Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 14.02.2003, Az.: 7 LA 130/02
Fehlen der Geschäftsgrundlage; Geschäftsgrundlage; subjektive Geschäftsgrundlage; Tatsachenirrtum; Treu und Glauben; Vertrag; Vertragsanpassung; Vertragsschluss; öffentlich rechtlicher Vertrag
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 14.02.2003
- Aktenzeichen
- 7 LA 130/02
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2003, 48457
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 11.04.2002 - AZ: 5 A 3092/99
Rechtsgrundlagen
- § 242 BGB
- § 60 Abs 1 S 1 VwVfG
- § 62 S 2 VwVfG
Gründe
Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg. Die von den Klägern geltend gemachten Zulassungsgründe sind nicht gegeben.
Der Senat hat keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Das Verwaltungsgericht hat die Leistungsklage der Kläger, mit der sie auf der Grundlage des mit dem Beklagten geschlossenen öffentlich-rechtlichen Vertrages vom 9./18. Juni 1998 über die Erstattung von Aufwendungen für passive Lärmschutzmaßnahmen in ursprünglich verabredeter Höhe von 96.778,11 DM einen Zahlungsanspruch in Höhe von noch 51.650,26 DM nebst Zinsen gegen ihn geltend gemacht haben, zu Recht abgewiesen und der Widerklage des Beklagten mit dem Ziel, einer Änderung der o.a. Vereinbarung auf Festlegung eines Entschädigungsbetrages in Höhe von (nur noch) 45.127,85 DM zuzustimmen, zu Recht stattgegeben. Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass § 60 Abs. 1 Satz 1 VwVfG auch beim Fehlen der subjektiven Geschäftsgrundlage, also im Fall eines bei Vertragsschluss beiderseitigen Tatsachenirrtums über die Geschäftsgrundlage, der - wie hier - erst nachträglich bekannt wird, zur Vermeidung unbilliger Ergebnisse jedenfalls sinngemäß anzuwenden sei, steht mit der herrschenden Auffassung in der Kommentarliteratur im Einklang (vgl. Stelkens/Bonk/ Sachs, VwVfG, 6.Auflage, § 60 Rn 13; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 7. Auflage, § 60 Rn 11; Obermayer, VwVfG, 3. Auflage, § 60 Rn 14; Meyer/Borgs-Maciejewski, VwVfG, 2. Auflage, § 60 Rn 10; Ule/Laubinger, VwVfG, 4.Auflage, § 71 Rn. 11; a.A. Knack, VwVfG, 7. Auflage,§ 60 Rn 8). Allgemeine Rechtsgrundsätze, die im bürgerlichen Recht normiert und konkretisiert sind, gelten auch unmittelbar im öffentlichen Recht, wenn sie gleichsam als Rechtssätze des allgemeinen Teils des Rechts vorgegeben sind. Die Bezugnahme auf das BGB in § 62 Satz 2 VwVfG dient insoweit nur der Klarstellung. Zu diesen allgemeinen Rechtsgrundsätzen gehört vor allem auch der in § 242 BGB normierte Grundsatz von Treu und Glauben, dessen Ausprägung das Institut vom Wegfall der Geschäftsgrundlage ist. Gilt somit das Institut vom Wegfall der Geschäftsgrundlage auch im öffentlichen Recht, so ist methodisch die entsprechende Anwendung des § 60 Abs. 1 Satz 1 VwVfG auf den Wegfall der subjektiven Geschäftsgrundlage dem Rückgriff auf § 242 BGB vorzuziehen, weil dann Voraussetzungen und Rechtsfolgen des Wegfalls der objektiven und subjektiven Geschäftsgrundlage über § 60 Abs. 1 Satz 1 VwVfG übereinstimmend konkretisiert werden (vgl Oppenländer/Dolde, DVBl. 1995,637/642; Obermayer, aaO). Dieser Auffassung, die der älteren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vor Inkrafttreten des VwVfG entspricht (BVerwG, Urt. v. 8.2.1968 - II C 41/66 -, VRspr. 19, 725) schließt sich der Senat aus den dargestellten Gründen, die er für überzeugend hält, an. Im Übrigen folgt der Senat der Bewertung des Verwaltungsgerichts, dass es dem Beklagten nach Bekanntwerden der dem Lärmschutzgutachten anhaftenden Mängel in Anbetracht aller Umstände des vorliegenden Falles nicht zuzumuten war, an der ursprünglich vereinbarten Höhe der Entschädigung festzuhalten. Insoweit ist es mit Treu und Glauben und dem öffentlichen Interesse an einem sparsamen Umgang mit Haushaltsmitteln sowie der Vermeidung von Berufungsfällen in künftigen Entschädigungsverfahren nicht zu vereinbaren, den Klägern den ursprünglich verabredeten Entschädigungsbetrag von 96.788,11 DM in voller Höhe einzuräumen, der den nach Maßgabe des nachträglich korrigierten Lärmschutzgutachtens bereits gezahlten Entschädigungsbetrag in Höhe von 45.127,85 DM um mehr als das Doppelte übersteigt. Nur den zuletzt genannten Betrag hätten richtig beratene und redlich agierende Vertragspartner vereinbart, wenn sie die nachträglich eingetretene Lage von Anfang an gekannt hätten. Dass der Beklagte das fehlerhafte Lärmschutzgutachten vom 28. Mai 1998 der Vereinbarung vom 9./18. Juni 1998 zugrunde gelegt hat, dessen Mängel aber erst später zu Tage getreten sind, hat er nicht zu vertreten. Denn die in vergleichbaren Fällen in der Vergangenheit erstellten Lärmschutzgutachten desselben Sachverständigen hatten nach den Erfahrungen der Bezirksregierung Weser-Ems und des Landesamtes für Straßenbau zu keinen Beanstandungen geführt. Dem Beklagten lagen demnach keine Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Begutachtung vor. Vor diesem Hintergrund erscheint es auch unbillig, ihn auf etwaige Regressmöglichkeiten zu verweisen. Die Ausführungen des angefochtenen Urteils zu den angeblichen Vermögensdispositionen der Kläger, die ein zu ihren Gunsten schützenswertes Vertrauen nicht begründen könnten, hält der Senat ebenfalls für überzeugend. Sie sind im Zulassungsverfahren durch hinreichend substantiierte Angriffe nicht erschüttert worden.
In Anbetracht der vorstehenden Ausführungen kommt der Rechtssache auch keine über den Einzelfall hinausgehende grundsätzliche Bedeutung nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zu.