Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 06.03.2006, Az.: 9 LA 365/03
Rechtmäßigkeit der Aufforderung zur Beseitigung des überwiegend auf einem Hausgrundstück befindlichen Carports; Auslegung eines um das Dach reduzierten Carports als genehmigungsfreie Pergola
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 06.03.2006
- Aktenzeichen
- 9 LA 365/03
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2006, 31685
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2006:0306.9LA365.03.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Braunschweig - 30.09.2003 - AZ: 2 A 249/02
Rechtsgrundlagen
- § 69 Abs. 1 NBauO
- Nr. 9. 1 Anhang zu § 69 BauO, NI
Fundstelle
- FStNds 2006, 330-332
Amtlicher Leitsatz
Der um das Dach reduzierte Carport stellt keine baugenehmigungsfreie Pergola dar.
Gründe
Die Kläger wenden sich gegen die ihnen mit Verfügung der Beklagten vom 6. November 2000 erteilte Aufforderung zur Beseitigung des überwiegend auf ihrem Hausgrundstück befindlichen, nicht genehmigungsfähigen Carports, der über die Grundstücksgrenze auf das Grundstück der Beigeladenen reicht. Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 30. September 2003 abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, dass sich die auf § 89 Abs. 1 NBauO gestützte Beseitigungsverfügung weder als unbestimmt noch als unverhältnismäßig erweise.
Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg, weil der von ihnen geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) nicht vorliegt.
Der Einwand der Kläger, mit dem Entfernen der Überdachung des Carports hätten sie das Erforderliche zur Beseitigung des Carports unternommen, weil die stehen gebliebenen, tragenden Hölzer nicht mehr als Carport zu bezeichnen seien, sondern vielmehr einer Pergola ähnelten, verfängt nicht. Entgegen der Auffassung der Kläger ist der um das Dach reduzierte Carport nicht in eine genehmigungsfreie Pergola im Sinne des § 69 Abs. 1 NBauO i. V. m. Nr. 9. 1 des Anhangs zu § 69 NBauO umgewandelt worden. Eine Pergola im Sinne des Bauordnungsrechts wird in der Rechtsprechung auch als ein nach oben offener Laubengang, der dem Ranken von Pflanzen dient, definiert (vgl. Bayerischer VGH, Urteil vom 29.11.1977 - Nr. 323 I 74 - BRS 32 Nr. 102; OVG Münster, Beschluss vom 30.11.1992 - 7 B 4620/92 -). Ob es sich bei einem Holzgerüst um eine Pergola handelt, richtet sich danach, ob es die Funktion als Rankhilfe im Rahmen der Gartengestaltung wahrnehmen kann und durch diese Funktion sowohl in seinem äußeren Erscheinungsbild als auch in seinem Standort bestimmt ist (OVG Münster, Beschluss vom 9.05.1996 - 7 B 934/96 - BRS 58 Nr. 118).
Diesen Anforderungen wird der "Rest"- Carport nicht gerecht. Er weist weder nach seinem äußeren Erscheinungsbild noch nach seinem Standort die charakteristischen Merkmale einer Pergola im vorgenannten Sinne auf. Bei der Konstruktion fehlt aufgrund ihres Standortes zwischen den beiden Hauswänden über die Nachbargrenze hinweg jeder Bezug zu einer Funktion als gartengestaltendes Element. Der Standort in Verbindung mit den konstruktiven Teilen und deren Proportionen lässt vielmehr lediglich, wie das vorliegende Bildmaterial belegt, den Eindruck eines baulich nicht abgeschlossenen Unterstellplatzes für ein Kraftfahrzeug aufkommen. Damit hat sich die - hinreichend bestimmte - Beseitigungsverfügung nicht dadurch erledigt, dass die Kläger dieser durch das Entfernen eines Teils der Überdachung teilweise nachgekommen sind.
Weiter können sich die Kläger nicht mit Erfolg darauf berufen, die Beseitigungsanordnung sei deshalb unverhältnismäßig, weil lediglich die Unterschrift unter einer Baulasterklärung fehle. Der Verzicht auf eine Baulasterklärung des Beigeladenen bliebe entgegen der Auffassung der Kläger nicht ohne Folgen. Die Eigentümer der durch eine Vereinigungsbaulast zusammengeschlossenen Grundstücke verlieren im Verhältnis zueinander den Nachbarschutz, den sonst Vorschriften der NBauO gegen Bauten auf Nachbargrundstücken gewähren (Wiechert in: Große-Suchsdorf/Lindorf/Schmaltz/Wiechert, NBauO, Komm. 7. Aufl., § 4 Rdnr. 21). § 4 Abs. 2 NBauO soll mit dem Verbot der Belegenheit einer baulichen Anlage auf mehreren Baugrundstücken verhindern, dass die Wahrnehmung privatrechtlicher Befugnisse, welche den Eigentümern verschiedener Grundstücke zustehen, zu baurechtswidrigen Zuständen führen (Nds. OVG, Beschluss des 1.Senats vom 11.1.2000 - 1 L 4588/99 -, NdsVBl 2000, 147), die hier bei Veränderungen auf dem Grundstück der Beigeladenen nicht ausgeschlossen wären.
Der Vortrag der Kläger, die Ermessensausübung der Beklagten sei fehlerhaft, weil nicht berücksichtigt worden sei, dass sie früher auch Eigentümer des Grundstücks der Beigeladenen waren und den Beigeladenen zur Ausnutzung deren Grundstücks im Jahr 1994 eine Baulast bewilligt haben, rechtfertigt ebenfalls keine vom Verwaltungsgericht abweichende Beurteilung. Die Ermessensentscheidung ist rechtlich nicht zu beanstanden. Das öffentliche Interesse gebietet grundsätzlich das Einschreiten gegen baurechtswidrige Zustände. Die Behörde macht daher im Regelfall von ihrem Ermessen in einer dem Zweck des Gesetzes entsprechenden Weise Gebrauch, wenn sie die Beseitigung rechtswidrig errichteter Anlagen anordnet, weil nur so die Rechtsordnung wiederhergestellt werden kann (OVG Weimar, Beschluss vom 27.06.1996 - 1 EO 425/95 -). Dem Ermessen in der Vorschrift ist deshalb die Tendenz eigen, die der Natur der Sache nach gebotene Pflicht zum Einschreiten zu verwirklichen. Das behördliche Ermessen wird durch die Norm nur eröffnet, um in Ausnahmefällen zu ermöglichen, von dem an sich gebotenen Einschreiten abzusehen, wenn dies nach den konkreten Umständen opportun ist. Daher genügt es für baurechtliche Verbote nach den Vorschriften des Bauordnungsrechts grundsätzlich, wenn die Bauaufsichtsbehörde zum Ausdruck bringt, dass der beanstandete Zustand wegen seiner Rechtswidrigkeit beseitigt werden müsse (vgl. dazu OVG Lüneburg, Urteil vom 10.03.1986 - 6 A 70/85 - BRS 46 Nr. 191 = NdsRpfl 1986, 282). Besondere Umstände, die eine abweichende Beurteilung rechtfertigen könnten, liegen nicht vor. Die von den Klägern in der Vergangenheit versäumte - im Widerspruchsbescheid erwähnte - Chance, die Errichtung des Carports durch eine Vereinigungsbaulast zu legalisieren, stellt keinen Umstand dar, der hier einen Ermessensfehler begründen könnte. Diese Möglichkeit, eine Vereinigungsbaulast zu einem Zeitpunkt zu bestellen, als die Kläger auch Eigentümer des benachbarten Grundstücks waren, ist ebenso wenig geeignet, bei den Klägern einen Vertrauensschutz auf den Erhalt des Carports zu begründen wie die von ihnen gegenüber den Beigeladenen eingeräumte Baulast.