Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 25.09.2008, Az.: L 8 SO 119/07
Begehren des Rechtsnachfolgers eines Hilfeempfängers auf Zahlung von, diesem zustehenden Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz unter Berücksichtigung von dessen Unterkunftskosten
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 25.09.2008
- Aktenzeichen
- L 8 SO 119/07
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2008, 33840
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2008:0925.L8SO119.07.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Hannover - 29.03.2007 - AZ: S 53 SO 348/06
Rechtsgrundlage
- § 3 Abs. 1 Nr. 2 GSiG
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 29. März 2007 wird zurückgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens. Der Streitwert wird endgültig auf 1.185,93 EUR festgesetzt. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt als Rechtsnachfolgerin ihrer am 19. Januar 2004 verstorbenen Mutter (Hilfeempfängerin) für die Zeit von Januar 2003 bis Januar 2004 die Zahlung von Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz (GSiG) unter Berücksichtigung von Unterkunftskosten der Hilfeempfängerin in monatlicher Höhe von 131,00 EUR.
Die im April 1907 geborene Hilfeempfängerin bewohnte seit April 1999 zusammen mit ihrer Tochter - der Klägerin - eine Wohnung in I. im J ... Die Hilfeempfängerin besaß einen Schwerbehindertenausweis mit einem GdB von 100 und den Merkzeichen "G" und "RF". Sie erhielt Sozialhilfe - laufende Hilfe zum Lebensunterhalt - von der Landeshauptstadt I. unter Anrechnung eines Altersruhegeldes (108,86 EUR). Außerdem erhielt die Hilfeempfängerin ein Pflegegeld. Mietkosten waren in den Anträgen für die Zeit ab April 1999 nicht geltend gemacht. Bei den Sozialhilfezahlungen wurden Unterkunftskosten nicht berücksichtigt.
Mit Antrag vom 3. Januar 2003 - Eingang 9. Januar 2003 - begehrte die Hilfeempfängerin Leistungen nach dem GSiG. Ihrem Antrag fügte sie eine Erklärung vom 3. Januar 2003 bei, wonach sie zur Untermiete in der Wohnung ihrer Tochter - der Klägerin - wohne und für ein 20 qm großes Zimmer und die Nutzung aller anderen Räumlichkeiten eine Warmmiete von monatlich 131,00 EUR zahle; die Gesamtmiete der Wohnung betrage 537,17 EUR. Der Antrag auf Gewährung von Grundsicherungsleistungen nach dem GSiG wurde bis zum Tode der Hilfeempfängerin am 19. Januar 2004 nicht beschieden.
Im Dezember 2004 meldete sich der Prozessbevollmächtigte der Klägerin, erinnerte an die Zahlung der beantragten Grundsicherungsleistungen und wies insbesondere darauf hin, dass in der Berechnung Unterkunftskosten berücksichtigt werden müssten. Nach Vorlage eines Erbscheins vom 10. März 2005, wonach die beiden Kinder der Hilfeempfängerin (die Klägerin und der Sohn K. L.) zu je 1/2 Anteil des Nachlasses Erben geworden waren, entschied die für die Beklagte handelnde Landeshauptstadt I. mit Schreiben vom 10. Mai 2005, dass die Hälfte der verbleibenden Nachzahlung an die Klägerin ausgezahlt werde. Da kein Untermietvertrag, sondern nur eine Erklärung der Verstorbenen über ihre Wohnverhältnisse vorliege, seien Unterkunftskosten in der Nachberechnung nicht berücksichtigt worden. Hiergegen wandte die Klägerin sich sofort mit einer Klage ( S 52 SO 456/05 ), welche die Beteiligten im Laufe jenes Klageverfahrens als Widerspruch gegen das Schreiben vom 10. Mai 2005 ansahen. Mit Widerspruchsbescheid vom 7. April 2006 wies die Beklagte diesen Widerspruch als unbegründet zurück. Kosten der Unterkunft könnten nur anerkannt werden, wenn eine rechtliche Verpflichtung zur Zahlung bestanden habe. Dies könne aus der vorgelegten Erklärung nicht abgeleitet werden. Die Berechnung der Grundsicherungsleistungen ohne Unterkunftskosten sei daher korrekt erfolgt.
Die Klägerin hat am 3. Mai 2006 Klage beim Sozialgericht (SG) Hannover erhoben. Sie hat vorgetragen, dass die Grundsicherungsleistungen unter Berücksichtigung der Unterkunftskosten berechnet werden müssten. Denn es habe eine Vereinbarung über die Kosten der Unterkunft bestanden. Genaue Zahlungen, etwa durch Quittung oder Kontoauszug nachzuweisen, könnten nicht dargelegt werden. Sie - die Klägerin - sei bevollmächtigt gewesen, sich um die finanziellen Dinge ihrer Mutter zu kümmern, also um die Altersrente in Höhe von rund 110,00 EUR und das Pflegegeld in Höhe von 410,00 EUR monatlich. Eine Schriftform für den Mietvertrag sei nicht vorgesehen. Die Beklagte hat erwidert, tatsächliche Mietzahlungen seien offenbar nicht erfolgt. Auch habe die Klägerin in ihrer Steuererklärung keine Einnahmen aus Vermietung angegeben. Das Bestehen eines Mietvertrages sei nicht nachgewiesen, so dass Kosten der Unterkunft nicht berücksichtigt werden könnten. Das SG hat die Klage mit Urteil vom 29. März 2007 abgewiesen. Es hat zur Begründung ausgeführt, allein streitige Frage sei, ob die Klägerin als Sonderrechtsnachfolgerin einen Anspruch auf weitere Leistungen nach dem GSiG in Gestalt der Unterkunftskosten von 131,00 EUR monatlich habe. Hier könne eine zivilrechtliche Verpflichtung zur Zahlung von Unterkunftskosten nicht festgestellt werden. Auch seien tatsächliche Zahlungen nicht erfolgt. Das Urteil wurde der Klägerin am 26. April 2007 zugestellt.
Die Klägerin hat am 8. Mai 2007 Berufung eingelegt. Sie trägt vor, ihre Mutter habe nach der zu den Akten gereichten Erklärung monatlich 131,00 EUR an Unterkunftskosten zu entrichten gehabt. Gegenteiliges habe die Beklagte nicht nachgewiesen.
Die Klägerin beantragt,
- 1.
das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 29. März 2007 sowie das Schreiben/Bescheid der Landeshauptstadt I. vom 10. Mai 2005 und den Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 7. April 2006 aufzuheben,
- 2.
die Beklagte zu verurteilen, an die Erbengemeinschaft 1.185,93 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5% über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt die angefochtenen Entscheidungen.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten und der Landeshauptstadt I. verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung waren.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Die Beklagte und dem folgend das SG haben im Ergebnis zutreffend entschieden, dass der Klägerin weitere Grundsicherungsleistungen unter Berücksichtigung der behaupteten Unterkunftskosten nicht auszuzahlen sind. Die Berufung war daher zurückzuweisen.
Streitgegenstand des Verfahrens ist die Frage, ob die Klägerin für die Zeit von Januar 2003 bis zum Todestag ihrer Mutter am 19. Januar 2004 deren Grundsicherungsleistungen nach dem GSiG unter Berücksichtigung von monatlichen Unterkunftskosten in Höhe von 131,00 EUR gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 2 GSiG ausgezahlt erhalten kann. Soweit die Klägerin noch abheben sollte auf den Zuschlagsbetrag von 15 v.H. des Regelsatzes eines Haushaltsvorstandes nach dem Zweiten Abschnitt des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 GSiG liegt eine Beschwer nicht mehr vor. Denn die Beklagte hat bei der Berechnung der Grundsicherungsleistungen für die streitige Zeit diesen Zuschlag in die Bedarfsberechnung eingestellt und den Mehrbetrag insoweit an die Klägerin ausgekehrt.
Richtige Klageart ist die verbundene Anfechtungs- und Leistungsklage gemäß §§ 54 Abs. 1, Abs. 4, 56 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die für die Beklagte handelnde Landeshauptstadt I. hat mit dem Schreiben vom 10. Mai 2005 geregelt, dass Grundsicherungsleistungen ohne Unterkunftskosten ausgezahlt werden. Diesem Schreiben kommt daher Verwaltungsaktcharakter i.S. des § 31 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) zu. Der Widerspruchsbescheid ist ohne Zweifel Verwaltungsakt. Die Klägerin kann die begehrten Zahlungen daher nur erhalten, wenn diese Bescheide zuvor aufgehoben werden. Dafür liegen die Voraussetzungen nicht vor.
Die Hilfeempfängerin war anspruchsberechtigt für die Leistungen nach dem GSiG, da sie im Jahre 2003 das 65. Lebensjahr vor langer Zeit vollendet und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland hatte, § 1 GSiG. Der Umfang der Grundsicherungsleistungen war in § 3 GSiG geregelt und entsprach im Wesentlichen den Leistungen nach dem BSHG. Zusätzlich gab es gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 GSiG den Zuschlagsbetrag von 15 v.H. des Regelsatzes eines Haushaltsvorstandes. Da die Hilfeempfängerin in der streitigen Zeit Sozialhilfe - Hilfe zum Lebensunterhalt - bezogen hatte, waren diese Leistungen auf die Grundsicherungsleistungen anzurechnen, so dass ihr zusätzlich der Zuschlagsbetrag zustand, den die Beklagte in ihrer Abrechnung berücksichtigt hatte.
Zuständig zur Leistungserbringung war gemäß § 1 Gesetz zur Ausführung des Gesetzes über eine bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung und zur Änderung des Niedersächsischen Ausführungsgesetzes zum Betreuungsgesetz (Ausführungsgesetz - vom 20. November 2002, Nds. GVBl. 2002, Seite 728) im Fall der Hilfeempfängerin die Region I., die daher als richtige Beklagte in Anspruch genommen wird. Die Landeshauptstadt I. war gemäß § 3 Ausführungsgesetz zur Durchführung der Aufgaben herangezogen.
Nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 GSiG umfasste die bedarfsorientierte Grundsicherung die angemessenen tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung. Bereits die schlichte Subsumtion unter dieses Tatbestandsmerkmal verdeutlicht, dass hier Aufwendungen für Unterkunft und Heizung nicht berücksichtigt werden können. Denn "tatsächliche" Aufwendungen sind offensichtlich nicht entstanden. Die Klägerin konnte entsprechende Zahlungen nicht belegen.
Im Übrigen scheiterte die Annahme eines "Mietvertrages" zwischen der Klägerin und ihrer Mutter an dem vorzunehmenden Fremdvergleich. Der behauptete Mietvertrag wäre abgeschlossen zwischen Verwandten, zwischen Mutter und Tochter. Derartige Vertragsverhältnisse zwischen eng Verwandten sind rechtlich zulässig. Sobald daraus Folgen für sozialleistungsrechtliche Ansprüche abgeleitet werden, müssen derartige Verträge einem Fremdvergleich standhalten; sie müssen so ausgestaltet und durchgeführt werden, wie es unter Vertragsparteien üblich ist, die nicht verwandt sind (vgl Bundessozialgericht - BSG , Urteil vom 25. September 2000 - B 1 KR 2/00 R - Breithaupt 2001, Seite 471; Senatsbeschluss vom 17. April 2008 - L 8 B 19/08 SO ). Dieser Fremdvergleich ist notwendig, um der aufgrund des fehlenden Interessengegensatzes bestehenden Missbrauchsgefahr zu begegnen, die darin liegt, zivilrechtliche Gestaltungsmöglichkeiten im Bereich des Sozialrechts zu missbrauchen. Es ist daher im Interesse einer effektiven Missbrauchsbekämpfung geboten und zulässig, an den Beweis des Abschlusses und an den Nachweis der Ernstlichkeit von Vertragsgestaltungen zwischen nahen Angehörigen strenge Anforderungen zu stellen (vgl Bundesverfassungsgericht, Kammerbeschluss vom 16. Juli 1991 - 2 BvR 768/90 ; Kammerbeschluss vom 7. November 1995 - 2 BvR 802/90 - NJW 1996, Seite 833 zu den Anforderungen der steuerrechtlichen Rechtsprechung an zwischen Verwandten abgeschlossene Vertragsverhältnisse; Bundesfinanzhof (BFH), Urteil vom 3. März 2004 - X R 14/01 - BFHE 205, Seite 261; Urteil vom 21. Februar 2008 - III R 70/05 - BFH/NV 2008, Seite 1139). Danach sind Vertragsverhältnisse zwischen nahen Angehörigen nur anzuerkennen, wenn die Verträge bürgerlich-rechtlich wirksam vereinbart worden sind, die Gestaltung dem zwischen Fremden üblichen entspricht und das Vertragsverhältnis auch tatsächlich wie vereinbart durchgeführt wird. Insbesondere müssen die Hauptpflichten der Beteiligten im voraus - also vor Vertragsdurchführung - klar und eindeutig sowie ernsthaft vereinbart worden sein. An diesen "klaren Verhältnissen" fehlt es hier.
Ausgehend von diesen Voraussetzungen wäre zu erwarten gewesen, dass ein Mietvertrag schriftlich abgefasst wird, was nicht der Fall war. Die vorgelegte "Erklärung" vom 3. Januar 2003 - herrührend von der Hilfeempfängerin - ist kein Mietvertrag, sondern eine schlichte Behauptung über das Bestehen eines Untermietvertrages. Gegen das Vorliegen eines Mietvertrages und der rechtlich verbindlichen Verpflichtung Mietzahlungen zu entrichten, sprechen auch die Umstände seit dem Zuzug der verstorbenen Hilfesuchenden zur Klägerin im April 1999. In den Anträgen auf Gewährung von Sozialhilfe - Hilfe zum Lebensunterhalt - ab dieser Zeit wurden Unterkunftskosten nicht geltend gemacht; sie sind dementsprechend auch nicht bewilligt worden. Auch dieser Umstand spricht gegen die Annahme eines Mietvertrages, auch wenn die Klägerin anderes behauptet. Denn es kann nach den Maßstäben des vorzunehmenden Fremdvergleichs nicht angenommen werden, dass ein Vermieter - Klägerin - eine Untermieterin - die Hilfesuchende - jahrelang ohne Zahlung von Unterkunftskosten in seiner Wohnung duldet, wenn Mietzahlungen wirklich ernstlich vereinbart worden sein sollten.
Auch die Durchführung des behaupteten Mietvertrages entspricht nicht einem Fremdvergleich. Denn bei Vereinbarung eines Mietvertrages ist der geschuldete Mietzins regelmäßig monatlich zu entrichten. Dies ist nicht geschehen. Mithin können die behaupteten Unterkunftskosten nicht in die Bedarfsberechnung für die Höhe der Grundsicherungsleistungen eingestellt werden. Daran scheitert der geltend gemachte Zahlungsanspruch.
Es bedarf daher keiner weiteren Erörterung, ob der geltend gemachte Anspruch auch daran scheitert, dass Geldleistungen nach dem GSiG - wie nach dem BSHG und dem SGB XII - wegen ihres bedarfsorientierten Charakters nicht vererblich sind.
Da die Klägerin nicht zu den kostenrechtlich privilegierten Personen des § 183 SGG gehört, folgt die Kostenentscheidung aus § 197a Abs. 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), wonach die Klägerin als Unterliegende die Kosten des Verfahrens trägt.
Die endgültige Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG, § 63 Abs. 2 und § 52 Abs. 3 Gerichtskostengesetz (GKG).
Die Revision bedarf der Zulassung (§ 160 SGG). Sie ist nicht zuzulassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und das Urteil nicht von höchstrichterlichen Entscheidungen abweicht.-