Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 31.03.2006, Az.: 1 LA 137/05

Berechnung der Baugebühren für die Genehmigung von Windenergieanlagen auf der Grundlage der Herstellungskosten; Möglichkeit der Rohbauabnahme bei Windenergieanlagen

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
31.03.2006
Aktenzeichen
1 LA 137/05
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2006, 14566
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2006:0331.1LA137.05.0A

Fundstellen

  • BauR 2006, 2105 (amtl. Leitsatz)
  • NVwZ-RR 2006, 770-771 (Volltext mit amtl. LS)
  • NordÖR 2006, 307-309 (Volltext mit amtl. LS)

Amtlicher Leitsatz

Die Baugebühren für die Genehmigung von Windenergieanlagen sind auf der Grundlage der Herstellungskosten (Nr. 1.1.2 der Anlage 1 zur Baugebührenordnung) zu berechnen.

Gründe

1

Die Klägerin wendet sich gegen die Neufestsetzung von Baugebühren für die Genehmigung von 33 Windenergieanlagen auf der Grundlage der jeweiligen Herstellungskosten entsprechend Nr. 1.1.2 des Gebührenverzeichnisses (Anlage 1) zur Baugebührenordnung.

2

Mit Bescheid vom 17. Juni 1997 genehmigte der Beklagte die Errichtung von 33 Windenergieanlagen unterschiedlicher Größe und Leistungsstärke. Die Gebühr für die bauaufsichtliche Prüfung setzte der Beklagte unter Rückgriff auf den Rohbauwert gemäß Nr. 1.1.1 der Anlage 2 zur Baugebührenordnung fest. Mit Bescheid vom 19. Dezember 2000 hob der Beklagte die Gebührenfestsetzung auf und setzte eine neue Gebühr auf der Grundlage der Herstellungskosten für die Windenergieanlagen fest. Zur Begründung verwies der Beklagte darauf, dass nach dem Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 28. März 1994 (6 L 4747/92) die zunächst vorgenommene Gebührenfestsetzung auf der Grundlage des Rohbauwertes rechtswidrig sei, weil nicht nur wie bisher geschehen Fundament und Rohrturm als konstruktive Teile und damit als Rohbau abnahmefähig angesehen werden könnten. Vielmehr müssten auch der Drehkranz, die Rotor- und Maschinenanlagen, die auch die Anforderungen an die Statik mitbestimmten, berücksichtigt werden. Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin Widerspruch, der mit Bescheid der Bezirksregierung Lüneburg vom 16. Mai 2001 zurückgewiesen wurde. Die dagegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 13. Januar 2005 abgewiesen unter Hinweis auf das bereits vom Beklagten herangezogene Urteil vom 28. März 1994. Da die Klägerin auf den Auflagenbeschluss der Kammer lediglich pauschale Bescheinigungen der jeweiligen Herstellerfirmen vorgelegt habe, nicht jedoch konkrete Nachweise über die tatsächlich entstandenen Herstellungskosten, habe gemäß § 3 Abs. 3 Satz 1 BauGB der Herstellungswert unter Berücksichtigung ortsüblicher Preise geschätzt werden müssen. Auf dieser Grundlage seien die von der Beklagten in Ansatz gebrachten Kosten nicht zu beanstanden.

3

Gegen dieses Urteil wendet sich die Klägerin mit dem Antrag auf Zulassung der Berufung, den sie auf § 124 Abs. 2 Nrn. 1, 2, 3 und 5 VwGO stützt. Der Antrag hat keinen Erfolg.

4

Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts begegnet keinen ernstlichen Zweifeln. Diese liegen nach ständiger Rechtsprechung des Senats (vgl. z.B. Beschl. v. 31.7.1998 - 1 L 2696/98 -, NVwZ 1999, 431) erst dann vor, wenn für das vom Zulassungsantragsteller favorisierte Entscheidungsergebnis die "besseren Gründe sprechen", d.h. wenn ein Obsiegen in der Hauptsache wahrscheinlicher ist als ein Unterliegen. Dabei dürfen nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (2. Kammer des 1. Senats, Beschl. v. 23.6.2000 - 1 BvR 830/00 - DVBl 2000, 1458) die Anforderungen an die Darlegungslast der Beteiligten nicht überspannt werden. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit eines verwaltungsgerichtlichen Urteils sind schon dann anzunehmen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird. Das ist der Klägerin nicht gelungen.

5

Soweit die Klägerin vorträgt, es sei zu klären, ob eine Rohbauabnahme bei Windenergieanlagen überhaupt möglich sei, ob nicht dann, wenn eine Rohbauabnahme von der Behörde angeordnet und durchgeführt worden sei, die Behörde auch gezwungen sei, die Baugebühren nach den Kosten der Rohbauabnahme zu bestimmen, sowie schließlich, dass das Urteil des 6. Senates aus dem Jahr 1994 nicht richtig sei, weil es bei der Bestimmung dessen, was den Rohbauwert ausmache, auf Unterschiede zurückgreife, die vom Gesetz nicht vorausgesetzt würden, begründet dieses Vorbringen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung. Die entsprechenden Fragen sind von dem erkennenden Senat seit dem Ergehen des Urteils des 6. Senats im Jahr 1994 in einer eigenständigen Entscheidung ausführlich behandelt worden. Der Senat hat dazu in dem Beschluss vom 8. August 2001 (1 L 4087/00, V.n.b.) folgendes ausgeführt:

"Der vom Verwaltungsgericht in Anlehnung an die Entscheidung vom 28. März 1994 gewonnene Ausgangspunkt, Nr. 1.1.2 und nicht Nr. 1.1.1 des Gebührenverzeichnisses zur BauGebO sei maßgeblich, begegnet keinen ernstlichen Zweifeln. Der 6. Senat des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg hatte in der zitierten Entscheidung bereits eingehend und überzeugend dargelegt, dass Nr. 1.1.1 des Gebührenverzeichnisses angesichts der Bauweise von Windenergieanlagen nicht "passe". Selbst das Zulassungsantragsvorbringen lässt (insbesondere auf Seite 3) mehrfach anklingen, eine Anwendung der Nr. 1.1.1 des Gebührenverzeichnisses sei im Grunde nur bei herkömmlichen Bauwerken möglich, bei denen eine (im Übrigen vollständige!) Rohbau- und eine davon zu trennende Schlussabnahme im Sinne des § 81 NBauO möglich sei. Das ist bei Windenergieanlagen ausgeschlossen. Denn anders als bei herkömmlichen Wohn- und Geschäftsgebäuden, welche Nr. 1.1.1 des Gebührenverzeichnisses mit der Trennung von Rohbau- und Schlussabnahmemöglichkeiten im Auge hat und bei denen konstruktive Teile zur Herstellung einer "Wohnlichkeit" oder einer verkaufsfördernden Baugestaltung "kaschiert" zu werden pflegen, werden bei Windenergieanlagen konstruktive Elemente gerade zum Zwecke erleichterter Wartung "unverputzt" gelassen. Dementsprechend kann die Reihenfolge, wie sie § 80 NBauO als Regelfall voraussetzt und Nr. 1.1.1 des Gebührenverzeichnisses übernimmt, nicht entstehen. Aus diesem von der Klägerin ebenfalls eingeräumten Umstand zieht diese indes nicht die zutreffenden Folgerungen. Aus ihm kann im Grunde nur mit dem Verwaltungsgericht und der Entscheidung vom 28. März 1994 der Schluss gezogen werden, dass der "herkömmlicher Bauweise" verbundene Gebührentatbestand der Nr. 1.1.1 des Gebührenverzeichnisses nicht "passt" und daher auf den Hilfstatbestand der Nr. 1.1.2 zurückzugreifen ist. Dieser ist vom Gesetzgeber gerade in der Erkenntnis geschaffen worden, dass es schon jetzt eine Reihe von Bauvorhaben und -typen gibt oder aber (wie im Falle der Windenergieanlagen) künftig geben wird, auf die das Schema, welche die von § 80 NBauO vorausgesetzte Bautenfolge voraussetzt, nicht "passt". Als Alternative hierzu käme, was die Klägerseite nicht in Betracht zu ziehen scheint, im Übrigen nur anzunehmen, der endgültige Bauzustand entspreche dem eines Rohbaues, daher stellten die oben genannten 2.140.000,-- DM den für die Anwendung der Nr. 1.1.1 des Gebührenverzeichnisses maßgeblichen Wert dar. Letzteres kann die Klägerin indes nicht zur Stütze ihres Zulassungsantrages machen. Denn dann ergäbe sich nicht ein ihr günstigeres Entscheidungsergebnis (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Bei einer auf dieser Grundlage durchgeführten Berechnung wäre sie vielmehr mit einer Baugebühr von 21.400,-- DM finanziell mit der Folge stärker belastet, dass die Beschwer für den Zulassungsantrag entfiele. Entgegen der Ansicht der Klägerin wäre es im Übrigen keineswegs sachfremd oder gar als Verstoß gegen das Äquivalenzprinzip anzusehen, den Rohbauwert mit 2.140.000,-- DM anzunehmen. Denn zumindest ein Großteil (das reicht aus) der baukonstruktiven, an den Innen- und Außenseiten einer Windenergieanlage angebrachten und nicht im oben angegebenen Sinne kaschierten Elemente sind auch in baurechtlicher Hinsicht relevant. Das gilt nicht nur hinsichtlich der Standfestigkeit der Anlage, sondern auch im Hinblick auf ihre Betriebsweise. Zu Unrecht meint die Klägerin, die elektronische Steuerung der Anlage und die Unterbringung des Aggregats in der Kanzel (statt am Fuße der Anlage) sei baurechtlich irrelevant. Dieses ist vielmehr unter anderem im Hinblick auf die Standfestigkeit der Anlage, das heißt für die Dimensionierung des Mastes und seine Verankerung, von Bedeutung, jenes unter anderem im Hinblick auf die Umwelt- und Nachbarverträglichkeit. Denn die elektronische Steuerbarkeit ist unter anderem nutzbar zu machen, wenn die Betriebsgeräusche, was nach den Fällen, welche dem Senat zahlreich unterbreitet werden und insbesondere für die Nachtzeit immer wieder relevant wird, den für eine angrenzende Wohnbebauung maßgeblichen Richtwert überschreiten/zu überschreiten drohen. Dann lässt die elektronische Steuerung der Anlage eine von der Windgeschwindigkeit abhängige Drosselung der Rotorumlaufgeschwindigkeit und damit eine Reduktion der Betriebsgeräusche zu. Das bedarf indes keiner Vertiefung, da nach den obigen Ausführungen im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nur eine Anwendung von Nr. 1.1.2 des Gebührenverzeichnisses zur Baugebührenordnung in Betracht kommt.

Dass sämtliche konstruktiven Merkmale eines Gebäudes baurechtlich von Interesse sind, ist für Nr. 1.1.2 des Gebührenverzeichnisses - ebenso wenig wie im Übrigen auch für die Anwendung von Nr. 1.1.1 - nicht vorausgesetzt. Dem trägt das Gebührenverzeichnis, was das Verwaltungsgericht auf Seite 6 des Urteilsabdruckes entgegen dem Zulassungsangriff auf Seite 6 der Zulassungsantragsschrift sehr wohl berücksichtigt hat, durch eine Verringerung des Prozentsatzes ausreichend Rechnung. Ein Verstoß gegen das Äquivalenzprinzip (vgl. dazu unter anderem Seite 9 des Urteilsabdruckes vom 28. März 1994 in der Sache 6 L 4747/92) ist in der Zulassungsantragsschrift weder ausreichend dargetan (§ 124 Abs. 1 Satz 4 VwGO) noch ersichtlich. Knapp 15.000,-- DM Baugebühren stehen bei einem Bauvolumen von über 2.140.000,-- DM nicht außer Verhältnis zu dem Aufwand, den die Bauaufsichtsbehörde zur Prüfung anstellen muss, ob die erstrebte Baugenehmigung erteilt werden kann. Dabei handelt es sich nicht, wie die Klägerseite ohne Substanz in den Raum stellt, um eine Routineangelegenheit. Vielmehr erfordert die Bearbeitung eines Antrages auf Genehmigung einer Windenergieanlage den Erkenntnissen des Senates zufolge, der solchen Fragen in einer Vielzahl von Fällen hat nachgehen müssen, eine sorgfältige Untersuchung, ob das Vorhaben in Einklang steht mit diversen öffentlichen Belangen, namentlich solchen, welche zum Schutz von Natur und Landschaft zu berücksichtigen sind, und ob sie die notwendige Rücksicht auf Nachbarn nehmen. Hier ist insbesondere daran zu denken, dass von Windenergieanlagen zuweilen unzulässige Blendwirkungen (sogenannter Diskoeffekt) oder Schattenwürfe ausgehen oder diese einen Lärm erzeugen können, der einer Nachbarschaft nicht mehr zugemutet werden kann. Dass die Windenergieindustrie dazu mittlerweile standardisierte Untersuchungen entwickelt hat, wie sie hier auch dem Bauantrag vom 21. Januar 1998 (vgl. Beiakte B) beigefügt worden waren, bedeutet nicht, dass deshalb auch die Prüfung der Bauunterlagen eine Angelegenheit ist, welche gleichsam nach Schema F vorzunehmen ist und somit sich nicht in dem (im Übrigen abgeschwächten) Verhältnis ausdrücken lässt, das zur Bausumme besteht. Das zeigt gerade dieses Verfahren. Denn der Bauantrag vom 21. Januar 1998 konnte erst unter dem 23. Februar 1999 positiv beschieden werden."

6

Die Ausführungen der Klägerin geben keinen Anlass von dieser Rechtsprechung abzuweichen.

7

Auch die Ausführungen der Klägerin zur Berechnung des Herstellungswertes durch das Verwaltungsgericht geben keinen Anlass zu ernstlichen Zweifeln. Die Angaben, die die Klägerin im Verlauf des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens zu den Herstellungskosten gemacht hat, reichten nicht aus, um diese entsprechend ihrer tatsächlichen Höhe feststellen zu können. Die Klägerin führt insoweit selbst aus, dass der Herstellungswert die Kosten erfasse, die für alle bis zur Schlussabnahme fertigzustellenden Arbeiten und Lieferungen entstanden seien. Diese Kosten sind aber von der Klägerin nicht umfassend nachgewiesen worden. Die Klägerin hat Erklärungen der Lieferfirmen vorgelegt, aus denen sich einzelne Positionen ergeben, ohne dass jedoch ein auch nur annähernd endgültiger Herstellungswert sich daraus errechnen ließe. Damit handelt es sich nicht um die Frage, die von der Klägerin gestellt wird, ob der Nachweis des Herstellungswertes nur durch Vorlage der Schlussrechnung erfolgen könne oder auch durch Vorlage von Erklärungen der Lieferfirmen. Letztere dürften dann ausreichen, wenn sich aus ihnen ein auch nur annähernd endgültiger Herstellungswert errechnen ließe. Dies ist jedoch bei den von der Klägerin vorgelegten Erklärungen der Herstellerfirmen nicht der Fall. Da § 3 Abs. 3 Satz 1 der Baugebührenordnung die Schätzung des Herstellungswertes unter Berücksichtigung ortsüblicher Preise vorsieht, ist es auch nicht zu beanstanden, wenn das Verwaltungsgericht auf die in den Parallelverfahren vorgelegten Abrechnungen zur Schätzung der Herstellungskosten zurückgegriffen hat. Dabei handelt es sich um "ortsübliche Preise" schon deshalb, weil es sich um Anlagen handelt, die in unmittelbarer Nähe errichtet wurden und von vergleichbaren Herstellerfirmen geliefert wurden.

8

Aus den oben angeführten Gründen ergibt sich, dass eine Zulassung der Berufung aus den Gründen des § 124 Abs. 2 Nr. 2 und 3 VwGO nicht in Betracht kommt. Eine Zulassung der Berufung wegen eines Verfahrensmangels i.S. des § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO kommt ebenfalls nicht in Betracht. Abgesehen davon, dass die anwaltlich vertretene Klägerin nicht gehindert war, in der mündlichen Verhandlung einen Beweisantrag zu stellen für die von ihr für beweiserheblich gehaltene Frage der Höhe der sog. "weichen Kosten", kam es auf diese Frage schon deshalb nicht an, weil sich aus den von der Klägerin vorgelegten Berechnungsunterlagen auch nicht annähernd die Gesamtkosten der Herstellung bestimmen ließen.