Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 17.09.2008, Az.: L 4 KR 297/06
Voraussetzungen einer zulässigen Einstufung eines Versicherungsnehmers als selbstständig durch die Krankenkasse; Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung; Begriff der Beschäftigung
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 17.09.2008
- Aktenzeichen
- L 4 KR 297/06
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2008, 24923
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2008:0917.L4KR297.06.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Oldenburg - 26.09.2006 - AZ: S 62 KR 169/05
Rechtsgrundlage
- § 7 Abs. 1 S. 1 SGB IV
Tenor:
Das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 26. September 2006 wird aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Rechtsstreit betrifft die Feststellung des versicherungsrechtlichen Status des Klägers bis zum 19. Dezember 2001.
Der im Juni 1943 geborene Kläger wurde von der Beklagten in der gesetzlichen Krankenversicherung als freiwilliges Mitglied geführt. In seiner Anmeldung vom 21. April 1987 gab er im Hinblick auf sein Einkommen an, dass dieses regelmäßig oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze liege. Die Rubrik "Beruf/ausgeübte Tätigkeit" füllte er mit "Unternehmer (selbständig)" aus. Entsprechend wurde er von der Beklagten zur Entrichtung von Beiträgen zur freiwilligen Krankenversicherung herangezogen.
Am 6. Oktober 2000 erlitt der Kläger einen Unfall im Rahmen seiner Tätigkeit als Geschäftsführer in der Betriebsstätte E. der Firma F. Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH). Im November 2001 erhielt die Beklagte von der Sächsischen Landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft eine Anfrage über den Versicherungsstatus des Klägers. Die Beklagte teilte mit Schreiben vom 26. September 2002 mit, dass sie den Kläger als freiwillig versicherten hauptberuflich Selbständigen führe. Nach dem Widerspruchsbescheid der Landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft Mittel- und Ostdeutschland vom 31. August 2005 war der Unfall für den Kläger mit bleibenden gesundheitlichen Folgen verbunden. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit wurde für die Zeit vom 14. März 2001 bis 5. Oktober 2002 auf 50 vom Hundert (vH) und für die Zeit danach auf 40 v.H. festgesetzt. Der Bescheid wurde mit einem Vorbehalt versehen, dass die Entscheidung über den versicherungsrechtlichen Status des Klägers in diesem Verfahren für die Rentengewährung vorgreiflich sei.
Am 10. September 2004 stellte der Kläger bei der Beklagten einen Antrag auf Feststellung seines Versicherungsstatus und legte diverse Unterlagen vor. Daraus ergab sich, dass der Kläger ab 1. Januar 1993 Geschäftsführer der Firma F. GmbH (Stammkapital: 100.000,- DM) mit Sitz in G. war. An dieser Firma waren die H. GmbH und die Firma I. GmbH (später J. Handels-Beteiligungs GmbH) & Co. KG zu gleichen Teilen von je 50.000,- DM beteiligt. Nach dem § 7 des Gesellschaftsvertrages der Firma F. GmbH waren Beschlüsse mit der Mehrheit der abgegebenen Stimmen zu fassen, wobei auf je 500,- DM eine Stimme entfiel.
An der Firma I. GmbH & Co. KG, die mit einem Stammkapital von 50.000,- DM versehen war, waren bis zum 19. Dezember 2001 der Kläger und Dr. K. jeweils mit 25.000,- DM beteiligt. In dieser Firma waren Beschlüsse nach § 6 des Gesellschaftsvertrages mit 75% der abgegebenen Stimmen zu fassen, wobei auf je 100,- DM eine Stimme entfiel.
Die Beklagte stellte mit ihrem Bescheid vom 1. November 2004 fest, dass der Kläger in seiner Tätigkeit als Geschäftsführer der Firma F. GmbH nicht als abhängig Beschäftigter, sondern als hauptberuflich Selbständiger einzustufen sei. Das folge daraus, dass er über seine Beteiligung an der Firma I. GmbH & Co. KG über eine Sperrminorität verfüge, die ihm einen maßgeblichen Einfluss auf die Firma ermögliche.
Mit seinem am 17. November 2004 eingelegten Widerspruch machte der Kläger geltend, dass er bis Dezember 2001 unselbständig tätig gewesen sei. Er sei an der Firma L. GmbH nur zu einem Viertel beteiligt gewesen und sei in seiner Tätigkeit als Geschäftsführer der Firma weisungsgebunden gewesen.
Die Beklagte wies den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 14. Juni 2005 mit der Begründung zurück, dass der Kläger über seine Beteiligung an einer der beiden gleichberechtigten Gesellschafter der Firma F. GmbH ihm nicht genehme Beschlüsse verhindern könne.
Mit seiner am 4. Juli 2005 bei dem Sozialgericht (SG) Oldenburg erhobenen Klage hat der Kläger geltend gemacht, dass die Beklagte ihn zu Unrecht im maßgeblichen Zeitraum bis Dezember 2001 als hauptberuflich Selbständigen erachtet habe.
Das SG hat der Klage durch Urteil vom 26. September 2006 stattgegeben und zur Begründung ausgeführt, dass der Kläger an der Firma L. GmbH nur zu einem Viertel beteiligt gewesen sei. Er habe damit auf die Firma keinen so maßgeblichen Einfluss ausüben können, dass er als Selbständiger erachtet werden könne.
Gegen dieses ihr am 20. Oktober 2006 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 17. November 2006 Berufung eingelegt. Sie macht geltend, dass das SG die Einflussmöglichkeiten des Klägers auf die Firma F. GmbH rechtlich nicht zutreffend gewertet habe. Der Kläger habe über seine Beteiligung an der Firma I. GmbH & Co. KG über eine Sperrminorität verfügt, die ihn in die Lage versetzt habe, ihm missliebige Beschlüsse zu verhindern.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 26. September 2006 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das erstinstanzliche Urteil für rechtmäßig und verweist darauf, dass seine Beteiligung an der Firma F. GmbH nur als Minderheitsbeteiligung gewertet werden könne. Er habe keinen maßgeblichen Einfluss auf die Geschicke der Firma F. GmbH gehabt, weil er einer von vier Gesellschaftern gewesen sei. Er sei in seiner Tätigkeit an die Weisungen der anderen Geschäftsführer und Gesellschafter gebunden gewesen und sei damit als abhängig Beschäftigter zu erachten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den Inhalt des beigezogenen Verwaltungsvorgangs der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die gemäß § 143 und § 144 Abs. 1 Ziffer 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung ist form- und fristgelegt eingelegt worden, mithin zulässig.
Sie ist auch begründet.
Die Beklagte hat den Kläger in seiner Tätigkeit bei der Firma F. GmbH zu Recht als Selbständigen eingestuft. Der Bescheid vom 1. November 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Juni 2006 ist rechtmäßig. Das den Bescheid aufhebende Urteil des SG Oldenburg vom 26. September 2006 ist rechtswidrig und daher aufzuheben.
Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung ist § 7 Abs. 1 Sozialgesetzbuch -Viertes Buch- (SGB IV) und seit dem 1. Januar 1999 § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV. Danach ist Beschäftigung die nicht selbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist (vgl. zum Folgenden: BSG Urteil vom 25. Januar 2006, AZ: B 12 KR 30/04 R, veröffentlicht auf der Internetseite des BSG). Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Dem gegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen (zur Verfassungsmäßigkeit der Abgrenzung zwischen abhängiger Beschäftigung und selbstständiger Tätigkeit Bundesverfassungsgericht, Kammerbeschluss vom 20. Mai 1996 - 1 BvR 21/96, SozR 3-2400 § 7 Nr. 11). Maßgebend ist stets das Gesamtbild der Arbeitsleistung.
Das Gesamtbild bestimmt sich nach den tatsächlichen Verhältnissen. Tatsächliche Verhältnisse in diesem Sinne sind die rechtlich relevanten Umstände, die im Einzelfall eine wertende Zuordnung zum Typus der abhängigen Beschäftigung erlauben. Ob eine "Beschäftigung" vorliegt, ergibt sich aus dem Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es im Rahmen des rechtlich Zulässigen tatsächlich vollzogen worden ist. Ausgangspunkt ist daher zunächst das Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es sich aus den von ihnen getroffenen Vereinbarungen ergibt oder sich aus ihrer gelebten Beziehung erschließen lässt. Eine im Widerspruch zu ursprünglich getroffenen Vereinbarungen stehende tatsächliche Beziehung und die sich hieraus ergebende Schlussfolgerung auf die tatsächlich gewollte Natur der Rechtsbeziehung gehen der nur formellen Vereinbarung vor, soweit eine - formlose - Abbedingung rechtlich möglich ist. Umgekehrt gilt, dass die Nichtausübung eines Rechts unbeachtlich ist, solange diese Rechtsposition nicht wirksam abbedungen ist. Zu den tatsächlichen Verhältnissen in diesem Sinne gehört daher unabhängig von ihrer Ausübung auch die einem Beteiligten zustehende Rechtsmacht (BSG Urteile vom 8. August 1990, 11 RAr 77/89, SozR 3-2400 § 7 Nr. 4 S 14 und vom 8. Dezember 1994, 11 RAr 49/94, SozR 3-4100 § 168 Nr. 18 S 45).
In diesem Sinne gilt, dass die tatsächlichen Verhältnisse den Ausschlag geben, wenn sie von Vereinbarungen abweichen (BSG Urteile vom 1. Dezember 1977, 12/3/12 RK 39/74, BSGE 45, 199, 200 ff = SozR 2200 § 1227 Nr. 8; vom 4. Juni 1998, B 12 KR 5/97 R, SozR 3-2400 § 7 Nr. 13 S 31 f; vom 10. August 2000, B 12 KR 21/98 R, BSGE 87, 53, 56 [BSG 10.08.2000 - B 12 KR 21/98 R] = SozR 3-2400 § 7 Nr. 15 S 46, jeweils m.w.N.). Maßgeblich ist die Rechtsbeziehung so, wie sie praktiziert wird, und die praktizierte Beziehung so, wie sie rechtlich zulässig ist.
Auf dieser Grundlage ist auch zu beurteilen, ob der Gesellschafter einer GmbH zu dieser gleichzeitig in einem Beschäftigungsverhältnis steht. Dies ist grundsätzlich neben seiner gesellschaftsrechtlichen Stellung möglich. Allerdings schließt ein rechtlich maßgeblicher Einfluss auf die Willensbildung der Gesellschaft auf Grund der Gesellschafterstellung ein Beschäftigungsverhältnis in diesem Sinne aus, wenn der Gesellschafter damit Einzelanweisungen an sich im Bedarfsfall jederzeit verhindern könnte (BSG Urteil vom 8. August 1990, 11 RAr 77/89, SozR 3-2400 § 7 Nr. 4 S 13; BSG Urteil vom 23. Juni 1994, 12 RK 72/92, USK 9448 = NJW 1994, 2974 = Die Beiträge 1994, 610).
Bei Anlegung dieser Maßstäbe erweist sich die Tätigkeit des Klägers in der Firma F. GmbH als selbständige Tätigkeit. Zwar hat der Kläger mit der Firma am 20. Dezember 1992 einen "Geschäftsführervertrag" geschlossen, der alle Elemente eines Arbeitsvertrages aufweist. Der Kläger verfügte jedoch über die Rechtsmacht, ihm nicht genehme Beschlüsse der Firma F. GmbH zu verhindern. Das ergibt sich daraus, dass die Firma F. GmbH bis zum 19. Dezember 2001 entgegen der Behauptung des Kläger nach dem eindeutigen Gesellschaftsvertrag nicht vier, sondern nur zwei Gesellschafter hatte, nämlich die Firma I. GmbH und Co. KG und die Firma M. GmbH. An der Firma I. GmbH & Co. KG war der Kläger zur Hälfte beteiligt. Beschlüsse dieser Gesellschaft, der Firma I. GmbH & Co. KG, waren mit 75% der Anteile zu fassen. Das bedeutet, dass die Firma I. GmbH & Co. KG keine Beschlüsse gegen den Willen des Klägers fassen konnte. Ohne die Stimmen der Firma I. GmbH & Co. KG konnte wiederum kein Beschluss in der Firma F. GmbH gefasst werden, weil nach den Bestimmungen des Gesellschaftsvertrages dafür die Mehrheit der abgegebenen Stimmen erforderlich war. Bei dieser Rechtslage konnte der Kläger verhindern, dass in der Firma F. GmbH ihm nicht genehme Beschlüsse gefasst wurden. Dass er das - wie er angibt - nicht getan hat, ist unbeachtlich. Rechtlich ist er nach dem Gesellschaftsvertrag jederzeit dazu in der Lage gewesen.
Die Unternehmereigenschaft des Klägers wird durch sein eigenes Verhalten bestätigt. Er hat sich in seiner Anmeldung zur freiwilligen Krankenversicherung im Jahre 1987 selbst als "Unternehmer (selbständig)" bezeichnet und in den folgenden siebzehn Jahren (bis September 2004) als einer für die rechtlichen Geschicke der Firma zuständigen Geschäftsführer der Firma F. GmbH auch nicht veranlasst, dass er den Sozialversicherungsträgern als versicherungspflichtig Beschäftigter gemeldet wurde. Vielmehr hat ihn der ebenfalls als Geschäftsführer in der Firma F. GmbH tätige N. in der Unfallanzeige an die Sächsische Landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft vom 13. Oktober 2000 als "Mitunternehmer" bezeichnet. Erst als sich herausstellte, dass die Feststellung einer Versicherungspflicht im Zusammenhang mit seinem Rentenantrag bezüglich seines Unfalles im Oktober 2000 wichtig war, hat der Kläger dann im September 2004 den Antrag auf Feststellung seines Versicherungsstatus gestellt und nun die Ansicht vertreten, er sei in der Vergangenheit versicherungspflichtig beschäftigt gewesen.
Aus allem folgt, dass der Kläger sozialversicherungsrechtlich zu Recht als hauptberuflich selbständig erachtet wurde.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Es hat keine Veranlassung bestanden, die Revision zuzulassen.