Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 25.09.2008, Az.: L 8 SO 155/06
Höhe der vom Einkommen abzusetzenden Fahrtkosten i.R.e. Leistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes; Berechnung von absetzbaren Fahrtkosten als Aufwendungen zur Erzielung von Einkommen
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 25.09.2008
- Aktenzeichen
- L 8 SO 155/06
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2008, 28288
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2008:0925.L8SO155.06.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Braunschweig - 04.08.2006 - AZ: S 20 SO 59/05
Rechtsgrundlage
- § 76 Abs. 2 Nr. 4 BSHG
Redaktioneller Leitsatz
Ein Klageantrag, der einer rechtlichen Grundlage offensichtlich entbehrt und nur gestellt wird, um den Beschwerdewert zu erhöhen, wird bei der Berechnung des Wertes des Beschwerdegegenstands nicht berücksichtigt.
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Braunschweig vom 4. August 2006 wird als unzulässig verworfen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Höhe der im Rahmen der dem Kläger gewährten Sozialhilfe Hilfe zum Lebensunterhalt im Zeitraum von April bis Dezember 2004 vom Einkommen des Klägers abzusetzenden Fahrtkosten.
Der Kläger, geboren am 9. Dezember 1985, stand gemeinsam mit seiner Mutter und seinem Bruder, mit denen er eine Wohnung im H. in I. bewohnte, im Bezug von Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Bundessozialhilfegesetz - BSHG. Am 1. August 2003 begann er eine Berufsausbildung zum Anlagenmechaniker bei der Firma J. Wasseraufbereitung in K ... Er erhielt im ersten Ausbildungsjahr 326,- Euro und im zweiten Ausbildungsjahr 335,- Euro Ausbildungsvergütung brutto. Zusätzlich zu den Aufwendungen für Fahrten nach K. zum Ausbildungsbetrieb entstanden ihm ein Mal wöchentlich während der Schulzeit Aufwendungen für Fahrten zur Berufsschule in L ...
Der Beklagte gewährte der Mutter des Klägers für den Zeitraum ab August 2003 mit Bescheiden vom 23. Juli 2003, 26. August 2003, 2. September 2003, 23. September 2003, 24. Oktober 2003, 25. November 2003, 16. Dezember 2003, 26. Januar 2004, 8. März 2004, 25. März 2004, 26. April 2004, 25. Mai 2004, 25. Juni 2004, 27. Juli 2004, 4. August 2004 und 25. August 2004 Hilfe zum Lebensunterhalt - HLU - nach §§ 11 ff. BSHG, wobei er seit September 2003 ein Nettoerwerbseinkommen des Klägers in Höhe von 258,51 Euro ansetzte und hiervon u.a. 54,- Euro für Fahrtkosten in Abzug brachte (eine Monatsfahrkarte für Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln). Die Bescheide waren - auch nach Vollendung des 18. Lebensjahres des Klägers - allein an dessen Mutter als Adressatin gerichtet. Nachdem der Kläger mit einem Schreiben vom 23. September 2004 Widerspruch gegen alle Bescheide seit August 2003 erhoben hatte, da er wegen der eingetretenen Volljährigkeit einen eigenen Bescheid hätte erhalten müssen und u.a. höhere Fahrtkosten zu übernehmen seien, bewilligte die für den Beklagten handelnde Samtgemeinde I. dem Kläger allein ab 01.10.2004 mit Bescheid vom 25.09.2004 Leistungen. Im streitigen Zeitraum ergingen noch die Folgebescheide vom 22. Oktober 2004 und 24. November 2004, ebenfalls gerichtet an den Kläger persönlich, für den Zeitraum bis Ende Dezember 2004. Auch in diesen Bescheiden waren jeweils Fahrtkosten i.H.v. 54,- Euro monatlich berücksichtigt. Der Kläger erhob am 20. Oktober 2004 Widerspruch gegen den Bescheid vom 25. September 2004, u.a. weil die Fahrtkosten zu gering seien. Es müsse ein Mal pro Woche eine Fahrt zur Berufsschule nach L. (Entfernung: 60 km) durchgeführt werden. Am 01.11.2004 erhob er Widerspruch gegen den Bescheid vom 22. Oktober 2004.
Mit Widerspruchsbescheid vom 31. Januar 2005 wies der Beklagte den Widerspruch vom 23. September 2004 gegen die o.g. laufenden Bewilligungen im Zeitraum vom 1. August 2003 bis einschließlich September 2004 als unzulässig zurück, da der Widerspruch verspätet eingelegt worden sei. Den Widersprüchen vom 20. Oktober und 1. November 2004 gegen die Bescheide vom 25. September und 22. Oktober 2004 half er insoweit ab, als ab 20. Oktober 2004 bis 31. Dezember 2004 ein Betrag i.H.v. 53,50 Euro für die Fahrt zur Berufsschule nach L. nachgezahlt werde (9 Fahrten zur BBS, Hin- und Rückfahrten (18), Preisstufe 3, 29,50 Euro für eine 10er-Karte und 2 x 12,- Euro für zwei 4er-Karten). Die Zeit vor dem 20. Oktober 2004 sah der Beklagte als vergangenen Bedarf an, für den im Nachhinein keine Leistungen zu erbringen seien.
Am 2. März 2005 hat der Kläger vor dem Sozialgericht (SG) Braunschweig Klage erhoben. Zur Begründung hat er ausgeführt, er habe keine Kenntnis von den an seine Mutter gerichteten Bescheiden gehabt. Deshalb sei der Widerspruch vom 23. September 2004 gegen alle den Zeitraum seit August 2003 regelnden Bescheide nicht verfristet gewesen. Er begehre die Anerkennung der Kosten für eine Monatsbusfahrkarte von I. nach K. und zurück im Zeitraum bis Dezember 2004, hilfsweise für den Zeitraum ab April 2004 bis Dezember 2004 Anerkennung von Fahrtkosten von 16 km je einfache Fahrt mit dem Pkw von I. nach K ... Das SG Braunschweig hat die Klage mit Urteil vom 4. August 2006 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass zwar die seit August 2003 erlassenen Bescheide nicht bestandskräftig geworden seien, da sie dem Kläger nicht bekannt gegeben worden seien. Doch handele es sich bei den von dem Kläger noch geltend gemachten Fahrtkosten um vergangenen Bedarf.
Gegen das am 31. August 2006 zugestellte Urteil hat der Kläger am 2. Oktober 2006, einem Montag, Berufung eingelegt. Zur Begründung führt er aus, dass es sich bei den Fahrtkosten nicht um einen vergangenen Bedarf handele, zumal aus der Verwaltungsakte ersichtlich gewesen sein dürfte, dass der Kläger in K. seine Ausbildung absolvierte. Die Fahrtkosten bei Benutzung eines Pkw seien nach § 76 BSHG zu berechnen.
Der Kläger beantragt nach seinem schriftlichen Vorbringen,
- 1.
das Urteil des Sozialgerichts Braunschweig vom 4. August 2006 aufzuheben und die Bescheide des Beklagten vom 25.03.2004, 26.04.2004, 25.05.2004, 25.06.2004, 27.07.2004, 04.08.2004, 25.08.2004, 25.09.2004 und 22.10.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Januar 2005 zu ändern,
- 2.
den Beklagten zu verurteilen, im Zeitraum vom 2. April 2004 bis 31. Dezember 2004 die Fahrtkosten des Klägers zur Arbeitsstelle in K. in Höhe von 848,- Euro zu erstatten,
- 3.
den Beklagten zu verurteilen, die Notwendigkeit für die Hinzuziehung eines Prozessbevollmächtigten in den Widerspruchsverfahren gegen den Bescheid vom 25. September 2004 und gegen den Bescheid vom 22. Oktober 2004 anzuerkennen und die Kosten des Widerspruchsverfahrens in voller Höhe zu erstatten.
Der Beklagte beantragt schriftlich,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verweist auf die Ausführungen in seinem Widerspruchsbescheid vom 31. Januar 2005 und die Ausführungen im Urteil des Sozialgerichts Braunschweig. Bei den weiterhin geforderten Fahrtkosten des Klägers handele es sich um vergangenen Bedarf. Der Kläger habe dem Beklagten zu keinem Zeitpunkt mitgeteilt, dass er für die Fahrten zur Arbeitsstelle einen Pkw benutze.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und der Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Rechtszüge und der Beiakten Bezug genommen. Sie waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Beratung.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist nicht statthaft und war deshalb gemäß § 158 S.1 Sozialgerichtsgesetz - SGG - als unzulässig zu verwerfen. Der Berufungsbeschwerdewert von mehr als 500,- EUR gemäß § 144 Abs. 1 S 1 Nr. 1 SGG in der bis 31. März 2008 gültigen Fassung ist nicht erreicht. Das SG hat die Berufung nicht gemäß § 144 Abs. 2 SGG zugelassen.
Streitig sind nach dem Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 7. November 2007 die Fahrtkosten im Zeitraum 2. April 2004 bis 31. Dezember 2004. Der Kläger begehrt danach die Anerkennung von Fahrtkosten "für einen PKW zur Arbeitsstelle in K. in Höhe von 1.280 EUR abzüglich gezahlter 8 x 54 EUR = 432 EUR, mithin 848 EUR". Die Höhe richte sich nach § 76 BSHG. Diese Berechnung des Prozessbevollmächtigten des Klägers ist nicht nachvollziehbar:
Gemäß § 76 Abs. 2 Nr. 4 BSHG sind vom Einkommen abzusetzen die mit der Erzielung des Einkommens verbundenen notwendigen Ausgaben. Hierzu gehören die notwendigen Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte (§ 3 Abs. 4 Nr. 2 der Verordnung zur Durchführung des § 76 des BSHG vom 28. November 1962, geändert durch Gesetz vom 21.12.2000, BGBl. I S. 1983 - Einkommens-VO -). Gemäß § 3 Abs. 6 Nr. 2 der genannten Verordnung ist bei Benutzung eines Pkw ein monatlicher Pauschbetrag von 5,20 Euro für jeden vollen Kilometer, den die Wohnung von der Arbeitsstätte entfernt liegt, abzusetzen. Voraussetzung hierfür ist, dass ein öffentliches Verkehrsmittel nicht vorhanden oder dessen Benutzung im Einzelfall nicht zumutbar ist.
Unter Anwendung dieser Vorschrift - unabhängig von der Frage, ob die weiteren Voraussetzungen erfüllt sind - würde sich für den Kläger ein monatlicher Absetzbetrag i.H.v. 83,20 Euro errechnen (16 km einfache Entfernung zur Ausbildungsstätte x 5,20 Euro). Sein ausdrücklich auf § 76 BSHG i.V.m. der Einkommens-VO gestütztes Begehren beträgt demnach für den geltend gemachten Zeitraum zusätzliche 262,80 Euro: 83,20 Euro monatlich bei Benutzung eines privaten PKW abzüglich der anerkannten 54,00 Euro monatlich x 9 Monate. Wie der Kläger auf die geltend gemachte Summe (1.280 Euro) kommt, ist nicht verständlich und von ihm bzw. seinem Prozessbevollmächtigten auch nicht näher erläutert worden. Ein Antrag, der offensichtlich einer rechtlichen Grundlage entbehrt und nur gestellt wird, um den Beschwerdewert zu erhöhen, wird bei der Berechnung des Wertes des Beschwerdegegenstands nicht berücksichtigt (vgl. Meyer-Ladewig/ Keller/Leitherer, SGG, 8. Auflage, § 144 Rdnr 20 m.w.N.).
Die Kosten der Widerspruchsverfahren betreffend die Widersprüche vom 20. Oktober 2004 und vom 01. November 2004, die der Kläger außerdem geltend macht, erhöhen den Berufungsstreitwert nicht. Massgeblich für die Berechnung des Beschwerdewerts ist § 202 SGG i.V.m. §§ 3 bis 9 Zivilprozessordnung - ZPO. Bei Zahlungsansprüchen ist auf den Geldbetrag abzustellen, um den unmittelbar gestritten wird (Meyer-Ladewig a.a.O. Rdnr 15). Gemäß § 4 ZPO bleiben Früchte, Nutzungen, Zinsen und Kosten bei der Wertberechnung unberücksichtigt, wenn sie als Nebenforderungen geltend gemacht werden. Eine Nebenforderung ist ein Anspruch, den dieselbe Partei neben dem Hauptanspruch erhebt und der sachlichrechtlich vom Hauptanspruch abhängig ist (Baumbach/ Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 66. Auflage, § 4 Rdnr 10) Der Kostenerstattungsanspruch ist von dem Bestehen der Hauptforderung abhängig, sodass es sich auch bei den Aufwendungen für das Widerspruchsverfahren um eine Nebenforderung im Sinn von § 4 ZPO handelt, solange die Hauptforderung streitig ist. Zu den Kosten im Sinn des § 4 ZPO zählen nicht nur die durch die Einleitung und Führung eines Prozesses ausgelösten Kosten, sondern auch diejenigen, die der Vorbereitung des konkret bevorstehenden Rechtsstreits dienen (BGH, Beschluss vom 20.10.2005, I ZB 21/05, NJW- RR 2006, 501;Beschluss vom 30.01.2007, X ZB 7/06, [...]).
So liegt es auch hier: Der Kläger begehrt einerseits die bereits mit den Widersprüchen - unter anderem - geltend gemachten Fahrtkosten und gleichzeitig die Verpflichtung des Beklagten, seine durch diese Widerspruchsverfahren entstandenen Aufwendungen in voller Höhe zu erstatten. Dieser Nebenanspruch ist sowohl in Bezug auf den Grund als auch auf die Höhe abhängig von dem Bestehen der streitigen Hauptforderung. Deshalb erhöht der geltend gemachte Nebenanspruch den Berufungsstreitwert nicht.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Gerichtskosten werden in Verfahren dieser Art nicht erhoben.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und das Urteil nicht von höchstrichterlichen Entscheidungen abweicht.-