Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 08.03.2006, Az.: 12 ME 8/06
Anforderungen an die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens zur Abklärung von Fahreignungszweifeln; Folgen der Erstellung eines Gutachtens ohne Kenntnis der Fahrerlaubnisakte; Substanzielle Erkenntnisse zur Frage der Fahreignung
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 08.03.2006
- Aktenzeichen
- 12 ME 8/06
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2006, 31773
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2006:0308.12ME8.06.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Lüneburg - 21.12.2005 - AZ: 5 B 100/05
Rechtsgrundlagen
- § 11 Abs. 2 FeV
- § 11 Abs. 6 S. 4 FeV
- § 11 Abs. 8 FeV
Amtlicher Leitsatz
Zu den Anforderungen an die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens zur Abklärung von Fahreignungszweifeln.
Gründe
Der Antragsgegner entzog dem Antragsteller mit Bescheid vom 5. Juli 2005 unter Anordnung der sofortigen Vollziehung die Fahrerlaubnis und führte zur Begründung der Entscheidung aus, dass er den Antragsteller, der u.a. an einer kombinierten Persönlichkeitsstörung mit schizoiden und paranoiden Elementen leide, zur Abklärung von Zweifeln an dessen Fahreignung erfolglos zur Beibringung eines Gutachtens eines Facharztes für Psychiatrie mit verkehrsmedizinischer Qualifikation aufgefordert habe. Der Antragsteller habe die erforderliche Einverständniserklärung zur Begutachtung durch einen geeigneten Facharzt nicht abgegeben. Gegen den Bescheid hat der Antragsteller Anfechtungsklage vor dem Verwaltungsgericht erhoben (jetziges Aktenzeichen: 2 A 18/06), über die noch nicht entschieden ist. Seinen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 12. August 2005 (5 B 46/05) abgelehnt (vgl. dazu den Beschluss des Senats vom 15.9.2005 - 12 PA 409/05 - und weiterhin zum Hauptsacheverfahren Beschluss des Senats vom 14.12.2005 - 12 PA 475/05 -).
Mit dem hier angegriffenen Beschluss vom 21. Dezember 2005 hat es das Verwaltungsgericht abgelehnt, den Beschluss vom 12. August 2005 gemäß § 80 Abs. 7 VwGO abzuändern. Zur Begründung hat es ausgeführt, die für die Entscheidung maßgebliche Sach- und Rechtslage habe sich nicht zu Gunsten des Antragstellers verändert. Der Antragsteller habe inzwischen zwar ein Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. B. vom 4. Oktober 2005 vorgelegt, wonach bei ihm grundsätzlich eine Fahrtüchtigkeit im bisherigen Umfang gemäß den Kriterien der Anlage 4 zur StVO (gemeint: FeV) gegeben sei. Das Gutachten entspreche aber nicht den Anforderungen an ein ärztliches Gutachten gemäß § 11 Abs. 2 FeV. Die verkehrsmedizinische Qualifikation des Gutachters sei nicht dargetan. Im Übrigen genüge das Gutachten nicht den in § 11 Abs. 5 und 6 FeV genannten Anforderungen. Es sei auf der Grundlage der Angaben des Antragstellers erstellt worden, die Unterlagen des Antragsgegners hätten dem Gutachter nicht vorgelegen.
Der Beschluss des Verwaltungsgerichts unterliegt unter den Gesichtspunkten, auf die sich der Antragsteller in der Begründung seiner Beschwerde beruft und auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, keinen Bedenken. Der Senat hat mit Beschluss vom 14. Dezember 2005 (12 PA 475/05) in dem Beschwerdeverfahren gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Klageverfahren ausgeführt, dass das Gutachten des Dr. B. vom 4. Oktober 2005, sofern es den Maßstäben der Gutachtenanforderung des Antragsgegners vom 22. März 2005 genüge und die Annahme der Fahreignung des Klägers rechtfertige, ggf. zu einer Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache führen könne. Dies bedeute jedoch nicht, dass die zuvor wegen Nichtbeibringung des Gutachtens verfügte Fahrerlaubnisentziehung als rechtswidrig anzusehen sei. Auf der Grundlage dieser Beurteilung, an der der Senat festhält, hat das Verwaltungsgericht zu Recht eine Abänderung des Beschlusses vom 12. August 2005 abgelehnt mit der Begründung, das Gutachten vom 4. Oktober 2005 führe nicht dazu, nunmehr eine hinreichende Mitwirkung des Antragstellers an der Abklärung der vorhandenen Eignungszweifel anzunehmen. Die Beurteilung des Verwaltungsgerichts wird durch das Beschwerdevorbringen nicht durchgreifend in Zweifel gezogen. Dazu im Einzelnen:
Der Antragsteller wendet ein, er leide nicht an einer Erkrankung gemäß der Anlage 4 zur FeV, insbesondere nicht an einer schizophrenen Psychose. Er sei im November 2004 aus dem Niedersächsischen Landeskrankenhaus (NLKH) C. in D. entlassen worden mit der Diagnose einer kombinierten Persönlichkeitsstörung mit paranoiden und schizoiden Elementen. Dieser Einwand vermag der Beschwerde nicht zum Erfolg zu verhelfen, weil die Erkrankung an einer schizophrenen Psychose weder vom Antragsgegner noch vom Verwaltungsgericht zu Grunde gelegt worden ist. Die streitige Entziehung der Fahrerlaubnis beruht vielmehr darauf, dass im Hinblick auf den Entlassungsbericht des NLKH C. bei dem Antragsteller der Verdacht einer die Fahreignung ausschließenden und deshalb gutachterlich aufklärungsbedürftigen Erkrankung entstanden ist. Die am 5. Juli 2005 verfügte Fahrerlaubnisentziehung beruht gemäß § 11 Abs. 8 FeV auf der nicht hinreichenden Mitwirkung des Antragstellers an der geforderten Untersuchung und der daran anknüpfenden Schlussfolgerung, er wolle Eignungsmängel nicht offenbaren.
Der Verweis auf das inzwischen vorgelegte Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. B. vom 4. Oktober 2005 rechtfertigt keine andere Beurteilung. Der Antragsteller hat im Beschwerdeverfahren zwar den Nachweis erbracht, dass der Facharzt auch über die erforderliche verkehrsmedizinische Qualifikation verfügt. Das Verwaltungsgericht hat aber nicht ausschließlich die Qualifikation des Facharztes bezweifelt, sondern darüber hinausgehende Bedenken gegen die Aussagekraft des Gutachtens geäußert und näher dargelegt, dass es ohne die erforderliche Absprache mit dem Antragsgegner und insbesondere ohne Kenntnis der Fahrerlaubnisakte erstellt worden sei und deshalb den Anforderungen des § 11 Abs. 5 und 6 FeV nicht genüge. Mit diesen zu Recht geäußerten Bedenken setzt sich das Beschwerdevorbringen nicht hinreichend auseinander. Nach § 11 Abs. 6 Satz 4 FeV teilt die Fahrerlaubnisbehörde der untersuchenden Stelle mit, welche Fragen im Hinblick auf die Eignung oder Befähigung des Betroffenen zum Führen von Kraftfahrzeugen zu klären sind und übersendet ihr die vollständigen Unterlagen, soweit sie unter Beachtung der gesetzlichen Verwertungsverbote verwertet werden dürfen. Das Gutachten des Dr. B. vom 4. Oktober 2005 hat dem nicht Rechnung getragen.
Der Einwand des Antragstellers, er habe das Gutachten jedenfalls in Absprache mit dem Antragsgegner in Auftrag gegeben und nicht davon ausgehen können, dass es nicht den Formerfordernissen entspreche, ist demgegenüber unbegründet. Der Antragsteller hat mit Schreiben vom 12. Juli 2005 gegenüber dem Antragsgegner erklärt, die Begutachtung durch die Praxis Dr. B. und Dr. E. durchführen zu lassen. Er hat die Erklärung jedoch mit einer auslegungsbedürftigen Einschränkung in Bezug auf die Übersendung der Unterlagen versehen. Außerdem hat er einschränkend angemerkt, dass er die Untersuchung finanziell nicht tragen könne. Der Antragsgegner hat ihm daraufhin nochmals eine Einverständniserklärung zukommen lassen. Daraufhin hat der Antragsteller mit Schreiben vom 19. Juli 2005 eine Einverständniserklärung für eine Begutachtung durch einen anderen Arzt - Dr. F. - abgegeben. Dr. F., der zuvor als Betriebsmediziner das Sehvermögen des Antragstellers überprüft hatte, ist aber kein Facharzt für Neurologie und Psychiatrie. Von einer absprachegemäßen Mitwirkung des Antragstellers an der geforderten Untersuchung kann deshalb keine Rede sein. Letztlich hat der Antragsteller sein Einverständnis zur Aktenübersendung an entsprechende Ärzte mit Schreiben vom 10. Dezember 2005 widerrufen, so dass er sich eine fehlende Bereitschaft zur Mitwirkung im Fahrerlaubnisentziehungsverfahren auch jetzt noch entgegenhalten lassen muss.
Soweit der Antragsteller auf den Entlassungsbericht des NLKH C., seine bisherigen beruflichen Tätigkeiten sowie auf Maßnahmen der Agentur für Arbeit G. zur Förderung seiner Ausbildung als Berufskraftfahrer hinweist, vermag er damit der Beschwerde gleichfalls nicht zum Erfolg zu verhelfen. Substanzielle Erkenntnisse zur Frage seiner Fahreignung ergeben sich aus seinem diesbezüglichen Vortrag und den dazu eingereichten Nachweisen nicht, insbesondere nicht aus dem Entlassungsbericht des NLKH C., der sich zu dieser Problematik nicht verhält. Im Übrigen obliegt es (allein) dem Antragsgegner als der zuständigen Fahrerlaubnisbehörde, die Fahreignung des Antragstellers zu ermitteln und abschließend zu beurteilen (§§ 3 Abs. 1, 2 Abs. 7 und 8 StVG i.V.m. §§ 46 Abs. 1 und 3, 11 bis 14 FeV), so dass etwaigen Maßnahmen der Agentur für Arbeit Celle zugunsten des Antragstellers im vorliegenden Verfahren kein entscheidendes Gewicht zukommen kann.