwasserabgabe wie folgt dar:
Datum | CSB (mg/l) | Nges (mg/l) | Pges (mg/l) |
---|---|---|---|
23. Januar 2020 | 20 | 2,13 | 1,00 |
24. Februar 2020 | 16 | 3,80 | 2,40 |
9. März 2020 | 15 | 3,75 | 1,10 |
16. März 2020 | 15 | 6,25 | 1,50 |
20. April 2020 | 15 | 9,28 | 2,20 |
26. Mai 2020 | 32 | 0,09 | 1,80 |
18. Juni 2020 | 15 | 0,73 | 1,90 |
20. Juli 2020 | 21 | 0,07 | 3,40 |
23. November 2020 | 77 | 0,08 | 2,90 |
30. November 2020 | 197 | 0,55 | 6,70 |
7. Dezember 2020 | 745 | 0,70 | 23,00 |
Auch am 7. Dezember 2020 führte der NLWKN eine Probenahme durch. Die Probe entnahm L. vom NLWKN um 11:15 Uhr im Beisein von zwei Mitarbeitern der Klägerin, M. und N., an der Einleitungsstelle in den I..
Zu dieser Zeit kam es nach Angaben der Klägerin zu einer technischen Fehlfunktion im Ablauf in der Kläranlage H.. Der Dekanter drang so tief in das Wasser in dem Sequencing Batch Reaktor 1 ein, dass er nicht - wie im Ablauf vorgesehen - nur das gereinigte Klarwasser ansog, sondern auch Belebtschlamm, der daraufhin in den Auslaufpuffer und damit in den I. geleitet wurde. Ursächlich hierfür war nach den Angaben der Klägerin ein mechanisches Problem. Dabei geriet die den Dekanter steuernde Sonde in eine Schrägstellung, welche die Klägerin auf kurze Stromausfälle an dem vorangegangenen Wochenende zurückführte. Die Sonde, so die Klägerin, habe den Abstand zwischen der Position des Dekanters und dem Füllstand des Wassers im Sequencing Batch Reaktor 1 unrichtig abgeglichen, sodass neben dem Klarwasser auch Schlamm mit abtrieb. Als die Mitarbeiter der Klägerin bemerkten, dass das eingeleitete Wasser eine erkennbare dunkle Trübung aufwies, stoppten sie das Ablassen des Wassers aus dem Sequencing Batch Reaktor 1 und machten den Probenahmeleiter O. umgehend hierauf aufmerksam. L. vom NLWKN setzte die Probenahme aber dennoch fort. Mit E-Mail vom 8. Dezember 2020 informierte die Klägerin den Beklagten über den Vorfall, in welcher sie den technischen Fehler bei der Abwasserableitung erklärte.
Die am 7. Dezember 2020 entnommene Probe wurde in der Folge von dem NLWKN analysiert. Dieser fertigte unter dem 20. Januar 2021 einen Bericht über die Probenahme am 7. Dezember 2020, wobei das Probenahmeverfahren ausweislich des Prüfberichts gemäß der DIN-Vorschrift 38402-A11 stattfand. Der NLWKN stellte darin die folgenden Messwerte fest, soweit sie hier von Relevanz sind:
CSB: 745 mg/l
Nges: 0,70 mg/l
Pges: 23,00 mg/l.
Mit Datum vom 8. Februar 2021 erließ der Beklagte den hier streitgegenständlichen Festsetzungsbescheid über die Abwasserabgabe für das Veranlagungsjahr 2020 für die Kläranlage H.. In diesem setzte er die Abwasserabgabe in Höhe von 192.407,00 € fest und verwies zur Berechnung auf den beigefügten Berechnungsbogen. Dieser stellte die Ergebnisse der staatlichen Einleiterüberwachung aus dem Veranlagungsjahr 2020 dar. Vor allem wegen der deutlichen Überschreitung der Überwachungswerte CSB und Pges bei der Probenahme am 7. Dezember 2020 sei es unter Anwendung der Erhöhungsvorschrift aus § 4 Abs. 4 Abwasserabgabengesetz (AbwAG) zu einer Abwasserabgabe in dieser Höhe gekommen.
Am 8. März 2021 hat die Klägerin Klage gegen den Abwasserabgabenbescheid erhoben. Zu deren Begründung trägt sie im Wesentlichen vor: Die Messung am 7. Dezember 2020 sei fehlerhaft gewesen. Bei der Probenahme sei mit der Fehlstellung des Dekanters eine einmalige technische Fehlfunktion aufgetreten. Nachdem diese bemerkt worden sei, sei das Ableiten des Schmutzwassers umgehend gestoppt worden. Die Probe sei damit erkennbar unter nicht repräsentativen Bedingungen entnommen worden. Dass der Mitarbeiter des NLWKN die Probenahme dennoch fortgesetzt und der Beklagte sie bei der Berechnung der Abwasserabgabe berücksichtigt habe, sei treuwidrig. Berechne man die Abwasserabgabe für das Veranlagungsjahr 2020 ohne den Einbezug der am 7. Dezember 2020 gemessenen Werte, so ergebe sich eine Abwasserabgabe in Höhe von 47.912,81 €. In dem darüberhinausgehenden Umfang sei der Abwasserabgabenbescheid rechtswidrig.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 8. Februar 2021 aufzuheben, soweit er einen Betrag in Höhe von 47.912,81 € übersteigt.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er verteidigt den angefochtenen Bescheid und erwidert: Grundlage für die Berechnung der Abwasserabgabe seien gemäß § 4 Abs. 1 AbwAG die in der Einleitungserlaubnis festgelegten Überwachungswerte. Diese seien mehrmals nicht eingehalten worden, sodass die Zahl der Schadeinheiten gemäß § 4 Abs. 4 AbwAG zu erhöhen gewesen sei. Auch die Voraussetzungen für eine Ermäßigung des Abgabensatzes nach § 9 Abs. 5 AbwAG lägen nicht vor, weil zugleich die Mindestanforderungen nach der Abwasserverordnung (AbwV), Anhang 1, nicht eingehalten worden seien. Die Probenahme und -analyse entspräche den in der Abwasserverordnung festgesetzten Vorschriften, insbesondere der DIN 38402-A11. Die bloße Behauptung der Klägerin, die Messung sei fehlerhaft, genüge nicht, um Zweifel an dem Überschreiten der Überwachungswerte zu begründen. Der Analysebericht sowie das Probenahmeprotokoll seien öffentliche Urkunden gemäß §§ 98 VwGO, 415 Abs. 1, 418 Abs. 1 ZPO, sodass die Klägerin den Beweis der Unrichtigkeit der dortigen Angaben führen müsse. Zudem seien die während eines Störfalls der Anlage entnommenen Proben ebenfalls berücksichtigungsfähig, weil das Regelungssystem des Abwasserabgabengesetzes darauf abziele, durch den Druck der Abgabenbelastung den Einleiter dazu anzuhalten, die festgelegten Überwachungswerte einzuhalten. Die Abgabenrelevanz sogenannter "Ausreißer" sei von dem Gesetzgeber in Kauf genommen worden. Zudem seien auch in den vorherigen Probenahmen im Jahr 2020 vereinzelt Verstöße gegen die Überwachungswerte festgestellt worden, sodass es sich bei dem Vorfall am 7. Dezember 2020 nicht um einen atypischen Einzelfall handle, der einer Berücksichtigung entgegenstehe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, den beigezogenen Verwaltungsvorgang des Beklagten sowie die Niederschrift der öffentlichen Sitzung vom 30. August 2023 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist unbegründet.
I. Der Abwasserabgabenbescheid des Beklagten vom 8. Februar 2021 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Der Beklagte war gemäß §§ 1, 9 Abs. 1 AbwAG i. V. m. § 10 Abs. 1 Niedersächsisches Ausführungsgesetz zum Abwasserabgabengesetz (Nds. AG AbwAG) befugt, gegenüber der Klägerin eine Abwasserabgabe durch Bescheid festzusetzen. Nach § 1 AbwAG ist für das Einleiten von Abwasser in ein Gewässer im Sinne des § 3 WHG eine Abwasserabgabe zu entrichten, für die gemäß § 9 Abs. 1 AbwAG der Einleiter abgabepflichtig ist. Die Abwasserabgabe wird gemäß § 10 Abs. 1 Nds. AG AbwAG durch schriftlichen Bescheid festgesetzt.
Die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Festsetzung der Abwasserabgabe und die Heranziehung der Klägerin liegen vor.
1. Der Grund, die Klägerin zu einer Abwasserabgabe heranzuziehen, liegt in dem Einleiten von Abwasser in ein Gewässer im Sinne des § 3 WHG.
Abwasser ist gemäß § 2 Abs. 1 AbwAG Schmutzwasser und Niederschlagswasser. Unter dem Begriff des Einleitens ist gemäß § 2 Abs. 2 AbwAG das unmittelbare Verbringen des Abwassers in ein Gewässer zu verstehen. Gewässer im Sinne des § 3 WHG ist nach § 3 Nr. 1 WHG ein oberirdisches Gewässer, also das ständig oder zeitweilig in Betten fließende oder stehende oder aus Quellen wild abfließende Wasser. Die Klägerin verbringt aus der Kläranlage H., einer Abwasserbehandlungsanlage im Sinne des § 2 Abs. 3 AbwAG, gereinigtes Schmutzwasser über entsprechende technische Vorrichtungen in den I., ein ständig fließendes Wasser.
2. Die Klägerin ist die richtige Abgabenschuldnerin, denn sie ist als Betreiberin der Kläranlage Einleiterin im Sinne des § 9 Abs. 1 AbwAG.
3. Auch die Höhe der festgesetzten Abwasserabgabe ist nicht zu beanstanden.
a) Gemäß § 3 Abs. 1 AbwAG richtet sich die Höhe der Abwasserabgabe nach der Schädlichkeit des Abwassers, die in Schadeinheiten bestimmt wird. Dabei errechnet sich die der Ermittlung der Zahl der Schadeinheiten zugrunde zu legende Schadstofffracht nach den Festlegungen des die Abwassereinleitung zulassenden Bescheides (sog. "Bescheidlösung", § 4 Abs. 1 Satz 1 AbwAG). Die Einhaltung des Bescheides ist im Rahmen der Gewässerüberwachung nach den wasserrechtlichen Vorschriften durch staatliche oder staatlich anerkannte Stellen zu überwachen (§ 4 Abs. 4 Satz 1, 1. Halbsatz AbwAG). Ergibt die Überwachung, dass ein der Abgabenrechnung zugrunde zu legender Überwachungswert im Veranlagungszeitraum nicht eingehalten ist und auch nicht als eingehalten gilt, wird die Zahl der Schadeinheiten erhöht (§ 4 Abs. 4 Satz 2 AbwAG). Die Erhöhung richtet sich nach dem Vomhundertsatz, um den der höchste gemessene Einzelwert den Überwachungswert überschreitet (§ 4 Abs. 4 Satz 3 AbwAG). Wird der Überwachungswert einmal nicht eingehalten, so bestimmt sich die Erhöhung nach der Hälfte des Vomhundertsatzes; wird der Überwachungswert mehrfach nicht eingehalten, nach dem vollen Vomhundertsatz (§ 4 Abs. 4 Satz 4 AbwAG). Ein Überwachungswert gilt gemäß § 6 Abs. 1 Abwasserverordnung (AbwV) auch dann als eingehalten, wenn der gemessene Wert für sich genommen den Überwachungswert übersteigt, die Ergebnisse der vier vorausgegangenen Überprüfungen den Überwachungswert aber nicht überschreiten und kein Ergebnis den Wert von mehr als 100 v. H. übersteigt.
Diese Regelungen zur Ermittlung der Abgabenhöhe sind verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Bundesverwaltungsgericht hat bereits in seiner Entscheidung vom 20. August 1997 ausgeführt, dass § 4 Abs. 4 Satz 2 AbwAG, wonach bei Überschreitungen der Überwachungswerte die Zahl der Schadeinheiten erhöht wird, sowohl unter dem Gesichtspunkt des Bestimmtheitsgebotes als auch dem Grundsatz der Tatbestandsmäßigkeit von Verfassung wegen nicht zu beanstanden ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 20. August 1997 - 8 B 170/97 - juris Rn. 14 ff.). Darüber hinaus ist in der bundesverwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung geklärt, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Rahmen der Erhöhungsvorschrift des § 4 Abs. 4 AbwAG weder eine gesetzliche Sonderregelung für Störfälle noch eine gesetzliche Höchstgrenze für die Abgabenbelastung erfordert. Insoweit verweist die erkennende Kammer auf die diesbezüglichen Ausführungen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 20. August 1997 - 8 B 170/97 - juris Rn. 22):
"Zunächst ist davon auszugehen, daß das Regelungssystem des § 4 Abs. 4 AbwAG - wie auch die dem Abwasserabgabengesetz zugrundeliegende "Bescheidlösung" insgesamt - maßgeblich darauf abzielt, durch den Druck der Abgabenbelastung den Einleiter dazu anzuhalten, die festgelegten Überwachungswerte von sich aus einzuhalten und sogar möglichst zu unterbieten (Meßerschmidt, a.a.O., S. 255 f.; Urteil vom 12. Februar 1988 - BVerwG 4 C 24.85 -, a.a.O., S. 3), um damit zugleich den wasserrechtlichen Verwaltungsvollzug ohne Verlust an Effektivität zu entlasten. Der Gesetzgeber hat sich zur Verstärkung dieser abgabenrechtlichen Flankierungswirkung bewußt für harte finanzielle Folgen bei Überschreitungen der Überwachungswerte entschieden (Berendes, a.a.O., S. 96 f.; BTDrucks 10/5533, S. 9 f.) und ausdrücklich schon eine einmalige Überschreitung als Rechtfertigung für eine überproportionale Abgabensteigerung ausreichen lassen. Damit hat der Gesetzgeber die Abgabenrelevanz sog. "Ausreißer" grundsätzlich in Kauf genommen (BTDrucks 10/5533, S. 12). Auch diese Typisierung ist aus den genannten Gründen zulässig, weil angesichts der statistischen Erwartung jedenfalls typischerweise kein offensichtlicher Widerspruch zum wahrscheinlichen Emissionsverlauf anzunehmen ist. Die gesetzliche Lösung ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden. Sie dient im Zusammenhang der Gesamtregelung der Effektivität der Abwasserabgabe als Flankierungsinstrument zur Sicherung des wasserrechtlichen Vollzugs, indem sie den Anreiz für die Einleiter deutlich erhöht, weitgehende Vorsorge zur Verhinderung von Störfällen zu treffen. Sie ist demnach geeignet und nach dem gesetzlichen Bescheidsystem erforderlich, um das mit der Abwasserabgabe verbundene Lenkungsziel effektiv zu erreichen. Diese Auswirkung der Erhöhungsregelung des § 4 Abs. 4 AbwAG ist auch nicht unangemessen im engeren Sinne. Der Einleiter hat es - jedenfalls regelmäßig - in der Hand, durch Vorsorgemaßnahmen die Entstehung von Störfällen zu verhindern oder zumindest ihr Ausmaß in Grenzen zu halten. Auch soweit dies für den Einleiter im Einzelfall nicht möglich sein sollte, bleibt er abwasserrechtlich "Verursacher" der Gewässerschädigung und muß ggf. finanziellen Rückgriff auf den für den Störfall letztlich Verantwortlichen nehmen, um den ihm durch die Abgabenerhöhung entstandenen Schaden auszugleichen. Im übrigen nimmt § 4 Abs. 4 AbwAG insoweit auf die Problematik von Störfällen Rücksicht, als das Gesetz von einer Erhöhung dann absieht, wenn ein Überwachungswert - trotz tatsächlicher Überschreitung - "als eingehalten gilt". Damit läßt es zu (vgl. Ziff. 2.2.4 der Rahmen- Abwasser-VwV zu § 7 a WHG), einen "Ausreißer" in einer Kette von 5 Messungen als unbeachtlich einzustufen. Angesichts dessen und der Möglichkeit, dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz sowie dem Willkürverbot im Rahmen des behördlichen Ermessens bei der wasserrechtlichen Überwachung in der Weise Geltung zu verschaffen, daß anläßlich eines Störfalls jedenfalls in der Regel nicht mehr als ein Meßergebnis einbezogen wird, brauchte der Gesetzgeber über die bereits anderweitig geregelten Vorschriften über Erlaß und Stundung hinaus keine spezielle Höchstgrenze in § 4 Abs. 4 AbwAG vorzusehen (ebenso: Meßerschmidt, a.a.O., S. 258; Berendes, a.a.O., S. 97 und 98 f.)."
Diese Grundsätze hat das Bundesverwaltungsgericht nachfolgend mehrfach bestätigt (vgl. BVerwG, Urteil vom 2. November 2006 - 7 C 5/06 -, juris Rn. 21; Beschluss vom 15. April 2008 - 7 B 9/08 -, juris Rn. 14). Auch das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht geht davon aus, dass die bei einem Störfall gemessenen Werte bei der Festsetzung der Abwasserabgabe zu berücksichtigen sind, selbst wenn der Störfall nur von kurzer Dauer war und kein Gewässerschaden nachgewiesen wurde, denn bereits das Einleiten von potentiell schädlichem Abwasser soll verhindert werden (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 21. Juni 2017 - 9 LA 56/17 - S. 9 f. EA, n. v.).
b) Ausgehend von dem gesetzlichen Rahmen und den vorstehenden Maßgaben hat der Beklagte die bei der Probenahme vom 7. Dezember 2020 ermittelten Werte zu Recht bei der Festsetzung der Abwasserabgabe berücksichtigt.
Bei der Probenahme am 7. Dezember 2020 kam es zu einem sogenannten Störfall. Soweit die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung diesen Begriff im Zusammenhang mit der Berechnung der Abwasserabgabe und § 4 Abs. 4 AbwAG verwendet, ist zunächst zu beachten, dass es sich dabei sich nicht um einen Rechtsbegriff aus dem Normtext handelt. Vielmehr wird damit in der Rechtsprechung ein Fehler im Betriebsablauf beschrieben. Die erkennende Kammer fasst daher unter den Begriff des Störfalls, dass ein technischer oder mechanischer Ablauf wegen bestimmter Umstände nicht wie technisch oder mechanisch vorgesehen vonstattengeht, der Betrieb mithin nicht bestimmungsgemäß abläuft. Dieses Begriffsverständnis spiegelt sich auch im allgemeinen Sprachgebrauch wieder (vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/St%C3%B6rfall). Nach den eigenen, unbestrittenen und in der mündlichen Verhandlung wiederholten Angaben der Klägerin drang am 7. Dezember 2020 der Dekanter infolge eines mechanischen Fehlers der ihn steuernden Sonde zu tief in den Sequencing Batch Reaktor 1 ein und leitete daher nicht nur Klarwasser, sondern auch Belebtschlamm in den Vorfluter und den I. ab. Damit ging der Betriebsablauf nicht so vonstatten wie er technisch vorgesehen ist.
Die aus dieser während eines Störfalles erfolgten Probenahme ermittelten Werte hat der Beklagte im Einklang mit der ober- und bundesverwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung zu Recht berücksichtigt. Ob es sich um einen einmaligen Störfall gehandelt hat, ob die Mitarbeiter der Klägerin sofort das Absaugen von weiterem Belebtschlamm verhindert haben oder ob überhaupt ein Gewässerschaden eingetreten ist, ist mit Blick auf die obenstehenden Ausführungen unerheblich und führt nicht dazu, dass die Berücksichtigung der Ergebnisse aus der Probenahme vom 7. Dezember 2020 unzulässig ist.
c) Die Einwendung der Klägerin, es sei unbillig und widerspräche dem Gebot von Treu und Glauben (§ 242 BGB), die Probenahme vom 7. Dezember 2020 bei der Ermittlung und Festsetzung der Abwasserabgabe zu berücksichtigen, greift nicht durch.
Zum einen besteht aufgrund des eindeutigen bundesgesetzgeberischen Willens kein Raum für eine außertatbestandliche Korrektur der Abwasserabgabe über das (grundsätzlich auch im öffentlichen Recht anwendbare, vgl. BVerwG, Beschluss vom 15. September 2011 - 9 B 11/11 -, juris Rn. 6) Gebot von Treu und Glauben. Fordert schon das Gesetz die unbedingte Berücksichtigung von bei Störfällen entnommenen Proben, so kann darin keine über das Gebot von Treu und Glauben zu korrigierende Unbilligkeit liegen. Über diese bundesgesetzliche Wertung kann sich auch der Landesgesetzgeber aus Kompetenzgründen nicht hinwegsetzen. Daneben wird durch den Verweis des niedersächsischen Gesetzgebers in § 11 Abs. 1 Nr. 9 Niedersächsisches Ausführungsgesetz zum Abwasserabgabengesetz (Nds. AG AbwAG) auf die Billigkeitsregelung aus § 163 Abs. 1 Abgabenordnung (AO) deutlich, dass eine mögliche Reduzierung der Abwasserabgabe einem gesonderten Verfahren vorbehalten ist.
Zum anderen teilt die erkennende Kammer die Auffassung der Klägerin, die Probenahme am 7. Dezember 2020 sei nicht repräsentativ sowie die Messung unrichtig und daher unverwertbar gewesen, nicht. Es trifft zwar zu, dass eine Abwasserabgabe nur gefordert werden kann, wenn die Nichteinhaltung eines Überwachungswerts durch eine ordnungsgemäße, d.h. abgaberechtlich verwertbare Messung nachgewiesen wird. Dafür muss die Untersuchung der Abwasserprobe mit all ihren Randbedingungen (z. B. Probenahme, Homogenisierung, Teilung u. a.) dem zwingend anzuwendenden Verfahren entsprechen (vgl. BayVGH, Urteil vom 7. Februar 2020 - 8 B 18.2212 -, juris Rn. 19). Daran bestehen im vorliegenden Fall allerdings keine Zweifel, wie auch die Klägerin selbst in der mündlichen Verhandlung eingeräumt hat. Nicht bei der Entnahme und Analyse der Abwasserprobe trat am 7. Dezember 2020 ein Fehler auf, sondern in dem technischen Ablauf bei der Reinigung von Schmutzwasser innerhalb der Kläranlage. Dieser ist dem Verantwortungsbereich der Klägerin zuzuordnen und ohne Auswirkungen auf die Richtigkeit der Probenahme und -untersuchung.
Die Anforderungen an das Analyse- und Messverfahren werden gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 AbwV in der Anlage 1 zur AbwV geregelt. Dort wird unter der Ziffer I. 2. zu dem Parameter "Probenahme von Abwasser" auf das Verfahren "DIN 38402-11 (A11) (Ausgabe Februar 2009)" verwiesen. Diese Bestimmung findet ihre Entsprechung in dem Erlaubnisbescheid vom 5. Dezember 2018, dort Ziff. IV. 8. der Auflagen. Über die Probenahme am 7. Dezember 2020 hat der NLWKN am 20. Januar 2021 einen Prüfbericht verfasst. Bei diesem Protokoll handelt es sich um eine öffentliche Urkunde im Sinne von § 98 VwGO i. V. m. §§ 415 Abs. 1, 418 Abs. 1 ZPO; die hierin enthaltenen Angaben über die Menge des Abwassers und die Schadstoffkonzentrationen sind "Tatsachen" im Sinne von § 98 VwGO i. V. m. § 418 Abs. 1 ZPO. Das Messprotokoll enthält bei verständiger Würdigung auch die Aussage, dass die Messung fehlerfrei erfolgt ist. Denn es ist ausreichend, dass sich ein bestimmter Urkundeninhalt durch Auslegung ermitteln lässt. Die Protokollierung von Messungen und Messergebnissen hat nur dann einen nachvollziehbaren Sinn, wenn zugleich die Ordnungsgemäßheit der Probenahme bescheinigt wird. (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Januar 2002 - 9 C 4/01 -, juris Rn. 38; Beschluss vom 28. Oktober 2004 - 9 B 6/04 -, juris Rn. 7). Der Inhalt der Urkunde begründet den vollen Beweis für die darin bezeugten Tatsachen. Vorliegend enthält das Probenahmeprotokoll die für die Dokumentation der Probenahme notwendigen Angaben der nach § 4 Abs. 1 AbwV i. V. m. Ziff. I. 2. der Anlage 1 anwendbaren Verfahrensvorschriften. Dem Prüfbericht des NLWKN ist zu entnehmen, dass die Probenahme an der im Erlaubnisbescheid festgesetzten Messstelle unter Anwendung des im Bescheid und auch in der Anlage 1 zur AbwV festgesetzten Verfahrens DIN 38402-A11 erfolgt ist. Ebenfalls ist diesem Protokoll die Überschreitung der in dem Bescheid festgelegten Überwachungswerte zu entnehmen. Damit erbringt das Protokoll den vollen Beweis dafür, dass die Werte der Probenahme am 7. Dezember 2020 in den angegebenen Verfahren ordnungsgemäß festgestellt worden sind.
Gemäß § 98 VwGO i. V. m. § 418 Abs. 2 ZPO ist zwar der Gegenbeweis zulässig. Dieser wäre aber nur dann erbracht, wenn das Gericht vom Gegenteil des Urkundeninhalts überzeugt ist. Die bloße Möglichkeit eines anderen Geschehensablaufs genügt nicht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 28. Oktober 2004 - 9 B 6/04 -, juris Rn. 13; VG Düsseldorf, Urteil vom 9. August 2012 - 8 K 8037/10 -, juris Rn. 38). Gegen die Richtigkeit dieser im Protokoll festgehaltenen Tatsachen, insbesondere zur Wahrung der Verfahrensbestimmungen und der zutreffenden Ermittlung der Messwerte, hat die Klägerin nichts vorgetragen. Sie hat sich alleine darauf zurückgezogen, die Probe sei aufgrund der Fehlstellung des Dekanters nicht verwertbar. Dabei handelt es sich aber gerade um einen die Festsetzung der Abwasserabgabe nicht behindernden Störfall im Betrieb der Kläranlage, nicht um einen Fehler in der Entnahme und Analyse der Probe.
Nichts Anderes gilt für ihr schriftsätzliches und in der mündlichen Verhandlung wiederholtes Vorbringen, die Probe sei unter nicht repräsentativen Umständen entnommen worden und ihre Berücksichtigung deshalb treuwidrig. Allein der Umstand, dass bereits mit dem bloßen Auge aufgrund der trüben Färbung erkennbar war, dass das eingeleitete Wasser nicht lediglich gereinigtes Klarwasser enthielt, führt nicht dazu, dass die Probenahme unzulässig wird. Diese Annahme der Klägerin findet keine Stütze im Gesetzestext. Sie widerspricht auch dem der Probenahme zugrundeliegenden Sinn und Zweck. Der Einleiter soll wegen der Zufälligkeit der Stichproben stets zu allen Zeiten vorschriftsgemäß unter Beachtung der Überwachungswerte Abwasser einleiten, um so eine Gewässergefährdung zu verhindern. Dieser Zweck wäre konterkariert, würde man ihm einen "zweiten Versuch" gestatten, sollte bei der Probenahme auffallen, dass das Abwasser nicht wie beabsichtigt gereinigt worden ist.
d) Fehler bei der Berechnung der Abwasserabgabe einschließlich des Erhöhungsfaktors nach § 4 Abs. 4 AbwAG sind nicht erkennbar und werden von der Klägerin auch nicht geltend gemacht.
Auf Rechtsfolgenseite handelt es sich um eine gebundene Entscheidung, sodass die Abgabe zu erheben war.
II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 167 Abs. 1 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 11, 711 ZPO.
III. Die Streitwertfestsetzung findet ihre Grundlage in § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG.