Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 24.03.2006, Az.: 18 B 545/06
Rechtmäßigkeit einer vorläufigen Dienstenthebung; Begriff "Disziplinarverfügung"; Umdeutung eines Antrags nach Inkrafttreten eines neuen Gesetzes; Geltung von Übergangsvorschriften
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 24.03.2006
- Aktenzeichen
- 18 B 545/06
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2006, 18960
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2006:0324.18B545.06.0A
Rechtsgrundlagen
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Verfahren nach § 95 Abs. 2 NDO, die im Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens des Nds. Disziplinargesetzes bei Gericht anhängig waren, sind grundsätzlich nach § 58 NDiszG fortzuführen.
- 2.
Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der vorläufigen Dienstenthebung bestehen nicht, wenn der Betroffene hinreichend konkreten rechtlichen und tatsächlichen Ausführungen in einem gegen ihn ergangenen amtsgerichtlichen Durchsuchungsbeschluss, die den Vorwurf begründen, er habe eine Straftat der Bestechlichkeit begangen, nicht substantiiert entgegen tritt.
- 3.
Zur Bemessung des Streitwertes in Verfahren nach § 58 NDiszG
In dem Rechtsstreit
hat das Verwaltungsgericht Hannover - 18. Kammer -
durch
Richter am Verwaltungsgericht E. als Einzelrichter
am 24. März 2006
beschlossen:
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 30.703,47 EUR (6,5 x 4.723,61 EUR) festgesetzt.
Gründe
1.
Der noch im zeitlichen Geltungsbereich der Nds. Disziplinarordnung gemäß § 95 Abs. 2 NDO gestellte Antrag,
die vorläufige Dienstenthebung des Antragsgegners vom 20.12.2005 aufzuheben,
ist nunmehr als Antrag auf Aussetzung der Maßnahme gemäß Art. 1 § 58 Abs. 1 des Gesetzes zur Neuordnung des niedersächsischen Disziplinarrechts vom 13.10.2005 (GVBl. S. 296) zu verstehen.
Mit dem In-Kraft-Treten des angeführten Gesetzes zum 01.01.2006 ist auf das vorliegende Verfahren das Nds. Disziplinargesetz (NDiszG) anzuwenden. Das ergibt sich daraus, dass es für die Verfahren nach § 95 Abs. 2 NDO an einer Übergangsvorschrift fehlt, die die Weitergeltung der NDO anordnet. In Art. 11 Abs. 1 des Gesetzes zur Neuordnung des niedersächsischen Disziplinarrechts wird die Weitergeltung der Vorschriften der NDO nur für zwei Fälle geregelt: Nach Satz 1 der Vorschrift wird daran angeknüpft, dass in Disziplinarverfahren bereits eine Einstellungs- oder Disziplinarverfügung ergangen sei. Dies trifft auf den vorliegenden Fall nicht zu, da es sich bei der angegriffenen Maßnahme nicht um eine Disziplinarverfügung im Sinne dieser Regelung handelt. Der Begriff der Disziplinarverfügung war nach altem Recht (§ 30 Abs. 1 NDO) und ist auch nach neuem Recht (§ 33 Abs. 1 NDiszG) legal definiert als Ausspruch einer der im jeweiligen Gesetz in den benannten Regelungen abschließend aufgezählten Disziplinarmaßnahmen. Sowohl nach altem Recht als auch nach neuem Recht wird die vorläufige Dienstenthebung in den benannten Vorschriften nicht erwähnt. Dogmatisch ist auch geklärt, dass es sich bei der vorläufigen Dienstenthebung gemäß § 91 NDO nicht um eine Disziplinarmaßnahme handelte (vgl. Bieler/Lukat, NDO - Kommentar, § 91 Rn. 3, m.w.N.). Daran hat sich angesichts des Wortlautes des § 6 NDiszG auch mit dessen In-Kraft-Treten nichts geändert. Es ist auch nicht davon auszugehen, dass der Gesetzgeber dem Begriff der "Disziplinarverfügung" nur für die Übergangsvorschrift in Art. 11 einen vom bisherigen Sprachgebrauch abweichenden weiter gehenden Bedeutungsinhalt zumessen wollte. Dagegen spricht zum Einen, dass es dafür keine Hinweise im Gesetz oder in den dazu gehörenden Materialien gibt. Zum Anderen ist in systematischer Hinsicht zu beachten, dass die Differenzierung in Satz 1 und Satz 2 an die nach altem Recht vorzunehmende Unterscheidung zwischen dem "einfachen", entweder durch Einstellungs- oder durch Disziplinarverfügung abzuschließenden Disziplinarverfahren einerseits und dem förmlichen Disziplinarverfahren andererseits anknüpft. Das legt es nahe, den Begriff der Disziplinarverfügung entsprechend dem Begriffsinhalt auszulegen, der ihm nach altem Recht zukam.
In Art. 11 Abs. 1 Satz 2 wird daran angeknüpft, dass der betroffene Beamte im förmlichen Disziplinarverfahren alten Rechts bereits zur Vernehmung gemäß § 58 NDO geladen war. Auch diese Variante trifft vorliegend nicht zu. Der Antragsteller war bei Erlass der vorläufigen Dienstenthebung noch nicht gemäß § 58 NDO geladen.
2.
Der zulässige Antrag ist nicht begründet. Der Antragsteller hat keinen Anspruch auf Aussetzung der vorläufigen Dienstenthebung.
Gemäß § 58 Abs. 2 NDiszG ist die vorläufige Dienstenthebung auszusetzen, wenn ernstliche Zweifel an deren Rechtmäßigkeit bestehen. Das ist nicht der Fall.
Es kann offen bleiben, ob als rechtlicher Ausgangspunkt für die Frage nach der Rechtmäßigkeit der Maßnahme § 91 NDO, der im Zeitpunkt ihres Ergehens noch galt, oder nunmehr § 38 Abs. 1 NDiszG heranzuziehen ist. Zwar enthält die jetzige Rechtslage gegenüber den von der Rechtsprechung zu § 91 NDO entwickelten materiellen Kriterien insoweit eine Einengung, als nunmehr mit Blick auf die voraussichtlich zu treffende Disziplinarmaßnahme die Erwartung einer Rückstufung als solche für eine vorläufige Dienstenthebung nicht mehr ausreicht. Auf diesen Unterschied zwischen altem und neuem Recht kommt es im vorliegenden Verfahren aber nicht an. Denn auch gemessen an dem insoweit strengeren Maßstab des § 38 Abs. 1 NDiszG bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der vorläufigen Dienstenthebung nicht. Zur Begründung verweist das Gericht zunächst in entsprechender Anwendung des § 117 Abs. 5 VwGO, der für dieses Verfahren gemäß § 4 NDiszG entsprechend gilt, auf die Ausführungen in dem angegriffenen Bescheid. Der Antragsgegner hat die vorläufige Dienstenthebung zum einen damit begründet, dass im zeitgleich eingeleiteten Disziplinarverfahren angesichts der Schwere des im Einzelnen vorgeworfenen Fehlverhaltens mit der Entfernung aus dem Dienst zu rechnen sei. Zum Anderen sei bei einem vorläufigen Verbleiben des Antragstellers im Dienst mit einem erheblichen Ansehensverlust der Dienststelle und einer Störung des dortigen Betriebsklimas zu rechnen. Schließlich sei die Maßnahme auch zum Schutz des Antragstellers geboten, der ansonsten angesichts der öffentlich gewordenen Vorwürfe möglicherweise Anfeindungen ausgesetzt sein könnte. Diese Argumentation ist auf der Grundlage des derzeitigen Verfahrensstandes rechtlich nicht zu beanstanden. Die dagegen gerichteten Angriffe des Antragstellers greifen nicht durch.
Soweit der Antragsteller angebliche Verfahrensfehler rügt, ist weder dargelegt noch erkennbar, inwieweit daraus ernstliche Zweifel an der Rechtswidrigkeit der angegriffenen Maßnahme abgeleitet werden könnten. Entgegen der Auffassung des Antragstellers liegt auch ein hinreichender Tatverdacht für die Begehung eines Dienstvergehens vor, in Bezug auf das nach derzeitigem Verfahrensstand voraussichtlich auf Entfernung aus dem Dienst zu erkennen sein wird. Der Antragsteller greift insoweit vor allem die Würdigung des Antragsgegners in Bezug auf den Sachverhaltskomplex an, der sein Verhalten gegenüber verschiedenen Studentinnen betrifft. Darauf wird es aber nach derzeitigem Verfahrensstand voraussichtlich nicht entscheidend ankommen. Vielmehr liegen ein Schwerpunkt des vorgeworfenen Dienstvergehens und ein maßgeblicher, selbstständig tragender Anknüpfungspunkt für die Erwartung der Höchstmaßnahme bereits in dem Sachverhaltskomplex begründet, der die Beziehungen des Antragstellers zu dem Institut für Wissenschaftsberatung F. GmbH betrifft.
Der Kernvorwurf zu diesem Komplex lautet zusammengefasst, der Antragsteller habe eine Straftat der Bestechlichkeit gemäß § 332 Abs. 1, 3 StGB begangen, indem er im Zeitraum September 2000 bis Februar 2005 gegen Bezahlung von ca. 51.000,00 EUR die Betreuung von Doktoranden übernommen habe, die auf Erteilung eines Notendispenses angewiesen gewesen seien. Dieser Vorwurf wird in dem Durchsuchungsbeschluss des AG G., auf den entsprechend § 117 Abs. 5 VwGO Bezug genommen wird, in rechtlicher sowie in tatsächlicher Hinsicht - bezüglich der an den Antragsteller geflossenen Geldleistungen mit der Angabe konkreter Zahlungsdaten - im Einzelnen konkretisiert. Dem ist der Antragsteller bisher in keiner Weise substantiiert entgegen getreten. Insbesondere hat der Antragsteller nicht einmal im Ansatz eine Begründung für die unstreitig geflossenen Zahlungen geliefert, die es erlauben würde, deren dienst- und strafrechtliche Relevanz in Frage zu stellen. Sollte sich der Verdacht der Bestechlichkeit in dem vorgeworfenen Rahmen bestätigen, wäre auf der Grundlage der disziplinarrechtlichen Bemessungsmaßstäbe mit der Entfernung des Antragstellers aus dem Dienst zu rechnen. Denn eine nachgewiesene Bestechlichkeit zieht als Regelmaßnahme die Entfernung aus dem Dienst nach sich (vgl. Bieler /Lukat, a.a.O., Einleitung B, Rn. 89 m.w.N.).
Die weitere Rüge, es fehle für die angegriffene Maßnahme an einem dienstlichen Bedürfnis, weil bereits das von der Universität X. ausgesprochene Amtsführungsverbot seine Dienstausübung verhindere, geht ebenfalls fehl. Vielmehr hat sich das Amtsführungsverbot mit der vorläufigen Dienstenthebung und im Übrigen auch wegen Zeitablaufs erledigt. Ermessensfehler sind im Übrigen nicht erkennbar.
Streitwertbeschluss:
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 30.703,47 EUR (6,5 x 4.723,61 EUR) festgesetzt.