Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 27.02.2003, Az.: 2 L 3332/00
Abschiebung; Abschiebungshindernis; Asyl; Asylantragsteller; Asylbewerber; Aufenthalt; Ausländer; Ausländerbehörde; BAFl; Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge; Familie; Familienleben; Heimatland; Kompetenz; Minderjähriger; Trennung; Vormund; Zuständigkeit
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 27.02.2003
- Aktenzeichen
- 2 L 3332/00
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2003, 48466
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 28.08.2000 - AZ: 5 A 217/99
Rechtsgrundlagen
- Art 8 MRK
- § 53 Abs 4 AuslG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Beruft sich ein minderjähriger Asylsuchender darauf, im Falle seiner Trennung von seinem in Deutschland lebenden Vormund und seiner Abschiebung in sein Heimatland dort mangels Aufnahme in eine Familie in eine existenzielle Notlage zu geraten, so handelt es sich bei den etwaigen Gefährdungen im Heimatland um weitere, mittelbar trennungsbedingte Folgen und damit um ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis, für das die Zuständigkeit der Ausländerbehörde, nicht aber des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge gegeben ist.
Gründe
I.
Der Kläger, ein aus Syrien stammender Kurde, begehrt die Gewährung von Abschiebungsschutz.
Der am 22. April 1989 in C. /Syrien geborene ledige Kläger verließ nach Angaben seines Onkels und damaligen Vormunds D. im September 1998 Syrien und begab sich in die Türkei. Von der Türkei will der Kläger auf dem Luftwege in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sein. Nach Angaben des Onkels soll der Kläger in Syrien zu der Gruppe der nicht registrierten Kurden gehört haben. Am 5. November 1998 stellte der Kläger einen Asylantrag, zu dessen Begründung er u. a. angab, bis zu seiner Ausreise in Syrien dort mit seinen Eltern und seinen Großeltern zusammengelebt zu haben. Seine Eltern befänden sich nunmehr auf der Flucht.
Mit Bescheid vom 12. März 1999 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) den Antrag des Klägers auf Anerkennung als Asylberechtigter ab, auch wurde festgestellt, dass bei dem Kläger die Voraussetzungen der §§ 51 Abs. 1, 53 AuslG nicht vorlägen, des Weiteren wurde ihm die Abschiebung nach Syrien angedroht. Zur Begründung wurde u. a. ausgeführt, dass der Abschiebung des Klägers auch Hindernisse i. S. des § 53 AuslG nicht entgegenstünden; denn derartige Abschiebungshindernisse seien weder von dem Kläger (durch seinen Onkel und Vormund) glaubhaft gemacht worden noch lägen dem Bundesamt anderweitige Hinweise auf das Bestehen entsprechender Abschiebungshindernisse vor.
Der Kläger hat gegen den Bescheid des Bundesamtes vom 12. März 1999 fristgemäß Klage erhoben. In der mündlichen Verhandlung vom 28 August 2000 hat er die Klage auf Anerkennung als Asylberechtigter und Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG in seiner Person zurückgenommen, die Klage auf Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG aber aufrecht erhalten.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verpflichten, festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 53 AuslG vorliegen, und insoweit den Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 12. März 1999 aufzuheben.
Die Beklagte hat unter Bezugnahme auf den angefochtenen Bescheid vom 12. März 1999 beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der beteiligte Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten (Bundesbeauftragter) hat sich nicht geäußert und auch keine Anträge gestellt.
Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 28. August 2000 das Verfahren hinsichtlich der Anerkennung als Asylberechtigter und der Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG eingestellt, im Übrigen aber der Klage stattgegeben und unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 12. März 1999 die Beklagte verpflichtet festzustellen, dass in der Person des Klägers „die Voraussetzungen des § 53 Abs. 1 AuslG vorliegen“, auch hat es insoweit den Bescheid des Bundesamtes vom 4. November 1999 aufgehoben; im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat das Verwaltungsgericht angeführt, zu Gunsten des Klägers bestehe ein Abschiebungshindernis „nach § 53 Abs. 4 AuslG in Verbindung mit Art. 8 Abs. 2 EMRK“. Zwar sei im Asyl- und Ausländerrecht die Trennung von Familienmitgliedern grundsätzlich vorgesehen, eine Trennung sei hier aber nicht aus den in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Gründen notwendig. Es bestehe vielmehr ein Grund, Familienangehörige möglichst nicht auseinander zu reißen. Diesen Schutz würden auch solche Familien genießen, in denen wie im Falle der Klägers die Eltern durch einen Vormund ersetzt worden seien, wenn der Vormund gleichzeitig der leibliche Onkel des Mündels sei.
Gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts hat der Bundesbeauftragte fristgerecht die Zulassung der Berufung beantragt. Mit Beschluss vom 26. September 2000 - 2 L 3289/00 - hat der Senat die Berufung zugelassen, weil das Urteil des Verwaltungsgerichts mit seinen (tragenden) Ausführungen zu einem von der Beklagten zu beachtenden Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 4 AuslG i. V. m. Art. 8 EMRK auf der von dem Bundesbeauftragten hinreichend dargelegten Divergenz zu der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts beruhe.
Der Beschluss des Senats vom 26. September 2000 ist dem Bundesbeauftragten am 29. September 2000 zugestellt worden. Mit einem am 6. Oktober 2002 beim Oberverwaltungsgericht eingegangenen Schriftsatz macht der Bundesbeauftragte zur Begründung seiner Berufung geltend, entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts handele es sich bei dem von ihm – dem Gericht – angenommenen Abschiebungshindernis nicht um ein sog. zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis, so dass nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts eine Zuständigkeit der Beklagten (des Bundesamtes) nicht gegeben sei. Vielmehr handele es sich bei der (etwaigen) Trennung des minderjährigen Klägers von seinem Vormund um ein sog. inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis. Der Kläger erfahre auch durch das Ausländerrecht und die Prüfung seitens der für die Vollstreckung zuständigen Ausänderbehörde den im Einzelfall gebotenen Schutz selbst dann, wenn in Syrien keine unterstützungsfähigen oder –willigen Familienangehörigen mehr leben sollten.
Der Bundesbeauftragte beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 28. August 2000 abzuändern und die Klage abzuweisen, soweit ihr stattgegeben worden ist.
Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil und macht geltend, der Aufenthaltsort seiner Eltern sei nach wie vor unbekannt. Seine in Syrien lebende Großmutter sei auch nicht in der Lage, ihn, sollte er nach Syrien zurückkehren müssen, zu betreuen; denn diese sei 75 Jahre alt, verfüge über keine eigene Wohnung und halte sich bei Nachbarn auf. Nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 24. März 1997 komme eine Abschiebung eines unbegleiteten Minderjährigen nicht in Betracht, wenn dieser das wirtschaftliche Existenzminimum weder aus eigener Kraft noch mit Hilfe Dritter sichern könnte und unter menschenunwürdigen Bedingungen auf der Straße – ohne die Hilfe von Eltern und Verwandten – leben müsste. Dies sei bei ihm aber der Fall, weil nach der Auskunftslage bei nach Syrien zurückkehrenden unbegeleiteten Minderjährigen ein Leben unter menschenwürdigen Bedingungen nur bei Aufnahme im Familienkreis gesichert sei. Auch nach den Richtlinien des Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen sei eine Rückführung unbegleiteter Kinder nur dann zulässig, wenn deren angemessene Betreuung gesichert werden könne. Sei ein menschenwürdiges Leben bei unbegleiteten Minderjährigen in Syrien nur bei einer Aufnahme in einen Familienverband gewährleistet, so handele es sich bei diesem Umstand auch um ein sog. zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis, weil die Existenzgefährdung sich gerade aus den spezifischen Verhältnissen im Heimatland des Flüchtlings ergebe. Wollte man diese Probleme als lediglich mittelbar trennungsbedingte Folgen der Abschiebung einordnen, so würde dies dazu führen, dass jedes Abschiebungshindernis als mittelbare Folge der Abschiebung qualifiziert werden könnte mit der Folge, dass das Bundesamt sog. zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse nicht mehr zu prüfen hätte. In Wahrheit sei also nicht seine – des Klägers – Trennung von seinen Familienangehörigen in Deutschland zu beurteilen, sondern die Situation in Syrien, so dass die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu trennungsbedingten Gefährdungen hier nicht anwendbar sei und die Zuständigkeit des Bundesamtes zur Feststellung eines entsprechenden Abschiebungshindernisses gegeben sei, nicht aber die der Ausländerbehörde.
Die Beklagte stellt keinen Antrag.
Zur weiteren Sachdarstellung und zur Darstellung des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten (Beiakten A) Bezug genommen; diese Akten haben dem Senat bei der Beschlussfassung vorgelegen.
Die in der Verfügung vom 5. Februar 2003 benannten Erkenntnismittel sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.
II.
Die Berufung des Bundesbeauftragten, über die der Senat nach Anhörung der Beteiligten einstimmig gem. § 130 a Satz 1, 1. Altn. VwGO durch Beschluss entscheidet, da eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist, ist begründet. Die Beklagte (Bundesamt) ist nicht verpflichtet, zu Gunsten des Klägers eine Feststellung nach § 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 8 EMRK zu treffen, das Verwaltungsgericht ist zu Unrecht zu dem gegenteiligen Ergebnis gelangt.
Es ist nicht geboten, über die Berufung des Bundesbeauftragten aufgrund einer mündlichen Verhandlung vor dem Senat (und nach Anhörung des Klägers) durch Urteil zu entscheiden. Vielmehr kann die von dem Senat zu treffende Entscheidung auch ohne mündliche Verhandlung im Beschlusswege nach § 130 a VwGO ergehen, worauf die Beteiligten zuvor in der Anhörung hingewiesen worden sind. Gegenstand dieses Berufungsverfahrens ist nämlich nur noch die Frage, ob dem Kläger nach § 53 Abs. 4 AuslG i. V. m. Art. 8 EMRK – das Vorliegen anderer Abschiebungshindernisse ist von dem Kläger weder vortragen worden, noch sind diese ersichtlich - Abschiebungsschutz zu gewähren ist, weil er im Falle einer (etwaigen) Trennung von seinen in Deutschland lebenden Angehörigen, insbesondere seinem jetzigen Vormund E., bei einer Rückkehr nach Syrien möglicherweise als unbetreuter Minderjähriger in eine existenzielle Notlage geraten könnte. Diese Frage betrifft aber Rechtsfragen, für deren Entscheidung eine mündliche Verhandlung (mit der Anhörung des Klägers) nicht erforderlich ist. Der Senat hat daher das ihm im Rahmen des § 130 a VwGO zustehende Ermessen (Schenke, in: Kopp/Schenke, 13. Aufl. 2003, RdNr. 5 a zu § 130 a m. w. Nachw.) hier dahingehend ausgeübt, dass im Falle des Klägers im vereinfachten Verfahren nach § 130 a VwGO entschieden wird.
Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts, dessen Urteil daher im Sinne einer Abweisung der Klage in vollem Umfang zu ändern ist, kann der Kläger von der Beklagten (Bundesamt) nicht beanspruchen, dass von dem Bundesamt im Rahmen des Asylverfahrens zu seinen Gunsten das Vorliegen eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 4 AuslG i. V. m. Art. 8 EMRK (Achtung des Familienlebens) festgestellt wird. Zwar enthält der Tenor des angefochtenen Urteils den Ausspruch, die Beklagte sei verpflichtet, das Vorliegen der „Voraussetzungen des § 53 Abs. 1 AuslG“ festzustellen, aus den Entscheidungsgründen ergibt sich aber zweifelsfrei, dass es sich hierbei um eine offenbare Unrichtigkeit handelt, die Beklagte vielmehr nach Auffassung des Verwaltungsgerichts zu einer Feststellung nach § 53 Abs. 4 i. V. m. Art. 8 EMRK verpflichtet sein soll, weil es dem Kläger nicht zugemutet werden könne, im Falle einer Abschiebung nach Syrien von seinem in Deutschland lebenden Onkel und damaligen Vormund getrennt zu werden und als unbegeleiteter Minderjähriger, der in Syrien über keinerlei familiäre Bindungen mehr verfüge, möglicherweise in eine existenzielle Notlage zu geraten.
Eine Verpflichtung des Bundesamtes zur Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 4 AuslG i. V. m. Art. 8 EMRK muss hier nämlich deshalb ausscheiden, weil es sich bei den dem Kläger bei einer Rückkehr nach Syrien – nach einer (zwangsweisen) Trennung von seinen in Deutschland lebenden Angehörigen - möglicherweise drohenden Gefahren – ob diese Gefahren tatsächlich drohen, kann für diese Entscheidung offen bleiben – nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG (s. z. B. Urt. v. 11.11.1997 – BVerwG 9 C 13.96 -, BVerwGE 105, 322 = Buchholz 402.40 § 53 AuslG Nr. 9; Urt. v. 21.9.1999 – BVerwG 9 C 12.99 –, BVerwGE 109, 305 = InfAuslR 2000, 93 = DVBl. 2000, 419; Urt. v. 21.9.1999 – BVerwG 9 C 8.99 -, Buchholz, aaO, Nr. 21; Beschl. v. 15.10.1999 – BVerwG 9 C 7.99 -, Buchholz, aaO, Nr. 24; Urt. v. 8.11.1999 – BVerwG 9 C 3.99 -, Buchholz, aaO, Nr. 26), der sich der Senat angeschlossen hat, um ein sog. inlandsbezogenes Abschiebungshindernis handelt, für das nicht die Zuständigkeit des Bundesamtes, sondern die der für die Vollstreckung (Vollzug der Abschiebung) zuständigen Ausländerbehörde gegeben ist.
Für die Abgrenzung zwischen den sog. inlandsbezogenen Abschiebungshindernissen, die das Vollstreckungsverfahren betreffen und für die sich eine Zuständigkeit der jeweiligen Ausländerbehörde, nicht aber des Bundesamtes ergibt, und solchen Abschiebungshindernissen, die als sog. zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse in die Zuständigkeit des Bundesamtes fallen, kommt es entscheidend darauf an, durch welche maßgebliche Ursache das in Rede stehende Abschiebungshindernis ausgelöst wird. Zwar soll grundsätzlich das Bundesamt aufgrund seiner Sachkompetenz für die Verhältnisse im Ausland für die Beurteilung von etwaigen Abschiebungshindernissen im Heimatland eines Asylsuchenden zuständig sein; handelt es sich aber um Abschiebungshindernisse, die ihre spezifische Ursache nicht im Heimatland des Asylsuchenden haben, sondern sind diese allenfalls mittelbar auf die Verhältnisse des Heimatlandes zurückzuführen, während die eigentliche Ursache in der Bundesrepublik Deutschland, und zwar in der Durchführung des Vollstreckungsverfahrens zu finden ist, so ist nicht die Zuständigkeit des Bundesamtes, sondern die der Ausländerbehörde, die über die Durchführung der Vollstreckung zu befinden hat, gegeben, wobei sich die Ausländerbehörde in diesem Fall der Kenntnisse des Bundesamtes über die Verhältnisse im Heimatland des abzuschiebenden Ausländers im Wege der Amtshilfe bedienen kann. Geht es – wie hier – darum, dass bei einem unbegleiteten minderjährigen Ausländer als Folge der im Inland verfügten (zwangsweisen) Trennung von den ihn in Deutschland bisher betreuenden Angehörigen möglicherweise existenzielle Probleme wegen unzureichender Betreuung und Sicherung des Lebensunterhalts im Heimatland entstehen können, so handelt es sich um lediglich mittelbar trennungsbedingte Folgen im Zielstaat (BVerwG, Urt. v. 21.9.1999 – BVerwG 9 C 12.99 -, aaO, S. 422). Diese gehören wie krankheitsbedingte Gefahren, die sich allein als Folge einer Abschiebung, nicht aber wegen der spezifischen Verhältnisse im Heimatland des Ausländers ergeben (s. dazu BVerwG, Urt. v. 21.9.1999 – BVerwG 9 C 8.99 -, aaO), ebenfalls zu den sog. inlandsbezogenen Abschiebungshindernissen, fallen also mangels Zuständigkeit nicht in die Prüfungskompetenz des Bundesamtes (BVerwG, Urt. v. 23.5.2000 – BVerwG 9 C 2.00 -).
Wenn der Kläger demgegenüber meint, in seinem Falle sei eine andere Betrachtungsweise geboten, weil in Syrien Minderjährige ohne Bindungen zu einem Familienverband in eine existenzielle Notlage gerieten, also gerade die mit den Verhältnissen in Syrien zusammenhängende spezifische Situation ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis bilden würde, kann dies zu keiner anderen rechtlichen Beurteilung führen. Bei dieser Betrachtungsweise berücksichtigt der Kläger nämlich nicht hinreichend, dass maßgebliche Ursache einer dem Kläger bei einer Abschiebung nach Syrien – möglicherweise – drohenden existenziellen Notlage (als unbegeleiteter Minderjähriger ohne familiären Rückhalt) nicht die Verhältnisse in Syrien sind. Vielmehr kann es nur dadurch zu einer (etwaigen) Gefährdung kommen, dass der Kläger von seinen in Deutschland lebenden Angehörigen im Rahmen der Durchführung des Vollstreckungsverfahrens getrennt wird. Ob es aber überhaupt zu dieser Trennung kommt, wird von der für die Vollstreckung (Abschiebung) zuständigen Ausländerbehörde zu entscheiden sein, wobei derzeit offen ist und bei dem Erlass des angefochten Bescheides vom 12. März 1999 für das Bundsamt völlig offen sein musste, ob der Kläger von seinen Angehörigen getrennt werden würde oder ob insoweit nicht zu Gunsten des Klägers ein Vollsteckungshindernis bejaht werden würde. Damit stellen sich die dem Kläger im Falle einer Trennung von seinen Angehörigen in Deutschland und seiner Abschiebung nach Syrien – möglicherweise – drohenden Gefahren lediglich als weitere Folge der eigentliche Ursache, und zwar der – selbst derzeit keineswegs feststehenden – Trennung von seinen Angehörigen in Deutschland dar. Mithin handelt es sich bei den von dem Kläger für eine etwaige Rückkehr nach Syrien angenommenen Gefahren allenfalls um ein sog. inlandsbezogenes Abschiebungshindernis (vgl. BVerwG, Urt. v. 21.9.1999 – BVerwG 9 C 12.99 -, aaO, S. 420 – für die Trennung minderjähriger Kinder von ihren Eltern), welches von der Ausländerbehörde, die ggf. Vollstreckungsschutz nach § 55 AuslG zu gewähren hat, (erst) im Vollstreckungsverfahren zu prüfen ist (BVerwG, Urt. v. 27.7.00 – BVerwG 9 C 9.00 -, Buchholz, aaO, Nr. 39).
Auch der Umstand, dass der Kläger, sollte es überhaupt im Vollstreckungsverfahren zu einer Trennung des Klägers von seinen Betreuungspersonen in Deutschland kommen, nicht von seinen leiblichen Eltern, sondern von seinem (neuen) Vormund E. getrennt würde, ist für die notwendigerweise generalisierende Abgrenzung von zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernissen und inlandsbezogenen Abschiebungshindernissen ohne Bedeutung, wie es auch unerheblich ist, ob das Verhältnis des Klägers zu seinem Vormund eben so eng wie zu leiblichen Eltern ist oder ob dies nicht der Fall ist. Für die genannte Abgrenzung kann es nämlich, wie dies eingangs schon dargelegt wurde, nur darauf ankommen, ob es sich bei den in den Blick zu nehmenden Folgen der Abschiebung um eine weitere, mittelbar trennungsbedingte Folge oder um eine unmittelbare Folge handelt. Der Ursachenzusammenhang, nicht aber die Intensität der Bindungen eines minderjährigen Ausländers zu den in Deutschland lebenden Betreuungspersonen entscheidet über die Einordnung als sog. zielstaats- oder als sog. inlandsbezogenes Abschiebungshindernis und damit über die Zuständigkeit des Bundesamtes oder der Ausländerbehörde zur Prüfung des geltend gemachten Abschiebungshindernisses.
Ein für den Kläger günstiges Ergebnis lässt sich schließlich auch nicht aus dem von ihm angezogenen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 24. März 1997 (1. Kammer des Zweiten Senats – 2 BvR 1024/95 -, AuAS 1997, 151) und den von ihm erwähnten Richtlinien des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen oder den Empfehlungen des Europäischen Flüchtlingsrates über die Abschiebung/Rückführung unbegeleiteter minderjähriger Flüchtlinge gewinnen. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 24. März 1997 befasst sich (lediglich) mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen, die an die Feststellung des offensichtlichen Vorliegens einer inländischen Fluchtalternative zu stellen sind, nicht aber mit der hier nur interessierenden Frage, ob ein bestimmtes Geschehen als inlandsbezogenes oder zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis zu würdigen ist. Auch die Hinweise des Klägers auf die Verlautbarungen des UNHCR oder des Europäischen Flüchtlingsrates liegen neben der Sache; denn die Richtlinien/Empfehlungen spielen allenfalls bei der Frage, ob dem Kläger eine Rückkehr nach Syrien zugemutet werden kann oder ob dies nicht der Fall ist, also bei der Frage, ob überhaupt ein Abschiebungshindernis besteht, eine Rolle. Wie ein – möglicherweise bestehendes – Abschiebungshindernis einzuordnen ist (mit den sich hieran anknüpfenden Behördenzuständigkeiten) – nur diese Frage interessiert aber für die Entscheidung dieses Berufungsverfahrens - , kann daher nicht Gegenstand der Verlautbarungen des UNHCR und des Europäischen Flüchtlingsrates sein.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 154 Abs. 1, 167 VwGO, 708 Nr. 11 ZPO und § 83 b Abs. 1 AsylVfG.
Der Gegenstandwert ergibt sich aus § 83 b Abs. 1 Satz 1, 2. HS AsylVfG a. F., wobei gem. § 73 Abs. 1 Satz 1 und 2 GKG für das bereits im Jahre 2000 in Gang gesetzte zweitinstanzliche Verfahren für die Bestimmung des Gegenstandswertes das vor dem 1. Januar 2002 geltende Recht anzuwenden ist.
Gründe, die Revision zuzulassen (§ 132 Abs. 2 VwGO), bestehen nicht, zumal durch die bezeichnete Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts die grundsätzliche Frage der Abgrenzung zwischen inlandsbezogenen und zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernissen nach § 53 Abs. 4 AuslG bereits hinreichend geklärt ist.